Strafrecht

Sofortvollzug, Ausweisung, Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots

Aktenzeichen  W 7 S 21.154

Datum:
26.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12523
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 53
AufenthG § 54
AufenthG § 55
AufenthG § 11

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1. Der Antragsteller wurde am … 1990 in A. geboren und ist türkischer Staatsangehöriger. Er erhielt erstmals am 18. Juni 1997 eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen mit Gültigkeit bis 13. August 2006, die auf Grundlage des § 32 Abs. 1 AufenthG am 15. Juli 2006 bis 20. Juni 2008 verlängert wurde. Am 27. August 2007 wurde dem Antragsteller eine Niederlassungserlaubnis auf Grundlage des § 35 AufenthG erteilt.
Der Antragsteller ist wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
Bereits im Alter von knapp zwölf Jahren war der Antragsteller erstmals wegen Hehlerei polizeilich auffällig. Zwischen 2008 und 2012 wurde der Antragsteller wegen verschiedenster Tatbestände polizeilich erfasst, zu einer Verurteilung kam es jedoch nicht.
Erstmals rechtskräftig verurteilt wurde der Antragsteller mit Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 1. Februar 2013 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten (Az. …). Auf die Urteilsgründe wird im Einzelnen verwiesen. Nach Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt befand sich der Antragsteller ab 12. März 2013 zum Maßregelvollzug im Bezirkskrankenhaus in … Wegen Aussichtslosigkeit wurde der Antragsteller am 18. September 2014 vorzeitig aus dem Maßregelvollzug entlassen und verbüßte seine Haftstrafe sodann bis 16. Juni 2015 weiter. Anschließend absolvierte er eine Entwöhnungsbehandlung nach § 35 BtMG in …. Der Strafrest wurde zur Bewährung ausgesetzt und später aufgrund erneuter Straffälligkeit, die zum Widerruf der Strafaussetzung führte, vollends verbüßt. Die Strafvollstreckung ist nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft A. seit 14. November 2018 erledigt.
Mit Urteil des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 29. März 2017 wurde der Antragsteller wegen vorsätzlichem unerlaubtem Besitz in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz von Munition sowie unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, sechs Monaten und einer Woche verurteilt (Az. …). Auf die Urteilsgründe wird verwiesen. In dieser Sache befand sich der Antragsteller ab 26. Oktober 2016 aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 24. Oktober 2016 in Untersuchungshaft und ab dem 16. Mai 2017 erneut zum Maßregelvollzug im Bezirkskrankenhaus in …. Die Maßregel wurde am 17. August 2017 erledigt. Der Antragsteller verbüßte dann seine Haftstrafe vollständig bis zu seiner Entlassung am 13. Mai 2019.
Anlässlich dieser Verurteilungen prüfte die Antragsgegnerin aufenthaltsbeendende Maßnahmen und hörte den Antragsteller mit Schreiben vom 20. Februar 2018 zur beabsichtigten Ausweisung aus dem Bundesgebiet an. Aufgrund einer positiven Prognose der JVA sowie der Tatsache des familiären Empfangsraums sah die Beklagte von einer Ausweisung ab, verwarnte den Antragsteller mit Schreiben vom 24. Juli 2018 ausländerrechtlich und wies ausdrücklich darauf hin, dass der Antragsteller bei weiteren strafrechtlichen Verfehlungen mit einer Ausweisung aus dem Bundesgebiet rechnen müsse.
Am 21. Oktober 2019 wurde der Antragsteller u.a. aufgrund eines Vergewaltigungsdelikts erneut festgenommen. Ab 22. Oktober 2019 befand er sich aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Aschaffenburg wieder in Untersuchungshaft.
Mit Urteil des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 5. Juni 2020 wurde der Antragsteller wegen Verstoßes gegen Weisungen der Führungsaufsicht in drei tatmehrheitlichen Fällen rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt (Az. …). Hinsichtlich der ebenfalls angeklagten Vergewaltigung, vorsätzlichen Körperverletzung und Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen wurde der Antragsteller aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, da der Beweis durch das Gericht nicht geführt werden konnte. Auf die Urteilsgründe wird Bezug genommen.
Der Antragsteller befand sich bis 16. Dezember 2020 in Haft. Wie der Sozialprognose der JVA A. vom 11. Dezember 2020 zu entnehmen ist, hat sich der Antragsteller nicht beanstandungsfrei geführt. Er wurde mit einer Disziplinarmaßnahme belegt, da er einen Bediensteten der JVA beleidigt hatte. Der Befund der zu Beginn durchgeführten Urinkontrolle zum Nachweis des Konsums von Betäubungsmitteln war positiv auf verschiedene Substanzen, darunter Kokain und Cannabisprodukte. Während der Inhaftierung wurde der Antragsteller substituiert; die Substitution soll auch nach der Haftentlassung fortgeführt werden. Dem Antragsteller wurde keine positive Sozial- und Kriminalprognose attestiert, da seine Suchtmittelabhängigkeit nicht überwunden, eine hohe Aggressionsbereitschaft gegeben und nach Auffassung der JVA derzeit keinerlei Anzeichen für eine grundsätzlich positive Verhaltensmodifikation gegeben seien.
Nach seiner Haftentlassung lebt der Antragsteller bei seinen Eltern. Er ist ledig und kinderlos. Er hat einen qualifizierenden Hauptschulabschluss aber keine abgeschlossene Berufsausbildung. Nach dem Abschluss eines Berufsvorbereitungsjahrs arbeitete er zunächst als Lagerarbeiter und anschließend bei verschiedenen Firmen, wobei keine der Beschäftigungen von längerer Dauer war. Einige Male wurde dem Antragsteller aufgrund eigenen Fehlverhaltens gekündigt. Vor seiner letzten Inhaftierung bezog er Arbeitslosengeld. Nach den Feststellungen im Strafurteil vom 5. Juni 2020 hat der Antragsteller Schulden in Höhe von rund 8.000.00 EUR.
Mindestens seit dem 15. Lebensjahr konsumiert der Antragsteller Alkohol und Drogen, wobei er ab dem 18. Lebensjahr täglich Cannabis zu sich nahm, etwa seit dem Jahr 2001 auch Kokain konsumiert und seit Ende 2011 auch Amphetamine. Sein Alkohol- und Drogenkonsum hat den Grad einer Abhängigkeitserkrankung erreicht.
Mit Schreiben vom 9. Dezember 2020, zugestellt gegen Postzustellungsurkunde am 11. Dezember 2020, wurde dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Ausweisung bis 8. Januar 2021 eingeräumt. Eine Reaktion oder Stellungnahme erfolgte nicht.
Mit Bescheid vom 26. Januar 2021 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1) und erließ gegen ihn ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das im Falle nachweislicher Überwindung der Alkohol- und Drogenabhängigkeit sowie Straffreiheit auf die Dauer von sieben Jahren, sollte diesbezüglich kein stichhaltiger Nachweis erbracht werden, auf die Dauer von zehn Jahren, beginnend mit der Ausreise oder Abschiebung, befristet wurde (Ziffer 2). In Ziffer 3 des Bescheids wurde die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 angeordnet. In Ziffer 4 wurde der Antragsteller aufgefordert, seine Niederlassungserlaubnis unverzüglich an die Ausländerbehörde herauszugeben. In Ziffer 5 wurde der Antragsteller aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb von vier Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls er in die Türkei oder in einen anderen zur Aufnahme bereiten oder verpflichteten Staat abgeschoben werde.
Der Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Aufenthalt des Antragstellers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle und er daher gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG aus der Bundesrepublik Deutschland auszuweisen sei. Er erfülle ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG durch seine Verurteilung vom 1. Februar 2013 sowie ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG durch seine Verurteilung vom 29. März 2017 sowie durch seine Verurteilung vom 5. Juni 2020. Ein Bleibeinteresse mit besonderem Gewicht ergebe sich aus § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Dem Antragsteller stehe ein besonderer Ausweisungsschutz gemäß § 53 Abs. 3 AufenthG zur Seite, da er abgeleitet von seinem Vater ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 erworben habe.
Unter Berücksichtigung der vom Antragsteller gezeigten erheblichen kriminellen Energie, seiner schnellen Rückfallgeschwindigkeit und des festgestellten Alkohol- und Drogenabhängigkeitssyndroms, das bisher trotz mehrerer Versuche nicht erfolgreich therapiert werden konnte, sei von einer erheblichen Wiederholungsgefahr auszugehen. Der Antragsteller lasse sich weder durch strafrechtliche Sanktionen noch durch angedrohte ausländerrechtliche Maßnahmen von der Begehung weiterer Straftaten abhalten. Nicht einmal der Maßregelvollzug habe den Antragsteller davon abhalten können, erneut strafbares Handeln an den Tag zu legen. Mehrfach habe er strafbares Verhalten während einer offenen Bewährung bzw. nur kurz nach einer vorangegangenen Haftentlassung gezeigt. Zuletzt sei es ihm innerhalb kürzester Zeit in Freiheit nicht gelungen, sich an die Weisungen der Führungsaufsicht zu halten. Bislang seien sämtliche Sanktionsmöglichkeiten des Rechtsstaates beim Antragsteller erfolglos geblieben. Kurz vor seiner letzten Haftentlassung sei ihm durch die JVA A. eine negative Sozial- und Kriminalprognose ausgesprochen worden. Seine Aggressionsbereitschaft sei als sehr hoch eingestuft worden. Aufgrund seines bisherigen, seit Jahren währenden, massiven Fehlverhaltens, seiner Gesamtpersönlichkeit, seiner unzweifelhaft vorliegenden charakterlichen Mängel und seiner defizitären Persönlichkeitsstruktur werde davon ausgegangen, dass der Antragsteller auch künftig Straftaten von besonders schwerwiegendem Gewicht begehen werde. Die vom Antragsteller begangenen Straftaten, insbesondere, dass er eine andere Person angegriffen und lebensbedrohlich mit einem Messer verletzt habe sowie eine geladene Pistole bei sich getragen habe, berührten Grundinteressen der Gesellschaft. Um die Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland vor weiteren Straftaten durch den Antragsteller zu schützen, sei seine Ausweisung auch unter Berücksichtigung des besonderen Ausweisungsschutzes geboten. Es werde gewürdigt, dass der Antragsteller im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen sei sowie die Schule besucht und einen qualifizierenden Hauptschulabschluss erworben habe. Auch werde berücksichtigt, dass seine Eltern und Geschwister rechtmäßig im Bundesgebiet leben. Jedoch sei dem Antragsteller eine wirtschaftliche Integration nicht gelungen. Er habe keine Berufsausbildung absolviert und keine nachhaltige Integration in den deutschen Arbeitsmarkt erreicht. Da er der Rechtsordnung der Bundesrepublik offensichtlich keine Bedeutung beimesse, sei auch seine soziokulturelle Integration als gescheitert zu betrachten. Die Ausweisung stehe im Einklang mit Art. 6 GG, da der Antragsteller ledig und kinderlos sei, sowie mit dem nach Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, da sie nach dem Aufenthaltsgesetz vorgesehen sei und einen in dieser Bestimmung aufgeführten legitimen Zweck, die Verteidigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und die Verhinderung von weiteren Straftaten verfolge. Die Maßnahme sei verhältnismäßig. Das Bleibeinteresse des Antragstellers müsse vorliegend hinter den Schutz der angesprochenen hohen Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zurücktreten. Zuletzt seien auch die engsten Familienangehörigen des Antragstellers Opfer seiner Aggressionen und Gewaltbereitschaft geworden. Dem Antragsteller könne eine Rückkehr in die Türkei zugemutet werden, da er in einer türkischen Familie aufgewachsen sei, über türkische Sprachkenntnisse verfüge und ihm die türkische Kultur vertraut sei. Der Antragsteller habe in der Vergangenheit in der Türkei Urlaube verbracht. All dies werde es ihm ermöglichen, sich in der Türkei einzuleben und zurechtzufinden, anfangs gegebenenfalls mit (finanzieller) Unterstützung seiner in Deutschland lebenden Familie, zu welcher er über moderne Kommunikationsmittel vom Ausland aus Kontakt halten könne.
Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sieben Jahre werde im Hinblick auf die Schwere der abgeurteilten Straftaten, des erheblichen Aggressionspotentials, der erheblichen Wahrscheinlichkeit einer Wiederholungsgefahr aufgrund der noch nicht überwundenen Alkohol- und Drogenabhängigkeit einerseits, seiner persönlichen und familiären Bindungen zum Bundesgebiet andererseits für verhältnismäßig erachtet. Gründe, die eine kürzere Dauer des Einreiseverbots erforderlich machen würden, seien nicht ersichtlich. Nachdem der Antragsteller die abgeurteilten Straftaten auch aus einer Alkohol- und Drogenabhängigkeit heraus begangen und diese offenkundig noch nicht überwunden habe, erfolge die Befristung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG unter der ausdrücklichen Bedingung, dass der Antragsteller seine Alkohol- und Drogenabhängigkeit bis zum Ablauf der Frist nachweislich überwunden habe und auch sonst keine vorsätzlichen Straftaten begangen habe. Anderenfalls werde das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von zehn Jahren befristet.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1 sei geboten, da sich der Antragsteller seit seiner letzten Haftentlassung am 16. Dezember 2020 auf freiem Fuß befinde und anderenfalls in Kauf genommen werden müsste, dass sich die bestehende Wiederholungsgefahr bei Klageerhebung im Falle eines länger andauernden Hauptsacheverfahrens zeitnah realisieren könnte. Um eine Aufenthaltsbeendigung während eines eventuellen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wirksam durchsetzen zu können, sei folgerichtig auch bezüglich Ziffer 2 die sofortige Vollziehung anzuordnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung des Bescheids vom 26. Januar 2021 Bezug genommen.
2. Mit Schreiben vom 2. Februar 2021, per Fax am selben Tag bei Gericht eingegangen, beantragte der Antragsteller „den Erlass einer Einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO gegen die Stadt Aschaffenburg“ und stellte folgenden Antrag:
„Die Antragsgegnerin wird verpflichtet die Abschiebung auszusetzen.“
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 16. Februar 2021, bei Gericht am selben Tag eingegangen, ließ der Antragsteller im Verfahren W 7 K 21.234 gegen den Bescheid vom 26. Januar 2021 Klage erheben und hilfsweise beantragen, die Beklagte zu verpflichten, die in Nummer 2 der streitbefangenen Verfügung verhängte Sperrfrist von 7 Jahren auf sofort zu befristen.
Der Antragsgegner hat (bislang) keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, auch im Verfahren W 7 K 21.234 sowie der beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
Der vom Antragsteller persönlich formulierte Antrag ist gemäß § 88 VwGO als Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffern 1, 2 und 5 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 26. Januar 2021 auszulegen. Der vom Antragsteller formulierte Antrag gemäß § 123 VwGO wäre gemäß § 123 Abs. 5 VwGO nicht statthaft. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Für den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 1 (Ausweisung) des angegriffenen Bescheids gilt Folgendes:
Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO in den Fällen die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs wiederherstellen, in denen die Behörde die sofortige Vollziehung besonders angeordnet hat und die Klage daher keine aufschiebende Wirkung hat.
Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet. Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene originäre Entscheidung über die Aussetzung bzw. die Aufhebung der Vollziehung aufgrund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung darbietenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei die Interessen des Antragstellers und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gegeneinander abzuwägen (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 80 Rn. 152).
Gemessen an diesen Grundsätzen fällt die vom Gericht anzustellende Interessenabwägung zu Ungunsten des Antragstellers aus. Die in Ziffer 1 des Bescheids vom 26. Januar 2021 verfügte Ausweisung erweist sich nach der hier gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller bereits aus diesem Grund nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Bei der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erforderlichen Abwägung überwiegt daher das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
a) Die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs erfüllt die notwendigen Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Diese muss auf den konkreten Fall abstellen und darf sich nicht in formelhaften Erwägungen erschöpfen (vgl. BayVGH, B.v. 30.10.2009 – 7 CS 09.2606 – juris Rn. 17). Die Begründungspflicht soll der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen führen und sie dazu veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, warum ausnahmsweise von dem gesetzlichen Normalfall der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO abgewichen werden soll (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 80 Rn. 84 ff.). Diesen Anforderungen genügen die behördlichen Ausführungen. Auch in materieller Hinsicht ist die Anordnung des Sofortvollzugs nicht zu beanstanden. Es besteht vorliegend ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids, das über das für den Erlass der Ausweisung erforderliche Interesse hinausgeht. Die Antragsgegnerin hat zutreffend ausgeführt und darauf abgestellt, dass es aufgrund der der Ausweisung zugrundeliegenden Gefahreneinschätzung nicht hingenommen werden könne, den Ausgang eines länger andauernden Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Der Antragsteller wurde am 16. Dezember 2020 aus der Haft entlassen. Die weitere Begründung der Antragsgegnerin, das bisherige Verhalten des Antragstellers biete Grund zu der Annahme, dass eine weitere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hinreichend wahrscheinlich sei, ist nicht zu beanstanden.
b) Die Ausweisung des Antragstellers erweist sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig. Die Antragsgegnerin hat die in Ziffer 1 angeordnete Ausweisung auf die Rechtsgrundlage des § 53 Abs. 1, Abs. 3 AufenthG gestützt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 9/12, InfAuslR 2013, 418, Rn. 8; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11, BVerwGE 143, 277, Rn. 12 m. w. N.) bzw. wie hier der Entscheidung des Gerichts.
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Bei der Abwägung ist nach § 53 Abs. 2 AufenthG insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner und die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
Gemäß Abs. 3 darf ein unter diesen Personenkreis fallender Ausländer nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
Diese Regelung in § 53 Abs. 3 AufenthG modifiziert für die dort genannten Personengruppen den Ausweisungsmaßstab – tatbestandlich – im Sinne erhöhter Anforderungen an das Gewicht der drohenden Rechtsgutsverletzung, indem sie die Ausweisung nur aus spezialpräventiven Gründen zulässt; dabei ist aber auch in diesem Rahmen – mit dem genannten geänderten Maßstab – eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorzunehmen (BT-Drs. 18/4097, S. 49 f.; vgl. auch VGH BW, U.v. 13.01.2016 – 11 S 889/15, BeckRS 2016, 41711, Rn. 84 ff.; BayVGH, B.v. 13.05.2016 – 10 ZB 15.492, BeckRS 2016, 46956, Rn. 13 f.).
Diese erhöhten Voraussetzungen des § 53 Abs. 1, Abs. 3 AufenthG sind vorliegend gegeben: Durch das persönliche Verhalten des Antragstellers ist ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung ist für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich.
Der Antragsteller erfüllt das besonders schwer wiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, da er durch das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 1. März 2013 wegen einer vorsätzlichen Straftat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt worden ist. Der Antragsteller erfüllt des Weiteren das schwer wiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, da er durch das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 29. März 2017 wegen mehrerer vorsätzlichen Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, sechs Monaten und einer Woche verurteilt worden ist, sowie zuletzt durch das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 5. Juni 2020 wegen mehrerer vorsätzlichen Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt worden ist. Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller bereits mit Schreiben vom 24. Juli 2018 hinsichtlich der Verurteilungen vom 1. März 2013 und vom 29. März 2017 ausländerrechtlich verwarnt. Aufgrund des seit Geburt durchgehenden Aufenthalts des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland, der damit verbundenen Verwurzelung in Deutschland und der guten Sozialprognose von Seiten der JVA A. kam die Antragsgegnerin damals zum Ergebnis, dass gerade noch von einer Ausweisung abgesehen werden könne. Dem Antragsteller wurde mitgeteilt, dass er mit der Ausweisung und Abschiebung aus der Bundesrepublik rechnen müsse, sollte er weiterhin strafrechtlich in Erscheinung treten. Dieser Fall ist nun mit der Verurteilung vom 5. Juni 2020 eingetreten. Dieser Umstand und zudem auch die aktuelle negative Sozial- und Kriminalprognose der JVA A. vom 11. Dezember 2020 führen zu einer maßgeblichen Änderung der Sach- und Rechtslage, welche dazu führen, dass bei der Entscheidung über die Ausweisung auch die früheren Sachverhalte wieder berücksichtigt werden können (vgl. Kluth/Hornung/Koch, Handbuch Zuwanderungsrecht, 3. A. 2020, § 5 Rn. 176 ff. m.w.N.). Demgegenüber steht das besonders schwerwiegende Bleibeinteresse des § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.
Die Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG setzt weiterhin tatbestandlich voraus, dass der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Dabei muss die vom Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbestehen. Erforderlich ist die Prognose, dass die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schadenseintritt an den gesetzlich aufgeführten Schutzgütern führen wird, wobei an die Wahrscheinlichkeit umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, mithin eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht. Dies ist beim Antragsteller der Fall. Das Gericht folgt insoweit der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids, auf welche im Einzelnen verwiesen wird (§ 117 Abs. 5 VwGO). Insbesondere ist unter Berücksichtigung der vom Antragsteller gezeigten erheblichen kriminellen Energie, seiner schnellen Rückfallgeschwindigkeit und des festgestellten Alkohol- und Drogenabhängigkeitssyndroms, das bisher trotz mehrerer Versuche nicht erfolgreich therapiert werden konnte, von einer erheblichen Wiederholungsgefahr auszugehen. Der Antragsteller lässt sich weder durch strafrechtliche Sanktionen noch durch angedrohte ausländerrechtliche Maßnahmen von der Begehung weiterer Straftaten abhalten. Mehrfach zeigte er strafbares Verhalten während einer offenen Bewährung bzw. nur kurz nach einer vorangegangenen Haftentlassung beziehungsweise hielt sich nicht an die Weisungen der Führungsaufsicht. Bislang blieben sämtliche Sanktionsmöglichkeiten des Rechtsstaates beim Antragsteller erfolglos. Die aktuelle Sozial- und Kriminalprognose durch die JVA A. vom 11. Dezember 2020 ist negativ. Die Aggressionsbereitschaft des Antragstellers wurde als hoch eingestuft. Anzeichen für eine grundsätzliche positive Verhaltensmodifikation seien nicht erkennbar. Das persönliche Verhalten des Antragstellers stellt gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, die im Hinblick auf die bisher durch den Antragsteller verletzten Rechtsgüter ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung ist zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich im Sinne von § 53 Abs. 3 AufenthG.
Die Abwägung zwischen dem Ausweisungsinteresse und dem Bleibeinteresse des Antragstellers ergibt ein Überwiegen des Ausweisungsinteresses.
Im vorliegenden Fall eines türkischen Familienangehörigen einer nach Art. 6 ARB 1/80 privilegierten Person ist eine Orientierung an den Regelbeispielen der §§ 54, 55 AufenthG möglich, diese dürfen jedoch nicht als zwingend statuiert werden (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. A., 2020, ARB 1/80 Art. 14 Rn. 13 m.w.N.).
Hier ist durch die Verurteilungen des Klägers das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sowie das schwer wiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Dem Ausweisungsinteresse gegenüberzustellen ist ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse. § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, im konkreten Fall in Form des Interesses an der Beendigung des weiteren rechtmäßigen Aufenthalts, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende umfassende und abschließende Abwägung des Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände sowie die in diesem Zusammenhang maßgeblichen grund- und konventionsrechtlichen Wertungen einzubeziehen sind. Diese Abwägung fällt im Ergebnis zu Lasten des Antragstellers aus.
Im Fall des Klägers liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor. Der Kläger wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 1. Februar 2013 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Auf das Urteil wird im Einzelnen verwiesen. Zwar können die in § 54 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG typisierten Interessen im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände auch weniger oder mehr Gewicht entfalten und kann die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen vorsätzlicher Straftaten in atypischen Fällen insgesamt weniger schwer erscheinen (vgl. BR-Drs. 642/14 S. 57), doch liegen hierfür unter umfassender Würdigung des Einzelfalles keine Anhaltspunkte vor. Tat, Täter und Nachtatverhalten weichen von vergleichbaren Delikten nicht derart ab, dass hier die Annahme eines atypischen Falles in Betracht käme. Auch nach strafgerichtlicher Bewertung rechtfertigen die Tatumstände und die Täterpersönlichkeit keine abweichende Gewichtung. Zwar erkannte das Gericht aufgrund des Alkohol- und Drogenkonsums des Antragstellers eine verminderte Schuldfähigkeit und berücksichtigte, dass der Antragsteller zum Tatzeitpunkt nicht vorbestraft war und erst seit kurzer Zeit die Altersschwelle für Heranwachsende überschritten hatte. Zu seinen Lasten wurde die Tatausübung gesehen, die zu erheblichen, aus ärztlicher Sicht gar lebensgefährlichen Verletzungen geführt hat. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde angeordnet. Das Gericht stellte fest, dass – solange der Antragsteller an seinem Alkohol- und Drogenkonsum festhalte – weiterhin mit ähnlich gravierenden Straftaten aus dem Bereich der Körperverletzungsdelikte zu rechnen seien. Der Antragsteller erfüllt des Weiteren das schwer wiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, da er durch das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 29. März 2017 wegen vorsätzlichem unerlaubtem Besitz in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz von Munition sowie unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, sechs Monaten und einer Woche verurteilt worden ist. Auch hier rechtfertigen Tatumstände und Täterpersönlichkeit keine abweichende Gewichtung. Während der Tat stand der Antragsteller unter Alkohol- und Drogeneinfluss. Das Gericht berücksichtigte sein Geständnis und dass er sich mit dem formlosen Einzug der Waffe nebst Munition sowie der sichergestellten Betäubungsmittel einverstanden erklärte, des Weiteren, dass er die Tat aufgrund seiner Suchtmittelabhängigkeit begangen hat und in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war. Zu seinen Lasten wurde gesehen, dass er zum Tatzeitpunkt unter offener Bewährung stand und erheblich vorgeahndet war. Aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur ergebe sich ein erhebliches Gefährdungspotential. Der Antragsteller erfüllt zudem das schwer wiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, da er durch das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 5. Juni 2020 wegen Verstoßes gegen Weisungen der Führungsaufsicht in drei tatmehrheitlichen Fällen rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt worden ist. Auch hier rechtfertigen Tatumstände und Täterpersönlichkeit keine abweichende Gewichtung. Die Straftaten wurden aufgrund seiner Alkohol- und Betäubungsmittelabhängigkeit begangen. Das Gericht berücksichtigte, dass nicht auszuschließen war, dass der Antragsteller zu den Tatzeitpunkten aufgrund seiner erheblichen Intoxikation in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt war, sein Geständnis, andererseits seine erhebliche Vorahndung und Rückfallgeschwindigkeit.
Diesem nach gesetzlicher Wertung besonders schwerwiegenden und schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht andererseits ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber, da dieser als türkischer Familienangehöriger einer nach Art. 6 ARB 1/80 privilegierten Person ein Daueraufenthaltsrecht besitzt, im Bundesgebiet geboren ist und sich seit über fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.
§ 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie, die sich insbesondere aus Art. 2 GG, Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ergibt, und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrundeliegenden Wertungen hinausgehen oder diesen entgegenstehen. Insbesondere ist an dieser Stelle der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen. Sind im konkreten Fall keine Gründe – etwa auch solche rechtlicher Art – ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren (vgl. VGH Mannheim, U.v. 13.1.2016 – 11 S 889/15, BeckRS 2016, 41711). Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkretem Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07, NVwZ 2007, 946) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen.
Davon ausgehend erweist sich die Ausweisung des Antragstellers als verhältnismäßig, da das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Antragstellers unter Berücksichtigung sämtlicher den Fall prägender Umstände insgesamt überwiegt.
Für das Ausweisungsinteresse streitet neben der erheblichen Wiederholungsgefahr insbesondere der erhebliche Umfang der Taten. Den Straftaten, die zu den jeweiligen Verurteilungen des Antragstellers führten, kommt angesichts deren Umfang und den verletzten Rechtsgütern, u.a. der körperlichen Integrität, besonderes Gewicht zu. Insbesondere dient die Ausweisung dem öffentlichen Interesse, die Bevölkerung vor weiteren Straftaten des Antragstellers zu schützen; dem kommt angesichts des hohen Ranges der bisher betroffenen Rechtsgüter ebenfalls ein bedeutsames Gewicht zu. Dieses Gewicht wird dadurch verstärkt, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Antragsteller wieder straffällig wird (siehe oben).
Diesem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht ein ebenfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenüber. Insbesondere ist der von Geburt an bestehende rechtmäßige Aufenthalt des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland zu berücksichtigen. Hinzu treten auf Seiten des Ausländers grundsätzlich dessen Recht auf Privatleben (Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 8 Abs. 1 EMRK) sowie ein Anspruch auf Achtung seiner familiären Bindungen nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG. Das Gewicht dieser Umstände ist, soweit es nicht schon über § 55 AufenthG erfasst wird, aus § 53 Abs. 2 AufenthG und den verfassungs- und konventionsrechtlichen Wertungen mit Blick auf die Folgen der Ausweisung auf diese Umstände zu ermitteln. Wegen der bestehenden beachtlichen Gefahr weiterer Straftaten und dem damit verbundenen konkreten öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung führen allerdings weder das besonders schwerwiegende Bleibeinteresse, der langjährige rechtmäßige Aufenthalt noch der Umstand, dass der Kläger in Deutschland geboren und aufgewachsen ist dazu, dass das Bleibeinteresse das Ausweisungsinteresse überwiegt.
Zwar stellt der Umstand, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren ist, hier seine Schulbildung absolviert hat und seine Eltern und Geschwister in Deutschland leben, einen ganz gewichtigen, gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechenden Abwägungsgesichtspunkt dar.
Insbesondere diejenigen Ausländer, die in der Bundesrepublik Deutschland geboren sind und über intensive persönliche und familiäre Bindungen verfügen, können sich nämlich auf den besonderen Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK (EGMR, U.v. 16.6.2005, Nr. 60654/00, InfAuslR 2005, 349 – Sisojeva/Lettland) sowie des Art. 2 Abs. 1 GG berufen. Bei dieser Gruppe im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener Ausländer bedarf es bei der Entscheidung über eine Ausweisung einer individuellen Würdigung, inwieweit der Ausländer im Bundesgebiet verwurzelt ist, ihm ein Leben im Land seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug mehr hat, zuzumuten ist, und ob dies angesichts der konkreten Ausweisungsgründe bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles einer Ausweisung entgegensteht (BVerwG, U.v. 23.10.2007 – 1 C 10/07, NVwZ 2008, 326). Gleichwohl verbietet das Recht auf Privatleben aus Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 2 Abs. 1 GG nicht die Ausweisung bei Prüfung aller Umstände des Einzelfalls; diese kann auch dann als gerechtfertigter bzw. notwendiger und verhältnismäßiger Eingriff in das verfassungs- und konventionsrechtliche Recht auf Privatleben angesehen werden, wenn der Betroffene keine oder nur geringe Bindungen zu seinem Heimatland aufweist (vgl. EGMR, U.v. 28.6.2007 – 31753/02, BeckRS 2008, 06725; U.v. 18.10.2006 – 46410/99, NVwZ 2007, 1279; BayVGH, U.v. 27.10.2011 – 10 B 08.1325, BeckRS 2011, 34239; B.v. 4.7.2008 – 10 B 07.677, BeckRS 2010, 53434, Rn. 15). Selbst wenn man jedoch unterstellt, dass es sich bei dem Antragsteller um einen sogenannten faktischen Inländer handelt, führt dies nicht zu einem Überwiegen des Bleibeinteresses des Antragstellers.
Denn zu Lasten des Antragstellers sind insbesondere die von ihm begangenen Straftaten zu berücksichtigen, die angesichts der hier vorliegenden hohen Wiederholungsgefahr ein hochrangiges, öffentliches Interesse an seiner Entfernung aus dem Bundesgebiet begründen. Dem stehen überwiegend zu beachtende Belange des Antragstellers nicht entgegen. Maßgeblich ist hierbei zu berücksichtigen, dass der besondere Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK bei im Bundesgebiet aufgewachsenen Ausländern insbesondere auch davon abhängt, ob sich der Antragsteller hinreichend im hiesigen Leben verwurzelt hat (BayVGH, B.v. 11.7.2011 – 24 ZB 07.743, BeckRS 2007, 30069). Dies beurteilt sich insbesondere danach, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters und seiner persönlichen Befähigung in das hiesige wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben erfolgreich integriert ist.
Der Antragsteller hat zwar den qualifizierenden Hauptschulabschluss erreicht, er hat jedoch keine abgeschlossene Berufsausbildung. Der Antragsteller hat zwar bei verschiedenen Firmen gearbeitet, keine der Beschäftigungen war aber von längerer Dauer. Eine wirtschaftliche Integration liegt damit nicht vor. Zudem ist in gesellschaftlicher Hinsicht die mangelnde Integration in die deutsche Rechtsordnung angesichts der umfangreichen und wiederholten strafrechtlichen Verfehlungen offensichtlich. Eine wirkliche Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse ist dem Antragsteller mithin nicht gelungen.
Die Ausweisung erscheint auch deswegen nicht unverhältnismäßig, weil dem Antragsteller eine Ausreise in die Türkei nicht zumutbar wäre. Der Antragsteller ist im Haushalt seiner türkischen Eltern aufgewachsen, so dass davon auszugehen ist, dass er im türkischen Kulturkreis groß geworden und dieser ihm vertraut ist sowie dass er die türkische Sprache beherrscht. Der Antragsteller hat in der Vergangenheit in der Türkei Urlaube verbracht. Es ist ihm daher zuzumuten, sich in der Türkei zurechtzufinden. Selbst wenn der erwachsene Antragsteller in der Türkei nicht mit der Unterstützung von Verwandten rechnen könnte, würde dies für sich genommen keine unzumutbare Härte begründen (BayVGH, B.v. 19.1.2015 – 10 CS 14.2656, 10 C 14.2657, BeckRS 2015, 42415, Rn. 28; B.v. 7.2.2008 – 10 ZB 07.1993, BeckRS 2008, 27508; OVG Lüneburg, B.v. 12.12.2013 – 8 ME 162/13, BeckRS 2013, 59604).
Schließlich kann sich der Antragsteller auch nicht auf den Schutz des Rechts auf Achtung seiner familiären Bindungen i.S.d. Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK berufen. Zwar stellen die familiären Bindungen, die insbesondere über Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützt sind, einen schwerwiegenden Aspekt dar. Danach sind die Ausländerbehörden und die Gerichte verpflichtet, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (BVerfG, B.v. 23.01.2006 – 2 BvR 1935/05, NVwZ 2006, 682).
Wie sich aus dem Akteninhalt ergibt (S. 422 ff., S. 438 ff. der Behördenakte), wurden die Familie sowie die (damalige) Lebensgefährtin des Antragstellers zuletzt auch Opfer seiner Aggression und Gewaltbereitschaft. Es wäre dem Antragsteller auch möglich und zumutbar, den Kontakt zu seiner Familie bzw. zu seiner Lebensgefährtin von der Türkei aus aufrecht zu erhalten. So können die Eltern des Antragstellers und seine Geschwister jederzeit in die Türkei reisen und der Antragsteller andererseits auch für besondere Anlässe Betretenserlaubnisse für die Bundesrepublik Deutschland beantragen. In Anbetracht des durch das aggressive und gewaltbereite Verhalten des Antragstellers belasteten Kontakts mit seiner Familie und seiner Lebensgefährtin und im Hinblick auf die Straftaten des Antragstellers und der hohen Wiederholungsgefahr muss der Antragsteller den mit der Ausweisung verbundenen gravierenden Eingriff in sein Privatleben daher hinnehmen und sich insoweit auf Besuchskontakte, Briefe, Telefonate bzw. auf das Internet verweisen lassen.
Nach alledem überwiegt unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Antragstellers seine Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet.
2. Für den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 des Bescheids vom 26. Januar 2021 wiederherzustellen bzw. anzuordnen, gilt Folgendes:
Bezüglich des unter Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots hat die Antragsgegnerin in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids die sofortige Vollziehung angeordnet. Gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG hat eine Klage gegen die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG keine aufschiebende Wirkung. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Falle eines gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung ganz oder teilweise anordnen, im Falle einer behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, welche Interessen höher zu bewerten sind, diejenigen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als ein wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen. Erweist sich der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
Gemessen an diesen Grundsätzen fällt die vom Gericht anzustellende Interessenabwägung zu Ungunsten des Antragstellers aus. Ziffer 2 des Bescheids vom 26. Januar 2021 erweist sich nach der hier gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller bereits aus diesem Grund nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Bei der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erforderlichen Abwägung überwiegt daher das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
a) Die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs des Einreise- und Aufenthaltsverbots erfüllt die notwendigen Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Diese muss auf den konkreten Fall abstellen und darf sich nicht in formelhaften Erwägungen erschöpfen (vgl. BayVGH, B.v. 30.10.2009 – 7 CS 09.2606 – juris Rn. 17). Die Begründungspflicht soll der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen führen und sie dazu veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, warum ausnahmsweise von dem gesetzlichen Normalfall der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO abgewichen werden soll (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 80 Rn. 84 ff.). Diesen Anforderungen genügen die behördlichen Ausführungen. Auch in materieller Hinsicht ist die Anordnung des Sofortvollzugs nicht zu beanstanden. Es besteht vorliegend ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids, das über das für den Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots erforderliche Interesse hinausgeht. Die Antragsgegnerin hat zutreffend ausgeführt und darauf abgestellt, dass es aufgrund der der Ausweisung zugrundeliegenden Gefahreneinschätzung nicht hingenommen werden könne, den Ausgang eines länger andauernden Hauptsacheverfahrens hinsichtlich des Einreise- und Aufenthaltsverbots abzuwarten.
b) Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Nach Satz 2 darf der Ausländer infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist im Falle der Ausweisung das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist somit zwingende Folge der in Ziffer 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 26. Januar 2021 verfügten Ausweisung.
c) Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist mit der Ausreise beginnt. Diese allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist liegt gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Ermessen der Antragsgegnerin, darf aber nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG außer in den Fällen des § 11 Abs. 5 bis Abs. 5b AufenthG fünf Jahre nicht überschreiten. Gemäß § 11 Abs. 5 AufenthG soll die Frist zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Dabei besteht nach Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG die Möglichkeit, die Befristungsentscheidung zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung zu versehen, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit.
Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und ggf. relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen (BVerwG, U.v. 6.3.2014 – 1 C 2.13, BeckRS 2014, 49495, Rn. 12; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19/1, BeckRS 2012, 56736, Rn. 42).
Gemessen daran ist die vorgenommene Befristungsentscheidung nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat die aus § 11 AufenthG resultierenden Vorgaben beachtet, das ihr hinsichtlich der Länge der Frist eingeräumte Ermessen erkannt und bei ihrer Ausübung weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Die Antragsgegnerin stützt die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG auf die Straftaten und die Wiederholungsgefahr im Fall des Antragstellers.
Die Bedingung einer nachweislichen Straf- und Drogenfreiheit wurde im Hinblick auf die wiederholte Straffälligkeit des Antragstellers sowie seine Alkohol- und Drogenabhängigkeit aufgenommen.
Die Befristung der Wirkung der Ausweisung auf zehn Jahre im Fall der Nichterbringung des entsprechenden Nachweises ist nicht zu beanstanden. Die Verlängerung der Wiedereinreisesperre für den Fall, dass die Straf- und Drogenfreiheit nicht nachgewiesen werden sollte, wurde damit begründet, dass ansonsten die Begehung weiterer Delikte zu befürchten ist.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO war daher auch insoweit abzulehnen.
3. Soweit sich der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 5 des Bescheides vom 26. Januar 2021 richtet, ist der Antrag zulässig jedoch ebenfalls unbegründet. Bei der der Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 handelt es sich um eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung gemäß Art. 21a BayVwZVG. Die Klage dagegen hat keine aufschiebende Wirkung, weshalb der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO insofern statthaft (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO) und auch im Übrigen zulässig ist.
Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil sich Ziffer 5 im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer (BVerwGE 142, 179, 195) und bei summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist.
Die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheides begegnen keinen rechtlichen Bedenken und entsprechen den gesetzlichen Anforderungen des § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 59 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AufenthG. Die Länge der eingeräumten Ausreisefrist von vier Tagen ist vorliegend auf der Grundlage des § 59 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG nicht zu beanstanden, da vom Antragsteller eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Etwaige Abschiebungsverbote bzw. Duldungsgründe im Sinne des § 60a AufenthG stehen dem Erlass der Abschiebungsandrohung wegen § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung war nach alledem abzulehnen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1, Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG.

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