Strafrecht

Sperrerklärung des Bundesministeriums des Innern bzgl. Unterlagen zu G 10-Beschränkungsmaßnahmen; Verwertbarkeit der im Rahmen der Maßnahmen gewonnenen Erkenntnisse

Aktenzeichen  9 St 10/17

Datum:
2.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9058
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 96 S. 1
G 10 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3

 

Leitsatz

1 Bei Abgabe einer Sperrerklärung hat die zuständige Behörde dem Gericht die Gründe ihrer Weigerung verständlich zu machen. Ist eine detaillierte Begründung nicht möglich, weil schon dies die Geheimhaltung gefährden kann, genügt der Hinweis auf diesen Sachverhalt und die Mitteilung des Ergebnisses der Ermessensentscheidung. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Dem Strafgericht steht es nicht zu, diese Entscheidung auf sachliche Richtigkeit zu überprüfen. Es kann und muss zwar, wenn ihm die Entscheidung nicht plausibel ist, Gegenvorstellung erheben. Bleibt die oberste Dienstbehörde aber bei der abschließenden negativen Entscheidung – Nichtvorlage der Akten -, so hat das Strafgericht dies hinzunehmen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3 In Fallgestaltungen, in denen sich das Geheimhaltungsinteresse der Exekutive nachteilig für den Angeklagten auswirkt, weil ein zentrales Beweismittel nicht unmittelbar oder überhaupt nicht in das Verfahren eingeführt werden kann, greift die Rechtsprechung auf das Gebot einer besonders vorsichtigen Beweiswürdigung und gegebenenfalls auf die Anwendung des Zweifelssatzes zurück. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Anklage der Generalstaatsanwaltschaft München vom 22.08.2017 (Az.: 53 OJs 16/17) wird zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem 9. Strafsenat des Oberlandesgerichts München eröffnet.
II. Der Strafsenat ist in der Hauptverhandlung mit fünf Richtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt, weil nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung zweier weiterer Richter notwendig erscheint, § 122 Abs. 2 Satz 2 GVG.
III. Die Untersuchungshaft der Angeklagten N. A. A. und I. S. dauert aus den Gründen ihrer Anordnung, Aufrechterhaltung und Fortdauer (Haftbefehle des Bundesgerichtshofs vom 31.10.2016, Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 23.02.2017, 14.06.2017, 12.10.2017) fort.
IV. Der Antrag der Angeklagten A. R. W. Hn., F. Hk. und B. Sa. auf Abtrennung der sie betreffenden Verfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.
Am 22.08.2017 erhob die Generalstaatsanwaltschaft München Anklage gegen die fünf Angeklagten wegen teils mittäterschaftlich begangener Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß §§ 129a Abs. 1 Nr. 1, 129b Abs. 1 S. 1 und S. 2, 25 Abs. 2 StGB, davon der Angeklagte A. A. in sieben Fällen, der Angeklagte S. in sechs Fällen und die Angeklagten Hn., Hk. und Sa. in jeweils einem Fall.
II.
Die Voraussetzungen für die Eröffnung des Hauptverfahrens liegen vor. Die Angeklagten sind der ihnen vorgeworfenen Taten im Sinne des § 203 StPO hinreichend verdächtig. Nach vorläufiger Tatbewertung auf der Grundlage des Ergebnisses der Ermittlungen ist eine Verurteilung der Angeklagten in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln zumindest wahrscheinlich (vgl. zum Maßstab des § 203 StPO BGH, Beschluss vom 22.04.2003, Az.: StB 3/03; BGH, Beschluss vom 15.10.2013, Az.: StB 16/13).
1. Wesentlicher Beweiswert wird insoweit den im Rahmen der G 10-Beschränkungsmaßnahmen gewonnenen Erkenntnissen zukommen. Nach vorläufiger Einschätzung besteht kein generelles Verbot der Verwertung dieser Telefongespräche, SMS und Urkunden.
a) Die Ermächtigungsgrundlage für die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation und für die Einsicht in den Postverkehr durch das Bundesamt für Verfassungsschutz regeln §§ 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2 G 10-Gesetz. Gemäß § 1 Nr. 1 G 10-Gesetz sind unter anderem die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder zur Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes berechtigt, die Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen sowie die dem Brief- oder Postgeheimnis unterliegenden Sendungen zu öffnen und einzusehen. Derartige Beschränkungen setzen nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 G 10-Gesetz zusätzlich voraus, dass tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass jemand z. B. Straftaten der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates oder Straftaten nach den §§ 129a bis 130 StGB plant, begeht oder begangen hat und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.
Das Verfahren für den Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegt strengen Voraussetzungen und ist stark formalisiert. § 9 G 10-Gesetz verdeutlicht, dass bereits die dort genannten Behörden verantwortlich zu prüfen haben, ob die Durchführung der Beschränkungsmaßnahmen berechtigt und notwendig ist. Die auferlegte Begründung des Antrags muss die anordnende Behörde in die Lage versetzen, die Voraussetzungen für die G 10-Maßnahmen selbständig nachzuprüfen. Dabei werden ihr auch Kenntnisse nicht vorenthalten werden können, die aus Gründen der Staatssicherheit oder des Schutzes der Erkenntnisquelle geheimzuhalten sind (vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf der ersten Fassung des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 13.06.1967, Drucksache V/1880, S. 10). Die Regelungen zur Anordnung in § 10 G 10-Gesetz stellen unter anderem sicher, dass die Voraussetzungen der Beschränkungsmaßnahmen – ungeachtet § 11 Abs. 2 G 10-Gesetz – spätestens alle drei Monate erneut überprüft werden.
Darüber hinaus sieht § 1 Abs. 2 G 10-Gesetz eine Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium und durch eine besondere Kommission (G 10-Kommission) vor. Damit wird Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG Rechnung getragen, da der Rechtsweg für den Betroffenen jedenfalls partiell beschränkt ist (vgl. § 13 G 10-Gesetz). Die G 10-Kommission stellt ein Organ eigener Art außerhalb der rechtsprechenden Gewalt dar, das an die Stelle des Rechtswegs tritt und als Ersatz für den fehlenden gerichtlichen Rechtsschutz dient (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.09.2016, BVerfGE 143, 1). Ihre Tätigkeit dient mithin dem Grundrechtsschutz für die Bürger, die ihre Rechte wegen der Unbemerkbarkeit der Eingriffe nicht selbst wahrnehmen können. Mit der besonderen Aufgabenstellung, Unabhängigkeit und Sachkunde der G 10-Kommission verbinden sich Elemente kompensatorischer demokratischer Repräsentation und Kontrolle (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.01.2008, NJW 2008, 2135). Sie hat die Möglichkeit, von Amts wegen oder auf Grund von Beschwerden über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen zu entscheiden (§ 15 Abs. 5 G 10-Gesetz). Das parlamentarische Kontrollgremium wiederum ermöglicht einerseits eine wirksame parlamentarische Aufsicht und berücksichtigt andererseits die besonderen Sicherheitsbedürfnisse (vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf der ersten Fassung des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 13.06.1967, Drucksache V/1880, S. 11).
b) Der Senat hat die Unterlagen zu den G 10-Beschränkungsmaßnahmen (Antrag des Bundesamts für Verfassungsschutz an das Bundesministerium des Innern, Anordnung des Bundesministeriums des Innern, etwaige Entscheidung der G 10-Kommission, etwaige Sperrerklärung des Bundesministeriums des Innern) beim Bundesamt für Verfassungsschutz angefordert, um unter anderem die Verwertbarkeit der Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung beurteilen zu können (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2017, NJW-Spezial 2017, 536). Die Anforderung an das Bundesamt für Verfassungsschutz vom 17.10.2017 wurde von deren oberster Dienstbehörde, dem Bundesministerium des Innern, mit Schreiben vom 27.11.2017 im Sinne einer Sperrerklärung nach § 96 StPO beantwortet. Hiergegen hat der Senat am 08.12.2017 eine Gegenvorstellung erhoben, auf die das Bundesministerium des Innern mit Schreiben vom 28.12.2017 replizierte.
c) Die Sperrerklärung des Bundesministeriums des Innern genügt den Anforderungen des § 96 StPO. Nach § 96 S. 1 StPO darf die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte nicht gefordert werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, dass das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde.
Die nach § 96 StPO zuständige Behörde hat dem Gericht die Gründe ihrer Weigerung verständlich zu machen, schon um das Gericht in die Lage zu versetzen, auf die Beseitigung etwaiger Hindernisse hinzuwirken und auf die Bereitstellung des Beweismittels zu drängen. Das Gericht muss in der Lage sein zu prüfen, ob die behördliche Weigerung und die damit verbundene Einwirkung der Behörde auf die Gestaltung des Verfahrens aus rechtsstaatlichen Gründen hingenommen werden kann und ob die Durchführung eines fairen Verfahrens noch gewährleistet ist. Mit diesen Anforderungen ist es grundsätzlich nicht zu vereinbaren, wenn die Weigerung jegliche Begründung vermissen lässt und die Behörde nur formelhafte Wendungen für ihre Ablehnung verwendet. Eine detaillierte Begründung wird – weil schon dies die Geheimhaltung gefährden kann -nicht immer möglich sein. Es genügt dann der Hinweis auf diesen Sachverhalt und die Mitteilung des Ergebnisses der Ermessensentscheidung. Dem Strafgericht steht es nicht zu, diese Entscheidung auf sachliche Richtigkeit zu überprüfen. Es kann und muss zwar, wenn ihm die Entscheidung nicht plausibel ist, Gegenvorstellung erheben. Bleibt die oberste Dienstbehörde aber bei der abschließenden negativen Entscheidung – Nichtvorlage der Akten -, so hat das Strafgericht dies hinzunehmen (vgl. Karlsruher Kommentar zur StPO/Greven, 7. Auflage 2013, § 96 Rdnr. 17 m. w. N.; BGH, Urteil vom 05.11.1982, NJW 1983, 1005; BVerfG, Beschluss vom 26.05.1981, NJW 1981, 1719).
(1) Das Bundesministerium des Innern hat in seinen Schreiben die Gründe für die Ablehnung der Herausgabe der erbetenen Unterlagen in vollständiger, in ausschnittsweiser wie auch in geschwärzter Fassung verständlich dargelegt. Das Bundesministerium des Innern hat das Wohl des Bundes, hier spezifiziert durch die Methoden, den Kenntnisstand und die Arbeitsweise des Bundesamts für Verfassungsschutz sowohl im konkreten Fall, aber auch darüber hinausgehend im Grundsatz als Schutzgut hervorgehoben. In diesem Zusammenhang hat das Bundesministerium des Innern mitgeteilt, dass die angeforderten Unterlagen unter anderem detaillierte Angaben zu den tatsächlichen Anhaltspunkten für den gegen die Angeklagten gerichteten Verdacht der Unterstützung der Gruppierung Ahrar ash-Sham sowie Ausführungen dazu enthielten, warum die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert und aussichtslos gewesen wäre. Darüber hinaus hat es sich auf als „Geheim“ eingestufte Informationen eines ausländischen Partnerdienstes bezogen, die ohne dessen Zustimmung nicht an Dritte weitergegeben werden dürften, da sie durch sensible Methoden gewonnen worden seien und die konkrete Quelle des anlassgebenden Hinweises gefährdet wäre. Mit den G 10-Beschränkungsmaßnahmen sollten mutmaßliche Unterstützungshandlungen und die mögliche Einbindung der Angeklagten wie auch anderer Hauptbetroffener in islamistisch-terroristische Strukturen aufgeklärt werden.
Das Bundesministerium des Innern verhält sich zwar in seiner Sperrerklärung mit der Preisgabe von Einzelheiten zurückhaltend. Seine Erläuterungen zur Bedeutung der gesperrten Auskünfte über die vorgenommenen Amtshandlungen und zur Notwendigkeit des Quellenschutzes sind für den Senat nach vorläufiger Einschätzung jedoch zumindest plausibel und erscheinen nicht willkürlich. Dass es staatliche Aufgaben gibt, die zu ihrer Erfüllung der Geheimhaltung bedürfen, steht außer Frage. Damit einhergehend ist die Aufdeckung z. B. von Erkenntnissen und Arbeitsweisen der für die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland tätigen Behörden im Strafverfahren nicht ausnahmslos geboten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.05.1981, NJW 1981, 1719).
Das Bundesministerium des Innern hat auf die Gegenvorstellung des Senats hin zudem geprüft, ob es den Interessen der Angeklagten dadurch Rechnung tragen kann, dass es geschwärzte oder ausschnittsweise Fassungen vorlegt. Soweit es aufgrund seiner dargelegten Erwägungen dazu kommt, dass so viele Passagen unkenntlich gemacht werden müssten, dass jeder Sinnzusammenhang verloren ginge, ist dies vom Senat unter den oben zitierten Voraussetzungen hinzunehmen.
(2) Das Bundesministerium des Innern hat des Weiteren erkennbar das ihm eröffnete Ermessen im Sinne des § 96 StPO ausgeübt. Es hat in seine Abwägung unter anderem das Recht der Angeklagten auf eine angemessene Verteidigung, die zu ihren Gunsten bestehende Unschuldsvermutung, das Gewicht der den Angeklagten zur Last gelegten Straftaten sowie die Folgen einer Offenlegung der Verfahrensweisen des Bundesamts für Verfassungsschutz einschließlich der Kooperation mit dem ausländischen Partnerdienst eingestellt.
Dass das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Freiheitsanspruch der Angeklagten im Spannungsfeld mit der gerichtlichen Wahrheitsfindung zur Sicherung der Gerechtigkeit nicht das genügende Gewicht beigemessen hätte (vgl. zur Abwägung grundsätzlich BGH, Beschluss vom 05.06.2007, NJW 2007, 3010; BVerfG, Beschluss vom 26.05.1981, NJW 1981, 1719), ist nicht ersichtlich. Den im Rahmen der G 10-Beschränkungsmaßnahmen gewonnenen Ergebnissen – vor allem in Form von Telefongesprächen, die zu einem erheblichen Teil zwischen den Angeklagten geführt wurden – wird als Beweisquelle voraussichtlich ein hoher Stellenwert zukommen. Sachnähere Beweismittel wie Zeugen oder infolge der Durchsuchungen und Beschlagnahmen aufgefundenen Urkunden sind nach bisheriger Aktenlage nur in reduziertem Umfang vorhanden. Die Angeklagten wiederum sind in ihrem Verteidigungsrecht dadurch eingeschränkt, dass sie nicht nachvollziehen können, wie und warum das Bundesamt für Verfassungsschutz auf ihre Person gestoßen ist und mit welcher Begründung die G 10-Beschränkungsmaßnahmen gegen sie eingeleitet und verlängert wurden. Andererseits können sich die Angeklagten im Rahmen der Sachaufklärung zu der Kommunikation, die ihnen zugeschrieben wird, inhaltlich äußern.
Strafverfahrensrechtliche Vorkehrungen, die geeignet wären, die Belange des Bundesamts für Verfassungsschutz zu wahren, liegen nach derzeitiger Einschätzung nicht vor. So ist es z. B. dem Senat mit Blick auf Art. 103 Abs. 1 GG verwehrt, „in camera“ ohne Einbeziehung der anderen Verfahrensbeteiligten Einsicht in die Unterlagen des Bundesamts für Verfassungsschutz zu nehmen, um die Vorgänge bezüglich der G 10-Beschränkungsmaßnahmen zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.05.1981, NJW 1981, 1719; a. A. für das Verwaltungsverfahren BVerfG, Beschluss vom 27.10.1999, NJW 2000, 1175). Eine Handhabe zur Einwirkung auf die Zusammenarbeit des Bundesamts für Verfassungsschutz und des ausländischen Geheimdienstes steht dem Senat nicht zur Verfügung.
d) Anhaltspunkte, dass die Anordnungen, die zur Gewinnung vor allem der gegenständlichen Telefongespräche, SMS und Urkunden geführt haben, nicht durch die Vorschriften der §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 6a G 10-Gesetz i.V.m. §§ 129a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 Satz 1, 129b Abs. 1 StGB gedeckt waren und dass das im G 10-Gesetz vorgesehene Prozedere nicht eingehalten wurde, bestehen nach den bisherigen Erkenntnissen mithin nicht.
Das Bundesministerium des Innern hat überdies die Wahrung der gesetzlichen Vorgaben der §§ 9 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3, 10 Abs. 1 bis Abs. 3 und Abs. 5, 15 Abs. 5 und Abs. 6 G 10-Gesetz versichert. Ein pauschalisiertes Misstrauen gegenüber den in die Beantragung, Anordnung und Kontrolle der Beschränkungsmaßnahmen involvierten Behörden und Gremien, die an Recht und Gesetz gebunden sind, ist aus der Luft gegriffen.
Die Ermächtigungsgrundlage für die Weitergabe der erhobenen Daten an die Strafverfolgungsbehörden regelt § 4 Abs. 4 Nr. 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 6a G 10-Gesetz. § 161 Abs. 2 S. 1 StPO gestattet ihre Verwendung zu Beweiszwecken im Strafverfahren (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2017, NJW-Spezial 2017, 536).
Nach derzeitiger Sachlage – vorbehaltlich weiterer Erkenntnisse in der Hauptverhandlung – sieht der Senat daher kein generelles Beweisverwertungsverbot für die nach dem G 10-Gesetz gewonnenen Resultate. Die Rechtsprechung greift in Fallgestaltungen, in denen sich das Geheimhaltungsinteresse der Exekutive nachteilig für den Angeklagten auswirkt, weil ein zentrales Beweismittel nicht unmittelbar oder überhaupt nicht in das Verfahren eingeführt werden kann, auf das Gebot einer besonders vorsichtigen Beweiswürdigung und gegebenenfalls auf die Anwendung des Zweifelssatzes zurück (vgl. BGH, Urteil vom 04.03.2004, NJW 2004, 1259; BVerfG, Beschluss vom 26.05.1981, NJW 1981, 1719; BGH, Beschluss vom 23.12.2009, NStZ 2010, 445). Es bleibt der Hauptverhandlung und der Würdigung der gesamten Beweisaufnahme vorbehalten, ob und inwieweit dieser Grundsatz im vorliegenden Fall zum Tragen kommt.
2. Der für die Eröffnung erforderliche hinreichende Tatverdacht der Unterstützung der Ahrar ash-Sham als terroristische Vereinigung im Ausland (vgl. BGH, Haftfortdauerbeschluss vom 14.06.2017) liegt nach dem vorläufigen Ermittlungsergebnis für alle Angeklagten in objektiver und subjektiver Hinsicht vor.
Unschädlich ist, dass das Bundesministerium der Justiz die Ermächtigung zur Verfolgung von Straftaten durch Mitglieder oder Unterstützer der Vereinigung Ahrar ash-Sham, die deutsche Staatsangehörige sind oder sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten oder hier tätig werden, erst am 25.07.2014 und somit nach Durchführung der G 10-Beschränkungsmaßnahmen erteilt hat. Das G 10-Gesetz sieht entsprechend seinem primären Zweck der Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes (§ 1 Abs. 1 G 10-Gesetz) die Notwendigkeit einer Verfolgungsermächtigung nicht vor. Erst die Strafverfolgungsbehörden, denen unter den engen Voraussetzungen des § 4 Abs. 4, Abs. 5 G 10-Gesetz Daten übermittelt werden dürfen, haben zu prüfen, ob die Strafverfolgungsvoraussetzungen gegeben sind; sie haben eine Ermächtigung ggf. sogar von Amts wegen einzuholen (vgl. Schönke/Schröder, StGB, 29. Auflage 2014, § 77e StGB Rdnr. 2).
III.
Der Senat hält die Voraussetzungen für eine weitere Untersuchungshaft gegen die Angeklagten N. A. A. und I. S. für gegeben.
IV.
Eine Abtrennung des Verfahrens gegen die Angeklagten A. R. W. Hn., F. Hk. und B. SA. kommt nicht in Betracht.
Der Senat verkennt nicht, dass die Angeklagten Hn., Hk. und Sa. lediglich wegen jeweils einer einzigen Tat (von insgesamt neun Taten) der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung angeklagt sind. Dass sie durch die Hauptverhandlung, für die vorsorglich mehr als 30 Verhandlungstage angedacht sind, in ihrer Berufsausübung und ihrer privaten Dispositionsfreiheit beeinträchtigt werden, steht außer Zweifel.
Der Senat erachtet dennoch eine Abtrennung der drei genannten Angeklagten und die Durchführung einer gesonderten Hauptverhandlung für nicht zweckmäßig. Das den angeklagten Taten zugrundeliegende Geschehen kann nach vorläufiger Bewertung insbesondere in subjektiver Hinsicht sinnvollerweise nur einheitlich gewürdigt werden. Dies gilt insbesondere für die Auswertung der Kommunikation der Angeklagten untereinander und mit Dritten. Eine Aufspaltung des Verfahrens würde zudem dazu führen, dass ein wesentlicher Teil der Beweisaufnahme z. B. durch Vernehmung der Ermittlungsbeamten und Anhörung der Sachverständigen in zwei getrennten Verhandlungen gleichermaßen abgehandelt werden müsste.
Ob die Angeklagten Hn., Hk. und Sa. zeitweise und im Einzelfall gemäß § 231c StPO beurlaubt werden können, bleibt der Hauptverhandlung vorbehalten.

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