Aktenzeichen 2 BvR 1183/09
§ 93c Abs 1 S 1 BVerfGG
§ 119 Abs 3 StPO vom 01.04.1987
Verfahrensgang
vorgehend LG Kempten, 19. Mai 2009, Az: 1 Qs 91/09, Beschlussvorgehend LG Kempten, 29. April 2009, Az: 1 Qs 91/09, Beschlussvorgehend AG Kempten, 8. April 2009, Az: 2 Gs 808/09, Beschluss
Tenor
Die Beschlüsse des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) vom 8. April 2009 – 2 Gs 808/09 – und des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom       29. April 2009 und vom 19. Mai 2009 – 1 Qs 91/09 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus       Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung über die Kosten an das Landgericht       Kempten (Allgäu) zurückverwiesen.
…
Gründe
1
                            Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Anspruch auf rechtliches Gehör.
   
I.
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                            1. Der Beschwerdeführer, der sich wegen des Verdachts von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz in Untersuchungshaft
      befand, beantragte, ihm das Einbringen und den Besitz seiner Gitarre zu gestatten. Der Ermittlungsrichter lehnte dies mit
      angegriffenem Beschluss vom 8. April 2009 ab, ohne dem Beschwerdeführer die in dem Verfahren abgegebene Stellungnahmen der
      Justizvollzugsanstalt und der Staatsanwaltschaft zu übersenden. Die Gitarre sei mit dem Zweck der Untersuchungshaft und der
      Ordnung der Vollzugsanstalt nicht vereinbar (§ 119 Abs. 3 und 4 StPO a.F.). Drogenkonsum gefährde die Sicherheit in der Justizvollzugsanstalt.
      Es bestehe der dringende Verdacht, dass der Beschwerdeführer vor seiner Inhaftierung Suchtmittel missbraucht habe. Ein Musikinstrument
      eigne sich hervorragend als Versteck für Drogen. Insbesondere bestehe die Gefahr, dass andere Gefangene an den Beschwerdeführer
      heranträten und die Gitarre als ideales Versteck für Drogen und andere sicherheitsgefährdende Gegenstände nutzten. Zudem könnten
      die Gitarre selbst oder ihre Saiten als gefährliche Werkzeuge gegen Mitgefangene oder Vollzugspersonal eingesetzt werden.
   
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                            2. Mit der Beschwerde rügte der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs.
      1 GG) durch Nichtübersendung der eingeholten Stellungnahmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müsse er
      über die Äußerungen der Gegenseite informiert werden. Ohne Kenntnis des Sach- und Streitstandes könne er sein Anhörungsrecht
      nicht effektiv wahrnehmen. Der Inhalt der Stellungnahmen ergebe sich auch nicht aus dem Beschluss. Daher könne er nicht angeben,
      was er hätte erwidern können, wenn ihm das rechtliche Gehör gewährt worden wäre. Im Übrigen sei die Begründung des Beschlusses
      auch nicht haltbar. Die Justizvollzugsanstalt verleihe über die Straffälligenhilfe oder über den Geistlichen selbst Gitarren;
      auch Ersatzsaiten seien jederzeit erhältlich. Somit könne der Gitarre und den Saiten kein Sicherheitsrisiko innewohnen. Ein
      Sicherheitsrisiko durch das Einbringen einer Gitarre von außen lasse sich mit minimalem Aufwand – durch Inspektion mithilfe
      eines kleinen Spiegels – beseitigen. Eine solche Inspektion könne auch im Rahmen der regelmäßigen Haftraumkontrollen erfolgen.
   
4
                            Das Landgericht verwarf mit angegriffenem Beschluss vom 29. April 2009 die Beschwerde „aus den zutreffenden, durch das Beschwerdevorbringen
      nicht entkräfteten Gründen des angefochtenen Beschlusses“.
   
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                            3. Hiergegen beantragte der Beschwerdeführer „die Nachholung des rechtlichen Gehörs gemäß § 33a StPO“. Das Gericht habe nach
      der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor Erlass einer Entscheidung zu prüfen, ob den Verfahrensbeteiligten rechtliches
      Gehör gewährt worden sei; zu dem Verfahrensstoff, über den informiert werden müsse, gehörten unter anderem Stellungnahmen
      der Gegenseite. Sein Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG sei in gravierender Weise verletzt worden. Das rechtliche Gehör sei auch
      im Beschwerderechtszug nicht nachgeholt worden.
   
6
                            Mit angegriffenem Beschluss vom 19. Mai 2009 gab das Landgericht der „Gegenvorstellung … keine Folge“. Der Beschwerdeführer
      übersehe, dass es sich vorliegend um ein Beschwerde- und nicht um ein Antragsverfahren handele. Das Amtsgericht habe seiner
      Beschwerde nicht abgeholfen. Von der Staatsanwaltschaft sei die Beschwerde ohne weitere Stellungnahme dem Landgericht vorgelegt
      worden. Im vorliegenden Beschlussverfahren werde dem Beschwerdeführer nur ein allgemeines, jedoch kein spezielles, auf einzelne
      rechtliche Argumente bezogenes Gehör gewährt. Im Übrigen gebe es keinerlei Argument der Verfolgungsbehörde, zu welchem der
      Beschwerdeführer hätte gehört werden können. Der die Beschwerde verwerfende Beschluss der Kammer offenbare nach seiner Sachlogik
      vielmehr, dass der Beschwerdevortrag vollkommen ungeeignet gewesen sei, die zutreffenden Gründe des amtsgerichtlichen Beschlusses
      zu entkräften.
   
7
                            4. Seit dem 4. April 2009 konnte der Beschwerdeführer eine Leihgitarre, seit dem 22. Dezember 2009 eine über einen Versandhändler
      erworbene eigene Gitarre in seinem Haftraum nutzen. Seit dem 11. Februar 2010 befindet er sich nicht mehr in Untersuchungshaft,
      sondern in Strafhaft in einer anderen Justizvollzugsanstalt.
   
II.
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                            1. Mit seiner fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, seine Grundrechte aus Art.
      103 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG seien verletzt. Ihm sei nicht, wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
      geboten, Gelegenheit gegeben worden, zu dem entscheidungserheblichen Vortrag der Gegenseite Stellung zu nehmen. Der Inhalt
      der Stellungnahmen gehe auch aus dem Beschluss des Amtsgerichts nicht hervor. Ein weiterer Vortrag sei ihm daher nach wie
      vor nicht möglich. Die Versagung der Einbringung seiner Privatgitarre werde den grundrechtlichen Anforderungen nicht gerecht,
      weil sie vernachlässige, dass Schwierigkeiten der Überwachung im Rahmen des Zumutbaren hinzunehmen seien. Dieser Rahmen sei,
      wie auch die Praxis der Verleihung von Gitarren zeige, hier nicht überschritten. Die Justizvollzugsanstalt Kempten verfüge
      zudem, wie er inzwischen erfahren habe, über ein Durchleuchtungsgerät, das die Kontrolle einer eingebrachten Gitarre wesentlich
      vereinfache.
   
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                            2. Der Freistaat Bayern hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.
   
10
                            a) Der Verfassungsbeschwerde fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil sich das Rechtsschutzziel erledigt habe. Seit dem 4. April
      2009 habe dem Beschwerdeführer eine Leihgitarre der Justizvollzugsanstalt zur Benutzung auf seinem Haftraum zur Verfügung
      gestanden. Jedenfalls durch den späteren Bezug einer eigenen Gitarre aus sicherer Quelle sei das sachliche Interesse des Beschwerdeführers
      verwirklicht. Ein schutzwürdiges Interesse an der Einbringung derjenigen Gitarre, auf die sich der ursprüngliche Antrag bezog,
      bestehe nicht mehr. Abgesehen davon habe sich das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Rechtsschutzziel jedenfalls dadurch
      erledigt, dass der Beschwerdeführer sich seit dem 11. Februar 2010 nicht mehr in Untersuchungshaft, sondern in einer anderen
      Justizvollzugsanstalt in Strafhaft befinde. Die Voraussetzungen für das Fortbestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses trotz
      Erledigung des verfolgten Begehrens lägen nicht vor. Der in dem Verbot des Einbringens einer eigenen Gitarre liegende Eingriff
      in die allgemeine Handlungsfreiheit sei nicht folgenschwer und jedenfalls im vorliegenden Fall auch nicht besonders tiefgreifend.
      Dadurch, dass die Justizvollzugsanstalt Leihgitarren zur Verfügung stelle, sei gewährleistet gewesen, dass der Beschwerdeführer
      nur zeitweise, nämlich bis zum Freiwerden einer Leihgitarre, gehindert gewesen sei, in der Untersuchungshaft Gitarre zu spielen.
      Ein Rechtsschutzbedürfnis sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben. Die rein abstrakte Möglichkeit,
      dass der Beschwerdeführer erneut unter vergleichbaren Voraussetzungen zur Vollziehung von Untersuchungshaft in die Justizvollzugsanstalt
      Kempten kommen könne, genüge hierfür nicht.
   
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                            b) Die Verfassungsbeschwerde sei zudem unbegründet.
   
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                            aa) Der Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sei verfassungsrechtlich gerechtfertigt gewesen. Insoweit
      bilde § 119 Abs. 3 StPO (a.F.) eine zureichende gesetzliche Grundlage für Einschränkungen grundrechtlicher Freiheiten von
      Untersuchungsgefangenen. Angesichts des Verdachts von Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz und des beim Beschwerdeführer
      festgestellten Betäubungsmittelkonsums habe die Gefahr bestanden, dass die Gitarre genutzt werde, um Drogen in die Anstalt
      zu schmuggeln. Dieser Gefahr hätte nicht gleichermaßen wirksam durch eine Untersuchung des Instruments begegnet werden können.
      Die Vollzugserfahrung zeige, dass der Erfindungsreichtum in Bezug auf Drogenverstecke kaum Grenzen kenne. Eine Untersuchung
      des Resonanzkörpers der Gitarre mittels Spiegel sei daher keineswegs ausreichend. Selbst sorgfältigste Kontrolle hätte nicht
      mit der nötigen Sicherheit ausschließen können, dass versteckte Betäubungsmittel übersehen werden und in die Anstalt gelangen.
      Hinzu komme, dass die notwendige eingehendere Kontrolle des Instruments angesichts der Vielfalt der Versteckmöglichkeiten
      mit der Gefahr von Beschädigungen und daraus folgenden Amtshaftungsansprüchen einhergehe. Die Sicherheitsanforderungen der
      Anstalt seien mit dem Interesse des Beschwerdeführers am Gitarrespiel in einen angemessenen Ausgleich gebracht worden, weil
      die Anstalt ihn auf die Warteliste für die Überlassung einer anstaltseigenen Leihgitarre aufgenommen und ihm eine solche zeitnah
      ausgehändigt habe.
   
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                            bb) Im Ergebnis beeinträchtigten die angefochtenen Entscheidungen den Beschwerdeführer auch nicht in seinem grundrechtsgleichen
      Recht auf rechtliches Gehör. Zwar hätte das Amtsgericht dem Beschwerdeführer Gelegenheit geben müssen, sich zu den Stellungnahmen
      der Justizvollzugsanstalt und der Staatsanwaltschaft zu äußern. Nachdem dies versäumt worden sei, hätte das Landgericht die
      Gehörsgewährung nachholen müssen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör sei aber nur beeinträchtigt, wenn die angefochtenen Entscheidungen
      auf der Gehörsverletzung beruhten (mit Verweis auf BVerfGE 86, 133 ). Im vorliegenden Fall sei jedoch auszuschließen,
      dass dem Anliegen des Beschwerdeführers stattgegeben worden wäre, wenn er Gelegenheit erhalten hätte, sich zu den Stellungnahmen
      zu äußern. Was er der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt, der sich die Staatsanwaltschaft angeschlossen habe, entgegengehalten
      hätte, ergebe sich aus seiner Beschwerdebegründung vom 15. April 2009, denn die Gründe, mit denen das Amtsgericht eine Einbringung
      der Gitarre in die Anstalt abgelehnt habe, hätten sich im Wesentlichen mit der Argumentation der Justizvollzugsanstalt gedeckt.
   
III.
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                            1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten
      Rechte angezeigt ist (§ 93b Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), und gibt ihr statt. Die Entscheidungskompetenz
      der Kammer ist gegeben (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG); die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gerichte bei der Gewährung
      rechtlichen Gehörs sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. BVerfGE 19, 32 ; 20, 347
      ; 50, 280 ; 55, 95 ; 67, 96 ; 70, 180 ; 89, 381 ; 101, 106 ).
   
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                            a) Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere fehlt es nicht an dem notwendigen Rechtsschutzbedürfnis. Insoweit
      kann offenbleiben, ob eine Erledigung des im fachgerichtlichen Verfahren in der Sache verfolgten Rechtsschutzbegehrens, mit
      der für dieses Begehren das Rechtsschutzinteresse entfällt, zwangsläufig auch für die in dieser Angelegenheit wegen einer
      Verletzung rechtlichen Gehörs erhobenen Verfassungsbeschwerde das Rechtsschutzinteresse entfallen lässt. Denn das Rechtsschutzbedürfnis
      ist hier auch hinsichtlich des verfolgten materiellen Rechtsschutzziels nicht entfallen.
   
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                            Mit der Überlassung einer Leihgitarre erledigte sich nicht das auf Gestattung des Besitzes der eigenen Gitarre gerichtete
      Begehren. Auch der Erwerb einer neuen, eigenen Gitarre hat das Rechtsschutzinteresse nicht in Wegfall gebracht. Das gilt auch,
      wenn ein Interesse des Beschwerdeführers, die schon früher in seinem Eigentum befindliche Gitarre zu nutzen, infolgedessen
      nicht mehr bestehen sollte. Der Aufwand des Erwerbs einer neuen Gitarre war gerade durch die vom Beschwerdeführer als grundrechtswidrig
      beanstandeten Entscheidungen veranlasst; der Beschwerdeführer nahm ihn in Kauf, um den Folgen des gerügten Grundrechtsverstoßes
      soweit wie möglich und zulässig auszuweichen. Durch ein solches für den Beschwerdeführer mit Nachteilen verbundenes Ausweichen
      entfällt das Rechtsschutzinteresse nicht (vgl. BVerfGE 34, 165 ).
   
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                            Dass der Beschwerdeführer sich zwischenzeitlich nicht mehr in Untersuchungshaft und nicht mehr in derselben Justizvollzugsanstalt,
      sondern andernorts in Strafhaft befindet, berührt ungeachtet der dadurch eingetretenen Erledigung sein Rechtsschutzbedürfnis
      ebenfalls nicht. Bei gewichtigen Grundrechtsverstößen besteht das Rechtsschutzbedürfnis für eine Verfassungsbeschwerde fort,
      wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich typischerweise auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher
      der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangen kann (vgl.
      BVerfGE 110, 77; 117, 244 ; für den Fall der Verlegung eines Strafgefangenen BVerfGK 11, 54 ).
   
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                            Der Verstoß gegen die grundrechtliche Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, die der Wahrung der Subjektstellung der Beteiligten
      im gerichtlichen Verfahren dient (vgl. BVerfGE 84, 188 ; 107, 395 ), stellt unabhängig von dem in dem jeweiligen
      Verfahren verfolgten Rechtsschutzziel jedenfalls dann einen gewichtigen Grundrechtsverstoß dar, wenn er beharrlich erfolgt
      und sich damit nicht mehr als Versehen erklären lässt (vgl. BVerfGE 90, 22 ). Diese Voraussetzung ist hier sowohl hinsichtlich
      des Beschlusses des Amtsgerichts, das die Möglichkeit, den begangenen Gehörsverstoß im Abhilfeverfahren zu beheben (vgl. Meyer-Goßner,
      StPO, 53. Aufl. 2010, § 306 Rn. 7), nicht genutzt hat, als auch hinsichtlich der Beschlüsse des Landgerichts erfüllt.
   
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                            Im Hinblick auf die typischerweise kurze Dauer der Untersuchungshaft kann ein Untersuchungsgefangener nach dem regelmäßigen
      Geschäftsgang eine stattgebende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Maßnahmen in deren Vollzug auch nicht erlangen,
      während die Untersuchungshaft noch andauert. Entfiele das Rechtsschutzbedürfnis für Verfassungsbeschwerden, die Maßnahmen
      im Vollzug der Untersuchungshaft betreffen, jeweils mit dem Übergang des Betroffenen in die Strafhaft oder mit einer aufgrund
      dessen erfolgenden Verlegung, so fiele ein wirksamer verfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz in diesem Bereich weitgehend
      aus. Der Umstand, dass die Fachgerichte und das Bundesverfassungsgericht oft nicht zu einer Entscheidung innerhalb kurzer
      Zeit in der Lage sind, darf nicht dazu führen, dass eine Verfassungsbeschwerde allein wegen des vom Beschwerdeführer nicht
      zu vertretenden Zeitablaufs als unzulässig verworfen wird und auf diese Weise nachhaltig in die Rechte eines Betroffenen eingreifende
      Beschlüsse des Ermittlungsrichters der verfassungsrechtlichen Überprüfung entzogen werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer
      des Zweiten Senats vom 28. September 1999 – 2 BvR 1897/95 u.a. -, NJW 2000, S. 273).
   
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                            b) Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
   
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                            aa) Das Amtsgericht hat den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör missachtet, indem es über den Antrag des
      Beschwerdeführers entschied, ohne ihm die Stellungnahme der Gegenseite zur Kenntnis zu geben.
   
22
                            Nach Art. 103 Abs. 1 GG hat der Einzelne Anspruch darauf, vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen,
      um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 107, 395 ). Dementsprechend
      darf das Gericht nur Tatsachen verwerten, zu denen die Beteiligten vorher Stellung nehmen konnten (vgl. BVerfGE 20, 347 ;
      70, 180 ; 89, 381 ; 101, 106 ). Der bei einer Entscheidung berücksichtigte Tatsachenvortrag eines Verfahrensbeteiligten
      muss den anderen Verfahrensbeteiligten vor der Entscheidung durch Übersendung der betreffenden Schriftsätze zur Kenntnis gebracht
      worden sein. Die Verfahrensbeteiligten müssen grundsätzlich Gelegenheit haben, sich zu Stellungnahmen der Gegenseite in tatsächlicher
      und rechtlicher Hinsicht zu äußern (vgl. BVerfGE 19, 32 ; 49, 325 ; BVerfGK 7, 438 ; BVerfG, Beschluss der 2.
      Kammer des Zweiten Senats vom 6. August 1992 – 2 BvR 628/92 -, juris; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Februar
      2009 – 1 BvR 188/09 -, NVwZ 2009, S. 580; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2009 – 2 BvR 1575/09 -,
      juris; zur Bedeutung des Rechts auf Äußerung zum Vortrag der Gegenseite als Grundlage des Vertrauens der Verfahrensbeteiligten
      in die Arbeit der Justiz vgl. EGMR, Urteil vom 21. Februar 2002, Ziegler v. Switzerland, Appl. no. 33499/96, Rn. 38; Urteil
      vom 19. Mai 2005, Steck-Risch et al. v. Liechtenstein, Appl. no. 63151/00, Rn. 57). Das Amtsgericht hat unter Verstoß gegen
      dieses Verfahrensgebot entschieden.
   
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                            bb) Der Verstoß ist weder vom Amtsgericht im Abhilfeverfahren (§ 306 Abs. 2 StPO) noch vom Landgericht auf die Beschwerde
      und die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers hin geheilt worden. Vielmehr hat das Landgericht mit den angegriffenen Beschlüssen
      seinerseits das Grundrecht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt.
   
24
                            (1) Zwar kann ein Gehörsverstoß grundsätzlich – auch in einem höherinstanzlichen Verfahren – geheilt werden, wenn das Gericht
      in der Lage ist, das nunmehr zur Kenntnis genommene Vorbringen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 5, 22 ; 62, 392 ;
      73, 322 ; 107, 395 ; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. Oktober 2009 – 1 BvR 178/09
      -, GRUR-RR 2009, S. 441 ). Dies ist hier jedoch nicht geschehen. Das Landgericht war zwar in der Lage zu berücksichtigen,
      was der Beschwerdeführer zuerst mit seiner Beschwerde und später mit seiner Anhörungsrüge vorgetragen hatte. Es war aber nicht
      in der Lage zu berücksichtigen, was der Beschwerdeführer im Falle der gebotenen – rechtzeitigen – Gewährung rechtlichen Gehörs
      zu den Stellungnahmen von Justizvollzugsanstalt und Staatsanwaltschaft vorgetragen haben würde, da es sich auf die Rüge des
      Beschwerdeführers, die Vorenthaltung der Stellungnahmen verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör, nicht veranlasst gesehen
      hat, dem Beschwerdeführer diese zur Kenntnis zu geben.
   
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                            (2) Das Landgericht hat danach mit dem angegriffenen Beschluss vom 29. April 2009 den vom Amtsgericht begangenen Gehörsverstoß
      fortwirken lassen und damit das Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Überdies hat es einen originären – unmittelbar
      eigenen – Gehörsverstoß begangen, indem es das Beschwerdevorbringen des Beschwerdeführers nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt
      hat.
   
26
                            Es hat die Beschwerde mit Tenorbegründung „aus den zutreffenden, durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräfteten Gründen
      des angefochtenen Beschlusses“ kostenfällig verworfen. Daraus wird erkennbar, dass es die vom Beschwerdeführer erhobene Rüge
      einer Verletzung des Anspruchs aus Art. 103 Abs. 1 GG, falls überhaupt zur Kenntnis genommen, jedenfalls nicht in der notwendigen
      Weise erwogen hat. Die Begründung erschöpft sich in der Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses und geht damit
      am Inhalt der Gehörsrüge des Beschwerdeführers vorbei. Denn die Begründung des angefochtenen amtsgerichtlichen Beschlusses
      setzt sich mit der vor dem Landgericht erhobenen Rüge des Beschwerdeführers, das Amtsgericht habe unter Verstoß gegen den
      Anspruch auf rechtliches Gehör entschieden, ohne ihm die im Verfahren abgegebenen behördlichen Stellungnahmen zur Kenntnis
      gebracht zu haben, nicht auseinander. Sie enthält zum Umgang mit diesen Stellungnahmen auch sonst keinerlei Ausführungen,
      die diese Rüge – sei es auch nur vermeintlich – entkräften könnten.
   
27
                            (3) Mit dem angegriffenen Beschluss vom 19. Mai 2009 hat das Landgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches
      Gehör erneut verletzt, indem es auf die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers hin den gerügten Gehörsverstoß nicht korrigiert
      oder geheilt hat. Die Anhörungsrüge war im recht verstandenen Interesse des Beschwerdeführers 
      (vgl. BVerfGE 122, 190 ) dahin auszulegen, dass der Beschwerdeführer, der zur Nutzung des Rechtsbehelfs der Anhörungsrüge vor
      Erhebung der Verfassungsbeschwerde gehalten war 
      (vgl.  
      BVerfGK  
      5,  
      337  
      ; 9, 28   
      ) , auch den vom Landgericht selbst begangenen Gehörsverstoß beanstandete; insoweit war sie statthaft. Dennoch hat das Landgericht
      den Gehörsverstoß, der darin lag, dass es bei seiner Beschwerdeentscheidung die Gehörsrüge des Beschwerdeführers nicht zur
      Kenntnis genommen oder jedenfalls nicht erwogen hatte, nicht korrigiert oder geheilt, sondern in Abrede gestellt.
   
28
                            c) Angesichts der festgestellten Verstöße gegen das Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG kann offen bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde
      auch insoweit begründet ist, als der Beschwerdeführer die Verletzung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in
      Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip rügt.
   
29
                            2. Die angegriffenen Entscheidungen sind aufzuheben und die Sache ist – angesichts der eingetretenen Erledigung nur noch zur
      Entscheidung über die Kosten – an das Landgericht Kempten (Allgäu) zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
   
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                            Eine gerichtliche Entscheidung kann allerdings nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wegen Verstoßes gegen
      den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nur dann aufgehoben werden, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Anhörung
      des Beteiligten zu einer anderen, ihm günstigeren Entscheidung geführt hätte; nur dann beruht die Entscheidung darauf, dass
      der Beteiligte nicht gehört wurde (vgl. BVerfGE 7, 239 ; 13, 132 ; 52, 131 ; 89, 381 ).
   
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                            Dass bei pflichtgemäßer Gehörsgewährung eine abweichende Entscheidung ausgeschlossen gewesen wäre, kann hier schon deshalb
      nicht festgestellt werden, weil der Inhalt der fraglichen Stellungnahmen dem Beschwerdeführer bis heute nicht zur Kenntnis
      gegeben worden ist. Daher kann ihm nicht nur, wie er bereits mit seiner Anhörungsrüge zutreffend festgestellt hat, nicht vorgeworfen
      werden, dass er nicht mitgeteilt hat, was er bei rechtzeitiger Gehörsgewährung vorgebracht haben würde. Es fehlt damit auch
      die Grundlage für eine Beurteilung dahingehend, dass eine andere als die ergangene Entscheidung bei pflichtgemäßer Gehörsgewährung
      ausgeschlossen gewesen wäre. Anders könnte es sich verhalten, wenn festzustellen wäre, dass dem Begehren des Beschwerdeführers
      ganz unabhängig von jeglichem Vorbringen von Rechts wegen nicht hätte entsprochen werden dürfen. Eine solche Feststellung
      lässt sich jedoch – erst recht seitens des Bundesverfassungsgerichts, das die primäre Zuständigkeit der Fachgerichte für die
      Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts zu respektieren hat (vgl. BVerfGE 106, 28 ; zum Strafvollzug BVerfGK 2, 102
      ) – hier nicht treffen.
   
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                            3. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
   




