Aktenzeichen 1 OLG 8 Ss 65/16
Leitsatz
Dem Tatbestand des § 42 StAG unterfällt grundsätzlich jede unrichtige oder unvollständige Angabe zu Vorstrafen eines Antragstellers. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Antragsteller einen Anspruch auf Einbürgerung hat. (amtlicher Leitsatz)
Verfahrensgang
14 Ns 457 Js 49798/15 2016-01-07 Urt LGNUERNBERGFUERTH LG Nürnberg-Fürth
Tenor
I.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 7. Januar 2016, Aktenzeichen 14 Ns 457 Js 49798/15 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
II.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Kammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.
Gründe
I. Das Amtsgericht – Strafrichter – Nürnberg verurteilte die Angeklagte mit Urteil vom 21. Oktober 2015 wegen unrichtiger Angaben im Einbürgerungsverfahren gemäß § 42 StAG zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15 Euro.
Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein, die sie auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte. Der Verteidiger der Angeklagten legte ein Rechtsmittel ein, das mangels näherer Bezeichnung nach Ablauf der Frist des § 345 StPO als unbeschränkte Berufung zu behandeln war. Mit Urteil vom 7. Januar 2016 verwarf das Landgericht Nürnberg-Fürth – 14. Strafkammer – die Berufung der Staatsanwaltschaft als unbegründet. Auf die Berufung der Angeklagten hin hob es das amtsgerichtliche Urteil auf, sprach die Angeklagte frei und legte die Kosten des Verfahrens in erster und zweiter Instanz sowie die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse zur Last. Für den Freispruch führte die Kammer Rechtsgründe an: Die Falschangabe der Angeklagten in ihrem Einbürgerungsverfahren habe keine wesentlichen Voraussetzungen der Einbürgerung zum Gegenstand gehabt, da die abgeleugnete Vorstrafe aufgrund von § 12a StAG für das Verfahren unbeachtlich gewesen sei. Zudem habe die Angeklagte keine Einbürgerung erschlichen im Sinne des § 42 StAG oder dies versucht, denn es seien keine Umstände ersichtlich, die einer Einbürgerung der Angeklagten nach § 10 StAG entgegenstünden.
Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge einer Verletzung materiellen Rechts. Falsche Angaben zu Vorstrafen unterfielen § 42 StAG auch dann, wenn die Vorstrafen unter der Bagatellgrenze des § 12a StAG lägen. Denn diese Norm billige der Einbürgerungsbehörde ein Prüfrecht hinsichtlich der Frage zu, welche Vorstrafen außer Betracht zu bleiben hätten, und ordnungsgemäß prüfen könne die Behörde nur auf der Grundlage vollständiger und richtiger Angaben. Der Begriff der „wesentlichen“ Einbürgerungsvoraussetzungen in § 42 StAG habe auch dann eine Funktion, wenn man jede Vorstrafe als in diesem Sinne wesentlich betrachte, denn für die Einbürgerung spielten auch noch andere Umstände als Vorstrafen eine Rolle. Die Staatsanwaltschaft beantragt, das angefochtene Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückzuverweisen. Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg schließt sich der Revision in vollem Umfang an.
In seiner Gegenerklärung führt der Verteidiger der Angeklagten aus, dass das angefochtene Urteil seines Erachtens keine Rechtsfehler habe. Aus § 12a StAG folge, dass Vorstrafen bis zu 90 Tagessätzen für die Einbürgerung unbeachtlich seien und folglich bei der Anwendung des § 42 StAG als unwesentlich zu gelten hätten. Insoweit gebe es gerade kein Prüfrecht der Behörde. Auch fehle es in solchen Fällen an einem „Erschleichen“ der Einbürgerung. Der Verteidiger beantragt, die Revision kostenpflichtig abzuweisen.
II. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Kammer legt § 42 StAG zu eng aus (dazu sogleich 1) und trifft weder zum äußeren (dazu unter 2) noch zum inneren Tatbestand (dazu unter 3) zureichende Feststellungen.
1. Der äußere Tatbestand des § 42 StAG verlangt, dass der Täter zu wesentlichen Voraussetzungen der Einbürgerung unrichtige oder unvollständige Angaben macht, das heißt mit Bezug auf solche Voraussetzungen Falsches erklärt oder Richtiges verschweigt.
a) Wesentliche Voraussetzung der Einbürgerung ist, dass Vorstrafen des Antragstellers unterhalb der Schwelle des § 12a StAG bleiben oder sie nur geringfügig im Sinne dieser Norm übersteigen. Denn nur unter dieser Voraussetzung kann der Antragsteller einen Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG haben (sogenannte Anspruchseinbürgerung). Ob er einen solchen Anspruch hat, ist für das Verfahren der Einbürgerung wesentlich, da es ein rechtlich wie tatsächlich bedeutender Unterschied ist, ob die Behörde gebunden entscheidet oder nach ihrem Ermessen (sogenannte Ermessenseinbürgerung nach § 8 oder § 9 StAG).
Andere Auslegungen des Merkmals „wesentlich“ überzeugen nicht. Dies gilt zunächst für eine Auslegung, die mit Hilfe dieses Merkmals nur solche Angaben aus dem Tatbestand heraushielte, die für die Behörde in keinem Fall entscheidungserheblich sein können, etwa zur Schulbildung, Haarfarbe oder zu einer Scheidung oder Berufstätigkeit. Zwar ist zu Recht anerkannt, dass solche Angaben tatbestandslos sind (siehe Fahlbusch, in: Hofmann [Hg.], Ausländerrecht, 2. Auflage, StAG § 42 Rn. 6; Marx, in: Roland Fritz und Jürgen Vormeier [Hg.], Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht, StAG § 42 Rn. 15). Dies ist aber schon damit zu begründen, dass es sich bei den besagten Umständen überhaupt nicht um Voraussetzungen der Einbürgerung handelt. Wollte man den Tatbestandsausschluss auf Angaben zu solchen Umständen beschränken, verlöre das Merkmal der wesentlichen Voraussetzungen jede Funktion. Eine Auslegung, die Tatbestandsmerkmale überflüssig macht, ist jedoch grundsätzlich unzulässig (siehe schon Dig. 2, 7, 5 § 2 a. E. [Ulpian] und dazu Liebs, Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 7. Auflage, V 9 [S. 242]).
Nicht sachgerecht wäre es ferner, nur solche Voraussetzungen für wesentlich zu halten, die bei jeder Einbürgerung unabdingbar vorliegen müssen, das heißt auch bei einer Ermessenseinbürgerung nach § 8 oder § 9 StAG. Denn eine Ermessenseinbürgerung ist auch möglich, wenn die Vorstrafen des Antragstellers über der Bagatellgrenze des § 12a StAG liegen – theoretisch bis zu unbegrenzter Höhe. Folglich wären falsche Angaben zu Vorstrafen in keinem Fall tatbestandsmäßig. Das hat der Gesetzgeber sicher nicht gewollt.
b) Grundsätzlich sind sämtliche Angaben zu Vorstrafen des Antragstellers solche zu einer wesentlichen Voraussetzung der Einbürgerung gemäß § 42 StAG. Denn sie beziehen sich auf die Frage, ob die Vorstrafen insgesamt über der Bagatellgrenze des § 12a StAG liegen oder nicht. Ein solcher Bezug setzt nicht voraus, dass die Vorstrafen in ihrer Summe über jener Bagatellgrenze liegen. Vielmehr genügt, dass man von sämtlichen Vorstrafen wissen muss, um beurteilen zu können, ob die Bagatellgrenze überschritten werde. Hätte der Gesetzgeber nur Fälle erfassen wollen, in denen die Bagatellgrenze tatsächlich überschritten wird, so hätte der Tatbestand verlangen müssen, dass der Täter wesentliche Voraussetzungen der Einbürgerung vortäuscht oder Einbürgerungshindernisse verschweigt. Das tut er nicht. Vielmehr begnügt er sich mit mangelhaften Angaben zu solchen Voraussetzungen oder Hindernissen. Folglich erfüllt den äußeren Tatbestand grundsätzlich jeder, der eine Vorstrafe des Antragstellers verschweigt – unabhängig von deren Art und Höhe. Nicht richtig ist daher die Annahme der Kammer, dass falsche Angaben zu Vorstrafen nur dann eine wesentliche Voraussetzung der Einbürgerung beträfen, wenn die Vorstrafen die Schwelle des § 12a StAG tatsächlich überschreiten und der Täter dies verheimlicht.
2. Eine Ausnahme davon, dass jede falsche Angabe zu Vorstrafen tatbestandsmäßig ist, gilt allerdings, wenn der Antragsteller objektiv einen Anspruch auf die Einbürgerung hat. Dies folgt aus dem Willen des Gesetzgebers, so wie er sich den Materialien entnehmen lässt.
a) Der Gesetzgeber hat § 42 StAG dem § 98 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) nachgebildet. Dies ergibt sich aus einer Stellungnahme der Bundesregierung zu einem Vorstoß des Bundesrates. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, für den Straftatbestand des StAG den § 95 Absatz 2 Nummer 2 des Aufenthaltsgesetzes zur Vorlage zu nehmen und § 42 StAG wie folgt zu fassen (siehe BT-Drs. 16/10528, S. 11 f.):
„Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen eine Einbürgerung oder die Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit oder die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises zu erreichen, oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht.“
Die Bundesregierung lehnte dies ab (siehe BT-Drs. 16/10695, S. 2 f.). Der Tatbestand des Aufenthaltsgesetzes sei die falsche Referenznorm. Denn dort gehe es lediglich um Aufenthaltstitel, während das StAG die deutlich folgenschwerere Einbürgerung zum Gegenstand habe. Eine passendere Parallele finde sich in § 98 BVFG: Auch eine Person, die nach dieser Norm falsche Angaben mache, erwerbe, wenn sie Erfolg habe, die deutsche Staatsangehörigkeit; denn das sei die Rechtsfolge, die § 7 StAG an die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung knüpfe. Folglich seien die Sachverhalte nach § 98 BVFG denen des geplanten § 42 StAG eher vergleichbar. Ferner wolle man den Tatbestand auf Täuschungen beschränken, die eine Einbürgerung zum Ziel hätten, und solche ausklammern, denen es nur um eine Beibehaltungsgenehmigung oder einen Staatsangehörigkeitsausweis gehe. Das gebiete der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Erschleichen einer Einbürgerung sei das schwerere Unrecht. Außerdem lehnte die Bundesregierung den weiteren Vorschlag des Bundesrates ab, die Teilnahme an der Tat in einem zweiten Absatz zu regeln: Die allgemeinen Vorschriften reichten aus (§§ 26, 27 StGB). – Dass sich die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren durchgesetzt hat, zeigt ein Blick auf § 98 BVFG. Er lautet:
„Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unrichtige oder unvollständige Angaben tatsächlicher Art macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen Rechte oder Vergünstigungen, die Spätaussiedlern vorbehalten sind, zu erschleichen.“
Deutlich erkennbar ist § 42 StAG diesem Wortlaut nachgebildet – und nicht dem des § 95 Absatz 2 Nummer 2 des Aufenthaltsgesetzes. Insbesondere spricht auch § 42 StAG von einem „Erschleichen“ der Einbürgerung und nicht, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, von einem schlichten „Erreichen“ oder, wie § 95 AufenthG, von einem ebenso schlichten „Beschaffen“. Zudem hat der Gesetzgeber den höheren Strafrahmen des § 98 BVFG übernommen (bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe) und nicht den des § 95 AufenthG (bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe), den der Bundesrat auch für § 42 StAG vorgeschlagen hatte.
b) Zu § 98 BVFG war und ist es die Ansicht der Rechtsprechung und des Schrifttums, dass ein Anspruch des Antragstellers auf die Leistung den Tatbestand entfallen lässt (siehe BGHSt. 28, 155 [159 f.]; BayObLG JR 1962, 113 [ebd.]; Herzog/Westphal, NomosKommentar Bundesvertriebenengesetz, 2. Auflage, § 98 Rn. 1 – abgerufen über beck-online).
aa) Zwar unterscheiden sich die Begründungen des Bundesgerichtshofes und des Bayerischen Obersten Landesgerichts hierfür. Der Unterschied ist aber gering und lässt das Ergebnis unberührt: Das Bayerische Oberste Landesgericht behandelte den § 98 BVFG gewissermaßen als negatives Sonderdelikt: Strafbar machen könne sich nur, wer kein Spätaussiedler sei. „Besitzt […] der Täter diesen Status […], so kann nur die Betrugsvorschrift zur Anwendung kommen“ (BayObLG JR 1962, 113 [ebd.]). Dies gelte selbst dann, wenn der Täter im Einzelfall trotz seines Spätaussiedler-Status keinen Anspruch auf die erstrebte Vergünstigung habe. Zur Begründung verwies das Gericht auf den Wortlaut der Norm sowie auf deren Sinn und Zweck. Dem entsprach und entspricht die Ansicht der Kommentare (siehe Wache Erbs/Kohlhaas, Loseblattsammlung mit Stand Januar 2016, BVFG § 98 Rn. 1 f. Nachweise zu älteren Kommentaren bei BGHSt. 28, 155 [158 f.]). – Der Bundesgerichtshof stellt nicht auf eine Eigenschaft des Täters ab, sondern allein darauf, ob der Täter einen Anspruch auf die Leistung habe. Diesen Fall wolle § 98 BVFG nach seiner Ratio nicht erfassen.
Es kann dahinstehen, welche der beiden Begründungen die überzeugendere ist. Denn beide führen zu einem Tatbestandsausschluss, wenn der Handelnde einen Leistungsanspruch hat. Lediglich ging das Bayerische Oberste Landesgericht hierüber hinaus, indem es den Tatbestand auch in sämtlichen anderen Fällen verneinte, in denen der Antragsteller Spätaussiedler war – selbst wenn ihm ein Leistungsanspruch fehlte. Zu dieser Rechtsprechung ist für § 42 StAG keine inhaltliche Entsprechung denkbar.
bb) Diese Rechtsprechung und herrschende Meinung zu § 98 BVFG ist auch sachgerecht. Sie weicht zwar vom Wortlaut der Norm ab, der zumindest im äußeren Tatbestand auch den Fall erfasst, dass der Antragsteller einen Leistungsanspruch hat. Diese Abweichung wirkt sich aber ausschließlich zugunsten der Rechtsunterworfenen aus. Folglich kommt es zu keinem Verstoß gegen das Gesetzlichkeitsprinzip (§ 1 StGB, Artikel 103 Absatz 2 GG). Der innere Grund dafür, § 98 BVFG bei einem Leistungsanspruch des Antragstellers zu verneinen, ist der gleiche wie jener, der die herrschende Meinung bestimmt, Betrug und Diebstahl zu verneinen, wenn der Begünstigte objektiv einen einredefreien Anspruch auf die Verfügung beziehungsweise auf die Übereignung der Sache hat (siehe für diese herrschende Meinung nur Vogel, in: Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 12. Auflage, § 242 Rn. 36 ff., 130 f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen): Ein Sach- oder Leistungserwerb ist trotz unlauterer Mittel kein Unrecht, das für eine Strafbarkeit schwer genug wäre, wenn das Recht diesen Sach- beziehungsweise Leistungserwerb objektiv will.
c) Die Rechtsprechung und herrschende Meinung zu § 98 BVFG ist auf § 42 StAG zu übertragen.
aa) Es ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber jene Rechtsprechung und herrschende Meinung bekannt gewesen ist. Zwar erwähnt er sie nicht ausdrücklich. Ausweislich der Materialien hat er sich aber mit § 98 BVFG mehr als nur oberflächlich befasst und eingehend begründet, warum er § 42 StAG diesem Tatbestand nachbildet. Hätte er dabei die obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung sowie die Kommentarliteratur zu § 98 BVFG ausklammern wollen, wäre ein entsprechender Hinweis zu erwarten gewesen. Folglich darf auf den Willen des Gesetzgebers geschlossen werden, sich für § 42 StAG nicht nur am Wortlaut des § 98 BVFG zu orientieren, sondern auch an dessen Auslegung durch die Gerichte und Kommentatoren.
bb) Ferner spricht auch der Wortlaut von § 42 StAG mit dem Begriff des „Erschleichens“ dafür, den Tatbestand zu verneinen, wenn der Antragsteller einen Einbürgerungsanspruch hat. So ist für die Auslegung dieses Begriffes in § 265a StGB (Leistungserschleichung) als Minimum anerkannt, dass von einem Erschleichen nur gesprochen werden kann, wenn der Täter unbefugt handelt – also ohne Anspruch auf die Leistung (siehe nur Tiedemann, in: Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 12. Auflage, § 265a Rn. 34 mit weiteren Nachweisen). Obwohl § 42 StAG diesen Begriff nicht im äußeren Tatbestand verwendet, sondern als Inhalt einer Absicht des Täters, lässt sich aus ihm auf eine Grenze des äußeren Tatbestandes schließen. Dies tut man auch bei Betrug und Diebstahl: Dass ein einredefreier Anspruch des Begünstigten den äußeren Tatbestand ausschließt, wird am Merkmal der Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung beziehungsweise Zueignung festgemacht; also an einem Merkmal, das nach dem Wortlaut ebenfalls erst den Inhalt einer Absicht des Täters betrifft.
cc) Auch der Strafrahmen des § 42 StAG spricht dafür, ihn bei einem Einbürgerungsanspruch genauso zu verneinen wie § 98 BVFG bei einem Leistungsanspruch. Denn der Gesetzgeber hat für § 42 StAG den gleichen Strafrahmen gewählt wie für § 98 BVFG, und dieser Strafrahmen ist deutlich höher als jener des § 95 Absatz 2 Nummer 2 des Aufenthaltsgesetzes (oben a). Dies legt es nahe, dass § 42 StAG ähnlich wie § 98 BVFG – und anders als § 95 AufenthG – nicht jedwede unrichtige Angabe zu wesentlichen Einbürgerungsvoraussetzungen erfasst, sondern den Fall ausspart, dass der Antragsteller nur erlangen will, was ihm zusteht. Denn in diesem Fall erschöpft sich das Unrecht seines Tuns in einer unrichtigen Erklärung und stimmt sein Handlungsziel mit den Zielen der Rechtsordnung überein. Für unrichtige Erklärungen dieser Art wäre der Strafrahmen des § 42 StAG im Vergleich mit § 95 Absatz 2 AufenthG unverhältnismäßig hoch. Dies wird nicht nur durch einen Vergleich mit § 98 BVFG gestützt, sondern auch durch die Strafrahmen von Diebstahl und Betrug: Sowohl § 242 als auch § 263 StGB haben im Grundtatbestand den gleichen Strafrahmen wie § 42 StAG und § 98 BVFG – und entfallen, wenn der Begünstigte einen Anspruch auf das hat, was er bekommt.
dd) Kein Anspruch auf Einbürgerung besteht in der Regel bereits dann, wenn die Vorstrafen des Antragstellers die in § 12a Absatz 1 Sätze 1 und 2 StAG genannten Höhen geringfügig übersteigen. Denn in diesem Fall stellt es Satz 3 der Norm in das Ermessen der Einbürgerungsbehörde, ob sie die Vorstrafen außer Betracht lässt. Einen Anspruch auf Einbürgerung könnte es dann nur geben, wenn das Ermessen „auf Null“ reduziert wäre.
d) Diese einschränkende Auslegung des § 42 StAG ist auch im Alltag der Strafjustiz praktikabel. Zum einen ist es nichts Außergewöhnliches, dass Strafgerichte materiellrechtliche Ansprüche zu berücksichtigen haben. Und sie tun dies auch nicht nur mit Blick auf das Bürgerliche Recht – so etwa bei §§ 242, 263 StGB -, sondern auch durch Anwendung Öffentlichen Rechts, zum Beispiel für § 370 AO und § 266a StGB. Zum anderen stammen die Anzeigen von Taten nach § 42 StAG fast ausschließlich von den Einbürgerungsbehörden und haben schon diese Behörden von Amts wegen zu prüfen, ob ein Anspruch auf Einbürgerung bestehe. Kommen sie zu dem Ergebnis, dass dies der Fall ist, werden sie keine Anzeige mehr erstatten, wenn ihnen die hier dargelegte Rechtslage bekannt ist. Gelangen sie zu dem gegenteiligen Ergebnis, werden sie in ihrer Anzeige ausführen, warum kein Einbürgerungsanspruch bestehe. Hieran ist die Strafjustiz zwar nicht gebunden, hat dann aber in der Regel einen Hinweis auf das, worauf es im Sachverhalt und rechtlich ankommt.
e) Mit Blick auf die Rechtsprechung des Kammergerichts hatte der Senat keine Vorlagepflicht nach § 121 Absatz 2 Nummer 1 GVG.
aa) Der 4. und der 5. Strafsenat des Kammergerichts judizieren, dass § 42 StAG jedwedes Verschweigen oder Ableugnen einer Vorstrafe erfasse – ungeachtet dessen, ob die Angaben tatsächlich geeignet waren, die Entscheidung der Behörde zu beeinflussen (KG Urteil vom 2. Dezember 2015, [5. Senat] 161 Ss 231/15 [46/15], in juris Rn. 16-21; Urteil vom 12. August 2011, [4. Senat] 1 Ss 268/11 [170/11], in juris Rn. 6-11). § 42 StAG sei ein abstraktes Gefährdungsdelikt, weswegen es nicht darauf ankomme, ob die falschen Angaben im Einzelfall geeignet seien, die Entscheidung der Behörde zu beeinflussen. Ferner sei die Straffreiheit eines Antragstellers eine wesentliche Voraussetzung der Einbürgerung, daran ändere auch die Ausnahmevorschrift des § 12a StAG nichts. Außerdem sei diese Auslegung des § 42 StAG auch den Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Bundesrat und Bundesregierung hätten die Notwendigkeit erkannt, Täuschungen im Einbürgerungsverfahren unter Strafe zu stellen, und dabei auf die Strafvorschriften des Aufenthaltsgesetzes und des Bundesvertriebenengesetzes verwiesen. Daher widerspräche es dem Gesetzeszweck, § 42 enger auszulegen als diese beiden Referenznormen. Und zu derjenigen des Aufenthaltsgesetzes (§ 95 Absatz 2 Nummer 2) habe der Bundesgerichtshof ausdrücklich entschieden, dass der äußere Tatbestand schon erfüllt sei, wenn die richtige Anwendung des materiellen Aufenthaltsrechts durch die Falschangaben abstrakt gefährdet würde (BGH Beschluss vom 2. September 2009, 5 StR 266/09, in juris Rn. 19). Das sei bei falschen Angaben zu Vorstrafen der Fall.
bb) Diese Rechtsprechung deckt sich im Ergebnis weithin, wenn nicht vollständig mit der Rechtsansicht des Senats, soweit sie oben 1 ausgeführt ist. Und diese Rechtsansicht führt ebenfalls dazu, § 42 StAG als abstraktes Gefährdungsdelikt einzuordnen. Der Senat geht lediglich insofern über die Ansicht des Kammergerichts hinaus, als er einen Tatbestandsausschluss annimmt, wenn der Antragsteller einen Einbürgerungsanspruch hat (oben a-c). Über einen solchen Fall hatte das Kammergericht jedoch noch nicht zu entscheiden; in den beiden oben aa angeführten Urteilen ging es um Ermessenseinbürgerungen und kam kein Anspruch auf Einbürgerung in Betracht. Sollten die Ausführungen des Kammergerichts daher so zu verstehen sein, dass sie auch für jenen Fall eines Einbürgerungsanspruchs des Antragstellers Geltung beanspruchten, handelte es sich insoweit um keine tragenden Erwägungen, sondern um obiter dicta. Die beiden Fälle jedoch, zu denen die Urteile des Kammergerichts tatsächlich ergangen sind, hätte der Senat genauso entschieden.
cc) Von den Urteilen des Kammergerichts klar abweichen muss der Senat zwar hinsichtlich der Gesetzesmaterialien zu § 42 StAG. Denn aus den Darlegungen oben a folgt, dass dieser Tatbestand sehr bewusst § 98 BVFG nachgebildet worden ist und gerade nicht dem § 95 Absatz 2 Nummer 2 AufenthG. Entgegen den Erwägungen des Kammergerichts wäre es daher nicht richtig, für die Auslegung des § 42 StAG auf die Rechtsprechung zum Aufenthaltsgesetz zurückzugreifen. Auch jene Erwägungen des Kammergerichts gehören jedoch in den beiden angeführten Urteilen nicht zu den tragenden, da sie sich auf das Ergebnis nur hätten auswirken können, wenn ein Fall in Rede gestanden hätte, in dem ein Anspruch auf Einbürgerung in Betracht gekommen wäre.
f) Das Urteil war mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben, denn die Kammer hat zu einem Einbürgerungsanspruch der Angeklagten keine ausreichend tragfähigen Feststellungen getroffen. Lediglich stellt sie am Ende der Entscheidungsgründe „ergänzend“ fest, dass die Angeklagte einen Anspruch auf Einbürgerung gemäß § 10 StAG haben „dürfte“. Zwar fügt die Kammer hinzu, dass ihr keine Umstände ersichtlich seien, die einem Anspruch nach § 10 StAG entgegenstünden.
In der Zusammenschau mit Wortwahl und Modus des „dürfte“, mit dem Charakter der einschlägigen Passage als Hilfserwägung sowie damit, dass die Ausführungen zu § 10 StAG kaum substantiiert sind, handelt es sich aber insgesamt nicht um hinreichend sichere und vollständige Feststellungen zu einem Einbürgerungsanspruch der Angeklagten.
3. Auch die Feststellungen zur subjektiven Tatseite sind nicht ausreichend. Hierauf kommt es allerdings nur an, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung ergibt, dass die Angeklagte keinen Einbürgerungsanspruch hat. In diesem Fall wird das Tatgericht Feststellungen dazu treffen müssen, ob die Angeklagte dies zumindest billigend in Kauf genommen und dabei beabsichtigt hat, mit ihrer falschen Angabe eine Einbürgerung zu erschleichen.
III. Das angefochtene Urteil war daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben, und die Sache war zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Verfahrens – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückzuverweisen (§ 354 Absatz 2 Satz 1 StPO).