Aktenzeichen 7 St 1/16
StGB StGB § 129b Abs. 1 S. 3
Leitsatz
Eine gem. § 129b Abs. 1 S. 3 StGB vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz erteilte Verfolgungsermächtigung ist vom zuständigen Strafgericht auf Willkür überprüfbar. (amtlicher Leitsatz)
Ist eine Vereinigung darauf gerichtet, die politische Ordnung eines Staates gewaltsam zu stürzen, ist es unabhängig davon, ob dem betroffenen Staat Menschenrechtsverletzungen zur Last liegen, nicht willkürlich, ihre Bestrebungen i. S. v. § 129b Abs. 1 S. 5 StGB als verwerflich einzustufen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie zum Zwecke des beabsichtigen Umsturzes Anschläge begeht, bei denen eine Tötung von Menschen beabsichtigt oder in Kauf genommen wird, die für die bekämpften politischen Verhältnisse nicht verantwortlich sind. (amtlicher Leitsatz)
Etwaige Verstöße eines ausländischen Staates gegen UN-Resolutionen zur Terrorismusbekämpfung hindern deutsche Strafverfolgungsbehörden nicht daran, Verfahren gegen Personen zu führen, die im Verdacht stehen, sich vom Bundesgebiet aus an Vereinigungen zu beteiligen, die die politische Ordnung des betreffenden Staates stürzen wollen. (amtlicher Leitsatz)
Eine Verpflichtung des Tatgerichts, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz unter dem Gesichtspunkt nachträglich hinzugetretener, potentiell entscheidungserheblicher Umstände um Rücknahme einer erteilten Verfolgungsermächtigung zu ersuchen, besteht unter keinen Umständen. (amtlicher Leitsatz)
Tenor
Die Anträge der Verteidigung,
– das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen,
– hilfsweise das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz um Rücknahme der Verfolgungsermächtigungen zu ersuchen und die Hauptverhandlung bis zu einer diesbezüglichen Entscheidung des Ministeriums zu unterbrechen,
werden als unbegründet zurückgewiesen, ebenso die am heutigen Tage gestellten weiteren Anträge, der Bundesregierung vorliegende Erkenntnisse zu einer Unterstützung islamistischer Gruppierungen durch die Türkei beizuziehen bzw. für den Fall einer Einstufung jener Erkenntnisse als Verschlusssache bei der Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass der vollständige Inhalt der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten D. vom 10. August 2016 den Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis gebracht wird.
Gründe
I. Der Generalbundesanwalt hat am 4. Januar 2016 Anklage gegen einen mutmaßlichen Rädelsführer und acht mutmaßliche Mitglieder der „Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist – TKP/ML“ (Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten) zum Oberlandesgericht München erhoben. Am 31. März 2016 wurde Anklage gegen ein weiteres mutmaßliches Mitglied der Vereinigung erhoben. Der Senat hat beide Verfahren durch Beschluss vom 4. April 2016 verbunden.
Ziel der TKP/ML ist es nach den Ermittlungen des Generalbundesanwalts, die derzeitige Staats- und Gesellschaftsordnung in der Türkei, in der aus Sicht der Vereinigung eine den Imperialismus fördernde, faschistisch-kemalistisch gesinnte Bourgeoisie herrsche, zu beseitigen und durch eine sogenannte demokratische Volksrevolution den Sozialismus unter der Diktatur des Proletariats und schließlich eine kommunistische Gesellschaft einzuführen. Dabei soll sie den bewaffneten Kampf für ein legitimes Mittel zur Durchsetzung ihres Ziels halten.
Laut Anklage unterhält die TKP/ML im ländlichen Bereich der Türkei – gegenwärtig vornehmlich in der zum Vereinigungsgebiet Dersim – Schwarzmeer gehörenden Provinz Tunceli – die „Türkiye Isci Köylu Kurtulus Ordusu – TIKKO“ (Türkische Arbeiter- und Bauernbefreiungsarmee) als bewaffnete Kampforganisation. Sie soll nach der Anklage unter der Leitung des Zentralkomitees der TKP/ML stehen.
Ebenfalls unter der politisch-ideologischen Führung der TKP/ML soll die „Türkiye Marxist Leninist Genc Birligi – TMLGB“ (Türkische Marxistisch – Leninistische Jugendorganisation) agieren, die sich laut Anklage als Kampfeinheit versteht, die die Jugend gemäß der von der TKP/ML vorgegebenen Volkskampfstrategie organisiert und in den Kampf entsendet.
In Umsetzung der mutmaßlich von der Führung der TKP/ML vorgegebenen Zielsetzung sollen die TIKKO und die TMLGB laut Anklage in der Türkei zahlreiche Schusswaffen-, Sprengstoff- und Brandanschläge verübt haben. Die Anschläge der Vereinigung sollen neben Sach- und Personenschäden auch die zielgerichtete, zumindest aber billigend in Kauf genommene Tötung von Menschen zur Folge gehabt haben. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen richteten sich die Anschläge vornehmlich gegen Einrichtungen und Repräsentanten des türkischen Staates, aber auch gegen politische Gegner und Bevölkerungskreise, die sich der Forderung der TKP/ML nach einem Regimewechsel sowie der Einführung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung widersetzen.
Den Angeklagten liegt zur Last, über verschieden lange Zeiträume hinweg dem Führungsgremium der westeuropäischen Rückfront der Vereinigung, dem sog. Auslandskomitee, angehört und in dieser Funktion die Ziele der Vereinigung durch Finanztransfers und die Lieferung von technischem Material in die Türkei sowie durch Rekrutierung von Kämpfern für ein militärisches Ausbildungslager im Irak gefördert zu haben. Der Angeklagte ELMA soll darüber hinaus seit 2002 dem Zentralkomitee der Vereinigung angehört haben, bei dem es sich laut Anklage um das oberste Führungsgremium in den Phasen zwischen den Parteikonferenzen handelt.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat seit 2006 diverse Ermächtigungen zur Verfolgung von Straftaten in Bezug auf die TKP/ML gemäß § 129b Abs. 1 S. 3 StGB erteilt, für deren Inhalt im Einzelnen auf SA I Bd. 1.1 – 1.4, Bl. 39 bis 50.2 verwiesen wird. Eine allgemeine Verfolgungsermächtigung vom 4. März 2013 (SA I Bd. 1.1 bis 1.4, Bl. 41) hat das BMJV zuletzt mit Schreiben an den Generalbundesanwalt vom 3. Juli 2015 dahingehend neu gefasst, dass „(d)ie Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung bereits begangener und künftiger Straftaten von Mitgliedern der ausländischen terroristischen Vereinigung ‚Türkische Kommunistische Partei/Marxisten – Leninisten -TKP/ML‘ (…) erteilt“ wurde (SA I Bd. 1.1 – 1.4, Bl. 41.1).
Der Senat hat beide Anklagen mit Beschluss vom 6. Juni 2016 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Hauptverhandlung hat am 17. Juni 2016 begonnen.
Am fünften Verhandlungstag, dem 8. Juli 2016, haben die Verteidiger aller Angeklagten beantragt, das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen, hilfsweise das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) zu ersuchen, die erteilten Verfolgungsermächtigungen zurückzunehmen und die Hauptverhandlung bis zu einer diesbezüglichen Entscheidung des BMJV zu unterbrechen.
Einzustellen sei das Verfahren wegen bestehender Verfahrenshindernisse:
Ein Verfahrenshindernis ergebe sich bereits aus innerstaatlichem Recht. Die gemäß § 129b Abs. 1 S. 3 StGB für die Verfolgung der angeklagten Taten vorausgesetzte Ermächtigung des BMJV sei willkürlich erteilt worden und deshalb unwirksam. Das BMJV habe die Vorgabe des § 129b Abs. 1 Abs. 5 StGB missachtet, wonach bei der Entscheidung über die Erteilung einer Verfolgungsermächtigung in Betracht gezogen werden müsse, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung gerichtet seien. Das sei nur dann der Fall, wenn das Ziel des Handelns der Organisation in der Beeinträchtigung der auf diesen Werten beruhenden Grundstrukturen eines Staates bestehe. Der Angriff auf die Grundwerte einer staatlichen Ordnung indiziere nur dann die Verwerflichkeit der Bestrebungen, wenn die bekämpfte staatliche Ordnung ihrerseits die Ausprägungen der Menschenwürde achte. Richte sich das Handeln der Vereinigung gegen eine staatliche Ordnung, die sich über die Ausprägungen der Menschenwürde hinwegsetze, indem sie beispielsweise Teile der Bevölkerung aufgrund ihrer Ethnie, Herkunft oder Religion systematisch benachteilige oder den engsten Kreis der individuellen Privatsphäre der Bürger missachte, könnten die Bestrebungen der Vereinigung nur dann als verwerflich qualifiziert werden, wenn besondere, über den Angriff auf eine solche Ordnung hinausgehende Umstände ein entsprechendes Urteil rechtfertigten. Ziel der Regelung in §129b Abs. 1 S. 3 und 5 StGB sei es, über das Erfordernis der Verfolgungsermächtigung unterstützenswerte Befreiungsgruppierungen von einer Verfolgung nach §§ 129a, 129b StGB auszunehmen. Deshalb sei „ein negativer Verwerflichkeitsbefund (…) indiziert“, wenn das Ziel der Organisation in der Bekämpfung einer die Menschenwürde nicht achtenden staatlichen Ordnung liege. Das sei für die TKP/ML der Fall, denn in der Türkei würden, insbesondere von 2002 bis in die Gegenwart, noch immer grundlegende Menschenrechte durch staatliche und dem Staat zuzurechnende Organe verletzt. Es finde systematisch ethnische, politische und religiöse Verfolgung von Minderheiten statt. Die Grundrechte der Freiheit und Sicherheit der Person vor staatlicher Verfolgung, das Recht auf politische Teilhabe und die Grundrechte der Versammlungs-, Vereinigungs-, Meinungs-, Religions-, Presse- und Kunstfreiheit würden in der Lebensrealität durch staatliche oder dem Staat zuzurechnende Organe ausgehöhlt. Der türkische Staat sei deshalb in seiner derzeitigen Verfassung kein geeignetes Schutzgut des deutschen Strafrechts. Die Bestrebungen der TKP/ML richteten sich auch nicht i. S. v. § 129b Abs. 1 S. 5, 2. Alt StGB gegen das friedliche Zusammenleben der Völker. Soweit die Anklageschriften der Vereinigung zur Last legten, durch eine Beteiligung an Kampfhandlungen im Nahen Osten, vornehmlich in Rojava/Syrien, sowohl Kampferfahrungen als auch militärische Güter zu erlangen, habe es sich um Nothilfe zugunsten der dort lebenden kurdischen Bevölkerung vor der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) gehandelt. Der IS werde in vielfacher Weise von der türkischen Regierung unterstützt. Deren Bestrebungen und nicht die der TKP/ML seien gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet.
Aus der Unterstützung der Türkei gegenüber dem IS ergebe sich auch ein völkerrechtliches Verfahrenshindernis: Besonders schwerwiegende Verstöße gegen völkerrechtliche Normen begründeten ein Verfahrenshindernis, ohne dass die verletzte völkerrechtliche Bestimmung dies ausdrücklich anordnen müsse. Es existiere eine Reihe völkerrechtlicher Bestimmungen, die eine – auch mittelbare – Unterstützung des IS verböten, insbesondere Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, die dieser auf Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta verabschiedet habe und die damit Vorrang gegenüber allen anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen eines Staates hätten. Die Türkei habe den Islamischen Staat unter Missachtung jener Resolutionen in vielfältiger Weise unterstützt, unter anderem durch Lieferung von Waffen und technischem Gerät, durch unentgeltliche Behandlung verletzter Kämpfer des IS, durch Überlassung türkischen Staatsgebietes für Angriffe des IS auf kurdische Gebiete in Syrien und durch bis in das Jahr 2016 andauernde „Geschäftsbeziehungen“. Die Unterstützung des IS durch die Türkei begründe einen Verstoß gegen bindendes Völkerrecht. Dieser Verstoß führe „zu einem Verfahrenshindernis für das vorliegende, im Wesentlichen im Interesse der Republik Türkei durchgeführte Strafverfahren“.
Für den Fall, dass sich der Senat an die erteilte Verfolgungsermächtigung gebunden sehen sollte, beantragt die Verteidigung hilfsweise, dass der Senat das BMJV um deren Rücknahme ersuche. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass sich die Menschenrechtslage in der Türkei seit Erteilung der Verfolgungsermächtigung im Juli 2015 weiter verschärft habe. So hätten etwa türkische Sicherheitskräfte im April 2016 Flüchtlinge auf syrischem Boden beschossen, die sich vor dem IS zur türkischen Grenze hätten retten wollen. Angesichts dessen erscheine es nicht vorstellbar, dass das an die Grundrechte gebundene Bundesministerium weiterhin Strafverfolgung im alleinigen Interesse des türkischen Staates ermögliche. Anlass, die Verfolgungsermächtigung zurückzunehmen, ergäbe sich für die Bundesregierung ferner aus der Reaktion der türkischen Regierung auf die sog. Armenien-Resolution des Bundestages sowie aus der Aufhebung der Immunität von 138 oppositionellen Abgeordneten des türkischen Parlamentes. Reaktionen von Vertretern der Bundesregierung auf diese Ereignisse sprächen dafür, dass die Bundesregierung mittlerweile die Einschätzung teile, dass es sich bei der Türkei nicht um einen Staat handele, dessen Ordnung auf die Achtung der Menschenwürde ausgerichtet sei.
Für weitere Einzelheiten der Antragsbegründung wird auf deren schriftliche Fassung verwiesen, die als Anlage 6.1 zu Protokoll genommen wurde.
Aus Anlass der politischen Entwicklungen in der Türkei im Anschluss an den gescheiterten Putschversuch von Teilen des türkischen Militärs am 15. Juli 2016 ergänzte die Verteidigung die Begründung ihrer Anträge im Hauptverhandlungstermin vom 22. Juli 2016. Die Reaktion der türkischen Regierung, insbesondere die Verhängung eines dreimonatigen Ausnahmezustandes und die Aussetzung der Menschenrechtskonvention, belegten, dass Staatspräsident Erdogan im Begriff sei, die Türkei zu einer Diktatur umzubauen. Eine Fortführung des Verfahrens würde eine Legitimierung seiner antidemokratischen und antirechtsstaatlichen Maßnahmen bedeuten. Jeder weitere Verhandlungstag verkünde „die Botschaft, dass auch das Nachputschregime Erdogans von der bundesdeutschen Justiz verteidigt und Widerstand gegen die Abschaffung der demokratischen Menschenrechte delegitimiert“ werde. Massenverhaftungen unter anderem von Richtern und Staatsanwälten machten im Übrigen deutlich, dass Herkunft und Belastbarkeit der von der türkischen Justiz für das vorliegende Verfahren im Rechtshilfewege zur Verfügung gestellten Beweismittel fraglich sei. Die Entwicklung zeige, dass sich die Sicherheitsbehörden in der Türkei ausschließlich von politischen Zielen leiten ließen.
Für weitere Einzelheiten wird auf die ergänzende Antragsbegründung der Verteidigung vom 22. Juli 2016 verwiesen, die als Anlage 8. 2 zu Protokoll genommen wurde.
Der Generalbundesanwalt hat zu dem Antrag einschließlich seiner ergänzenden Begründung Stellung genommen.
Die Verteidigung hat auf die Stellungnahme des Generalbundesanwalts im heutigen Hauptverhandlungstermin repliziert. Sie hat ferner ergänzend beantragt, der Bundesregierung vorliegende Erkenntnisse zu einer Unterstützung islamistischer Terrorgruppen durch die türkische Regierung beizuziehen bzw. für den Fall einer Einstufung jener Erkenntnisse als Verschlusssache gegenüber der Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass der vollständige Inhalt der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten D. vom 10. August 2016 den Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis gebracht wird.
II. Die Anträge der Verteidigung sind sämtlich unbegründet.
1. Der Antrag, das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen, war zurückzuweisen.
Gemäß § 260 Abs. 3 StPO ist das Verfahren nach Beginn der Hauptverhandlung durch Urteil einzustellen, wenn ein nicht behebbares Verfahrenshindernis besteht. Ein solches Verfahrenshindernis ergibt sich entgegen der Verteidigung weder aus dem Fehlen einer wirksamen Verfolgungsermächtigung (nachfolgend a.) noch unmittelbar aus dem Völkerrecht (nachfolgend b.) und ebenso wenig aus etwaigen durch die aktuelle politische Entwicklung in der Türkei bedingten bzw. verstärkten Zweifeln an der Belastbarkeit der im Rechtshilfewege von der türkischen Justiz für das vorliegende Verfahren zur Verfügung gestellten Beweismittel (nachfolgend c.).
a. Die gemäß § 129b Abs. 1 S. 3 StGB für die Verfolgung von Taten gemäß §§ 129, 129a StGB in Bezug auf Vereinigungen außerhalb der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union erforderliche Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), deren Fehlen ggf. ein Verfahrenshindernis begründen würde, liegt vor: Das BMJV hat am 3. Juli 2015 eine – gemäß § 129b Abs. 1 S. 4, 2. Alt. StGB mögliche – allgemeine Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung bereits begangener und künftiger Straftaten von Mitgliedern der TKP/ML erteilt.
Der von der Verteidigung erhobene Einwand, die Erteilung der Verfolgungsermächtigung durch das BMJV sei willkürlich gewesen und deshalb unwirksam, greift nicht durch.
Nach wohl herrschender Meinung ist eine erteilte Verfolgungsermächtigung jedweder inzidenten Überprüfung durch das Tatgericht entzogen (Schönke/Schröder, StGB, 29. Auflage, § 129b, Rn. 8 – zitiert nach Beck-Online; Altvater, NStZ 2003, 179, 182). Diese Auffassung steht im Einklang mit der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Dr. 14/8893, S. 9).
Der Senat ist demgegenüber zwar der Ansicht, dass eine Verfolgungsermächtigung einer zumindest beschränkten Überprüfung darauf hin zugänglich sein muss, ob sie auf evidenter Willkür beruht (OLG München, Beschluss vom 8. Mai 2007 – 6 St 1/07). Hierfür spricht, dass evident willkürliche Entscheidungen der Exekutive aus rechtsstaatlichen Gründen nicht Grundlage justizförmiger Verfahren sein können (Fischer, StGB, 62. Auflage, § 129b, Rn. 14). Die teilweise vertretene Ansicht, dass eine inzidente Überprüfung der Verfolgungsermächtigung durch das Tatgericht gleichwohl ausgeschlossen sein soll und Beschuldigte stattdessen – ähnlich wie bei Sperrerklärungen gemäß § 96 StPO – eine Entscheidung im Verwaltungsrechtsweg herbeiführen müssten (Fischer a. a. O.), vermag nicht zu überzeugen: Angesichts dessen, dass die Verfolgungsermächtigung keine unmittelbare Außenwirkung haben dürfte, erscheint bereits fraglich, ob ein Beschuldigter überhaupt die für eine zulässige Klage vor dem Verwaltungsgericht unabhängig von der Klageart gemäß § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis hätte. Abgesehen davon hätte jene Ansicht zur Folge, dass das Strafgericht – wenn entweder von der unterstellten Möglichkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage kein Gebrauch gemacht oder über eine etwa erhobene Klage nicht rechtzeitig rechtskräftig entschieden würde – das Verfahren auch dann fortsetzen müsste, wenn die Ermächtigung evident willkürlich wäre, was angesichts der zutreffenden Prämisse, wonach eine evident willkürliche Entscheidung aus rechtsstaatlichen Gründen nicht Grundlage eines justizförmigen Verfahrens sein kann, inkonsequent erschiene. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts steht auch die mangelnde Begründungsbedürftigkeit der Verfolgungsermächtigung einer Überprüfung auf evidente Willkür nicht von vornherein entgegen. Zu berücksichtigen ist insofern, dass das BMJV die in § 129b Abs. 1 S. 5 StGB genannten Kriterien bei seiner Ermessensentscheidung zwingend berücksichtigen muss („… zieht das Ministerium in Betracht, ob …“). Eine Ermächtigung, die mit den dort genannten Kriterien unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Einklang zu bringen ist, wäre deshalb evident willkürlich.
Im vorliegenden Fall bestehen indes weder unter dem Gesichtspunkt einer Missachtung der in § 129b Abs. 1 S. 5 StGB bestimmten Vorgaben für die Ausübung des Entscheidungsermessens (nachfolgend 1.), noch unter dem Aspekt einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Ungleichbehandlung (nachfolgend 2.) Anhaltspunkte dafür, dass die Verfolgungsermächtigung willkürlich erteilt wurde.
(1) Entgegen der Verteidigung lässt sich eine Willkürlichkeit der erteilten Verfolgungsermächtigung nicht darauf stützen, dass „es sich bei der Türkei nicht um einen Staat handelt, der die Grundwerte einer die Menschenwürde achtenden staatlichen Ordnung verkörpert“, bzw. „der türkische Staat in seiner derzeitigen Verfassung kein (…) taugliches Schutzgut des § 129b StGB“ sei.
Gemäß § 129b Abs. 1 S. 5 StGB hat das BMJV bei seiner Entscheidung über die Erteilung der Ermächtigung in Betracht zu ziehen, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen. Nach dem Wortlaut der Bestimmung ist folglich nicht die politische Ordnung des Staates zu bewerten, die die Vereinigung zu stürzen beabsichtigt. Zu prüfen ist vielmehr, ob die Bestrebungen der Vereinigung unter einem der genannten Gesichtspunkte bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.
Soweit es um eine Vereinigung geht, deren Ziel die Beseitigung der politischen Ordnung eines bestimmten Staates ist, muss für diese Prüfung zwar auch berücksichtigt werden, inwieweit die Bestrebungen der Vereinigung von dem betreffenden Staat herausgefordert wurden und als verständliche Reaktion auf staatliches Unrecht erscheinen. Ob – wie die Verteidigung meint – in Fällen, in denen das bekämpfte politische System seinerseits den Grundwerten einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung widerspricht, grundsätzlich ein „negativer Verwerflichkeitsbefund (…) indiziert“ sei und die Bestrebungen der Vereinigung nur bei Vorliegen besonderer, über den Angriff auf die bestehende Ordnung hinausgehender Umstände als verwerflich qualifiziert werden dürfen, kann dahinstehen. Denn auch wenn man diesem rechtlichen Standpunkt folgte und ferner die Behauptungen als wahr unterstellte, auf die die Verteidigung ihre Bewertung stützt, dass es sich bei der Republik Türkei nicht um einen Staat handele, der die Grundwerte einer die Menschenwürde achtenden Ordnung verkörpert, folgt daraus keineswegs, dass die Verfolgungsermächtigung willkürlich erteilt wurde: Auch in Fällen, in denen ein Staat Widerstand durch Verletzung von Menschenrechten herausfordert, ist es nämlich dann nicht willkürlich, die Bestrebungen einer ihn bekämpfenden Vereinigung i. S. v. § 129b Abs. 1 S.5 StGB ihrerseits als gegen die Grundwerte einer die Menschenwürde achtenden Ordnung gerichtet einzustufen und sie bei Abwägung aller Umstände als verwerflich zu qualifizieren, wenn die Vereinigung zur Erreichung des beabsichtigten Umsturzes – jedenfalls auch – Mittel einsetzt, die auf eine Tötung von Menschen abzielen, die für die bekämpften politischen Verhältnisse nicht verantwortlich sind.
Eben dies soll nach dem Ergebnis der Ermittlungen, das das BMJV seiner Entscheidung zugrunde zu legen hatte, bei mehreren mutmaßlichen Anschlägen der TKP/ML der Fall gewesen sein. Beispielhaft zu nennen ist der in den Anklageschriften genannte Sprengstoffanschlag auf eine Diskothek in Incirlik nahe des dortigen US-Luftwaffenstützpunktes, bei dem Angehörige der TIKKO in der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 2005 einen in einer Handtasche versteckten zeitgesteuerten Sprengsatz mit Splitterwirkung unter einem Sofa abgelegt haben sollen, dessen Detonation nach Ermittlungen der türkischen Behörden zum Tod oder zu schwerwiegenden Verletzungen bei Besuchern der Diskothek geführt hätte. Ein weiteres Beispiel ergibt sich aus der mutmaßlich ebenfalls von TIKKO-Kämpfern herbeigeführten Detonation eines Sprengsatzes in einem Nachtlokal in Tunceli am 25. März 2006, durch die eine dort beschäftigte Kellnerin lebensgefährlich verletzt worden sein soll. Auch bei der nach dem Ergebnis der Ermittlungen am 15. Oktober 2011 in Hozat von TIKKO-Kämpfern vorgenommenen Erschießung des Fahrers eines Unternehmens, das das türkische Militär mit Material belieferte, handelte es sich ggf. um einen Anschlag, bei dem bewusst ein Mensch getötet wurde, den – jedenfalls bei objektiv-verständiger Würdigung – keinerlei Mitverantwortung an den politischen Verhältnisse traf, gegen die sich die TKP/ML wendet. Schon die Ermittlungsergebnisse zu diesen Anschlägen trügen ohne weiteres die Bewertung, dass sich die Bestrebungen der TKP/ML gegen das Leitbild einer die Würde des Menschen achtenden Werteordnung richten und bei Abwägung aller Umstände – auch ihrer Hervorrufung durch etwaige systematische Menschenrechtsverstöße des türkischen Staates – i. S. v. § 129b Abs. 1 S. 5 StGB als verwerflich erscheinen.
Die von der Verteidigung vertretene Rechtsauffassung, wonach Anknüpfungspunkt für die Prüfung der Verwerflichkeit der Bestrebungen einer Vereinigung i. S. v. § 129b Abs. 1 S. 5 StGB ausschließlich deren Handlungsintention, also ihre Zielsetzung, sein müsse, während die zur Zielverfolgung eingesetzten Mittel und Methoden außer Betracht zu bleiben hätten, lässt sich weder auf den Wortlaut des § 129b Abs. 1 S. 5 StGB stützen, noch auf den Gesetzeszweck. Das Wort „Bestrebungen“ ist gleichbedeutend mit dem Begriff Plan und schließt nach seinem Wortsinn neben dem Handlungsziel auch die zu dessen Erreichung vorgesehenen Mittel ein. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass die von einer Vereinigung zur Erreichung ihres Ziels eingesetzten Mittel bei der Bewertung nach § 129b Abs. 1 S. 5 StGB außer Betracht zu bleiben haben und ausschließlich auf ihr Handlungsziel abgestellt wird, wäre statt des Begriffs „Bestrebungen“ der Begriff „Zielsetzung“ zu verwenden gewesen. Ein Abstellen allein darauf, ob das Finalziel der Vereinigung unter Berücksichtigung einer Herausforderung durch staatliches Unrecht verständlich erscheint, widerspräche auch dem Gesetzeszweck. Denn Konsequenz wäre, dass eine Verfolgung von Straftaten in Bezug auf Widerstandsgruppierungen außerhalb der EU unterbleiben müsste, die sich die Entmachtung eines Unrechtsregimes zum Ziel gesetzt haben, dazu aber mit brutaler Gewalt systematisch Zivilisten töten – etwa weil sie diese als passive Stütze des bekämpften Regimes ansehen und/oder um dadurch ihre eigene Schlagkraft zu demonstrieren und so die bekämpfte Regierung einzuschüchtern. Dass das vom Gesetzgeber nicht gewollt ist, folgt daraus, dass es in der Gesetzesbegründung heißt, bei der Entscheidung über die Verfolgungsermächtigung habe „das konkret verwirklichte Unrecht maßgebend ins Gewicht zu fallen (…)“ (BT Drs. 14/8893, Seite 9, rechte Spalte, 1. Absatz a. E.). Das von einer Vereinigung verwirklichte Unrecht lässt sich indes nicht allein anhand ihrer Ziele beurteilen, eine sachgerechte Bewertung von Unrecht erfordert auch eine Berücksichtigung der zur Erreichung des verfolgten Ziels eingesetzten Mittel und des Verhältnisses zwischen Ziel und Mitteln.
Entgegen der Verteidigung haben die Mittel und Methoden der Vereinigung auch nicht etwa deshalb als Anknüpfungspunkt für die Verwerflichkeitsprüfung außer Betracht zu bleiben, weil sie – so die Antragsbegründung – „bereits zwingendes Tatbestandsmerkmal“ sind. Rechtsfehlerhaft wäre eine Verfolgungsermächtigung unter diesem Gesichtspunkt dann, wenn ihre Erteilung ausschließlich darauf gestützt würde, dass die in Rede stehende Vereinigung auf die Begehung einer der in § 129a Abs. 1 oder 2 StGB genannten Katalogtaten gerichtet ist; denn andernfalls wäre für eine Verfolgung schon mangels Tatbestandsmäßigkeit kein Raum. Dafür, dass das hier der Fall war, fehlt indes jeder Anhalt. Konkrete Folgen bereits begangener Anschläge und dabei eingesetzte Mittel und Methoden – insbesondere etwa eine beabsichtigte oder in Kauf genommene Tötung von Menschen, die für die bekämpften politischen Verhältnisse keine Mitverantwortung tragen – spielen dagegen für die Verwirklichung des Tatbestands des § 129a StGB keine Rolle und können deshalb bei der vom BMJV vorzunehmenden Prüfung, ob die Bestrebungen der Vereinigung i. S. v. § 129b Abs. 1 S. 5 StGB bei einer Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen, ohne weiteres berücksichtigt werden.
Die in der ergänzenden Antragsbegründung der Verteidigung vom 22. Juli 2016 thematisierte Reaktion der türkischen Regierung auf den gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli 2016 ist für die Frage, ob die Verfolgungsermächtigung willkürlich erteilt wurde, schon deshalb ohne Bedeutung, weil für eine etwaige Überprüfung der Verfolgungsermächtigung auf Willkür durch das Tatgericht auf die Sachlage im Zeitpunkt der Ermächtigungserteilung (hier: 3 Juli 2015) abzustellen ist, es insoweit aber um Ereignisse geht, die erst nach Erteilung der Ermächtigung eingetreten sind.
Da das BMJV somit aus den erläuterten Gründen ohne Willkür zu dem Ergebnis gelangen konnte, dass die Bestrebungen der TKP/ML i. S. v. § 129b Abs. 1 S. 5, 1. Alt StGB gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden Ordnung gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände verwerflich erscheinen, ist es für die Frage der Wirksamkeit der Verfolgungsermächtigung ohne Bedeutung, ob sich die Bestrebungen der TKP/ML i. S. v. § 129b Abs. 1 S. 5, 2. Alt StGB auch gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten. Insofern ist lediglich ergänzend anzumerken, dass der Senat nicht nachzuvollziehen vermag, weshalb die Verteidigung der Bundesanwaltschaft in diesem Zusammenhang unterstellt, diese würde der TKP/ML zum Vorwurf machen, der kurdischen Bevölkerung in Syrien Nothilfe im Kampf gegen den IS geleistet haben. Ein diesbezüglicher Vorwurf lässt sich der Anklage weder explizit noch implizit entnehmen.
(2) Als willkürlich erweist sich die Verfolgungsermächtigung auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Ungleichbehandlung. Eine solche wäre allenfalls dann gegeben, wenn das BMJV durch die Erteilung der Ermächtigung einer eigenen ständigen Praxis in vergleichbaren Fällen ohne sachlichen Differenzierungsgrund zuwidergehandelt hätte oder die Ermächtigung inhaltlich so ausgestaltet wäre, dass sachwidrig nur bestimmte Funktionsträger der Vereinigung einer Verfolgung ausgesetzt wären.
Beides ist nicht der Fall: Die Ermächtigung vom 3. Juli 2015 erfasst alle Mitglieder der TKP/ML unabhängig von ihrer Funktionsebene. Das BMJV hat – wie senatskundig ist – auch allgemeine Ermächtigungen zur Verfolgung von Mitgliedern anderer Vereinigungen erteilt, die mit gewaltsamen Mitteln einen politischen Umsturz in der Türkei herbeizuführen beabsichtigen, namentlich in Bezug auf die PKK und die DHKP-C.
Der in der Erwiderung der Verteidigung auf die Stellungnahme des Generalbundesanwalts erörterte Umstand, dass das BMJV in Bezug auf die sog. Freie Syrische Armee (FSA) eine Verfolgungsermächtigung weder erteilt hat noch zu erteilen beabsichtigt, begründet einen Verstoß der hier inmitten stehenden Verfolgungsermächtigung in Bezug auf Mitglieder der TKP/ML gegen Art. 3 Abs. 1 GG schon deshalb nicht, weil die TKP/ML und die FSA keine Vergleichsgruppe im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bilden. Einer Vergleichsgruppe in diesem Sinne gehören nur Vereinigungen an, die im Wesentlichen gleichgerichtete Bestrebungen verfolgen. Das trifft auf Vereinigungen, die einen gewaltsamen Umsturz in unterschiedlichen Ländern anstreben, von vornherein nicht zu.
b. Ein Verfahrenshindernis lässt sich auch nicht unmittelbar aus den behaupteten Verstößen der Türkei gegen UN-Resolutionen zur Bekämpfung des Islamischen Staates herleiten.
Neben gesetzlich ausdrücklich geregelten Prozesshindernissen wie der Verjährung des staatlichen Strafanspruchs (§ 78 Abs. 1 S. 1 StGB) oder dem Strafklageverbrauch (Art. 103 Abs. 3 GG) können zwar ausnahmsweise auch schwerwiegende Mängel des Verfahrens dessen Einstellung gebieten. Voraussetzung ist allerdings, dass es sich um Mängel handelt, die so schwer wiegen, dass von ihrem Fehlen nach dem ersichtlichen Willen des Gesetzgebers die Zulässigkeit des Verfahrens im Ganzen abhängen soll (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage, Einleitung, Rn. 146). Rechtsverstöße, die auf andere Weise kompensiert werden können, etwa durch Beweisverwertungsverbote (vgl. § 136a Abs. 3 S. 2 StPO im Falle des erzwungenen oder erschlichenen Geständnisses) oder durch Strafmilderungen (so etwa bei überlanger Verfahrensdauer, vgl. Meyer-Goßner, a. a. O., Art. 6 MRK, Rn. 9 ff.) begründen dagegen kein Verfahrenshindernis.
Danach hindern etwaige Verstöße eines ausländischen Staates gegen UN-Resolutionen zur Terrorismusbekämpfung deutsche Strafverfolgungsbehörden nicht daran, Verfahren gegen Personen zu führen, die im Verdacht stehen, sich vom Bundesgebiet aus an Vereinigungen zu beteiligen, die die politische Ordnung des betreffenden Staates stürzen wollen: Diskutiert wird ein Verfahrenshindernis im Zusammenhang mit einer Verletzung allgemeiner Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG) für den Fall, in dem ein Beschuldigter mit Wissen und Wollen deutscher Strafverfolgungsbehörden auf dem Hoheitsgebiet eines ausländischen Staates entführt und in die Bundesrepublik verbracht wird, um hier ein Strafverfahren gegen ihn führen zu können (Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O. Einleitung, Rn. 149 m. w. N.). Auch in einem solchen Fall kommt ein Verfahrenshindernis nach dem Bundesgerichtshof indes allenfalls dann in Betracht, wenn der ausländische Staat, dessen Souveränität durch die Festnahme bzw. Entführung des Beschuldigten auf seinem Hoheitsgebiet missachtet wurde, eine Restitution des darin liegenden Völkerrechtsverstoßes in der Weise verlangt, dass der Beschuldigte dorthin zurückgeführt wird (BGH, Urteil vom 02.08.1984 – 4 StR 120/83); nur dann macht eine Kompensation des Rechtsverstoßes im Sinne der oben erläuterten Abgrenzungsformel eine Einstellung des Verfahrens erforderlich. Die Konstellation der völkerrechtswidrigen Festnahme/Entführung eines Beschuldigten auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates ist mit der vorliegenden Fallgestaltung aus mehreren Gründen nicht vergleichbar. Abgesehen davon, dass UN-Resolutionen keine allgemeinen Regeln des Völkerrechts i. S. v. Art. 25 GG sind, ergeben sich folgende Unterschiede:
– Der Rechtsverstoß, aus dem die Verteidigung hier ein Verfahrenshindernis herzuleiten sucht, liegt Organen eines anderen Staates zur Last; Voraussetzung für die Annahme eines Prozesshindernisses wegen Verfahrensmängeln ist indes in allen Konstellationen, in denen dies diskutiert wird – nicht nur bei der Verletzung nationalen Strafprozessrechts, sondern auch bei einer Verletzung allgemeiner Regeln des Völkerrechts i. S. v. Art. 25 Abs. 1 S. 1 GG – ein Rechtsverstoß einer deutschen (Strafverfolgungs-)Behörde.
– Während die in dem Fall einer völkerrechtswidriger Festnahme einschlägige allgemeine Regel des Völkerrechts, das Hoheitsgebiet anderer Staaten zu achten, insofern unmittelbare Folgen für das nationale Strafprozessrecht eines Staates hat, als es die Verfolgung Beschuldigter, die sich auf dem Gebiet eines anderen Staates aufhalten, von der Einhaltung eines förmlichen Auslieferungsverfahrens abhängig macht, begründen die UN-Resolutionen, gegen die die Türkei verstoßen haben soll, keine strafprozessualen Pflichten, sondern lösen neben einem umfassenden Verbot der Unterstützung des IS durch die Mitgliedsstaaten insbesondere die Verpflichtung aus, präventive Maßnahmen gegen eine Unterstützung durch Dritte zu ergreifen (z. B. die Verpflichtung, die Ein- und Durchreise von Mitgliedern oder die direkte oder indirekte Bereitstellung von Waffen u. ä. zu verhindern).
– Auch in dem Fall der völkerrechtwidrigen Festnahme eines Beschuldigten auf dem Gebiet eines anderen Staates zieht der BGH im Übrigen ein Verfahrenshindernis wie erläutert nur in Erwägung, wenn der ausländische Staat wegen der völkerrechtswidrigen Verletzung seines Hoheitsgebiets Restitutionsansprüche gegen die Bundesrepublik geltend macht, deren Erfüllung eine Einstellung des Verfahrens zwingend erforderlich macht.
Danach käme ein Verfahrenshindernis hier – ungeachtet dessen, dass es bereits an dem erforderlichen Verstoß deutscher (Strafverfolgungs-)Behörden gegen nationales oder internationales Strafverfahrensrecht fehlt – allenfalls dann in Betracht, wenn der behauptete Verstoß der Türkei gegen die betreffenden UN-Resolutionen lediglich durch eine Einstellung des vorliegenden Verfahrens restituiert werden könnte. Das ist – abgesehen davon, dass ein resolutionstreuer Mitgliedsstaat wie die Bundesrepublik völkerrechtlich nicht verpflichtet sein kann, etwaige Resolutionsverstöße anderer Mitgliedsstaaten auszugleichen – schon deshalb abwegig, weil zwischen den behaupteten Resolutionsverstößen der Türkei und der Verfolgung der Angeklagten kein unmittelbarer Zusammenhang besteht (zumal die TKP/ML ihr mutmaßliches Ziel eines politischen Umsturzes in der Türkei unabhängig von dessen behaupteter Unterstützung des IS verfolgt): Die Bekämpfung des IS würde durch eine Einstellung des hiesigen Verfahrens gegen die Angeklagten nicht gefördert; erst recht könnten dadurch nicht etwaige Folgen behaupteter Verstöße der Türkei gegen Resolutionen in Bezug auf den IS restituiert werden. Vielmehr bliebe es selbst dann, wenn die Türkei den IS tatsächlich auf die behauptete Art und Weise unterstützt haben sollte, gleichwohl straf- wie auch völkerrechtlich (vgl. die vom Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme zu dem Antrag zitierte UN-Resolution 49/60) geboten, dass die Bundesrepublik Personen strafrechtlich verfolgen kann, die im Verdacht stehen, vom Bundesgebiet aus Vereinigungen zu fördern, die die politische Ordnung in der Türkei gewaltsam zu stürzen beabsichtigen und dabei auch Zivilisten in Mitleidenschaft zu ziehen drohen.
c. Der im Rahmen der ergänzenden Antragsbegründung vom 22. Juli 2016 erfolgte Verweis der Verteidigung darauf, dass die Massenentlassungen von Richtern und Staatsanwälten im Anschluss an die Ereignisse vom 15. Juli 2016 Beleg für die politische Instrumentalisierung der türkischen Justiz seien und bereits zuvor angezeigte Zweifel an der Belastbarkeit der von der Türkei im Rechtshilfewege für das vorliegende Verfahren gelieferten Beweismittel noch verstärkten, vermag ein Verfahrenshindernis ebenfalls nicht zu begründen.
Wie oben ausgeführt lösen Verfahrensmängel ein Verfahrenshindernis nur dann aus, wenn sie so schwer wiegen, dass von ihrem Nichtvorhandensein nach dem Willen des Gesetzgebers die Zulässigkeit des Verfahrens im Ganzen abhängen soll, was nicht der Fall ist, wenn Ihnen auf anderem Wege Rechnung getragen werden kann. Mängel der Beweisgrundlage lösen danach selbst dann kein Verfahrenshindernis aus, wenn – wie die Verteidigung meint – der Verdacht von Manipulationen im Raum steht. Denn solchen Mängeln kann das Tatgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung hinreichend Rechnung tragen (BGH, Urteil vom 10.03.95 – 5 StR 434/94).
2. Der Hilfsantrag, der Senat habe das BMJV um Rücknahme der erteilten Verfolgungsermächtigung zu ersuchen und die Hauptverhandlung bis zu einer diesbezüglichen Entscheidung des Ministeriums zu unterbrechen, ist ebenfalls unbegründet.
Eine Verpflichtung des Tatgerichts, das BMJV unter dem Gesichtspunkt nachträglich hinzugetretener, potentiell entscheidungserheblicher Umstände um Rücknahme einer erteilten Verfolgungsermächtigung zu ersuchen, ist im Gesetz nicht geregelt. Sie lässt sich auch nicht etwa aus der allgemeinen prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts herleiten. Das Tatgericht überschritte damit vielmehr seine Kompetenzen. Denn ein Ersuchen an das BMJV, eine erteilte Verfolgungsermächtigung zurückzunehmen, setzte zwingend eine eigene Bewertung der Voraussetzungen des § 129b Abs. 1 S. 5 StGB durch das Gericht voraus, die ihm nach der gesetzlichen Regelung nicht zusteht: Die Entscheidung darüber, ob eine Verfolgungsermächtigung erteilt wird oder nicht, obliegt gemäß § 129b Abs. 1 S. 3 StGB allein dem BMJV. Das Gericht hat diese Entscheidung hinzunehmen und kann sie – wie oben ausgeführt – allenfalls auf (evidente) Willkürlichkeit überprüfen. Die Prüfung, ob geänderte Umstände eine – gemäß §§ 77e, 77d Abs. 1 S. 1 und 2 StGB bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluss mögliche – Rücknahme der Ermächtigung veranlassen, obliegt ebenfalls nicht dem Gericht, sondern allein dem BMJV.
Ebenso wenig ist grundsätzlich eine Anregung des Tatgerichts an das BMJV geboten, die Frage einer Rücknahme der Verfolgungsermächtigung im Lichte neuer Entwicklungen zu prüfen. Denn es ist ohne weiteres davon auszugehen, dass das BMJV nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Umstände, die Anlass zu einer Neubewertung geben könnten, im Blick behält und die Frage einer Rücknahme ggf. von Amts wegen prüft.
Angesichts der vorstehenden Ausführungen gibt auch die aktuelle politische Entwicklung in der Türkei nach dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli 2016 dem Senat weder Anlass dafür, das BMJV um eine Rücknahme der Verfolgungsermächtigung zu ersuchen, noch auch nur eine diesbezügliche Prüfung anzuregen.
Der Verteidigung bleibt es unbenommen, selbst an das BMJV heranzutreten und unter Hinweis darauf eine Rücknahme der Verfolgungsermächtigung bzw. jedenfalls eine diesbezügliche Prüfung anzuregen, dass die in den Antragsbegründungen geschilderten Entwicklungen in der Türkei nach Erteilung der Ermächtigung aus ihrer Sicht eine Neubewertung erforderlich machen.
Lediglich der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass die beantragte Unterbrechung des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des BMJV über ein entsprechendes Petitum unter keinen Umständen in Betracht käme, weil sie mit dem Beschleunigungsgebot unvereinbar wäre. Denn es wäre ungewiss, ob das BMJV eine entsprechende Anregung überhaupt verbescheiden würde (einen Anspruch hierauf haben die Angeklagten nicht!) und ggf. in welchem zeitlichen Rahmen.
3. Anlass dazu, auf die von der Verteidigung – insbesondere in ihrer Erwiderung auf die Stellungnahme des Generalbundesanwalts – vorgebrachten Bedenken gegen die Verfassungskonformität des § 129b StGB einzugehen, besteht nicht: In der ursprünglichen Antragsbegründung hatte die Verteidigung die Ansicht vertreten, § 129b StGB sei lediglich dann zwingend verfassungswidrig, wenn man die Verfolgungsermächtigung als jedweder gerichtlichen Kontrolle entzogen ansähe (a. a. O., S.7, zweiter Absatz: „Eine derartige Auslegung ist verfassungsrechtlich zwingend, will man die Nichtigkeit des § 129b StGB vermeiden“). Da der Senat indes – wie oben unter II. 1 a) ausgeführt – der Ansicht ist, dass das Tatgericht die Verfolgungsermächtigung auf evidente Willkür überprüfen kann, gibt die ursprüngliche Antragsbegründung somit keinen Grund, die Frage der Verfassungskonformität der Vorschrift zu erörtern.
Anlass hierzu folgt auch nicht daraus, dass die Verteidigung in ihrer Erwiderung auf die Stellungnahme des GBA den Standpunkt vertritt, § 129b StGB sei auch dann verfassungswidrig, wenn man – wie der Senat – von einer Überprüfbarkeit der Verfolgungsermächtigung auf evidente Willkür ausgeht (a. a. O., Seite 7, zweiter Absatz: „… § 129b StGB ist bezüglich außereuropäischer Vereinigungen … verfassungswidrig, weil …“). Denn eine unterstellte Verfassungswidrigkeit der Vorschrift würde weder zu einer – mit dem Hauptantrag erstrebten – Einstellung des Verfahrens führen, noch ein – mit dem Hilfsantrag erstrebtes – Ersuchen des Senats an das BMJV um Rücknahme der Verfolgungsermächtigung veranlassen. Hielte der Senat § 129b StGB für verfassungswidrig, müsste er das Verfahren vielmehr mangels eigener Normverwerfungskompetenz aussetzen und gemäß Art. 100 GG eine Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht einholen. Dies ist von der Verteidigung weder beantragt, noch besteht hierzu von Amts wegen Anlass: Voraussetzung für die Einleitung eines solchen konkreten Normenkontrollverfahrens ist gemäß Art. 100 GG, dass das erkennende Gericht eine entscheidungserhebliche einfachgesetzliche Vorschrift für verfassungswidrig hält. Der Senat hat indes keinen Zweifel daran, dass § 129b Abs. 1 S. 3 bis 5 StGB in der von ihm vertretenen Auslegung, nach der das Tatgericht die Verfolgungsermächtigung auf evidente Willkür überprüfen kann, verfassungskonform ist.
4. Der heute gestellte weitere Antrag der Verteidigung, der Bundesregierung vorliegende Erkenntnisse zu einer Unterstützung islamistischer Gruppierungen (namentlich des sog. Islamischen Staates) durch die Türkei beizuziehen, insbesondere diesbezügliche Berichte des Bundesnachrichtendienstes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz, war ebenfalls zurückzuweisen.
Für den Hauptantrag sind die in Rede stehenden Erkenntnisse der Bundesregierung deshalb ohne Bedeutung, weil eine etwaige Unterstützung islamistischer Terrorgruppen durch die Türkei aus den oben erläuterten Gründen weder zu einem Verfahrenshindernis nach dem Völkerrecht noch zu einer Willkürlichkeit der Verfolgungsermächtigung führte. Für letzteres ist – wie oben erläutert – entscheidend, dass die TKP/ML nach den für die Entscheidung über die Verfolgungsermächtigung zugrunde zu legenden Ermittlungsergebnissen – zumindest teilweise – Anschläge begangen haben soll, bei denen bewusst auch Menschen in Mitleidenschaft gezogen wurden, die bei objektiver Bewertung keine Mitverantwortung für die politischen Verhältnisse in der Türkei tragen. Eine Willkürlichkeit der Verfolgungsermächtigung lässt sich aus einer etwaigen Unterstützung des sog. Islamischen Staates durch die türkische Regierung umso weniger herleiten, als sie auch nicht Auslöser für den Kampf der TKP/ML gegen die politische Ordnung in der Türkei ist. Eine etwaige Unterstützung islamistischer Gruppierungen durch die Regierung eines Staates kann kein Freibrief für hiervon unabhängige terroristische Aktivitäten einer jenen Staat bekämpfenden Vereinigung sein, die bewusst auch objektiv unbeteiligte Dritte in Mitleidenschaft zieht.
Für den Hilfsantrag sind die betreffenden Erkenntnisse der Bundesregierung deshalb unmaßgeblich, weil es dem Senat aus den oben erläuterten Gründen nicht ansteht, das Bundesministerium der Justiz um Rücknahme der von ihm erteilten Verfolgungsermächtigung zu ersuchen (vgl. die Ausführungen oben unter II. 2).
Auf den weiteren, für den Fall der Einstufung der in Rede stehenden Erkenntnisse des Bundesregierung als Verschlusssache gestellten Antrag, bei der Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass der vollständige Inhalt der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage vom 10. August 2016 den Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis gebracht wird, kommt es mithin ebenfalls nicht an.