Aktenzeichen 18 Qs 47/19
StGB § 174 Abs. 1 Nr. 3, § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 2 Nr. 1, § 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 6 S. 1, S. 2 Nr. 1
Leitsatz
1. Ist gemäß § 126 Abs. 1 Satz 3 StPO die Zuständigkeit für die weiteren haftbezogenen Entscheidungen auf ein anderes Amtsgericht übertragen worden, so hat der neu zuständige Haftrichter von Amts wegen eine Haftprüfung vorzunehmen und über die Frage der Fortdauer der Untersuchungshaft zu entscheiden. (Rn. 8)
2. Solange der neu zuständige Haftrichter die gebotene eigene Entscheidung nicht getroffen hat, ist eine Haftbeschwerde nicht statthaft. Eine gleichwohl eingelegte Haftbeschwerde ist in einen Antrag auf Haftprüfung umzudeuten. (Rn. 8)
Tenor
Eine Entscheidung des Beschwerdegerichts über den als Beschwerde bezeichneten Rechtsbehelf des Beschuldigten ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth (Az. 653 Js 63771/19) erließ das Amtsgericht Bamberg gegen den Beschuldigten mit Beschluss vom 18.10.2019 (Az. 11 Gs 1251/19) einen Haftbefehl nach § 112 StPO wegen (unter anderem) der Tatvorwürfe des mehrfachen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 Abs. 1, § 176a Abs. 2 Nr. 1, § 53 StGB) und der Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 6 Satz 1, Satz 2 Nr. 1, § 174 Abs. 1 Nr. 3, § 52 StGB). Der Beschuldigte wurde noch am gleichen Tag festgenommen. Am Folgetag eröffnete ihm der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Bamberg den Haftbefehl, der nach Anhörung aufrechterhalten wurde.
Mit Beschluss vom 24.10.2019 übertrug das Amtsgericht Bamberg auf Antrag der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth die weiteren richterlichen Entscheidungen und Maßnahmen, die sich auf die Untersuchungshaft des Beschuldigten beziehen, gemäß § 126 Abs. 1 Satz 3 StPO auf das Amtsgericht Nürnberg.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 27.11.2019, eingegangen beim Amtsgericht Nürnberg am gleichen Tag, hat der Beschuldigte gegen die Haftentscheidung „Beschwerde“ eingelegt und die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung beantragt.
Der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Nürnberg hat unter dem 28.11.2019 verfügt: „Ich helfe der Beschwerde nicht ab“. Mit Verfügung vom 05.12.2019 hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth die Akten dem Landgericht Nürnberg-Fürth mit dem Antrag zugeleitet, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Eine Entscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth (als ggf. zuständiges Beschwerdegericht) ist (derzeit) nicht veranlasst. Es fehlt an einer eigenen Haftfortdauerentscheidung des durch den Übertragungsbeschluss vom 24.10.2019 zuständig gewordenen Amtsgerichts Nürnberg, die erst Gegenstand eines Rechtsmittels sein könnte. Vor diesem Hintergrund ist die „Beschwerde“ vom 27.11.2019 ist einen Antrag auf Durchführung der Haftprüfung umzudeuten.
1. Das Amtsgericht Bamberg ist durch den Übertragungsbeschluss vom 24.10.2019 unzuständig geworden. Die Zuständigkeit für weitere gerichtliche Entscheidungen, die sich auf die Untersuchungshaft beziehen, ist auf den seither zuständigen Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Nürnberg übergegangen, der nunmehr die Verantwortung für den Haftbefehl trägt. Er hat von Amts wegen eine Haftprüfung vorzunehmen und über die Frage der Fortdauer der Untersuchungshaft zu entscheiden (Gärtner in: Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 126 Rn. 20; Schultheis in: KK-StPO, 8. Aufl., § 126 Rn. 7). Dies ist bislang noch nicht geschehen.
2. Die Haftfortdauerentscheidung ist nicht durch die Nichtabhilfeverfügung vom 28.11.2019 entbehrlich geworden. Nach wohl vorherrschender Auffassung kann die bloße Nichtabhilfe eine eigene Haftentscheidung nicht ersetzen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 117 Rn. 7 m.w.N.). In der Rechtsprechung wird eine solche Ersetzung zwar teilweise für denkbar erachtet, weil der neu zuständige Richter damit zum Ausdruck bringe, dass er die Entscheidung seines Vorgängers fortgelten lassen wolle (so OLG Koblenz, Beschluss vom 18.04.2005 – 1 Ws 245/05). Dies kann aus Sicht der Kammer aber allenfalls dann überhaupt in Betracht kommen, wenn die Nichtabhilfeentscheidung, wie es für einen Haftfortdauerbeschluss erforderlich wäre (vgl. § 34 StPO), mit Gründen versehen ist (so auch Lind in: Löwe/Rosenberg, a.a.O., § 117 Rn. 40 m.w.N.), da es anderenfalls von vornherein an einer Gleichwertigkeit der Entscheidung mangelt. Die hier in Rede stehende Nichtabhilfeverfügung ist nicht begründet worden.
3. Im Falle eines Wechsels der Zuständigkeit für die Haftkontrolle kann eine Entscheidung im Beschwerdeverfahren nur dann ergehen, wenn zuvor das neu zuständige Haftgericht eine eigene Entscheidung über den Fortbestand des Haftbefehls getroffen hat. Dies ist die ganz überwiegende Auffassung bei Übergang der Haftkontrolle infolge Anklageerhebung und gilt unabhängig davon, ob der Zuständigkeitswechsel nach Einlegung der Beschwerde (vgl. hierzu – statt vieler – Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 117 Rn. 12 m.w.N.) oder schon zuvor erfolgt ist (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 19.03.2013 – 2 Ws 93/13; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.08.1994 – 2 Ws 172/94, StV 1994, 664; Krauß in: BeckOK-StPO, § 126 Rn. 6; Lind in: Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 114 Rn. 51; Schultheis in: KK-StPO, § 126 Rn. 8a; jeweils m.w.N.). Auch für den – hier gegebenen – Fall eines Zuständigkeitswechsels aufgrund eines Übertragungsbeschlusses nach § 126 Abs. 1 Satz 3 StPO kann die Beurteilung nicht anders ausfallen, denn eine Entscheidung im Beschwerderechtszug setzt voraus, dass das für den Haftbefehl zuständige und verantwortliche Haftgericht zunächst eine eigene Entscheidung über den Bestand bzw. die Fortdauer des Haftbefehls getroffen hat. Und erst recht muss dies gelten, wenn – wie hier – eine von Amts wegen gebotene Haftprüfung (siehe oben) noch gar nicht stattgefunden hat.
4. Die eingelegte „Beschwerde“ ist somit – mit Blick auf ihr Rechtsschutzziel – in einen Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls im Zuge einer Haftprüfung durch das Amtsgericht Nürnberg umzudeuten (so die einhellige Auffassung für den Fall einer Haftbeschwerde nach Anklageerhebung; vgl. z.B. Lind in: Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 114 Rn. 51, m.w.N.). Der zur Durchführung der Haftprüfung berufene Ermittlungsrichter wird den gegenwärtigen – bei erster Durchsicht der Akten für die letzten Wochen unzureichend dokumentierten – Stand der Ermittlungen zugrunde zu legen haben und für den Fall einer Haftfortdauerentscheidung die in der Vorlageverfügung vom 05.12.2019 thematisierten „Mängel“ des Haftbefehls zu prüfen und ggf. zu bereinigen haben.