Aktenzeichen 06 Cs 101 Js 134200/18
VStGB § 6 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1
Leitsatz
1. Ein Verharmlosen der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten im dritten Reich im Sinne des § 6 VStGB stellt gemäß § 130 Abs. 3 StGB sowohl das Herunterspielen des damaligen Geschehens in tatsächlicher Hinsicht als auch das Bagatellisieren oder Relativieren in seinem Unwertgehalt dar. (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Vergleich der Situation der AfD und deren Mitgliedern mit der systematischen Verfolgung und Vernichtung der Juden im dritten Reich ist auch nicht durch die Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Angeklagte …, geb. am …, verheirateter Ingenieur, Staatsangehörigkeit(en): deutsch, wohnhaft: … ist schuldig der Volksverhetzung in zwei tatmehrheitlichen Fällen.
Er wird zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen zu je 50,- Euro verurteilt.
2. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.
Angewandte Strafvorschriften: §§ 130 III, 53 StGB
Gründe
I.
Der am 28.01.1959 geborene deutsche Angeklagte ist freiberuflich als Ingenieur tätig. Er ist verheiratet und lebt in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen. Im Bundeszentralregister befinden sich keine Eintragungen.
II.
1. Am 30.06.2018 fand im Messezentrum A., F. Straße, … A., der Bundesparteitag der AfD statt, anlässlich dessen sich der Angeklagte auf dem Parteitagsgelände befand. Gegen 10:48 hielt er in seiner rechten Hand ein selbstgestaltetes Plakat in die Höhe, auf welchem der Schriftzug „Hetze in Deutschland“ zu lesen ist. Darunter befindet sich auf der linken Plakathälfte ein gelber Judenstern und der Zeitraum „1933 – 1945“. Auf der rechten Plakathälfte ist das AfD-Logo sowie der Zeitraum „2013 – ?“ aufgedruckt. Wie der Angeklagte wusste, war sein Plakat für alle auf dem und um das Messegelände befindlichen Personen deutlich zu erkennen. Auch war dem Angeklagten bewusst, dass der Inhalt seines Plakates geeignet war, die während der Herrschaft des Nationalsozialismus systematisch durchgeführte Verfolgung von Juden und deren konsequente Tötung in den Konzentrationslagern zu verharmlosen, indem auf dem Plakat die Stimmung gegen die AfD mit dem nationalsozialistischen Völkermord von bis zu 6 Millionen Juden verglichen wird.
2. Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt vor dem 22.04.2017 veröffentlichte der Angeklagte ein Bild mit gleichem Inhalt wie das unter 1. geschilderte Plakat auf der Kommunikationsplattform Twitter mit seinen Account „…“ mit den Worten „Die Schlägertruppen des establishments … haben versagt“. Der Angeklagte wusste, dass sein Beitrag öffentlich einsehbar ist und dass er geeignet ist, die während der Herrschaft des Nationalsozialismus systematisch durchgeführte Verfolgung von Juden und deren konsequente Tötung in den Konzentrationslagern zu verharmlosen, indem auf dem Plakat die Stimmung gegen die AfD mit dem nationalsozialistischen Völkermord von bis zu 6 Millionen Juden verglichen wird.
III.
Der Sachverhalt unter I. ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des Angeklagten und der Verlesung des Bundeszentralregisters.
Der Sachverhalt unter II. ergibt sich ebenso aus den Angaben des Angeklagten. Der Angeklagte hat eingeräumt, dass er sowohl das Plakat am Parteitag am 30.08.2018 hochgehalten hat, als auch dass er den gleichen Inhalt auf seinem öffentlich einsehbaren Twitter-Account veröffentlicht hat.
IV.
Der Angeklagte war damit der Volksverhetzung schuldig zu sprechen in zwei tatmehrheitlichen Fällen gem. §§ 130 Abs. 3 Alt. 3, 53 StGB.
1. Der Angeklagte hat öffentlich eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist den öffentlichen Frieden zu stören, verharmlost.
2. a) Ein Verharmlosen ist im Kontext des § 130 Abs. 3 StGB sowohl das Herunterspielen des damaligen Geschehens in tatsächlicher Hinsicht als auch das Bagatellisieren oder Relativieren in seinem Unwertgehalt.
Vorliegend hat der Angeklagte die momentane Situation der AfD und deren Mitgliedern mit der systematischen Verfolgung und Vernichtung der Juden im dritten Reich verglichen und damit relativiert bzw. verharmlost.
b) Die Äußerungen des Angeklagten waren nicht durch die Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt.
Zwar ist für eine strafrechtliche Würdigung die günstigste Deutungsmöglichkeit einer Aussage entscheidend. Vorliegend konnte die Aussage des Plakates aber nur als Vergleich der Judenverfolgung mit der momentanen Situation der AfD ausgelegt werden, nicht jedoch lediglich als Vergleich zwischen einer Hetze von heute und damals.
Dies ergibt sich zum einen daraus, dass der auf dem Plakat abgebildete Judenstern ein Symbol für die Judenverfolgung schlechthin darstellt. Es wurde auch nicht lediglich der Davidstern auf dem Plakat abgebildet, wie der Angeklagte vorbringt. Auf dem Stern war, wie im dritten Reich, der Schriftzug Jude in geschwungenen Buchstaben angebracht. Der Judenstern, den die Juden im dritten Reich tragen mussten, wurde exakt abgebildet.
Zudem hat der Angeklagte in der Verhandlung selbst dargelegt, dass sich der Vergleich auch auf konkrete Repressalien gegen AfD-Mitglieder in der heutigen Zeit bezieht. Der Angeklagte bezog sich nicht nur auf eine mediale Hetze und damit verbundene Ausgrenzung. Er sprach selbst von physischer Gewalt gegenüber AfD-Mitgliedern. Bei verwehrten Gaststättenbesuchen aufgrund von AfD-Parteizugehörigkeit, sowie Beleidigungen, Schlägen und Tritten griffen die Staatsanwaltschaften nicht ein. Diesen Zustand habe es so nur im dritten Reich gegeben.
Aufgrunddessen kommt die Auslegung des Plakates als Vergleich lediglich einer (medialen) Hetze zwischen heute und damals nicht in Betracht.
Der Vergleich des Angeklagten kann daher nur als Vergleich mit der systematischen Verfolgung der Juden verstanden werden. Einer systematischen Verfolgung oder gar Massenvernichtung sind die Mitglieder der AfD jedoch nachweislich in Deutschland nicht ausgesetzt.
Insoweit stellt ein solcher Vergleich eine Relativierung und damit Verharmlosung der damaligen Judenverfolgung dar. Dies war dem Angeklagten auch gerade bewusst. Dass der Angeklagte damit keine Verherrlichung des dritten Reiches bezweckte ist unerheblich. Vielmehr genügt es, dass durch den Vergleich das wahre Gewicht der damaligen Judenverfolgung verschleiert wird.
3. Die Verharmlosung fand in beiden Fällen öffentlich statt. Das Plakat wurde auf dem AfD-Parteitag von einer Vielzahl von Menschen gesehen, der Twitter-Account des Angeklagten ist öffentlich für jedermann einsehbar.
4. Die mit dem Plakat und dem Twitter-Post vermittelte Botschaft war auch geeignet den öffentlichen Frieden zu stören. Gestört ist der öffentliche Frieden unter anderem dann, wenn die Äußerung als Ausdruck unerträglicher Missachtung gegenüber den Opfern wirkt. Dass diese Wirkung gegeben war, ergibt sich vorliegend bereits aus den Reaktionen auf den Twitter Post bzw. auf das Hochhalten des Plakates beim AfD-Parteitag (Bl. 20-23 d. Akten).
5. Auch die subjektive Seite ist zumindest in Gestalt des bedingten Vorsatzes gegeben. Im Falle des Verharmlosens muss sich der Vorsatz auf die Unwahrheit der mit der Verharmlosung verbundenen Tatsachenbehauptungen sowie auf die gänzliche Unangemessenheit der geäußerten Wertungen erstrecken.
Vorliegend ist aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten für den Angeklagten offensichtlich gewesen, dass die systematische staatliche Verfolgung der Juden im dritten Reich nicht mit einzelnen Repressalien, denen sich AfD-Mitglieder ausgesetzt sehen, oder der Stimmung gegen die AfD, vergleichbar ist und damit eine Verharmlosung vorliegt. Insoweit hat sich die Unangemessenheit der vermittelten Botschaft geradezu aufgedrängt.
Ebenso war dem Angeklagten bei beiden Taten bewusst, dass die Verharmlosung einem breiten Empfängerkreis zugänglich gemacht wird.
V.
§ 130 Abs. 3 StGB sieht eine Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder eine Geldstrafe vor.
Zu Gunsten des Angeklagten war bei beiden Taten jeweils zu berücksichtigen, dass das Hochhalten des Plakates, sowie die Veröffentlichung im Internet, eingeräumt wurden. Ebenso war zu berücksichtigen, dass Angeklagte strafrechtlich noch nicht aufgefallen ist.
Zu Lasten des Angeklagten war zu berücksichtigen, dass die Verharmlosung gleich zweimal einem sehr großen Personenkreis, insbesondere am Parteitag, zur Kenntnis gelangt ist.
Zur Ahndung war daher für die Tat unter II.1. eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen, für die Tat unter II.2. eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen tat- und schuldangemessen.
Unter nochmaliger Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Erwägungen war daher eine Gesamtstrafe von 90 Tagessätzen tat- und schuldangemessen.
Die Höhe der Tagessätze wurden gem. § 40 Abs. 3 StGB geschätzt unter der Prämisse, dass der Angeklagte als freiberuflicher Ingenieur tätig ist.
VI.
Die Kostenentscheidung ergibt sich gem. §§ 464, 465 StPO.