Strafrecht

Verweisung bei repressivem Handeln der Polizei zum Zweck der Strafverfolgung

Aktenzeichen  M 7 E 16.283

Datum:
29.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 40 Abs. 1
GVG GVG § 17a
StPO StPO § 98 Abs. 2 S. 2, § 102, § 162, § 163, § 163a

 

Leitsatz

Bei polizeilichem Handeln bestimmt sich der Rechtsweg danach, in welcher Funktion die Polizei im konkreten Fall tätig geworden ist. War sie zum Zwecke der Strafverfolgung (repressiv) tätig, ist der Rechtsschutz im Zivilrechtsweg zu suchen, entweder gem. §§ 23, 25 Abs. 1 EGGVG beim Oberlandesgericht oder entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2, 3, § 162 StPO beim Amtsgericht (vgl. OLG Karlsruhe BeckRS 2013, 17552) Wird die Polizei zur Gefahrenabwehr (präventiv) tätig, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. (redaktioneller Leitsatz)
Eine vorrangige (§ 23 Abs. 3 EGGVG) abdrängende Sonderzuweisung zum Amtsgericht nach § 98 Abs. 2 S. 2 StPO besteht, wenn das Unterlassungsbegehren Zwangsmaßnahmen (körperliche Durchsuchung) der Polizei als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft, die Androhung von solchen Maßnahmen und sonstige Handlungen während bzw. im unmittelbaren Vorfeld eines Ermittlungsverfahrens zum Gegenstand hat. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
II.
Der Rechtsstreit wird an das Amtsgericht München verwiesen.
III.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.
Am 15. Oktober 2015 wurde bei der Polizeiinspektion (PI) … durch einen Polizeibeamten eine Strafanzeige gegen den Antragsteller wegen des Verdachts der Verleumdung und des Vortäuschens einer Straftat erstattet. Die Anzeige wurde zur weiteren Sachbearbeitung an die PI … weitergeleitet. Dort erschien der Antragsteller am 14. Januar 2016 zu einer Beschuldigtenvernehmung, die von dem vernehmenden Polizeibeamten abgebrochen wurde, weil er immer wieder von der Sache abschweifte. Nachdem der Antragsteller erklärt hatte, dass er die Vernehmung auf Tonband mitgeschnitten habe, durchsuchte ihn der Polizeibeamte nach Androhung von unmittelbarem Zwang zum Auffinden möglicher Beweismittel. Bei der Durchsuchung wurden ein Pfefferspray und fünf Handys gefunden, jedoch kein Aufnahmegerät.
Am 15. Januar 2016 stellte der Antragsteller zur Niederschrift des Gerichts den Antrag,
den Antragsgegner, vertreten durch das Polizeipräsidium München, im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, folgendes zu unterlassen:
1. Bei einer Vernehmung nach mündlicher Verhandlung mich zu durchsuchen, nur weil ich sagte, ich hätte meine Dokumente alle auf einem USB-Stick;
2. Mir zu unterschreibende Dokumente zu entreißen, um mich davon abzuhalten, diese zu unterschreiben;
3. Meine Aussage nicht aufzunehmen und niederzuschreiben, so wie ich diese gesagt habe;
4. Meine eingereichten Unterlagen zur Klärung des Sachverhalts nicht anzunehmen;
5. Mir Gewalt anzudrohen, um mich z. B. zu durchsuchen;
6. Mir Gewalt anzudrohen und mich hinauszuschmeißen, ohne die Vernehmung korrekt zu beenden;
7. Willkürlich die Vernehmung abzubrechen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, nur weil ich Offizialdelikte aufgedeckt und im Rahmen einer Gegenanzeige aufgedeckt habe;
8. Die Aufnahme von Strafanzeigen zu verweigern.
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller sei am 14. Januar 2016 um 11:00 Uhr zu einer polizeilichen Zeugeneinvernahme auf die PI … vorgeladen worden, weil er einen Polizeibeamten der PI … wegen Beleidigung angezeigt habe. Dies sei eine Lüge. Vielmehr sei es so gewesen, dass dieser Beamte ihn anlässlich einer Strafverhandlung gegen einen Dritten beleidigt habe. Auf der Polizei sei er dann in der Folge so behandelt worden, wie in den Anträgen 1. – 7. dargestellt. Zum Antrag 8. trug der Antragsteller vor, dass am 12. Januar 2016 im Polizeipräsidium an der E.-straße die Aufnahme von Strafanzeigen unter Androhung von Gewalt verweigert worden sei. Frau S. habe dann vermittelt und dafür gesorgt, dass seine Strafanzeige weitergegeben und bearbeitet werde. Am 13. Januar 2016 habe der Polizeibeamte K. der PI 16 die Aufnahme einer Strafanzeige wegen Bedrohung mit einem Verbrechen verweigert. Die PI 16 habe ihn am nächsten Tag um 4:52 Uhr per E-Mail dazu aufgefordert, die Anzeige schriftlich zu erstatten. Mit Schreiben vom 8. Februar 2016 machte der Antragsteller ergänzende Ausführungen zu einem Vorfall am 15. Januar 2015 auf der PI 16, wo er mit einer weiteren Person eine Vermisstenanzeige habe aufgeben wollen, und forderte die Bekanntgabe von drei Aktenzeichen betreffend polizeiliche Ermittlungsverfahren, in denen ihm die Aufnahme einer Strafanzeige verwehrt worden sei. Zu diesen Ermittlungsverfahren wurden weitere Sachverhaltsschilderungen vom 12. Januar 2016 und 8. Februar 2016 vorgelegt.
Der Antragsgegner regte mit Schreiben vom 16. März 2016 die Verweisung des Rechtsstreits an die ordentliche Gerichtsbarkeit an und trug dazu vor, der Antragsteller begehre zum einen die gerichtliche Verpflichtung, im Zusammenhang mit einer Vernehmung bestimmte Maßnahmen (Durchsuchung zum Zwecke des Auffindens von Beweismitteln; Androhung von Gewalt) und Handlungen (Entreißen von Dokumenten, Abbruch der Vernehmung) zu unterlassen, zum andern, bestimmte Handlungen (Aufnahme von Aussagen, Annahme von Unterlagen) vorzunehmen. Zudem begehre er die gerichtliche Verpflichtung zur Entgegennahme von Strafanzeigen. Diesbezüglich beruhe das Tätigwerden bzw. Nicht-Tätigwerden der Polizei auf der Strafprozessordnung. Auf die ausführliche Sachverhaltsdarstellung wird Beug genommen.
Dem Antragsteller wurde Gelegenheit gegeben, sich zur Verweisung des Rechtsstreits zu äußern. Hierauf erfolgte keine Reaktion.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gem. § 117 Abs. 3 VwGO analog auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der Verwaltungsrechtsweg ist nicht eröffnet.
Gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeit nicht einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist. Vorliegend ist eine abdrängende Sonderzuweisung an die ordentliche Gerichtsbarkeit gegeben.
Mit seinem Eilantrag verfolgt der Antragsteller nach zweckentsprechender Auslegung gem. §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO eine gerichtliche Verpflichtung der Polizei, bei der Strafverfolgung bestimmte Handlungen zu unterlassen, und die Sachbearbeitung in bestimmter Art und Weise durchzuführen. Sowohl das von ihm beanstandete polizeiliche Handeln (Durchsuchung zum Zwecke des Auffindens von Beweismitteln; Androhung von Gewalt; Entreißen von Dokumenten, Abbruch der Vernehmung; Nichtaufnahme von Aussagen und Verweigerung der Entgegennahme von Unterlagen) als auch das von ihm begehrte polizeiliche Handeln (Aufnahme von Aussagen, Entgegennahme von Unterlagen) beruht auf der Strafprozessordnung (§ 102, § 163 Abs. 1 Satz 1, § 163 a StPO u. a.).
Bei polizeilichem Handeln ist für die Frage des Rechtswegs entscheidend, in welcher Funktion die Polizei im konkreten Fall tätig geworden ist. War dies zum Zwecke der Strafverfolgung (repressiv), hat die Polizei funktional als Justizbehörde im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG gehandelt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 58. Aufl. 2015, § 23 EGGVG Rn. 2). Gleiches hat zu gelten, wenn es wie vorliegend um zukünftiges polizeiliches Handeln geht. Rechtsschutz ist im Zivilrechtsweg zu suchen, entweder gem. §§ 23, 25 Abs. 1 EGGVG beim Oberlandesgericht oder entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2, 3, § 162 StPO beim Amtsgericht (vgl. OLG Karlsruhe, B. v. 18. April 2013 – 2 VAs 2/13, 2 VAs 9 – 11/13, 2 VAs 9/13, 2 VAs 10/13, 2 VAs 11/13 – juris Rn. 7 zum Meinungsstand und m. w. N.; grundlegend BGHSt, B. v. 7. Dezember 1998 – 5 AR (VS) 2/98 – juris Rn. 22 ff.; Meyer-Goßner, a. a. O., § 98 Rn. 23; Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, Art. 12 POG Rn. 147 ff.; Frister in Lisken/Deninnger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, L Rn. 206 ff.; offen gelassen von BayVGH, B. v. 29. September 2014 – 10 C 12.1609 – juris Rn. 10, 12 u. B. v. 10. Dezember 2015 – 5 C 15.2518 – juris Rn. 3). Wird die Polizei zur Gefahrenabwehr (präventiv) tätig, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (vgl. Art. 12 Abs. 1 POG).
Vorliegend besteht eine vorrangige (§ 23 Abs. 3 EGGVG) abdrängende Sonderzuweisung zum Amtsgericht nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO, da das Unterlassungsbegehren Zwangsmaßnahmen (körperliche Durchsuchung) der Polizei als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft, die Androhung von solchen Maßnahmen und sonstige Handlungen während bzw. im unmittelbaren Vorfeld eines Ermittlungsverfahrens zum Gegenstand hat (vgl. BayVGH, B. v. 17. August 2015 – 10 C 15.996 – juris Rn. 3; OLG Hamburg, B. v. 25. Juni 2014 – 2 VAs 9/14 u. a. – juris Rn. 5 m. w. N.; KG Berlin, B. v. 12. Februar 2013 – 4 VAs 3/13 – juris Rn. 4; OLG BB, B. v. 6. März 2013 – 11 W 40/12 – juris Rn. 4 m. w. N.; HessVGH, B. v. 9. November 2007 – 8 TP 2192/07 – juris Rn. 4). Maßnahmen, die sich auf die Einleitung, Durchführung, Gestaltung und Beendigung eines Ermittlungsverfahrens beziehen, stellen sich nicht als den Einzelfall regelnde Justizverwaltungsakte, sondern als Prozesshandlungen dar, die dem Rechtsweg nach den §§ 23 ff. EGGVG grundsätzlich nicht unterworfen sind (KG Berlin, B. v. 12. Februar 2013 – 4 VAs 3/13 – juris Rn. 4; OLG Hamburg, B. v. 25. Juni 2014 – 2 VAs 9/14 u. a. – juris Rn. 5). Zudem wird wegen der größeren Sachnähe des Rechtswegs § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechend auch in Fällen angewandt, in denen die Ermittlungsbehörden wie hier aufgrund originärer Zuständigkeit tätig waren (Menges in Löwe-Rosenberg, a. a. O., § 98 Rn. 50 m. w. N.; anders wohl Schmidbauer in Schmidbauer /Steiner, PAG/POG, 4. Aufl. 2014, Art. 12 POG Rn. 147 ff.).
Ob der vom Antragsteller gestellte Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz und der Erlass einer entsprechenden einstweiligen Verfügung in Verfahren nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO möglich ist, ist vom verweisenden Gericht nicht zu prüfen.
Somit war gem. § 173 VwGO i. V. m. § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG festzustellen, dass der beschrittene Verwaltungsrechtsweg unzulässig ist, und das Verfahren nach erfolgter Anhörung an das Amtsgericht zu verweisen. § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG gilt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entsprechend (vgl. OVG NW, B. v. 9. Juni 2009 – 8 E 1599/08 – juris Rn. 3 ff.; BayVGH, B. v. 29. Juli 2002 – 20 A 02.40066 u. 40068 – juris Rn. 9 m. w. N. zum Streitstand; Geiger in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 83 Rn. 4; Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 41 Rn. 7).
Die Zuständigkeit des Amtsgerichts München folgt aus § 98 Abs. 2 Satz 3, § 162 StPO, Art. 5 Nr. 47 GerOrgG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 17 b Abs. 2 Satz 1 GVG.

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