Strafrecht

Voraussetzungen für die Durchsuchung eines Strafgefangenen mit Entkleidung

Aktenzeichen  2 Ws 166/18

Datum:
8.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 42114
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BayStVollzG Art. 91 Abs. 3
StVollzG § 84 Abs. 3, § 116

 

Leitsatz

1. Die Durchsuchung eines Gefangenen, die mit einer Entkleidung verbunden ist, richtet sich in Bayern nach Art 91 Abs. 3 BayStVollzG, der entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Anstaltsleiter ermächtigt, für drei typischerweise besonders gefahrenträchtig eingeschätzte Konstellationen Durchsuchungen mit Entkleidung allgemein anzuordnen, und zwar bei der Aufnahme, nach Kontakten mit Besuchern und nach jeder Abwesenheit von der Justizvollzugs-anstalt. (Rn. 9 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es bedarf jedoch auch bei einer allgemein zulässigen Durchsuchungsanweisung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eines Vorbehalts, dass in Einzelfällen vor allem dann, wenn die Gefahr des Einschmuggelns – insbesondere von Drogen – besonders fernliegend erscheint,von einer Durchsuchung abgesehen werden kann. (Rn. 14 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. An das Vorliegen derartiger Ausnahmen sind jedoch hohe Anforderungen zu stellen. Die vorzunehmende Prüfung durch die durchsuchenden Beamten reduziert sich auf ein Minimum und lässt wenig Ermessensspielraum, wenn die Besuchsräume stark frequentiert waren, neben dem Gefangenen noch weitere neun Inhaftierte ebenfalls Besuch hatten, bei ihm der Sichtvermerk “Kontakt mit Betäubungsmitteln”  vorhanden war und gegen ihn zudem wegen Verstoßes gegen das Gebot der Platzgebundenheit zwei Disziplinarverfahren eingeleitet waren. (Rn. 16 – 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

SR StVK 509/17 2018-01-15 Bes LGREGENSBURG LG Regensburg

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt S. vom 19.02.2018 wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 15.01.2018 aufgehoben.
2. Der Antrag des Strafgefangenen M… G… vom 05.06.2017, festzustellen, dass die am 08.04.2017 in der Justizvollzugsanstalt S. bei ihm nach einem Besuch durchgeführte Durchsuchung mit vollständiger Entkleidung rechtswidrig war, wird als unbegründet zurückgewiesen.
3. Die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
4. Der Beschwerdewert wird auf 300 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Strafgefangene (Antragsteller) hat mit Schreiben vom 05.06.2017 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, festzustellen, dass die in der Justizvollzugsanstalt S. am 08.04.2017 bei ihm nach einem Besuch seiner Eltern durchgeführte Durchsuchung mit vollständiger Entkleidung rechtswidrig war.
Mit Beschluss vom 15.01.2018 hat die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing (künftig: Strafvollstreckungskammer) auf den Antrag des Gefangenen festgestellt, dass die am 08.04.2017 durchgeführte und mit einer Entkleidung verbundene Durchsuchung des Antragstellers durch die Justizvollzugsanstalt rechtswidrig war. Die Strafvollstreckungskammer hat zur Begründung auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Nürnberg in den Beschlüssen vom 22.05.2017 (1 Ws 196/17), vom 29.05.2017 (1 Ws 205/17) und vom 29.06.2017 (2 Ws 44/17 und 2 Ws 58/17) Bezug genommen, wonach eine mit vollständiger Entkleidung verbundene Durchsuchung rechtswidrig sei, wenn eine Einzelfallüberprüfung bei der Durchsuchung nicht stattgefunden habe. Vorliegend sei das Ermessen durch die Justizvollzugsanstalt fehlerhaft ausgeübt worden, da durch die Beamten offensichtlich nicht berücksichtigt worden sei, dass bisherige Besuchstermine beanstandungsfrei geblieben sind und der Antragsteller zu einem Cafeteriabesuch zugelassen ist. Jedenfalls habe die Justizvollzugsanstalt in ihrer Stellungnahme hierzu nichts ausgeführt, so dass nicht davon auszugehen sei, dass diese Abwägungskriterien in die Entscheidung eingeflossen seien.
Gegen diesen der Antragsgegnerin am 22.01.2018 zugestellten Beschluss hat diese mit am 21.02.2018 eingegangenen Schreiben vom 19.02.2018 Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der im Wesentlichen eine rechtsfehlerhafte Prüfung von Art. 91 Abs. 3 BayStVollzG gerügt wird.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, auf die Rechtsbeschwerde den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 15.01.2018 aufzuheben.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht eingelegt, wobei die Einhaltung der einfachen Schriftform durch die Justizvollzugsanstalt ausreichend ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 03.07.2014, III-1 Vollz (Ws) 279/14, zitiert nach juris). Auch die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 116 StVollzG liegen vor, da es geboten ist, die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen.
III.
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückweisung des Antrags des Strafgefangenen auf gerichtliche Entscheidung.
1. Im Rechtsbeschwerdeschriftsatz wurde die erhobene Sachrüge zwar nicht als solche bezeichnet, was vorliegend indes entbehrlich war. Aus der Begründung geht nämlich zweifelsfrei hervor, dass – wegen der gerügten fehlerhaften Anwendung von Art. 91 Abs. 3 BayStVollzG – eine Überprüfung der Entscheidung in sachlich-rechtlicher Hinsicht begehrt wird (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 61. Aufl. § 344 Rn. 14 zur vergleichbaren Revisionsbegründung).
2. Die Bewertung der Strafvollstreckungskammer, die am 08.04.2017 beim Antragsteller nach einem Besuch durchgeführte Durchsuchung sei wegen ermessensfehlerhafter Nichtberücksichtigung der Umstände, dass bisherige Besuchstermine des Antragstellers mit Außenkontakten ohne Beanstandungen geblieben seien und der Antragsteller zu einem Cafeteriabesuch zugelassen worden sei, rechtswidrig gewesen, weist einen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
a) Die rechtliche Beurteilung von Durchsuchungen von Strafgefangenen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, richtet sich – soweit die Durchsuchung wie vorliegend nach einem Besuch vorgenommen wurde – nach Art. 91 Abs. 3 BayStVollzG. Hierbei sind folgende Vorgaben zu beachten:
Durchsuchungen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, stellen einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar, was in besonderem Maße für Durchsuchungen gilt, die mit einer Inspizierung von normalerweise verdeckten Körperöffnungen verbunden sind. Wegen des besonderen Gewichts von Eingriffen, die den Intimbereich und das Schamgefühl des Inhaftierten berühren, hat dieser Anspruch auf besondere Rücksichtnahme (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. NJW 2013, 3291 juris Rn. 15; NJW 2015, 3158, juris Rn. 33). Die Anordnung der körperlichen Durchsuchung steht wegen des hierdurch bewirkten Grundrechtseingriffs unter dem Vorbehalt des Gesetzes und der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (BVerfG, NJW 2013, 3291, juris Rn. 14; NJW 2017, 725 juris Rn. 29).
Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit ausgeführt, dass Art. 91 Abs. 3 BayStVollzG den Anstaltsleiter ermächtige, für drei vom Gesetz als typischerweise besonders gefahrenträchtig eingeschätzte Konstellationen (nämlich bei der Aufnahme, nach Kontakten mit Besuchern und nach jeder Abwesenheit von der Justizvollzugsanstalt) aus Gründen der Sicherheit und Ordnung . der Justizvollzugsanstalt Durchsuchungen mit Entkleidung allgemein anzuordnen (BVerfG, NJW 2017, 725, juris Rn. 31; ebenso BVerfG, NJW 2013, 3291, juris Rn. 19, zu § 64 Abs. 4 des baden-württembergischen Justizvollzugsgesetzbuches III – JVollzGB, und BVerfGK 2, 102 = NJW 2004, 1728, juris Rn. 16, zu § 84 Abs. 3 StVollzG). Dies soll insbesondere der Verhinderung des Drogenschmuggels dienen (vgl. Bayerischer Landtag, Drucks 15/8101, S. 68, mit Verweis auf die Regelung in § 84 StVollzG; vgl. dazu BTDrucks 13/11016, S. 26).
Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluss vom 10.07.2013 (NJW 2013, 3291, juris Rn. 20) weiter ausgeführt, dass unter dem Vorbehalt der Abweichung in Einzelfällen, in denen dies aus Gründen der Verhältnismäßigkeit angezeigt sei, für eine allgemeine Regelung im Sinne des § 64 Abs. 3 JVollzGB III (entsprechend Art. 91 Abs. 3 BayStVollzG) die in den dort genannten Fällen, unter anderem bei Rückkehr eines Gefangenen von einem Aufenthalt außerhalb der Anstalt, gegebene abstrakte Gefahr des Einbringens von Drogen und anderen verbotenen Gegenständen genüge. Müssten in dieser Konstellation stets besondere positive Verdachtsgründe dafür vorliegen, dass gerade der betreffende konkrete Gefangene seinen Aufenthalt außerhalb der Anstalt zum Einschmuggeln verbotener Gegenstände nutzt, wäre es unmöglich, solches Einschmuggeln – unter anderem durch Gefangene, die selbst nicht zum Missbrauch geneigt sind, aber von Mitgefangenen für ihre Zwecke unter Druck gesetzt werden – wirksam zu unterbinden.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers in seinem Schreiben vom 05.07.2017 beschränkt sich die Reichweite dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf die Rückkehr des Gefangenen von einem Aufenthalt außerhalb der Anstalt, wie die Formulierung „unter anderem“ zeigt. Vielmehr gilt gleiches für den ebenfalls von § 64 Abs. 3 JVollzGB III erfassten Fall der Durchsuchung nach Kontakten mit Besuchern oder den Fall der Aufnahme des Gefangenen in einer Justizvollzugsanstalt.
b) Ausgehend von der genannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedarf es also auch bei der für eine allgemeine Durchsuchungsanordnung gemäß Art. 91 Abs. 3 BayStVollzG genügenden abstrakten Gefahr des Einbringens von Drogen und anderen gefährlichen Gegenständen aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eines Vorbehalts, dass in Einzelfällen, vor allem dann, wenn die Gefahr des Einschmuggelns besonders fernliegend erscheint, von einer Durchsuchung abgesehen werden kann.
Ein solcher Vorbehalt ist in der allgemeinen Durchsuchungsanordnung des stellvertretenden Anstaltsleiters vom 29.03.2017, wonach am 08.04.2017 an jedem 4. Gefangenen und Sicherungsverwahrten nach der Vorführung u.a. zum Besuch eine mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung vorzunehmen ist, soweit nicht die Gefahr des Missbrauchs fernliegt, indes enthalten, so dass diese rechtlich nicht zu beanstanden ist.
c) Durch die vorgenannte Formulierung eines Ausnahmevorbehalts ist zudem klargestellt, dass vom jeweiligen Vollzugsbeamten – entsprechend der von der Strafvollstreckungskammer zitierten Rechtsprechung der beiden Strafsenate des Oberlandesgerichts Nürnberg – vor Durchführung der Durchsuchung eine Abweichung zu Gunsten des Gefangenen geprüft werden muss. Entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer müssen bei dieser Prüfung über das ausnahmsweise Absehen von einer Durchsuchung allerdings nur solche Umstände berücksichtigt werden, die im konkreten Einzelfall die Gefahr eines Einschmuggelns auch tatsächlich als fernliegend erscheinen lassen. Entsprechend hat der 1. Strafsenat im Beschluss vom 22.05.2017, 1 Ws 196/17, auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei Art. 91 Abs. 3 BayStVollzG an das Vorliegen derartiger Ausnahmen hohe Anforderungen zu stellen sind. Maßgeblich ist insoweit, dass dem Anwendungsbereich des Art. 91 Abs. 3 BayStVollzG Fallgestaltungen zugrunde liegen, in denen erhebliche Gefahren des Einschmuggelns verbotener Gegenstände vom Gesetzgeber bereits typisiert anerkannt wurden, weshalb Ausnahmen hier nur unter noch engeren Voraussetzungen als bei einer Einzelfallanordnung nach Art. 91 Abs. 2 BayStVollzG denkbar sind (vgl. Krä NStZ 2018, 168).
Unter Beachtung dieser Vorgaben ist zunächst festzuhalten, dass ausweislich der auf den insoweit unwidersprochenen Ausführungen der JVA beruhenden Feststellungen der Strafvollstreckungskammer von den durchsuchenden Beamten vor der Durchsuchung am 08.04.2017 das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes in Betracht gezogen wurde und damit eine entsprechende Prüfung stattgefunden hat. Im Rahmen dieser Prüfung wurde berücksichtigt, dass zum damaligen Zeitpunkt die Besucherräume der JVA hoch frequentiert waren und neben dem Antragsteller neun weitere Inhaftierte ebenfalls Besuch hatten. Darüber hinaus wurde einbezogen, dass beim Antragsteller der Sichtvermerk „Kontakt mit Betäubungsmitteln“ vorhanden war und zudem wegen Verstoßes gegen das Gebot der Platzgebundenheit zwei Disziplinarverfahren, zuletzt Ende März 2017, vermerkt waren. Allein schon wegen dieser Umstände bedurfte es bei der Prüfung keines weiteren Eingehens auf die bisher beanstandungslos verlaufenden Besuche mit Außenkontakten und die Zulassung zur gelockertsten Form des sogenannten Cafeteriabesuchs, denn diese Gesichtspunkte waren bei der gegebenen Sachlage schon im Ansatz nicht mehr geeignet, die Gefahr eines Einschmuggelns auch tatsächlich als fernliegend erscheinen zu lassen.
3. Nach alledem war die beim Antragsteller am 08.04.2018 durchgeführte Durchsuchung rechtmäßig. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 15.01.2018 war mithin aufzuheben und der entscheidungsreife Feststellungsantrag vom 05.06.2017 als unbegründet zurückzuweisen.
IV.
Die Kosten – und Auslagenentscheidung beruht auf Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 121 Abs. 1 und 4 StVollzG und § 467 Abs. 1 StPO.
Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf §§ 65, 60, 52 Abs. 1 GKG.

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