Strafrecht

Voraussetzungen für die gerichtliche Genehmigung einer Zwangsbehandlung

Aktenzeichen  1 Ws 145/19

Datum:
4.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 10693
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 2 Abs. 2, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3
BayMRVG Art. 6 Abs. 3, Abs. 4, Abs. 5, Abs. 6
StGB § 63

 

Leitsatz

1. Die gerichtliche Genehmigung einer Zwangsbehandlung kann nur dann erteilt werden, wenn die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Eingriffsgrundlage und hinsichtlich des Verfahrens vor und bei einer Zwangsbehandlung erfüllt sind. (Rn. 25 – 30, 40 und 43)
2. Regelmäßig wird sich das Gericht vor seiner Entscheidung einen eigenen und zeitnahen Eindruck vom Zustand der untergebrachten Person, die gegen ihren Willen behandelt werden soll, verschaffen müssen durch deren persönliche Anhörung. (Rn. 21 und 46 – 47)
3. Das Gericht und nicht der von diesem ggfs. beauftragte Sachverständige ist der externe Dritte, der die Zulässigkeit der Zwangsbehandlung überprüft und danach ggfs. genehmigt. (Rn. 36 und 62 – 67)

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Traunstein vom 14.02.2019 aufgehoben.
2. Die Akten werden der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Traunstein zur erneuten Behandlung und Entscheidung über den Antrag vom 28.01.2019 zurückgegeben.

Gründe

I.
Gegen den Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Traunstein vom 12.03.2018, rechtskräftig seit 20.03.2018, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet gem. § 63 StGB.
Dem lag folgendes Tatgeschehen zugrunde:
Am 09.07.2017 gegen 2.45 Uhr verließ der Verurteilte seine Wohnung in einem Mehrparteienhaus in R. unter Mitführung einer langstieligen Axt und verschaffte sich anschließend gewaltsam mit der Axt Zutritt zu der Wohnung der Geschädigten S. in diesem Anwesen. Er hatte aufgrund seiner wahnhaften Störung Gasgeruch wahrgenommen und verlangte, dass die Geschädigte S. das Gas abstellen sollte, hierbei packte er diese mit der Axt in der einen Hand fest am Oberarm, wodurch diese Hämatome erlitt und in Panik geriet und sich mit ihren 4 Kindern im Badezimmer einschloss. Daraufhin begab sich der Beschwerdeführer in die Wohnung der Geschädigten H., wobei er die Wohnungstür mit der Axt gewaltsam öffnete, wobei ein Schlag verfehlte den Kopf der Geschädigten H. nur knapp. Einen weiteren Schlag konnte die Geschädigte H. abwehren, indem sie die mit der Hand den Stiel der Axt abfing, wodurch sie Schmerzen erlitt. Die Geschädigte H. und ihre Mutter flüchteten ins Wohnzimmer, worauf der Beschwerdeführer auch die Wohnzimmertür mit der Axt einschlug. Der Geschädigten H. und ihrer Mutter gelang schließlich die Flucht über die Terrassentür. Daraufhin begab sich der Beschwerdeführer wieder in die Wohnung der Familie S., schlug zunächst mit der Axt erneut auf die Wohnungstür und deren Rahmen ein und rüttelte dann an der Badezimmertür, wobei er erneut forderte, dass das Gas abgestellt werden solle. Danach ging er in seine Wohnung zurück, wo er von der Polizei festgenommen wurde. Die Geschädigten erlitten bei diesen Vorfällen erhebliche psychische Beeinträchtigungen.
Den möglichen Eintritt von Verletzungen nahm der Beschwerdeführer zumindest billigend in Kauf. Hierbei war er aufgrund einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, nämlich Schizophrenie mit paranoidhalluzinatorischer Verlaufsform (ICD-10: F20.0), nicht in der Lage, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
Im vorgenannten Urteil ordnete das Gericht die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB an, da von ihm die Gefahr weiterer einschlägiger Straftaten ausgeht.
Aufgrund des Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts Rosenheim vom 11.07.2017, eröffnet am 13.07.2017, befand sich der Beschwerdeführer für dieses Verfahren zunächst ab 13.07.2017 in einstweiliger Unterbringung im Klinikum in W., dort wird seit der Rechtskraft des Urteils, mithin seit 20.03.2018 und damit seit fast 1 Jahr, die Maßregel vollzogen.
Bereits mit Schreiben vom 18.09.2018 hatte die Maßregeleinrichtung mitgeteilt, dass beim Verurteilten das Wahnsystem fortbesteht und sich erneut eine akute psychotische Symptomatik entwickelt habe, die einen derartigen Schweregrad aufweise, dass es dem Verurteilten derzeit unmöglich sei, seinen Willen frei zu bestimmen. Eine neuroleptische Medikation sei dringend angezeigt, damit sei eine deutliche Krankheitsremission sowie auch eine Besserung der Medikamentencompliance und Krankheitseinsicht zu erreichen. Die gegenwärtig festgestellte Reizbarkeit und eine potentielle Gewalttätigkeit des Verurteilten könne so deutlich reduziert und eine höhere Therapiebereitschaft erreicht werden. Die neuroleptische Medikation diene auch dazu, das Vollzugsziel zu erreichen.
Die Maßregeleinrichtung hielt in diesem Schreiben das Medikament Risperidon in Depotform mit einer Dosierung von 37,5-50 mg intramuskulär alle 14 Tage für geeignet. Alternativ käme Olanzapin (in Depotform als Zypadhera) oder Aripiprazol (in Depotform als Abilify maintena) in Betracht.
Das Schreiben vom 18.09.2018 wurde in der Folge durch die Maßregeleinrichtung mit Schreiben vom 26.09.2018 und vom 14.11.2018 ergänzt.
Im Schreiben vom 26.09.2018 führte die Maßregeleinrichtung erneut aus, dass sie Risperidon in Depotform mit einer Dosierung von 37,5-50 mg intramuskulär alle 14 Tage für geeignet halte. Alternativ käme Olanzapin (in Depotform als Zypadhera) oder Aripiprazol (in Depotform als Abilify maintena).
Am 11.10.2018 wurde der Verurteilte durch die Strafvollstreckungskammer angehört.
Im Schreiben vom 14.11.2018 führte die Maßregeleinrichtung aus, dass sie nunmehr Olanzapin (in Depotform als Zypadhera) für geeignet halte.
Mit Beschluss vom 22.10.2018 beauftragte die Strafvollstreckungskammer die psychiatrische Sachverständige Dr. L. vom kbo München-Ost mit der Erstellung eines externen Gutachtens zu den medizinischen Voraussetzungen der Zwangsmedikation, welches die Sachverständige am 12.12.2018 erstattete.
Am 25.01.2019 hörte die Strafvollstreckungskammer den Verurteilten erneut an. Hierbei beantragte die Vertreterin der Maßregeleinrichtung nunmehr mündlich folgendes:
„Ich beantrage Olanzapin max. 20 mg oral oder intramuskulär pro Tag die ersten 10 Tage, im Anschluss Depotspritze max. 300 mg alle 2 Wochen bzw. 405 mg alle 4 Wochen“. Dabei führte sie aus, dass die „Gesamtdauer der Medikation mindestens 12 Wochen beinhalten“ müsse.
Mit Schreiben vom 28.01.2019 beantragte das Klinikum in W. schließlich die Genehmigung der Zwangsbehandlung des Verurteilten für die Dauer von mindestens 12 Wochen mit dem Medikament Olanzapin in folgender Dosierung und Verabreichungsart:
in den ersten 3 Tagen 10 mg/Tag und in den nächsten 7 Tagen maximal 20 mg/Tag
für die nächsten 12 Wochen, jeweils intramuskulär appliziert.
In den folgenden 2 Monaten als Depotspritzen maximal 300 mg/alle 2 Wochen
und danach max. 405 mg/alle 4 Wochen.
Weiter wurde beantragt anzuordnen, dass für die notwendigen Untersuchungen zwangsweise Blut aus der Vene entnommen werden und die Erstellung eines EKG erfolgen darf, und zwar vor Beginn der Behandlung sowie 1 Woche nach Behandlungsbeginn und danach maximal monatlich.
Ferner wurde beantragt, die ggfs. notwendige mechanische Beschränkung des Beschwerdeführers in Form einer kurzzeitigen 5-Punkt-Fixierung zur Applikation der Medikation bzw. zur Ermöglichung der notwendigen Untersuchungen zu genehmigen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 28.01.2019 Bezug genommen.
In diesem Antrag wurde nicht mitgeteilt, dass der Verurteilte entsprechend § 6 Abs. 4 Nr. 1 BayMRVG ärztlich über Art, Dauer, Erfolgsaussichten und Risiken der nunmehr seit 28.01.2019 beabsichtigten Maßnahmen (insbesondere über die zuletzt für erforderlich gehaltene Dosierung des Medikaments Olanzapin und dessen Verabreichungsform) aufgeklärt wurde.
Auch wurde im Antrag vom 28.01.2019 nicht mitgeteilt, dass entsprechend § 6 Abs. 4 Nr. 2 BayMRVG vor der Antragstellung vom 28.01.2019 frühzeitig, ernsthaft und ohne Druck auszuüben versucht wurde, die Zustimmung des Beschwerdeführers zur Einnahme des im Antrag vom 28.01.2019 aufgeführten Medikaments in der dort aufgeführten Dosierung und Verabreichungsform zu erhalten.
Mit Beschluss vom 29.01.2019 ordnete die Strafvollstreckungskammer eine ergänzende Stellungnahme der psychiatrischen Sachverständigen zu dem Antrag vom 28.01.2019 an. Diese ergänzende Stellungnahme erfolgte mit Schreiben vom 07.02.2019.
Dem Verteidiger des Verurteilten wurde Gelegenheit gewährt, schriftlich zum Antrag vom 28.01.2019 und zur ergänzenden Stellungnahme vom 07.02.2019 Stellung zu nehmen.
Zum Antrag vom 28.01.2019 hat der Verteidiger des Verurteilten mit Schriftsatz vom 31.01.2019 Stellung genommen Eine mündliche Anhörung des Verfolgten zum aktuellen Antrag vom 28.01.2019 unter Berücksichtigung der ergänzenden Stellungnahme vom 07.02.2019 erfolgte nicht.
Durch die angefochtene Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Traunstein „die ärztliche Zwangsmaßnahme Verabreichung des Medikaments Olanzapin wird wie folgt bis zum 08.05.2018 genehmigt:
In den ersten 3 Tagen jeweils maximal 10 mg (Einmaldosis), in den nächsten Tagen jeweils maximal 20 mg (Einmaldosis) intramuskulär.“
Weiter wurde in der Entscheidung die Anordnung und Überwachung durch einen Arzt oder eine Ärztin, die Dokumentation und die Überprüfung der weiteren Eignung, Notwendigkeit und Angemessenheit angeordnet. Daneben wurden Untersuchungen vor Beginn und 1 Woche nach Beginn der Behandlung und danach in regelmäßigen Abständen angeordnet sowie Zwangsmaßnahmen für die Medikamentenverabreichung und die Untersuchungen, soweit erforderlich, genehmigt, dabei auch eine Fixierung des Verurteilten, die 15 Minuten nicht überschreiten soll. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf diese Entscheidung Bezug genommen.
Gegen diesen seinem Verteidiger am 14.02.2019 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer mit Verteidigerschriftsatz vom 15.02.2019, bei Gericht eingegangen am selben Tage, sofortige Beschwerde „und zugleich Rechtsbeschwerde“ eingelegt und sein Rechtsmittel zugleich begründet.
II.
Das Rechtsmittel ist als gem. § 6 Abs. 6 Nr. 4 BayMRVG statthafte sofortige Beschwerde zu behandeln, diese ging innerhalb der Frist des § 311 Abs. 2 StPO ein und wurde auch im Übrigen zulässig eingelegt.
In der Sache hat die sofortige Beschwerde einen zumindest vorläufigen Erfolg.
Die angefochtene Entscheidung war aufzuheben und die Akten der Strafvollstreckungskammer zur erneuten Behandlung und Entscheidung zurückzugeben, da ein Verfahrensfehler vorliegt.
Auch in den Verfahren, die dem sog. Freibeweis unterliegen, gilt das verfassungsrechtliche Gebot der bestmöglichen richterlichen Sachaufklärung (BVerfG 22.11.2011 – 2 BvR 1334/10). Das Gebot der „bestmöglichen Sachaufklärung“ gilt somit auch für den Straf- und Maßregelvollzug (BVerfG 04.03.2014 – 2 BvR 1020/13)
Die Strafvollstreckungskammer hätte den Beschwerdeführer nach Eingang der ergänzenden Stellungnahme der psychiatrischen Sachverständigen Dr. L. vom 07.02.2019 mündlich anhören müssen. Nur so hätte sie sich vor ihrer Entscheidung vom 14.02.2019 einen eigenen und zeitnahen Eindruck vom Zustand des Beschwerdeführers, insbesondere von dessen Einsichtsunfähigkeit bzw. dessen freiem Willen sowie von dessen Gesprächsfähigkeit bzw. Gesprächsunfähigkeit verschaffen können.
Das Unterbleiben dieser Anhörung stellt einen erheblichen Verfahrensfehler dar.
Auch das in § 6 Abs. 4 Nr. 1 und Nr. 2 BayMRVG vorgesehene Verfahren vor dem Antrag vom 28.01.2019 wurde nicht eingehalten.
Im Einzelnen:
Die Zwangsbehandlung ist eine medizinische Behandlung, die gegen den natürlichen Willen des Betroffenen erfolgt. Voraussetzung ist die krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit bzw. die Unfähigkeit zu einsichtsgemäßem Verhalten (BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2017 – 2 BvR 2003/14).
Gegen den erklärten freien Willen der untergebrachten Person darf nicht zwangsbehandelt werden, das Bundesverfassungsgericht spricht insoweit von der „Freiheit zur Krankheit“ (BVerfG, Beschluss vom 23. März 1998 – 2 BvR 2270/96; BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 1981 – 2 BvR 1194/80).
Eine Zwangsbehandlung stellt einen ganz erheblichen Eingriff in das Grundrecht der untergebrachten Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dar, das die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht schützt (BVerfG, 23. März 2011 – 2 BvR 882/09).
Wie jeder andere Grundrechtseingriff auch ist die Zwangsbehandlung nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig, das die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs bestimmt.
Auch wenn sie zum Zweck der Heilung bzw. zur Zustandsverbesserung der untergebrachten Person vorgenommen wird, entfällt der Eingriffscharakter einer Zwangsbehandlung nicht, denn eine schädigende Zielrichtung ist nicht Voraussetzung für das Vorliegen eines Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 – 2 BvR 882/09).
Die Eingriffsqualität entfällt auch dann nicht, wenn der Betroffene der von ihm abgelehnten Behandlung keinen physischen Widerstand kann oder will. Eine Zwangsbehandlung liegt unabhängig davon vor, ob eine gewaltsame Durchsetzung der Maßnahme erforderlich wird oder der Betroffene sich, etwa weil er die Aussichtslosigkeit eines körperlichen Widerstandes erkennt, ungeachtet fortbestehender Ablehnung in die Maßnahme fügt und damit die Anwendung körperlicher Gewalt entbehrlich macht (BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2017 – 2 BvR 2003/14).
Trotz der besonderen Schwere des Grundrechtseingriffs kann eine Zwangsbehandlung im Einzelfall gerechtfertigt sein (BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2013 – 2 BvR 228/12).
Voraussetzung dafür ist, dass die gesetzliche Regelung, die zu diesem Eingriff ermächtigt, verfassungskonform ist und dass – zusätzlich – das Verfahren, das in dieser gesetzlichen Grundlage vorgesehen ist, auch eingehalten wird.
Stellt sich bereits die gesetzliche Eingriffsgrundlage als nicht verfassungskonform dar, so verletzt jede darauf gestützte gerichtliche Genehmigung wie auch die Zwangsbehandlung selbst die untergebrachte Person schon deswegen in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 20111 – 2 BvR 633/11).
Aus den grundrechtlichen Garantien und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat das Bundesverfassungsgericht in einer Vielzahl von Entscheidungen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 – 2 BvR 882/09 und BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2017 – 2 BvR 2003/14) konkrete Anforderungen an die Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung abgeleitet:
Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Zwangsbehandlung müssen in der Eingriffsgrundlage hinreichend klar und bestimmt geregelt werden. Dies gilt auch für die Anforderungen an das Verfahren. Die krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit des Betroffenen bzw. dessen Unfähigkeit zu einsichtsgemäßem Verhalten muss vorausgesetzt werden. Spezielle verfahrensmäßige Sicherungen sind in der Eingriffsgrundlage anzuordnen. Dies soll der Vermeidung von besonderen situationsbedingten Grundrechtsgefährdungen dienen, die sich aus dem Umstand ergeben, dass die Einrichtung, die zwangsbehandeln möchte, auch über deren Anordnung entscheidet. Um dem Freiheitsgrundrecht der untergebrachten Person und dem Rechtsstaatsprinzip in einer solchen Konstellation angemessen Rechnung zu tragen, sind spezielle verfahrensmäßige Sicherungen in der Eingriffsgrundlage vorzusehen und in der Praxis einzuhalten.
Die gesetzliche Regelung muss deswegen vorsehen, dass der Zwangsbehandlung eine Prüfung durch eine von der Unterbringungseinrichtung unabhängige Stelle vorausgehen muss. Dies folgt aus der freiheitssichernden Funktion des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip).
Es handelt sich um eine spezielle „Grundrechtssicherung durch Verfahren“. Es muss daher in der Eingriffsgrundlage geregelt sein, dass ein von der Unterbringungseinrichtung unabhängiger Dritter vor der Zwangsbehandlung eingeschaltet wird. Die Eingriffsgrundlage muss zugleich bestimmen, wer dieser von der Maßregeleinrichtung unabhängige Dritte ist. Dieser unabhängige Dritte muss nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zwingend ein Richter sein. Der unabhängige Dritte kann eine Ombudsperson, ein Betreuer oder eine Behörde sein – aber eben auch ein Gericht. Bayern hat sich im BayMRVG für einen Richtervorbehalt entschieden, was wegen der Schwere des Grundrechtseingriffs sachgerecht erscheint.
Die gesetzliche Eingriffsgrundlage muss die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG gewährleisten, denn nicht nur die Zwangsbehandlung selbst, sondern auch die Entscheidung des unabhängigen Dritten, der der Zwangsbehandlung zustimmt bzw. diese für zulässig erklärt („Vorab-Genehmigung“), greift in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG ein.
Die gesetzliche Regelung muss die einen Eingriff rechtfertigenden Zwecke abschließend bestimmen und auch den nachfolgend aufgeführten Anforderungen „an das Verfahren“ (was nicht gleichzusetzen ist mit: „gerichtlichem Verfahren“) vor und bei einer Zwangsbehandlung genügen.
Folgende Anforderungen stellt das Bundesverfassungsgericht an das Verfahren vor und bei einer Zwangsbehandlung sowie an die Eingriffsgrundlage:
1. Eine Zwangsbehandlung darf nur bei einer krankheitsbedingten Einsichtsunfähigkeit des Betroffenen bzw. dessen Unfähigkeit zu einsichtsgemäßem Verhalten erfolgen.
2. Sie darf nur durchgeführt werden, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt, Erfolg verspricht.
3. Eine weniger eingreifende Behandlung muss aussichtslos sein.
4. Sie darf für den Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden sein, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen.
5. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Wahrscheinlichkeiten muss der zu erwartende Nutzen der Behandlung den möglichen Schaden der Nichtbehandlung überwiegen.
6. Der Zwangsbehandlung muss, soweit der Betroffene gesprächsfähig ist, der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch vorausgehen, seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu der beabsichtigten Behandlung zu erlangen.
7. Sie ist – jedenfalls bei planmäßigen Zwangsbehandlungen – anzukündigen. Dies folgt aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. mit Art. 19 Abs. 4 GG (Rechtsstaatsprinzip). Hierdurch soll sichergestellt werden, dass der Betroffene rechtzeitig um Rechtsschutz ersuchen kann (BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 – 2 BvR 882/09).
8. Die Zwangsbehandlung muss durch einen Arzt angeordnet und überwacht werden.
9. Vor dem Beginn der Zwangsbehandlung muss (abgesehen von akuten Notfällen) die Prüfung der beabsichtigten Maßnahme durch einen Dritten in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung erfolgen (sog. Vorabprüfung bzw. Vorab-Genehmigung, BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 – 2 BvR 882/09).
10. Die nach der Vorabprüfung erteilte Zustimmungsentscheidung („Genehmigung“) muss (außerhalb akuter Notfälle) noch vor dem Beginn der Zwangsbehandlung angefochten werden können, denn nur so ist ein effektiver Rechtsschutz im Sinne der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG für den Untergebrachten gewährleistet.
11. Erst wenn auch die Beschwerdeinstanz die beabsichtigte Zwangsbehandlung für zulässig hält, darf mit der Behandlung begonnen werden.
12. Die Durchführung der Behandlungsmaßnahme (einschließlich ihres Zwangscharakters, der Durchsetzungsweise, der maßgeblichen Gründe und der Wirkungsüberwachung) muss dokumentiert werden. Dies folgt ebenfalls aus der grundrechtlichen Garantie auf gerichtlichen Rechtsschutz.
Dieses mehrstufige Vorgehen, an das sich Maßregeleinrichtung und Gericht halten müssen, mag umständlich und zeitaufwendig sein, ggfs. leidet auch die untergebrachte Person während des einer Zwangsbehandlung zwingend vorausgehenden Verfahrens länger, als der Arzt dies wünschen würde.
Diese Vorgehensweise ist jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich, um dem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 GG und dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 19 Abs. 4 GG auch in einer für die untergebrachte Person relativ hilflosen Situation gerecht zu werden.
Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass Personen, die wegen einer psychischen Störung in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht sind und dort einer Zwangsbehandlung unterzogen werden sollen, in besonders hohem Maße darauf angewiesen sind, dass sich nicht nur die Maßregeleinrichtung, sondern auch die Gerichte, die über die Zulässigkeit der Zwangsbehandlung vorab entscheiden, an die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Verfahrensweise halten (BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 – 2 BvR 882/09).
Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts hält der Senat § 6 Abs. 3 bis 6 BayMRVG für eine verfassungskonforme Grundlage für eine Zwangsbehandlung und deren gerichtliche Genehmigung.
Gleichwohl erweist sich die angefochtene Entscheidung als rechtsfehlerhaft.
Voraussetzung für die Genehmigung einer beantragten Zwangsbehandlung ist die (fortbestehende) krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit bzw. die Unfähigkeit zu einsichtsgemäßem Verhalten des Betroffenen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2017 – 2 BvR 2003/14). Hinsichtlich der Frage der fortbestehenden Einsichtsunfähigkeit hätte sich die 10. Strafvollstreckungskammer daher vor ihrer Entscheidung zeitnah einen eigenen Eindruck verschaffen müssen durch mündliche Anhörung des Verurteilten unter Zugrundlegung des Antrags vom 28.01.2019 und der ergänzenden Stellungnahme der psychiatrischen Sachverständigen vom 07.02.2019, zumal Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis durchaus in Schüben verlaufen können.
Dass diese Anhörung nicht erfolgt ist, stellt einen gravierenden Verfahrensfehler dar, der zur Aufhebung der gesamten angefochtenen Entscheidung führt.
Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch aus weiteren Gründen als rechtsfehlerhaft.
Zu der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Verfahrensweise gehört auch, dass der Zwangsbehandlung – und damit auch deren gerichtlicher Genehmigung – der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch vorausgehen muss, die auf Vertrauen gegründete Zustimmung der untergebrachten Person zu der beabsichtigten Behandlung zu erlangen, soweit der Betroffene gesprächsfähig ist.
Dieses verfassungsrechtliche Erfordernis wurde durch den bayerischen Gesetzgeber durch die Schaffung von § 6 Abs. 4 Nr. 2 BayMRVG umgesetzt.
Vorliegend ergibt sich aus den Akten aber nicht, dass der Verurteilte vor der Genehmigung der Zwangsbehandlung entsprechend § 6 Abs. 4 Nr. 1 BayMRVG ärztlich über Art, Dauer, Erfolgsaussichten und Risiken der nunmehr aktuell beabsichtigten Behandlungsmaßnahmen (insbesondere über die zuletzt am 28.01.2019 für erforderlich gehaltene Dosierung des Medikaments Olanzapin und dessen Dosierung und Verabreichungsform) aufgeklärt wurde und dass dann entsprechend § 6 Abs. 4 Nr. 2 BayMRVG vor der Antragstellung vom 28.01.2019 frühzeitig, ernsthaft und ohne Druck auszuüben versucht worden wäre, die Zustimmung des Beschwerdeführers zur Verabreichung des im Antrag vom 28.01.2019 aufgeführten Medikaments in der dort aufgeführten Dosierung und Verabreichungsform zu erhalten.
Dies wäre nur dann nicht erforderlich gewesen, wenn der Verurteilte nicht gesprächsfähig gewesen wäre. Dies steht aber, insbesondere aufgrund der fehlenden Anhörung, gerade nicht fest.
Nach Aktenlage erfolgte weder eine Aufklärung des Beschwerdeführers über Art, Dauer, Erfolgsaussichten und Risiken der nunmehr, also seit 28.01.2019, beabsichtigten Medikation (einschließlich Dosierung und Verabreichungsform), noch wurde versucht, nach der erforderlichen Aufklärung über Art, Dauer, Erfolgsaussichten und Risiken der nunmehr, also seit 28.01.2019 beabsichtigten Medikation (einschließlich Dosierung und Verabreichungsform) entsprechend § 6 Abs. 4 Nr. 2 BayMRVG die Zustimmung des Beschwerdeführers zur Einnahme des im Antrag vom 28.01.2019 aufgeführten Medikaments in der dort aufgeführten Dosierung und Verabreichungsform zu erhalten.
Da die Wirkweisen und Nebenwirkungen von Medikamenten je nach Dosierung und Verabreichungsform unterschiedlich sind, reicht es zur Einhaltung von § 6 Abs. 4 Nr. 2 BayMRVG nicht aus, dass seit Sommer 2018 immer wieder versucht wurde, die Zustimmung des Beschwerdeführers zu teilweise anderen Medikamenten in jedenfalls anderer Dosierung und unterschiedlicher Verabreichungsform zu erlangen.
Denn es muss nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 6 Abs. 4 Nr. 2 BayMRVG versucht werden, die Zustimmung des Untergebrachten zu genau der Behandlung zu erlangen, die bei Nichterteilung der Zustimmung nach gerichtlicher Genehmigung notfalls zwangsweise durchführen werden soll (vgl. BVerfG vom 23.03.2011 – Az.: 2 BvR 882/09).
Hieran fehlt es vorliegend. Soweit in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt wird, dass der Beschwerdeführer bereits am 02.08.2018 gegenüber den Ärzten der Maßregeleinrichtung eine medikamentöse Behandlung abgelehnt habe und weitere ärztliche Gespräche mit ihm am 13.09.2018, 25.09.2018, 30.09.2018, 04.10.2018 und 18.10.2018 sowie tägliche Gespräche ab dem 09.11.2018 nicht zur Erklärung der Zustimmung geführt hätten, rechtfertigt auch dies keine abweichende Entscheidung.
Denn die Zustimmung im Rahmen des § 6 Abs. 4 Nr. 2 BayMRVG muss zu einer konkreten beabsichtigten Behandlung erteilt werden und damit im Falle der Zwangsmedikation auch zu einer konkreten Medikation in bestimmter Dosierung und in bestimmter Verabreichungsform. Dies schon deswegen, weil die Wirkweisen und Nebenwirkungen ganz entscheidend von der Dosierung und teilweise auch von der Verabreichungsform eines Medikaments abhängen.
Da vorliegend nicht der ernsthafte Versuch unternommen wurde, bei dem Beschwerdeführer eine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu derjenigen Behandlungsmaßnahme zu erreichen (vgl. BVerfG vom 23.03.2011 – Az.: 2 BvR 882/09), deren gerichtliche Genehmigung am 28.01.2019 beantragt wurde, hätte die Genehmigung der Zwangsbehandlung durch die Strafvollstreckungskammer schon deswegen nicht erfolgen dürfen. Gleiches gilt für die sonstigen im angefochtenen Beschluss genehmigten Untersuchungen und für die Genehmigung des unmittelbaren Zwangs einschließlich der Fixierung.
Die vorangehenden früheren Versuche der Maßregeleinrichtung, die Zustimmung des Verurteilten zu erhalten, können sich nur auf die damals von der Maßregeleinrichtung jeweils für erforderlich gehaltene Medikation, Dosierung und Verabreichungsform bezogen haben und erfolgten alle vor dem Antrag vom 28.01.2019, in dem die Dosierung und Verabreichungsform von der Maßregeleinrichtung erneut modifiziert worden war.
Die früheren Versuche, die Zustimmung des Verurteilten zu erhalten, reichen daher nicht aus.
Da somit das von der Eingriffsgrundlage entsprechend der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung vorgesehene Verfahren vor der Genehmigung der Zwangsbehandlung nicht eingehalten wurde, konnte die angefochtene Entscheidung auch aus diesem Grund keinen Bestand haben.
Soweit der Verteidiger des Verurteilten der Auffassung ist, dass die Strafvollstreckungskammer kein externes Sachverständigengutachten eingeholt habe, weil die Sachverständige Dr. L. vom kbo München-Ost „nicht wirklich extern“ sei, sind folgende Ausführungen veranlasst:
Es muss in der Eingriffsgrundlage geregelt sein, dass ein von der Unterbringungseinrichtung unabhängiger („externer“) Dritter vor der Zwangsbehandlung eingeschaltet wird. Die Eingriffsgrundlage muss zugleich bestimmen, wer dieser von der Maßregeleinrichtung unabhängige Dritte ist.
Bayern hat sich im BayMRVG für einen Richtervorbehalt entschieden, was wegen der Schwere des Grundrechtseingriffs auch sachgerecht erscheint.
Die Strafvollstreckungskammer und nicht der von der Strafvollstreckungskammer beauftragte Sachverständige ist insoweit der externe Dritte, der die Zulässigkeit der von der Maßregeleinrichtung für erforderlich gehaltenen Zwangsbehandlung überprüft und danach ggfs. genehmigt.
Ob sich die Strafvollstreckungskammer im Genehmigungsverfahren nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BayMRVG eines Sachverständigen bedient, obliegt ihrer Entscheidung. Das Gesetz enthält insoweit – anders als beispielsweise § 463 Abs. 4 Satz 3 StPO für das Jahresprüfungsverfahren nach § 67e Abs. 2 StGB – keine Vorgaben zur Auswahl des Sachverständigen.
Es liegt auf der Hand, dass die Auswahl eines Sachverständigen, der in der die Genehmigung der Zwangsbehandlung beantragenden Maßregeleinrichtung arbeitet, rechtsfehlerhaft wäre; die Auswahl einer Sachverständigen, die in einer anderen Maßregeleinrichtung arbeitet, die lediglich in einem Verwaltungsverbund mit der beantragenden Maßregeleinrichtung steht, hält der Senat für unbedenklich, sofern sich aus dem Gutachten selbst nichts ergibt, was geeignet wäre, Zweifel an der Unabhängigkeit der Sachverständigen zu begründen.
Die Auswahl von Frau Dr. L. vom kbo München-Ost ist entgegen der Ansicht der Verteidigung nach Ansicht des Senats daher nicht zu beanstanden.
Sie ist nicht in der Maßregeleinrichtung tätig, die die Genehmigung der Zwangsbehandlung beantragt hat. Sie entscheidet auch – wie bereits ausgeführt – nicht darüber, ob die Zwangsbehandlung zulässig ist, denn darüber entscheidet das Gericht; ihre Aufgabe beschränkt sich vielmehr auf die Beantwortung der von der Strafvollstreckungskammer gestellten Fragen.
Soweit die Verteidigung die Sachverständige Dr. L. in der Beschwerdebegründung gleichwohl wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat, hat hierüber nicht der Senat, sondern die Strafvollstreckungskammer im Rahmen der erneuten Durchführung des Genehmigungsverfahrens zu entscheiden.
Einer Kostenentscheidung bedurfte es nicht, da das Rechtsmittel nur einen vorläufigen Erfolg hat. Über die Kosten des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens wird daher die Strafvollstreckungskammer bei erneuter Entscheidung zu befinden haben.

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