Aktenzeichen 3 KLs 45 Js 11552/08 (3)
Leitsatz
1. Geht ein Angeklagter davon aus, der Versand im Inland zugelassener Medikamente ins Ausland sei allgemein rechtmäßig, versichert sich aber nicht in der gebotenen Weise und Form darüber, ob auch der Auslandsversand von insbesondere diazepamhaltigen Medikamenten, die im Falle der Ausfuhr dem BtMG unterfallen, rechtens ist, sondern schiebt Zweifel beiseite und beruhigt sich mit allgemeinen Auskünften zur Rechtmäßigkeit des Versands, nimmt er die Verletzung einer möglichen Verbotsnorm billigend in Kauf. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mittäterschaft liegt nicht nur bei den Apothekern, die unmittelbar durch Bestellung und Versendung die tatbestandliche Ausfuhr bewerkstelligt haben, sondern bei allen Beteiligten vor, die in ihrem jeweiligen Organisationsbereich Tatherrschaft hatten. Das gilt auch für den Beteiligten, der selbst als Apotheker keine Versandhandlungen in seiner Apotheke ausführen ließ, sich aber vertraglich zur Ausführung von Versendungen verpflichtete. (Rn. 90 – 91) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Irrtum über eine ungeklärte Rechtslage bzw. der Irrtum, ein Medikamentenversand ins Ausland verstoße nicht gegen Rechtsvorschriften, ist vermeidbar, wenn der Täter kein schriftliches und verbindliches Rechtsgutachten einer verlässlichen fachkundigen Auskunftsperson oder einer zuständigen Fachstelle einholt. Formlose Nachfragen bei Rechtsanwälten oder telefonische Nachfragen bei der Landesärztekammer genügen nicht. (Rn. 75 und 98 – 99) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Zusammenschluss von Angeklagten zu einer Bande kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Personengruppen in mehreren Teilabsprachen erfolgen. Dabei muss den jeweiligen Beteiligten klar sein, dass zum Erreichen des gemeinsamen Zieles nicht nur die jeweiligen Vertragspersonen notwendig waren, sondern darüber hinaus auch weitere Personen und bei den Teilabsprachen die für eine Bandenabsprache notwendige Mindestanzahl von 3 Personen erfüllt sein. Für diesen Zusammenschluss ist die gemeinsame Anwesenheit aller Beteiligter an einem Ort nicht erforderlich. (Rn. 101 – 102) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Einbindung in die Bande durch eine Bandenabsprache setzt keinen Einfluss des einzelnen Bandenmitgliedes auf die organisatorischen Abläufe und die Ausgestaltung des Tatgeschehens im Detail voraus. Es genügt der ernsthaft bekundete Wille, innerhalb des Gesamtplanes seinen Beitrag bei künftigen Taten zu leisten. Das kann auch nur durch eine Beihilfehandlung geschehen. Gehen Angeklagte irrig davon aus, rechtmäßig zu handeln, berührt dies die Wirksamkeit der Bandenabsprache nicht. (Rn. 103 – 104) (redaktioneller Leitsatz)
6. Bei Ahndung einer durch Medikamentenversand begangenen Betäubungsmittelausfuhr ist strafmildernd zu berücksichtigen, wenn die Rechtslage zu verfahrensgegenständlichen Rechtsproblemen zur Tatzeit ungeklärt ist, die Strafbarkeit aus dem Gesetzestext nicht ins Auge springt (hier: Relativierung der Herausnahme der Zubereitungen in Anlage III zu § 1 BtMG), keine Betäubungsmittel im herkömmlichen Verständnis, sondern zugelassene Arzneimittel, deren Ausfuhr vom Gesetzgeber dem BtMG unterstellt wird, versandt werden, die Täter offen am Geschäftsverkehr teilnehmen und nach dem Entschluss zur gemeinsamen Zusammenarbeit die Versandfälle routinehaft und gewissermaßen automatisiert ausführen. (Rn. 115) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Angeklagte S. ist schuldig der bandenmäßigen unerlaubten Ausfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 19 Fällen in Tatmehrheit mit gewerbsmäßiger unerlaubter Ausfuhr von Betäubungsmitteln in 7.129 Fällen.
2. Die Angeklagte G. ist schuldig der bandenmäßigen unerlaubten Ausfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 5 Fällen in Tatmehrheit mit gewerbsmäßiger unerlaubter Ausfuhr von Betäubungsmitteln in 2.917 Fällen.
3. Es werden daher verurteilt
a) der Angeklagte S. zur Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
b) die Angeklagte G. zur Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
4. Wegen überlanger Verfahrensdauer gelten bei beiden Angeklagten 3 Monate Freiheitsstrafe als vollstreckt.
5. Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der ausscheidbaren Kosten für den Einsatz eines Trojaners, sowie ihre notwendigen Auslagen.
6. Von einer Einziehung wird gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO abgesehen.
Angewandte Vorschriften:
§§ 29 Abs. 1, Nr. 1, 30 a Abs. 1 und 3, § 1 Abs. 1 mit Liste III, §§ 3 und 11 BtMG, §§ 25, II, 53, § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO
Gründe
I.
Vorbemerkung:
Verständigung:
Das Urteil beruht auf einer Verständigung, in die auch die bereits rechtskräftig abgeurteilten Mitangeklagten H., F., K., A., Bo, Be und F. eingebunden waren und der alle Angeklagten zugestimmt haben. Am letzten gemeinsamen Verhandlungstag haben die beiden Angeklagten G. und S. Beweisanträge gestellt, mit denen sie die subjektiven Voraussetzungen der Ausfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge entkräften wollten. Sie haben geltend gemacht, sie hätten durch Listen mit konkreten Grenzwertangaben Vorkehrungen getroffen, dass im Einzelfall von den Mitarbeitern nicht mehr als die Menge der höchst zulässigen Tagesdosis für 6 Wochen versandt wird, die unter den vom BGH festgesetzten Grenzwerten der nicht geringen Mengen liegt. Ihre Mitarbeiter hätten diese nicht eingehalten. Das Verfahren gegen diese beiden Angeklagten wurde deshalb zur Fortführung der Beweisaufnahme abgetrennt und um einen weiteren Verhandlungstag verlängert. Die ergänzende Beweisaufnahme hat für die Angeklagten jedoch nicht das erhoffte Ergebnis erbracht. Zuletzt haben sie ihre Einlassung dahingehend abgeschwächt, sie hätten zwar allgemein Vorkehrungen getroffen, dass die 6-Wochendosis nicht überschritten wird. Konkrete Angaben zu Einzelheiten der Anweisung nach Form und Inhalt und zum detaillierten Ablauf von Kontrollen hierzu nannten sie nicht mehr.
Kurzübersicht:
Die Angeklagten (damit sind auch die bereits rechtskräftig abgeurteilten Mitangeklagten H., F., K., A., Bo, Be und F. gemeint) betrieben in der Zeit von Februar 2007 bis September 2008 gemeinschaftlich im arbeitsteiligen Zusammenwirken mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen, teilweise in unterschiedlicher zeitlicher und mengenmäßiger Beteiligung über eine Internetplattform den grenzüberschreitenden Versand von verschreibungspflichtigen Medikamenten, auf die als ausgenommene Zubereitungen gemäß Liste III zu § 1 Abs. 1 BtMG im Allgemeinen das Betäubungsmittelgesetz nicht anwendbar ist, mit Ausnahme bei der Ausfuhr, Einfuhr oder Durchfuhr. Diese Ausnahme von der Ausnahme befindet sich versteckt am Ende dieser umfangreichen Liste III in Buchstabe b) in einer sprachlich nicht eindeutigen, durchaus auslegungsfähigen Formulierung. Dabei handelte es sich überwiegend um Medikamente mit den Wirkstoffen Diazepam (Valium), Alprazolam (Xanax, Xanor, Tafil), Lorazepam (Noctamid, Neuraxpharm), Clonazepam (Rivotril), Tetrazepam, Oxazepam, Triazolam und Zolpidem (Stilnox, Excip, Tratras). In Klammern stehen die vom Wirkstoff abweichenden Namen der jeweiligen den Wirkstoff enthaltenden Medikamente. In den Listen I bis IV sind im Sachverhalt zu jedem Versendungsfall das versandte Medikament und die zugehörige Menge dargestellt.
Der Versand erfolgte aus dem Inland über drei Apotheken (M. Apotheke/F. in L., A. Apotheke/S. in W. und Apotheke D./ G. in H.) überwiegend in die USA. Den Versendungen lagen Bestellungen zugrunde, die von den Empfängern der Medikamente über verschiedene Internetseiten aufgegeben und mittels Kreditkarte über elektronische Bezahlsysteme bezahlt wurden. Die Bestelldaten gelangten elektronisch mit einem Gesundheitsfragebogen an vier Ärzte, die Rezepte ausstellten und an die Apotheken weiterleiteten. Die Ärzte sind nicht in das Verfahren einbezogen.
Die B.eller bezahlten die bestellten Medikamente mittels Kreditkarte über verschiedene Payment Provider. Diese zogen den Preis für die Medikamente von den Kundenkonten ein und überwiesen nach Abzug ihrer Kosten und eines vereinbarten Disagios die verbleibenden Gelder auf Konten der W. AG (künftig als W. bezeichnet), die als Dachgesellschaft für den B.ell-, Versand- und Bezahlkreislauf vom Angeklagten H. in der Schweiz gegründet und betrieben wurde. Von dort wurden die Gelder an die Apotheker und die Angeklagten A. (vormals -), der die Bestell-, Versand- und Bezahlvorgänge hard- und softwareseitig betreute, an den Angeklagten Bo, der nach den Vorgaben des Angeklagten A. Programmieraufgaben für die eingesetzte Software ausführte und ein Callcenter für den Kundensupport betrieb, und an die Angeklagten K. und F., die als Controller die Bestell- und Bezahlvorgänge sowie den organisatorischen Ablauf überwachten und an deren Verbesserung arbeiteten, nach entsprechender Rechnungsstellung weitergeleitet. Soweit bei der W. Gewinne entstanden, verblieben diese beim Angeklagten H..
Den Versand übernahmen die Apotheke M. in L. (Inhaber der Angeklagte F. mit 19.339 Versandfällen aus Liste III der Anklage), die A.apotheke in W. (Inhaber der Angeklagte S. mit 7.129 Versandfällen aus Liste I der Anklage) und die Apotheke D. in H. (Inhaberin die Angeklagte G. mit 2.917 Versandfällen aus Liste II der Anklage).
Daneben sind in Liste IV der Anklage noch 111 Versendungsfälle mit nicht geringen Wirkstoffmengen erfasst, wobei 5 Fälle auf die Angeklagte G., 19 Fälle auf den Angeklagten S. und 87 Fälle auf den bereits abgeurteilten Angeklagten F. und 92 Fälle auf den bereits abgeurteilten Angeklagten Be (Fälle F. und G.) entfallen. Der Angeklagte Be führte mit seiner Apotheke zwar keine Versendungen durch, bestellte aber teilweise die von F. und G. benötigten Medikamente über seine Großhandelserlaubnis und rechnete für diese beiden die Handlinggebühr für die einzelnen Versandeinheiten ab, so dass die Summe der Versendungen F. und G. auch von ihm zu verantworten ist.
Die Summe aller Einzelfälle betrifft den Verantwortungsbereich der Organisations- Planungs- und Logistikebene bestehend aus den bereits abgeurteilten Angeklagten H., F., K., A. und Bo.
Vor der Hauptverhandlung wurden bereits zahlreiche Einzelfälle aus den Listen I bis III gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Die Liste IV der Anklage, die im Teil 1 weitere 901 Fälle und in Teil 2 112 Fälle mit nicht geringer Menge enthielt, wurde nur mit 111 Fällen aus Teil 2 zur Hauptverhandlung zugelassen.
Diese Abläufe waren allen Angeklagten in ihren Grundzügen im Wesentlichen bekannt, auch soweit sie in unterschiedlichen Arbeitsbereichen tätig waren. Die Einzelheiten ihres eigenen Aufgabenbereiches kannten sie jeweils ohnehin.
Alle Angeklagten gingen davon aus, dass der Versand von im Inland zugelassenen Medikamenten ins Ausland allgemein rechtmäßig ist, versicherten sich aber nicht in der gebotenen Weise und in der gebotenen Form darüber, ob auch der Auslandsversand von insbesondere diazepamhaltigen Medikamenten, die im Falle der Ausfuhr dem BtMG unterfallen, rechtens war. Insoweit aufkommende Zweifel schoben sie beiseite und beruhigten sich mit allgemeinen Auskünften zur Rechtmäßigkeit des Versands von Medikamenten, die allerdings auf dieses spezielle Problem nicht eingingen, soweit es die bereits abgeurteilten Angeklagten H., F., K., A. und Bo betrifft oder im Falle der Apotheker Be und F., G. und S. die strengen Kriterien eines schriftlichen Rechtsgutachtens durch eine zuständige Stelle oder eine zuverlässige fachkundige Auskunftsperson nicht erfüllten. Die ungehinderte Abwicklung der großen Bestellvolumina (monatlich wurden im Tatzeitraum insgesamt Medikamente im Wert zwischen 250.000 und 1 Mio USD versandt) und der regelmäßige Zufluss der in unterschiedlicher Höhe anfallenden Rechnungsgelder war ihnen wichtiger. In Anbetracht der zum Tatzeitpunkt obergerichtlich ungeklärten Rechtslage nahmen sie die Verletzung einer möglichen Verbotsnorm dafür billigend in Kauf.
Eine konkrete Vorstellung, Straftaten zu begehen hatten die Angeklagten dabei aber nicht. Ihr Irrtum über die Rechtmäßigkeit ihres Handelns wäre ohne weiteres durch die Erholung eines schriftlichen und verbindlichen Gutachtens bei einer fachkundigen und zuverlässigen Auskunftsperson vermeidbar gewesen.
II.
Persönliche Verhältnisse:
G.:
Die Angeklagte G. war nach ihrem Pharmaziestudium im Inland als Apothekerin tätig und führte zuletzt die Apotheke D. in H.. Vor ca. 10 Jahren siedelte sie in die Schweiz um und ist dort derzeit als angestellte Apothekerin in einer Apotheke tätig und verdient netto 3.900 SFR im Monat. Davon verwendet sie 400 SFR für die Krankenversicherung und 600 SFR für den Unterhalt der Tochter. Die monatliche Miete beträgt 1.870 SFR. Es bestehen private Schulden aus unternehmerischer Tätigkeit in Höhe von ca. 900.000 €. Vermögen ist nicht vorhanden.
Die nicht vorbestrafte Angeklagte heiratete 1983 und ist seit 1996 verwitwet und einer Tochter zum Unterhalt verpflichtet.
S.:
Der Angeklagte stammt aus einer alteingesessenen Apothekerfamilie in W.. Der Vater war Apotheker, die Mutter Apothekenhelferin. Er besuchte das humanistische Gymnasium und machte nach dem Abitur eine Ausbildung zum PTA. Anschließend studierte er Pharmazie und legte 1993 erfolgreich das Examen ab. Dann übernahm der Angeklagte die A. Apotheke des Vaters, die er bis heute mit derzeit 30 Mitarbeitern fortführt. Der monatliche Gewinn nach Steuern beläuft sich auf ca. 15 T€. Hinzukommen monatliche Nettoeinnahmen aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von ca. 10 T€. Der Wert der Immobilien beträgt ca. 10-15 Mio €. Sie sind mit ca. 8 Mio € Darlehen belastet.
Der Angeklagte ist seit 1992 verheiratet und hat 6 Kinder, an die er monatlich Unterhaltsleistungen in Höhe von ca. 10 T€ leistet.
Der Angeklagte wurde vom Amtsgericht W. mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 4.12.14 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 150 Euro verurteilt (Az. -). Die Strafe ist bereits bezahlt. Die Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ist am 3.6.2015 abgelaufen.
III.
Sachverhalt:
Die Kammer hat in der Hauptverhandlung auf der Grundlage der geständigen Einlassungen aller Angeklagten und der durchgeführten Beweisaufnahme folgende Feststellungen getroffen. In den nachfolgenden Ausführungen werden auch die bereits rechtskräftig abgeurteilten Mitangeklagten H., F., K., A., Bo, Be und F. genannt, weil dies zum Verständnis des gemeinsamen Zusammenwirkens erforderlich ist. Ihre Einlassungen können auch diesem Urteil zugrunde gelegt werden. Sie wurden in der gemeinsamen Hauptverhandlung vor der Trennung beider Verfahren in Anwesenheit der Angeklagten S. und G. abgegeben.
Organisation und Verantwortungsbereiche:
Allgemein:
Die Angeklagten H. und F. waren bereits vor der Tatzeit befreundet und sie unterhielten auch geschäftliche Kontakte untereinander. Der Angeklagte Bo war ein Bekannter von F. und K.. Alle waren auf der Suche nach verschiedenen gewinnversprechenden Geschäftsmodellen. Bo war bei der Versandfirma G. im Medikamentengroßhandel beschäftigt und wollte sich mit dem Verkauf von Einwegspritzen ins Ausland selbständig machen. Er verfügte über Programmierkenntnisse. Der Angeklagte F. band den Angeklagten K. und seinen Neffen, den Angeklagten A., in diese Planungen ein.
Schließlich entwarf der Angeklagte H. das Grundkonzept eines Versandhandels mit Medikamenten über eine Internetplattform, wobei er auf Erfahrungen bei der Großhandelsfirma G. über seine Kontakte zu deren Geschäftsführer P.B. zurückgreifen konnte. Gemeinsam arbeiteten die genannten Angeklagten die Einzelheiten des Betriebsablaufs aus, bis schließlich nach der erfolgreichen Suche und Anbindung der Ärzte und der Apotheker das im Vorspann beschriebene Ablaufmodell in seiner konkreten Struktur Gestalt annahm.
Organisationskonzept:
Dieses basierte auf dem Grundmuster des bereits damals gängigen Internethandels mit den üblichen Bereichen Angebots- und Bestellseiten auf einer Internetplattform, Warenbereitstellung und Warenversand sowie Bezahlung der bestellten Waren. Als Besonderheiten kamen eine Veränderung und Verfeinerung des Ablaufs und der Ablaufsteuerung hinzu.
Im Einzelnen waren das die Erstellung der angebotenen Medikamentenliste für die Internetseiten, der Fragebogen mit Gesundheitsfragen, der vom Besteller ausgefüllt und automatisch an die angebundenen Ärzte weitergeleitet werden musste, die Prüfung der Bestellungen und der Fragebögen sowie die Erstellung notwendiger Rezepte durch die angeschlossenen Ärzte und die automatisierte elektronische Weiterleitung der Rezepte an die Versandapotheken, die Suche nach geeigneten Apotheken und die Zuleitung der Originalrezepte auf Papier an diese, sowie die Erstellung von Trackingnummern und Versandlisten für einen dokumentierten Warenversand, dessen aktueller Stand für die Besteller jederzeit über das Internet einsehbar war, und schließlich die vertragliche Einbindung eines Payment Providers, der die Zahlvorgänge abwickelt, aber beim Versand von Medikamenten nicht leicht zu finden war.
Die Medikamentenliste legte der Angeklagte H. in Zusammenarbeit mit den Angeklagten F. und K. fest. Diese umfasste nicht nur die verfahrensgegenständlichen Medikamente, sondern insgesamt ca. 200 Zubereitungen aus den verschiedensten Wirkungsbereichen, darunter auch Lifestyle-Produkte. Die Angeklagten F. und K. beobachteten die Marktgängigkeit der angebotenen Produkte und sorgten für die notwendigen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung und Verbesserung der Umsätze im Bereich des Marketing.
Um die softwareseitige Steuerung der Abläufe und die grafische Gestaltung der Seiteninhalte kümmerten sich vorwiegend die Angeklagten A. und Bo. Letzterem stand dafür ein Entwicklerteam in der Ukraine zur Verfügung. A. unterhielt den persönlichen Kontakt zu den Apothekern und zu den Payment Providern. Bei den Apotheken richtete er die Versandsoftware ein und schulte die Mitarbeiter im Umgang damit. Er stellte auch die Kontakte zu den sogenannten Affiliates her, die durch Seitenlinks auf ihren Seiten gegen eine Vermittlungsprovision (bis zu 30%) den Verkaufsseiten mit den angebotenen Medikamenten Interessenten zuführten. Zuletzt wurde zur Erhöhung der Nachfrage und zur Abwicklung des Kundensupports auch ein Call-Center eingesetzt, das Bo in der Ukraine betrieb. A. hatte elektronisch Zugang zu wichtigen Konten der W. und führte im Auftrag von H. auch zahlreiche Überweisungen aus.
Die für den Betrieb der Internetseiten und die Steuerung der gesamten Abläufe notwendige Software stand im Eigentum der Fa. T. AG mit Sitz in -Liechtenstein, deren Aktien dem Angeklagten H. gehörten. Diese überließ die Nutzungsrechte der W..
Den für die Speicherung und den Betrieb der Internetseiten erforderlichen elektronischen Speicherplatz hatte die Fa. W. bei der Fa. S. AG in Liechtenstein angemietet. Dazu gehörte auch ein Datenbanksystem, über das die umfangreichen Best-, Kontakt- und Ablaufdaten verwaltet und gespeichert wurden. Diese Daten wurden im Wege der Rechtshilfe auf elektronischen Speichermedien für das Verfahren bereitgestellt.
Für die inhaltliche Vertragsgestaltung, für die Suche nach geeigneten Ärzten und Apothekern und für die Erstellung sowie den Abschluss der notwendigen Verträge mit den Ärzten, Apothekern, den Internetprovidern für die Einrichtung der Seiten und mit den Payment Providern war H. zuständig.
Er veranlasste nach Prüfung der Rechnungen durch Mitarbeiter der W. auch die Zahlungen an die Beteiligten. In der von ihm geführten W. liefen vertraglich und finanziell die Fäden zusammen.
Bo erhielt im Durchschnitt monatlich 11T €, A. 18T €, F. 2 bis 4T € und an die Entwickler in der Ukraine gingen monatlich 25T USD. Die beteiligten Ärzte erhielten eine Pauschale im Bereich von 3 bis 7 USD je Rezept. Die genaue Höhe konnte nicht ermittelt werden. Die Apotheker konnten den Apothekerpreis für die eingekauften Medikamente, die Versandkosten der Post und pro Versandvorgang eine Handlinggebühr zwischen 5 und 7 € netto berechnen.
Die Angeklagten F. und K. stellten Rechnungen über ihre gemeinsame Firma L. GbR in nicht bekannter Höhe und bekamen von W. entsprechende Zahlungen.
Alle Beteiligten schlossen überwiegend mit der W. oder mit der Fa. A. GmbH des Angeklagten H. Verträge ab, in denen die Zusammenarbeit und die Bezahlung im Einzelnen geregelt wurden.
B.ell- und Versandablauf im Einzelnen:
Internetseiten:
Die Fa. W. sicherte sich die Rechte für folgende Domainnamen:
M..ag (abgekürzt mit MM)
P1.com (PE)
P2.com (PM)
R..com (RX)
Mit diesen Domainnamen adressierte die W. vier Internetseiten (Plattform) auf dem bei der Fa. S. AG angemieteten Serverplatz. Über diese Internetseiten, die in Deutschland nicht aufrufbar waren, wurden die versandten Medikamente angeboten. Gestaltung und Inhalt dieser Seiten lagen in der Hand der Organisationsebene, insbesondere die Auswahl der Medikamente und der Versandpreis.
B.ellvorgang:
Nach dem Aufruf einer der vorgenannten Internetseiten konnte der B.eller die gewünschten Medikamente mit der entsprechenden B.ellmenge auswählen und einen B.ellvorgang auslösen. Dazu müsste er seine persönlichen Daten (Name, Vorname, Geburtsdatum, Adresse, Email-Adresse) und die für die elektronische Bezahlung notwendigen Informationen (Kreditkarte, Kreditkartennummer) eingeben. Der B.ellvorgang konnte erst nach der Prüfung der Bezahldaten (Gültigkeit und Belastbarkeit der Kreditkarte) und nach dem Ausfüllen eines Fragebogens zur persönlichen Gesundheit des B.ellers abgeschlossen werden.
Sobald der B.ellvorgang abgeschlossen war, erhielt der B.eller eine Email-Nachricht, dass der B.ellvorgang ausgeführt wird, und die B.elldaten mit dem Fragebogen wurden einem der vier Ärzte zugeleitet. Dies geschah automatisch durch die verwendete Software.
Ärzte:
Die notwendigen Rezepte stellten vier verschiedene Ärzte (Dr. W., -, Schweiz, Dr. S., Prag, Dr. C., Riga und Dr. K., – Lettland) auf der Grundlage der von den B.ellern auf der jeweiligen Internetseite eingegebenen B.elldaten (Medikament und Menge, Personendaten des B.ellers) und eines von dem jeweiligen B.eller ausgefüllten Fragebogens mit medikamentenbezogenen Fragen ohne persönliche Untersuchung aus und leiteten diese zunächst elektronisch an die Apotheken weiter. Die Originalrezepte folgten auf dem Postweg.
Der Angeklagte H. suchte mit Anzeigen in ärztlichen Fachblättern nach Ärzten, die per Ferndiagnose auf der Grundlage der von den B.ellern auf den Internetseiten eingegebenen B.elldaten und der von ihnen in den auszufüllenden Fragebögen mitgeteilten Informationen die erforderlichen Rezepte ausstellen sollten und schloss mit ihnen für die W. handelnd entsprechende Verträge ab. Darin wurde die Verantwortung für die Zulässigkeit der Rezepterstellung auch ohne persönliche Untersuchung nur auf der Grundlage dieser Informationen in den Verantwortungsbereich des jeweiligen Arztes gestellt. Solche Verträge wurden mit den vorgenannten Ärzten abgeschlossen.
Die Ärzte bekamen einen EDV-Zugang zu der B.ellplattform, über den sie nach einem im System hinterlegten Verteilungsschlüssel, der nicht näher aufgeklärt werden konnte, die ihnen zugeteilten B.ellungen und den zugehörigen Fragebogen aufrufen konnten. Sie überprüften die B.ellinformationen, insbesondere auf die Einhaltung der Höchstdosis für 3 Monate oder auf gefährliche Wechselwirkungen bei mehreren gleichzeitig bestellten Medikamenten und gaben die B.ellung frei oder lehnten sie ab. Bei einer Freigabe wurde automatisch vom System bei allen Ärzten jeweils ein Rezept nach dem gleichen Layout in englischer Sprache erstellt. Im Kopf des Rezeptes stand mittig der Name des Arztes, seine Fachrichtung und sein Tätigkeitsort und darunter zwischen zwei Linien mittig in Großbuchstaben das Wort PRESCRIPTION. Danach folgten die Rechnungs- / B.ellnummer (identisch mit der Ordernummer) und das Ausstellungsdatum und darunter die Patientendaten. Anschließend waren die bestellten Medikamente mit Packungsanzahl und Wirkstoffmenge aufgelistet. Darunter folgte ein Kommentar mit Hinweisen auf Besonderheiten bei der Einnahme und auf den Inhalt der Beipackzettel. Abschließend wurde darunter der Name des Arztes für die auf den Papierausdruck gesetzte Unterschrift gedruckt. Unter dem Namen stand ein ausführlicher rechtlicher Hinweis darauf, dass bei der Ausstellung des Rezeptes die jeweiligen örtlichen Vorschriften beachtet und die Angaben im Fragebogen als richtige Angaben, vom B.eller selbst abgegeben, behandelt worden sind. Dem schloss sich ein umfassender Haftungsausschluss der W. an, die dort lediglich als Broker der jeweiligen Apotheke bezeichnet wurde, zu der allein eine vertragliche Beziehung des B.ellers zustande käme.
Die vom System nach der Freigabe durch den Arzt elektronisch erzeugten Rezepte wurden an die drei beteiligten Apotheken wiederum nach einem nicht näher aufklärbaren Verteilungsschlüssel vom System automatisch weitergeleitet und konnten von diesen über den dort vom Angeklagten A. eingerichteten EDV-Zugang aufgerufen und als Grundlage für den Medikamentenversand verwendet werden.
Die Ärzte druckten die elektronisch erzeugten Rezepte aus und versahen sie mit ihrer Unterschrift, so dass eine Originalurkunde in Papierform entstand. Diese wurden an die jeweilige Apotheke auf dem Postweg paketweise nachgeschickt.
Für jedes ausgestellte Rezept erhielten die Ärzte von der W. eine vereinbarte Pauschale, die im Bereich um die 10 USD lag.
Apotheker/Versandebene:
Die Versendungen wurden auf der Grundlage der vorab elektronisch an die Apotheken übermittelten Rezepte, die den Namen des B.ellers, die Adresse, die Ordernummer und die bestellten Medikamente enthielten, von Mitarbeitern auf Weisung der Apothekeninhaber ausgeführt.
Die Apotheker Be, F., S. und G. wurden vom Angeklagten H. angeworben und ausgesucht. Beim Angeklagten S. war auch Rechtsanwalt D. als Vermittler eingeschaltet, der die Versendung allgemein für rechtlich unbedenklich hielt, dazu aber kein formales eigenes Rechtsgutachten erstellte. Er bezog für seine Vermittlertätigkeit von der W. eine Provision. Davon wusste S. jedoch nichts.
H. schloss für die W. handelnd mit den Apothekern einen Apothekenvertrag ab, in dem sich die Apotheker verpflichteten die B.immungen zum Versand und zur Versandfähigkeit der Medikamente einzuhalten. Als Gegenleistung für ihre Tätigkeit erhielten sie den Apothekenverkaufspreis für die versandten Medikamente, der allenfalls zwei Prozent über dem Einkaufspreis lag, die allgemeinen Versandunkosten und daneben eine Versandpauschale zwischen 5 und 7 € netto je Versandpackung. Die Versandtaschen wurden vom Angeklagten A. eingekauft und den Apotheken kostenlos zur Verfügung gestellt.
Die Apotheker konnten über den bei ihnen vom Angeklagten A. eingerichteten Zugang zur Plattform die von den Ärzten durch die Freigabe der B.ellung erzeugten Rezepte einsehen und für den Versand übernehmen oder wieder ins System zurückgeben, wenn sie die benötigte Menge oder die benötigten Medikamente nicht vorrätig hatten oder nicht innerhalb der knappen Zeitgrenze von 24 Stunden bis zur Einlieferung der Versendung beschaffen konnten oder vom selben B.eller wiederholte B.ellungen innerhalb von 3 Monaten vorlagen. Die Zusammenstellung der Medikamente und versandfertige Verpackung führten in allen beteiligten Apotheken Mitarbeiter auf Weisung des Inhabers durch. Sie wurden zu Beginn vom Angeklagten A. geschult und von diesem fortlaufend bei Problemen betreut. Er war ihr Ansprechpartner bei Rückfragen.
Zum Versand wurden flache Luftpostversandtaschen verwendet, auf die ein Adressetikett geklebt wurde. Diese Etiketten wurden mit der Versandsoftware der Post (Postkit) ausgedruckt, nachdem vorher die Adressen aus den elektronischen Rezepten in dieses Programm eingelesen wurden. Auch dieses Programm hatte der Angeklagte A. beschafft und auf den Apothekenrechnern installiert. Die dafür nötige Schnittstelle zum Datenaustausch hatten die Angeklagten A. und Bo in der Ukraine programmieren lassen. Mit dem Postkit druckten die Mitarbeiter der Apotheken am Tagesende auch die Posteinlieferlisten aus, in denen zeilenweise die einzelnen am Tagesende bei der örtlichen Post eingelieferten Versandtaschen mit der Ordernummer, Versandadresse, dem Versanddatum und der Versandart, nicht jedoch der Inhalt der einzelnen Versandtaschen aufgelistet waren.
Soweit für einen Versandtag und für eine Ordernummer mehrere Versandvorgänge in diesen Listen, die tageweise ausgedruckt wurden, erfasst sind, liegt das daran, dass die B.ellmengen häufig nicht in eine Tasche passten. Zur Verkleinerung des Volumens entnahmen daher die Mitarbeiter die geblisterten Tabletten der Verpackung und schoben diese mit der flach gefalteten Schachtel, dem Beipackzettel und einer Rezeptkopie in die sehr flache Versandtasche. Dies geschah entsprechend der Größe der B.ellmenge bei einer Ordernummer mehrmals am gleichen Tag. Soweit für eine Ordernummer in den Posteinlieferlisten mehrere Versandvorgänge an unterschiedlichen Tagen auftauchen, hat das seinen Grund darin, dass bei einem Verlust oder einer Beschlagnahme der Sendung durch den US-Zoll oder aus einem anderen nicht bekannten Grund später eine Nachlieferung erfolgte. Die Fälle der Mehrfachversendung wurden bereits vor der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, so dass in den nachfolgenden Listen nur noch Einzelversendungen (eine Versendung pro Ordernummer) aufgelistet sind.
Der Angeklagte Be war in die Versandausführung unmittelbar nicht eingebunden. Er hatte nicht die nötigen Räumlichkeiten und das nötige Personal zur Verfügung. Er hatte jedoch auch einen EDV-Zugang zur Plattform und konnte dort die Rezepte einsehen, die für die Angeklagten F. und G. bestimmt waren. Sämtliche Papierrezepte dieser beiden Apotheker kamen zu ihm und er rechnete mit der W. die Handlinggebühr für beide ab. Diese wurde mit dem Apotheker, der die Versendung durchgeführt hatte, intern geteilt. Durch den EDV-Zugang und durch die ihm zugesandten Rezepte hatte der Angeklagte Be jederzeit den vollständigen Überblick über die Versandmengen und die von F. und G. versandten Medikamente. Er wirkte auch bei der Bereitstellung der Medikamente mit, soweit die Angeklagten G. und F. die entsprechenden Medikamente nicht vorrätig hatten oder nicht zeitgerecht beschaffen konnten, indem er diese dann über seine Großhandelserlaubnis einkaufte und den beiden zum Versand bereitstellte.
Der Angeklagte S. eröffnete zunächst im November 2006 ein eigenes Internetportal (Q..net) für den Versand von Arzneimitteln, Nichtarzneimitteln, Kosmetikas und Nahrungsergänzungsmitteln. Dafür erhielt er vom Regierungspräsidium Darmstadt eine Versanderlaubnis gem. § 11 a ApoG. Über Rechtsanwalt D., den er seit seiner Studienzeit kannte, kam er in Kontakt mit H. und arbeitete schließlich nach der Unterzeichnung eines Apothekervertrages mit der W. zusammen. Rechtsanwalt D. sagte ihm, das Konzept sei von externen Rechtsanwälten geprüft. Er zeigte ihm mehrere Blätter, die er als Gutachten bezeichnete, ohne sie aber zum Lesen oder zum endgültigen Besitz zu übergeben. Der Angeklagte S. erkundigte sich auch telefonisch bei der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz und erhielt dort die Auskunft, gegen den Versand von Medikamenten ins Ausland auf der Grundlage von Rezepten bestünden keine Bedenken. Eine schriftliche Stellungnahme holte er nicht ein.
Die Apotheker wussten aufgrund der sogenannten Topsellerlisten, die aus dem System abgerufen werden konnten, welche Medikamente am meisten nachgefragt waren, und konnten sie dementsprechend in größeren Mengen bevorraten. Soweit diese nicht ausreichten, sprang der Angeklagte Be bei seinen Kollegen G. und F. ein und half mit eigenen Einkäufen aus.
Für die drei Versandapotheken wurde jeweils ein Postfach in N. eingerichtet, das als Absenderadresse angegeben wurde. Dorthin gelangten auch Rücksendungen, die nicht zugestellt werden konnten.
Die Apotheker hatten keinen Zugriff auf den Inhalt oder die Gestaltung der Internetseiten, über welche die Medikamente bestellt wurden. Sie konnten diese auch nicht einsehen, weil sie für Deutschland nicht freigeschaltet waren und dementsprechend über einen Internetanschluss aus dem Inland auch nicht aufgerufen werden konnten. Somit kannten sie auch den tatsächlichen Verkaufspreis nicht, der deutlich über dem Apothekenverkaufspreis lag und ein Vielfaches davon betrug. Auf die Festsetzung dieses Preises hatten sie keinen Einfluss. Diesen bestimmte der Angeklagte H. in Abstimmung mit F. und K., die den Markt und die entsprechenden Preise fortlaufend im Auge behielten. Durch die Preisgestaltung wurde letztendlich ohne Mitwirkung der Apotheker die Höhe des bei der W. verbleibenden Gewinnes festgelegt. An diesem Gewinn waren die Apotheker nicht beteiligt. Für sie blieben letztlich nur die Handlingpauschale und die geringe Spanne zwischen dem Einkaufspreis und dem Apothekenverkaufspreis, die bei ca 1 bis 2% lag. Insoweit verhielten sie sich nicht anders wie bei allen anderen Alltagsgeschäften in der Branche.
Die Apotheker waren in den Kontakt mit den B.ellern nicht eingebunden. Dieser lief in Richtung der B.eller zunächst über die Plattform durch eine Mitteilung, dass die B.ellung angenommen wurde und über die Mitteilung der Trackingnummern, und in Richtung B.eller an W. über ein Callcenter in der Ukraine oder über eine Email-Adresse, die der Angeklagte A. betreute. Die inhaltlichen Abläufe im Callcenter wurden durch die Organisationsebene bestimmt, indem gemeinsam erarbeitete standardisierte Antworten über A. bereitgestellt wurden.
Ebenso wenig hatten die Apotheker Einfluss auf Werbeaktionen (Preisrabatte) oder auf die Mitwirkung der sogenannten Affiliates. Mit den Kundenzahlungen hatten sie gar nichts zu tun. Sie stellten ihre Rechnungen ausschließlich an W. und bekamen von dort ihr Geld, das betragsmäßig deutlich unter dem Kundenpreis lag.
Paymentprovider:
Die Kundenzahlungen wickelte die W. nicht selbst über ein eigenes Konto ab, sondern schaltete dafür sogenannte Paymentserviceprovider (PSP) ein. Das sind Dienstleisterfirmen, die in Zusammenarbeit mit einer Bank ähnlich einer Inkassofirma, allerdings nur mit elektronischer Datenübermittlung, den Geldeinzug auf den elektronischen Zahlungswegen vorliegend mit Kreditkarten für den Auftraggeber W. erledigen und die zunächst auf ihrem Konto eingezogenen Gelder nach Abzug einer Provision und abzüglich eines Sicherheitseinbehalts an den Auftraggeber weiterleiten. Sie übernehmen am Beginn des Zahlungsvorganges auch die Überprüfung, ob die verwendete Kreditkarte gültig und belastbar ist. Dazu werden ihnen bereits beim B.ellvorgang über die Internetseiten die Daten aus der Kreditkarte des Kunden übermittelt. Dieses Aufgabengebiet bearbeitete im Wesentlichen der Angeklagte A., der über den Zeugen K. gute Kontakte zu diesem Geschäftszweig hatte.
Die Paymentprovider bzw. die von ihnen eingeschalteten Banken sind grundsätzlich gegenüber Auftraggebern, die den Versandhandel von Medikamenten betreiben, sehr vorsichtig und legen großen Wert darauf, dass keine „controlled substances“ versandt werden, die nach den Regularien der FDA (Food and Drug Administration) nicht ohne Genehmigung in die USA eingeführt werden dürfen.
Die gegenständlichen Bezahlungen wurden 2007 im Wesentlichen mit der Fa. W. (-) in Nürnberg und 2008 mit der Fa. E. (-) in Frankfurt/Main abgewickelt.
Einzelfälle/Listen I bis IV:
Nachfolgend sind die festgestellten Einzelfällen in den Listen I (S.), II (G.), III (F.) und IV (nicht geringe Mengen) mit den Spalten Zähler (fortlaufende Nr. der Urteilsfälle), AnklNr (fortlaufende Nr. des Einzelfalles in der Anklage), Ordernr, Empfänger, Sendungsnummer, Versanddatum, Medikamente, Wirkstoffmenge und Preis aufgeführt. Die Listen stellen getrennt nach den drei Apotheken die jeweils von diesen ins Ausland, überwiegend in US Staaten versandten Sendungen dar.
Die Spalten der Liste IV sind in der Benennung und Reihenfolge etwas abweichend aufgebaut, inhaltlich im Informationsgehalt aber gleich. Inhaltlich ist die Liste IV wegen der geringen Anzahl der Fälle nicht auf die drei Versandapotheken aufgeteilt wie die Listen I bis III. Die Zuordnung zu dem jeweiligen verantwortlichen Apotheker ergibt sich aus der Spalte „Apotheke“, in der die Versandapotheke benannt wird.
„……….“
IV.
Beweiswürdigung:
Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund der glaubhaften Angaben der Angeklagten, der verlesenen Urkunden und der Angaben des Zeugen J., der beim LKA München die Ermittlungen geführt hat.
Die Angeklagten haben übereinstimmend die objektiven Abläufe, soweit sie ihnen bekannt waren, die eigenen konkreten Tatbeiträge und die Versendung der in den Listen aufgeführten Medikamente ins Ausland eingeräumt. Die Ausführungen im Sachverhalt betreffend den Angeklagten S. entsprechen seiner eigenen Einlassung.
Diese Angaben werden gestützt durch die im Selbstleseverfahren eingeführten Verträge und sonstigen Urkunden sowie durch die überzeugenden Angaben des Zeugen J.. Dieser hatte trotz der verstrichenen Zeit eine lebendige Erinnerung an das Ermittlungsverfahren und an seine dabei gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere auch zum Aufbau der Organisation und den Tätigkeitsfeldern der einzelnen Angeklagten.
Zu den objektiven Versanddaten der zahlreichen Einzelfälle führte der Zeuge aus, dass die Feststellung der Einzelfälle auf der Zusammenführung der aufgefundenen Rezepte und der Posteinlieferlisten basiert, die jeweils die von der Software automatisch bei jeder B.ellung erzeugte B.ellnummer (Ordernummer, in den Listen bezeichnet mit Ordernr) enthalten und dadurch bei gleicher Ordernummer einander zugeordnet werden konnten.
Die Fälle der Liste IV hat er selbst durch den Vergleich der jeweiligen Rezepte mit den dazu gehörigen Postversendungslisten mit der gleichen B.ellnummer ausgewertet. Dabei hat er die Adresse des Empfängers und den Versandtag den Posteinlieferlisten entnommen. Diese wurden täglich für alle von den Versandapotheken bei der Post eingelieferten Versandeinheiten, die per Luftpost versandt worden sind, erstellt und enthielten den Versandtag, die Empfängeradresse, die Versandart und die Ordernummer, jedoch nicht den Inhalt der jeweiligen Versandeinheit. Diesen entnahm der Zeuge dem zugehörigen Rezept. Bei mehreren Versandeinheiten für eine Ordernummer beließ er es bei einer Tat und legte der Versendung nur die im Rezept enthaltenen Medikamente und die dazu gehörigen Mengen zugrunde. Dies entspricht der tatsächlichen Vorgehensweise beim Versand, da eine Ordernummer nicht immer nur in eine Versandeinheit verpackt worden ist, sondern häufig aus Platzgründen auf mehrere Versandtaschen, die sehr flach waren, verteilt wurde. Andererseits gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass mehr Medikamente versandt wurden als in den Rezepten aufgeführt sind.
Durch diese Vorgehensweise hat der Zeuge die Einzelfälle in der Liste IV zuverlässig ermittelt und zutreffend dargestellt. Die Kammer hat keinen Zweifel, dass der Zeuge die Mengen aus den Rezepten richtig in die Liste IV übertragen hat und damit der Nachweis der Versendung von Mengen jenseits der nicht geringen Menge zutreffend geführt ist.
Bei den Fällen der Listen I bis III war die Vorgehensweise bei der Auswertung eine andere. Sie wurden nicht durch einen Einzelvergleich des zu einer B.ellung gehörigen Rezeptes und der Posteinlieferliste erstellt. Dazu hätten zunächst die Rezepte und die Posteinlieferlisten über die gemeinsame Ordernummer zusammensortiert und anschließend inhaltlich mit dem Versanddatum, der Versandmenge und dem Empfänger in eine elektronische Liste übertragen werden müssen. Bei annähernd hunderttausend Versandeinheiten wäre das zeitlich ein aussichtsloses Unterfangen gewesen. Deshalb wurden von einer Fachfirma die Papierunterlagen eingescannt und in elektronischen getrennten Listen mit den erforderlichen Daten aus den Rezepten bzw. aus den Posteinlieferlisten abgespeichert. Diese beiden Listen enthalten für die zusammengehörigen Datensätze aus einem Versandvorgang jeweils das gemeinsame Merkmal der Ordernummer und können dadurch miteinander verknüpft werden. Durch diese Verknüpfung können die zu einem Versandvorgang gehörigen notwendigen Informationen zu einem neuen Datensatz mit Informationen aus beiden Tabellen automatisch zusammengeführt werden. Dies geschieht elektronisch fehlerfrei, wenn für jeden Versandvorgang in jeder Liste nur ein Datensatz vorhanden ist.
Vorliegend sind jedoch in zahlreichen Fällen einer Ordernummer (B.ellung) zwar nur ein Rezept, aber mehrere Versandvorgänge zugeordnet. Die Datensätze mit dem gemeinsamen Verknüpfungsmerkmal der Ordernummer stehen in beiden Listen im Verhältnis 1:n zueinander. Die Rezeptliste enthält zur einzelnen Ordernummer (B.ellung) nur einen Datensatz, während sich zur selben Ordernummer in der Versandliste mehrere nach der jeweiligen Anzahl der zugehörigen Versandvorgänge befinden. Diese Konstellation kann bei der Verknüpfung der beiden Listen in einer Datenbank dazu führen, dass die Medikamente und die Medikamentenmenge jeweils in jeden aus den Versandvorgängen neu gebildeten Datensatz geschrieben werden, bei mehreren Versandvorgängen je Ordernummer somit mehrfach. Dadurch entsteht ein objektiv falsches Bild von den tatsächlich versandten Medikamentenmengen. Dieses Problem betrifft nur die Fälle mit Mehrfachversendungen je Ordernummer.
Bei der rechtlichen Betrachtung der durch die Listenverknüpfung entstandenen Datensätze sind die Ermittlungsbehörden davon ausgegangen, dass jeder Datensatz eine selbständige Versandhandlung darstellt. Dadurch ist diese Fehlerquelle zunächst unentdeckt geblieben, zumal die zusammengeführten neuen Listen nicht nach den Ordernummern, sondern nach dem Versanddatum sortiert worden sind.
Bei der Durchsicht der Listen wurde von der Kammer festgestellt, dass die Ordernummern in mehreren Datensätzen gleich waren. Nach einer einfachen Gruppierung der Datensätze anhand der Odernummer wurde deutlich, dass in tausenden von Fällen mehrere (bis zu 10) Versandvorgänge dieselbe Ordernummer haben. Eine stichprobenweise Überprüfung solcher Fälle anhand des zugehörigen Rezeptes und der Posteinlieferlisten hat schließlich aufgezeigt, dass die nicht gewollte Vervielfältigung der Daten aus dem zugehörigen Rezept in den Versanddaten tatsächlich vorgekommen ist. Alle Fälle mit Mehrfachversendungen wurden deshalb gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
Nach dieser Bereinigung der angeklagten Fälle hat die Kammer keinen Zweifel, dass die im Verfahren gebliebenen Fälle, die jeweils nur auf einem Rezept und einem Versandvorgang beruhen, richtig ermittelt worden sind, weil in dieser Konstellation die vorstehend geschilderte Vervielfältigung von Datenteilen auch bei einer elektronischen Zusammenführung der beiden Listen nicht stattfinden kann. Die zugrunde liegenden beiden Listen (Rezeptliste und Posteinlieferliste) wurden fehlerfrei erstellt. Mängel sind insoweit zu keinem Zeitpunkt sichtbar geworden.
Die Kammer ist sich im Klaren darüber, dass sich die Überzeugung von der Richtigkeit der objektiven Einzelheiten der im Verfahren verbliebenen Versandfälle nicht allein auf die Geständnisse der Angeklagten gründen lässt, da diese unmöglich eine solche Vielzahl von Einzelheiten in Erinnerung behalten und deshalb darüber auch kein wirksames Geständnis ablegen können. Die Überzeugung der Kammer stützt sich deshalb insoweit auf den dargestellten Weg und das Ergebnis der Datengewinnung, die jedenfalls bei den abgeurteilten Fällen keine Fehler aufweist.
Im subjektiven Bereich haben sich die Angeklagten, denen jeweils klar war, dass sie gemeinsam rezeptpflichtige Medikamente ins Ausland versendet haben, auf einen Verbotsirrtum berufen und übereinstimmend, allerdings mit unterschiedlichen Begründungen bekundet, sie seien von der Rechtmäßigkeit ihres Handelns ausgegangen.
Bei den Apothekern hält die Kammer diese Einlassung für glaubhaft. Nach den äußerlich erkennbaren Umständen haben sie die gegenständlichen Versandgeschäfte in der Preisgestaltung genauso abgewickelt wie ihre anderen Alltagsgeschäfte auch und nur den Apothekenverkaufspreis weiterverrechnet. Von einer internen Gewinnbeteiligung wie sie bei kriminellen Geschäften üblich ist, war zu keinem Zeitpunkt die Rede. Ebenso wenig sind Anhaltspunkte für ein auf Verheimlichung angelegtes Verhalten bei ihnen ersichtlich. Sie haben sich teilweise rechtlichen Rat bei RA S. eingeholt (F.) und dieser hat geantwortet, dass ihm die Bundesopiumstelle telefonisch mitgeteilt habe, eine Ausfuhrgenehmigung sei nicht erforderlich.
Der Angeklagte S. hat neben der mündlichen Besprechung mit RA D. auch eine formlose telefonische Auskunft bei der zuständigen Apothekerkammer eingeholt. Von dort wurden keine Bedenken gegen die beabsichtigte Ausfuhr von Medikamenten im Versandhandel geäußert. Nachdem sich für die Apotheker später die Anzeichen dafür, dass die Ermittlungsbehörden gegen den Versandhandel ins Ausland vorgehen, verdeutlicht haben, stellten sie ihre Tätigkeit ein noch bevor die Ermittlungsbehörden an sie selbst konkret herangetreten sind.
Bei den anderen Angeklagten hält die Kammer diesen Irrtum wegen der widersprüchlichen Angaben auch seitens der Fachstellen zur maßgeblichen Rechtslage im Tatzeitraum für nicht widerlegbar. Zwar gibt es in den Akten aus dem Email-Verkehr durchaus Hinweise dafür, dass der Angeklagte H. und die Angeklagten A. und Bo wussten, dass es erhebliche rechtliche Schwierigkeiten mit den amerikanischen Zollbehörden gab. Daraus kann aber nicht der zwingende Schluss abgeleitet werden, sie seien von einer Rechtswidrigkeit nach den deutschen Vorschriften ausgegangen.
Der Verbotsirrtum war aber bei allen Angeklagten auch unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten vermeidbar durch die Einholung eines schriftlichen Rechtsgutachtens bei einer zuständigen Fachstelle oder bei einer zuverlässigen und fachkundigen Auskunftsperson. Ein solches Gutachten hat jedoch keiner der Angeklagten eingeholt. Das haben alle Angeklagten übereinstimmend eingeräumt. Weitere Einzelheiten dazu werden in der rechtlichen Würdigung ausgeführt.
Die Angeklagten G. und S. haben nach einem zunächst vorbehaltlosen Geständnis kurz vor dem Ende der Beweisaufnahme Einschränkungen beim Vorsatz bezüglich der nicht geringen Mengen vorgebracht und eingewandt, sie hätten ihre Mitarbeiter durch entsprechende Listen angewiesen, bei jeder B.ellung nicht mehr als die zulässige Höchstdosierung, berechnet auf einen Zeitraum von 6 Wochen, auszuliefern. Einzelheiten zur Entstehung, zum Aussehen und zur Verbreitung dieser Listen konnten sie allerdings nicht benennen.
Der Angeklagte S. beantragte zu diesem Thema die Vernehmung seiner damaligen Mitarbeiter B. und F. Die Angeklagte G. stellte keinen eigenen Antrag, schloss sich jedoch inhaltlich dem Sachvortrag an.
Zu diesem Thema wurde der Zeuge B. vernommen und die schriftliche Erklärung der wegen Krankheit entschuldigten Zeugin F. (emails vom 9.2.2018, Bl. 6335 und 6335 a), und vom 11.2.2018, Bl. 6703/4 d.A.) wurde mit Zustimmung der Beteiligten und nach Beschlußfassung durch die Kammer verlesen. Auf ihre Vernehmung vor der Kammer wurde verzichtet.
Der Zeuge B. (gelernter Maler und damals als Hausmeister beim Angeklagten S. beschäftigt) war lediglich mit dem Verpacken der bereits von anderen Mitarbeitern häufchenweise vorbereiteten Versandmengen beschäftigt und hat die bereit gelegten Medikamentenpackungen geöffnet, die Blister mit den Tabletten entnommen, auf ein Blatt Papier aufgeklebt und in eine flache Versandtasche zusammen mit dem Rezept, dem Beipackzettel und der flach gedrückten Medikamentenpackung gesteckt. Er konnte sich erinnern, dass Mengengrenzen von anderen Mitarbeitern (u. a. Zeugin F.) kontrolliert wurden. Diese hätten am Bildschirm sehen können, was der einzelne Kunde schon in der Vergangenheit bestellt hatte. Sie konnten dann das Rezept ablehnen und zurückgeben oder sie fragten beim Apotheker nach. Von konkreten Mengenlisten war ihm nichts bekannt. Auch an bestimmte Mengengrenzen konnte er sich nicht erinnern. Für ihn war die Mengenfrage bereits abgeklärt, wenn er nach Rezepten sortiert die vorbereiteten Versandmengen verpackte.
Auch der Zeugin F. war nichts über Mengenlisten mit bestimmten Obergrenzen bekannt. An Mengengrenzen konnte sie sich ganz allgemein erinnern und meinte damit zunächst eine allgemeine 3-Monatsgrenze (Quartalsgrenze). In einer ergänzenden Stellungnahme gab sie an, nachdem sie das Thema mit dem Angeklagten S. erörtert hatte, es sei auch um eine 6-Wochengrenze gegangen. Einzelheiten hierzu nannte sie nicht. Sie war sich aber sicher, dass Überschreitungen von Mengengrenzen jeweils mit dem Apotheker besprochen wurden und dieser die Entscheidung getroffen hat.
Für die Kammer sind beide Aussagen in sich stimmig und ohne Widersprüche zum festgestellten Sachverhalt. Zweifel an der Richtigkeit der Angaben bestanden nicht.
Bei dieser Sachlage liegen für die Kammer die tatsächlichen Voraussetzungen für ein exkulpierendes Mitarbeiterverschulden auf der Grundlage einer ausreichenden Prüf- und Kontrollanweisung durch die Angeklagten nicht vor. Vielmehr ergibt sich aus den beiden Aussagen, dass der Apotheker bei Zweifeln über die Versandmengen jeweils befragt wurde und selbst das Entscheidungsrecht hatte und auch ausgeübt hat, so dass er auch die Verantwortung für die tatsächlich versandte Menge zu tragen hat. Ein dem Angeklagten nicht zurechenbares Mitarbeiterverschulden ist damit bei keinem der beiden Angeklagten zu erkennen.
Hinzukommt, dass nach der Vernehmung des Zeugen B. und der Erörterung der schriftlichen Angaben der Zeugin F. beide zuletzt von ihren anfänglichen Angaben zu einer konkreten Mengenliste abgerückt sind und nur noch allgemein von Mengengrenzen, die kontrolliert worden seien, sprachen. Die Angeklagte G. meinte zuletzt, es sei wohl um die 3-Monatsgrenze gegangen. Einen konkreten Beweisantrag zu diesem Thema hat sie nicht gestellt.
Die Kammer ist deshalb bei beiden Angeklagten davon ausgegangen, dass konkret lediglich die 3-Monatsgrenze geprüft worden ist, die jedoch über der Grenze der nicht geringen Menge liegt.
V.
Rechtliche Würdigung:
Die Angeklagten haben in arbeitsteiligem Zusammenwirken das gemeinsam gewollte Ergebnis des Versandes von Medikamenten, die dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen (ausgenommene Zubereitungen gem. Liste III zu § 1 BtMG) an einzelne Endkunden im Ausland durch unterschiedliche Mitwirkungshandlungen entweder auf der Versandebene selbst (F., Be, S. und G.) oder auf der logistischen Organisationsebene, die den Versandablauf inhaltlich festgelegt (H., F., K.) und durch eine speziell angepasste Software (A., -) gesteuert und damit die Voraussetzungen für einen reibungslosen Gesamtablauf (Bestellung, Bezahlung, Versand, Kundenbetreuung, interne Abrechnung) geschaffen hat, mit Gewinnerzielungsabsicht verwirklicht in insgesamt 29.496 Fällen, wobei in 111 Fällen die vom Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 2.11.2010 (1 StR 581/09) festgelegte Grenze der nicht geringen Menge geringfügig überschritten wurde.
Die beiden Apotheker S. und G. waren dabei in der Versandebene aufgrund der Ablaufsteuerung nur in 7.148 Fälle (davon 19 Fälle mit einer nicht geringen Menge) -S., bzw. in 2.922 Fälle (davon 5 Fälle mit einer nicht geringen Menge) -G. – eingebunden.
Alle Angeklagten handelten hinsichtlich des Versandes von Medikamente an Endkunden ins Ausland, insbesondere in die Vereinigten Staaten von Amerika, mit direktem Vorsatz und bezüglich der Anwendung des Betäubungsmittelrechts auf die gegenständlichen Medikamente zumindest mit bedingtem Vorsatz. Ihr bedingter Vorsatz erstreckte sich auch darauf, dass im Einzelfall je Bestellung aufgrund der von den Bestellern bestimmten Bestellmenge, die im Bestellablauf allenfalls auf eine maximale Quartalsdosis überprüft wurde, auch die Grenze zur tatbestandlich nicht geringen Menge überschritten werden konnte. Diese Grenze war im Tatzeitraum obergerichtlich noch nicht festgelegt und sie wurde zwischenzeitllich in der oben genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs deutlich unterhalb der Quartalsgrenze gezogen.
In den Bestellablauf war softwareseitig lediglich eine Mengenobergrenze basierend auf der Höchstdosis je Besteller bezogen auf einen Zeitraum von 3 Monaten eingearbeitet. Insofern verblieb für die Angeklagten aber das Risiko, dass bei einer späteren obergerichtlichen Klärung diese Grenze niedriger angesetzt werden könnte, wie es tatsächlich durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 2.11.2010 auch geschehen ist. Dieses Risiko war allen Angeklagten bewusst. Sie haben es jedoch ihrem Ziel, am gewinnbringenden Versand der dem Betäubungsmittelgesetz unterliegenden Medikamente ins Ausland teilzunehmen, untergeordnet und billigend in Kauf genommen.
Dies gilt insbesondere auch für den Angeklagten S., der bei Zweifeln an der Grenze der Bestellmengen aufgrund der Rücksprachen seiner Mitarbeiter selbst kontrolliert und freigegeben hat, wie die Zeugen B. und F. bestätigt haben.
Mittäterschaft:
Alle Angeklagten handelten aufgrund eines gemeinsamen Tatplanes, der auf den arbeitsteiligen gemeinschaftlichen Versand der gegenständlichen Medikamente ins Ausland gerichtet war. Die einzelnen Tatbeiträge hatten in den unterschiedlichen Arbeitsbereichen jeweils ein solches Gewicht, dass ohne diese der Gesamtbetrieb nicht reibungslos abgelaufen wäre, so dass nicht nur die Apotheker, die unmittelbar die tatbestandliche Ausfuhr bewerkstelligt haben durch die Bestellung und die Versendung der bestellten Medikamente, sondern auch die anderen Angeklagten in ihrem jeweiligen Organisationsbereich Tatherrschaft hatten. Die Apotheker müssen sich insoweit die eigentlichen Tathandlungen ihrer Mitarbeiter, die den Versand ausgeführt haben, zurechnen lassen, weil sie diese dazu als Arbeitgeber angewiesen haben. Alle Angeklagten wollten die gemeinsame Tat als ihre eigene, um sich dadurch eine dauerhafte Einnahmequelle zu verschaffen. Die Tatausführung erfolgte daher gemeinschaftlich in Mittäterschaft.
Das gilt auch für den Angeklagten Be, der selbst als Apotheker keine Versandhandlungen in seiner Apotheke ausführen ließ. Er hatte jedoch mit der W. einen Apothekervertrag abgeschlossen, in dem er sich zur Ausführung von Versendungen verpflichtete. Diese führte er jedoch nicht selbst aus, sondern beauftragte damit die Kollegen F. und G., weil er die notwendigen Räumlichkeiten und das notwendige Personal für den Versand nicht hatte. Für diese beiden bestellte er aber absprachegemäß die notwendigen Medikamente, soweit sie diese nicht selbst vorrätig hatten oder nicht zeitgerecht selbst bestellen konnten. Ihm wurden sämtliche Rezepte, die von Be und G. abgearbeitet wurden, zugesandt und er stellte dafür der W. die vereinbarte Handlinggebühr in Rechnung, die er jeweils hälftig mit den beiden teilte.
Unrechtsbewusstsein:
Die Angeklagten handelten mit Unrechtsbewusstsein, wenngleich sie allgemein der Auffassung waren, nichts Unrechtes oder Strafbares zu tun. Hätten sie ein umfassendes schriftliches Rechtsgutachten, das angesichts der ungeklärten Rechtslage geboten war, eingeholt, wäre ihnen aufgezeigt worden, dass der Versand der gegenständlichen Medikamente ins Ausland durchaus unter das Betäubungsmittelgesetz fallen und strafbar sein könnte.
Alle Angeklagten waren bemüht und bestrebt, den Auslandsversand allgemein innerhalb der Grenzen des rechtlich Zulässigen zu betreiben, wenngleich ihre Bemühungen zur Abklärung der rechtlichen Voraussetzungen mit unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlicher Zielrichtung betrieben wurden. Alle waren von der allgemeinen Vorstellung geleitet, ihr Handeln bewege sich innerhalb der Grenzen des Rechts.
Bei den Apothekern kommt das am deutlichsten dadurch zum Ausdruck, dass sie den Versand auch in der Preisgestaltung wie ein alltägliches Geschäft abwickelten und nur den Apothekenverkaufspreis und die vergleichsweise gegenüber den übrigen Beteiligten geringe Handlinggebühr an die W. berechneten und keine höhere Gewinnbeteiligung einforderten. Das lässt auch ihre Einlassung, den tatsächlichen Verkaufspreis nicht gekannt zu haben, durchaus glaubhaft erscheinen. Wären sie tatsächlich von einem kriminellen Geschäft ausgegangen, wäre angesichts ihres hohen Risikos die Forderung nach einer echten Gewinnbeteiligung mehr als naheliegend gewesen.
Der Angeklagte F. nahm Rücksprache mit RA S., den er als Spezialisten auf dem Gebiet des Medikamentenrechts kannte, und erhielt von diesem die Auskunft, dass ihm bei einer telefonischen Nachfrage, die Bundesopiumstelle mitgeteilt habe, eine Ausfuhrgenehmigung gem. § 11 BtMG sei nicht erforderlich. Er gab sich damit zufrieden und strebte eine weitere Vertiefung dieser Auskunft nicht an. Er gab diese Information auch an den Angeklagten Be weiter.
Der Angeklagte S. verließ sich auf die mündlichen Angaben von RA D. und fragte telefonisch bei der Landesärztekammer nach, die keine Einwendungen gegen den Versand erhob. Eine formalisierte Vertiefung dieser Auskünfte strebte auch er nicht an.
Der Angeklagte H. ließ die rechtlichen Voraussetzungen für den amerikanischen Markt durch Einholung einer „legal opinion“ überprüfen. Darin werden jedoch nur die amerikanischen Einfuhrbestimmungen beleuchtet, aber nicht die deutsche Rechtslage. In der vertraglichen Ausgestaltung der Zusammenarbeit mit den Ärzten und den Apothekern legte er Wert darauf, dass durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen die jeweiligen Vertragspartner selbst die Verantwortung für die Einhaltung der rechtlichen Vorschriften tragen sollten. Nach außen hin vermittelte der Angeklagte H. allen Beteiligten den Eindruck, das Versandmodell sei von Rechtsanwälten überprüft und für rechtens befunden worden. Die Angeklagten F., K., A. und Bo verließen sich darauf.
Ein schriftliches und verbindliches Rechtsgutachten einer verlässlichen und fachkundigen Auskunftsperson oder einer zuständigen Fachstelle holte jedoch keiner der Angeklagten ein, obwohl dies gerade angesichts der ungeklärten Rechtslage geboten gewesen wäre. Die formlose Nachfrage bei RA S. oder die allgemeinen Angaben von RA D. oder die telefonische Nachfrage bei der Landesärztekammer durch den Angeklagten S. erfüllen diese Voraussetzungen nicht.
Insofern war für alle Angeklagte ihre allgemeine irrige Rechtsauffassung, der betriebene Versand der verfahrensgegenständlichen Medikamente ins Ausland verstoße nicht gegen Rechtsvorschriften vermeidbar.
Gewerbsmäßig:
Alle Angeklagten handelten gewerbsmäßig. Sie beteiligten sich am Versand der gegenständlichen Medikamente ins Ausland, um sich daraus jeweils eine Einnahmequelle von einiger Dauer und von einigem Umfang zu verschaffen. Beim Angeklagten H. liefen die Geldströme auf den Konten der von ihm beherrschten W. zusammen und bei ihm verblieben nach Abzug der Betriebskosten die nicht unerheblichen Überschüsse. Die Spanne zwischen dem an die Apotheker bezahlten Apothekeneinkaufspreis für die Medikamente und dem von den Endkunden bezahlten Verkaufspreis war beträchtlich und lag in der Regel zwischen dem 10 und 14-fachen des Einkaufspreises. Die Angeklagten F., K., A. und Bo erhielten regelmäßige monatliche Zahlungen von H. über die W., die nicht nur ihre Unkosten abdeckten, sondern auch Gewinne in nicht genau bekannter Höhe enthielten. Die Apotheker bekamen neben dem Ersatz ihrer allgemeinen Unkosten aus dem Versand eine Handlingpauschale zwischen 5 und 7 Euro je Versandeinheit. Damit wurden die Personalkosten und der allgemeine Unternehmensgewinn abgedeckt.
Bandenabsprache und Handeln als Mitglied einer Bande gem. § 30a Abs. 1 BtMG:
Die Angeklagten schlossen sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Personengruppen in mehreren Teilabsprachen insgesamt zu einer Bande im strafrechtlichen Sinne zusammen, deren gemeinsames Ziel darauf gerichtet war, den Versand der gegenständlichen Medikamente ins Ausland geschäftlich regelmäßig in der Zukunft gemeinsam arbeitsteilig zu betreiben. Die vorliegend allein maßgebliche strafrechtliche Bedeutung des Begriffs der Bande entfernt sich im gegenständlichen Sachverhalt weit vom landläufigen Sprachverständnis und beinhaltet nicht mehr als diese genannten Merkmale. Eine moralische Abwertung, wie sie im landläufigen Wortsinn enthalten ist, wird damit nicht verbunden.
Die Teilabsprachen haben jeweils bei den Vertragsschlüssen zwischen der W. und den Firmen der Angeklagten F. und K. (L. GbR), des Angeklagten – (IT Service -) und mit dem Angeklagten Bo und den Apothekern stattgefunden. Dabei war den jeweiligen Beteiligten klar, dass zum Erreichen des gemeinsamen Zieles nicht nur die jeweiligen Vertragspersonen notwendig waren, sondern darüber hinaus auch weitere Personen zur Steuerung der B.ell- und Bezahlvorgänge sowie der gesamten EDV und insbesondere auch die eingebundenen Ärzte zum Anfertigen der Rezepte, so dass auch bei allen Teilabsprachen die für eine Bandenabsprache notwendige Mindestanzahl von 3 Personen erfüllt war. Bei den Apothekern kam noch hinzu, dass ihnen der Angeklagte A. als Ansprechpartner für alle Probleme mit der Versand-EDV, die er auf ihren Rechnern installierte, und für alle Abrechnungsfragen benannt wurde. Letztendlich war allen Beteiligten klar, dass sie nur durch ein aufeinander abgestimmtes dauerhaftes und regelmäßiges Zusammenwirken der verschiedenen Organisationsebenen, die weit mehr als nur 3 Personen umfassten, das gemeinsame Ziel erreichen konnten. Sie wollten sich deshalb dauerhaft zu einer arbeitsteiligen Einheit zusammenschließen. Für diesen Zusammenschluss war es nicht erforderlich, dass alle Beteiligten gemeinsam an einem Ort anwesend waren und sich gegenseitig ihre Teilnahme versicherten. Das konnte wirksam auch in den dargestellten Teilabsprachen erfolgen.
Die wirksame Einbindung in eine Bande durch eine Bandenabsprache setzt keinen Einfluss des einzelnen Bandenmitgliedes auf die organisatorischen Abläufe und auf die Ausgestaltung des Tatgeschehens im Detail voraus. Es genügt der ernsthaft bekundete Wille, in der Zukunft innerhalb des Gesamtplanes seinen Beitrag bei künftigen Taten zu leisten. Das kann auch in der Rolle als Tathelfer, der nur eine Beihilfehandlung leistet, geschehen. Deshalb ist es für die Wirksamkeit der Bandenabsprache ohne Bedeutung, dass die Apotheker (Be, F., S. und G.) kein Mitspracherecht bei der Preisgestaltung, bei der inhaltlichen Gestaltung der Internetseiten, bei der Frage, welche Medikamente angeboten wurden, bei den Werbemaßnahmen und beim Kundensupport hatten.
Die Wirksamkeit der Bandenabsprache scheitert nicht daran, dass die Angeklagten irrig davon ausgingen sich rechtmäßig zu verhalten und keine konkrete Vorstellung darüber hatten, durch ihr Handeln Straftaten zu begehen. Für die Bandenabrede genügt die gemeinsame Übereinkunft von mindestens drei Personen, in der Zukunft Taten dieser Art, die im Einzelnen noch nicht einmal feststehen müssen, zu begehen. Ein konkretes Wissen, dass es sich dabei um Straftaten handelt, ist dabei nicht erforderlich. Der strafrechtliche Bandenbegriff stellt ab auf die erhöhte Gefahr für die Rechtsordnung, die aus der gemeinsamen Verabredung, künftig wiederholt solche Taten zu begehen, entsteht, und nicht auf das Unrechtsbewusstsein der an der Abrede Beteiligten.
Ebenso wenig ist für die Bandenabrede ein konkretes positives Bewusstsein notwendig, Betäubungsmittel in nicht geringer Menge auszuführen. Insoweit genügt auch ein bedingter Vorsatz, der bei allen Angeklagten vorhanden war, wie bereits ausgeführt wurde. Der Gesetzestext spricht lediglich von der fortgesetzten Begehung solcher (im Absatz 1 genannten) Taten. Gemeint ist damit im gegenständlichen Verfahren der Tatbestand der unerlaubten Ausfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, für die kein direkter Vorsatz gefordert wird. Wenn die Tatbestandsverwirklichung mit bedingtem Vorsatz möglich ist, dann können auch für die darauf aufbauende Bandenabrede keine anderen Vorsatzvoraussetzungen gelten.
Die Angeklagten handelten bei allen Taten jeweils als Mitglied der Bande und erfüllten dabei die ihnen nach dem Organisationsplan zugedachte arbeitsteilige Aufgabe.
Die Angeklagten hatten zu keinem Zeitpunkt eine Erlaubnis gem. § 3 BtMG oder eine Genehmigung gem. § 11 BtMG zur Ausfuhr der verfahrensgegenständlichen Arzneimittel. Das war allen Angeklagten bekannt.
Tatbestände:
Damit haben die Angeklagten den Tatbestand des § 29 Abs. 1, Nr. 1 BtMG durch die unerlaubte gemeinschaftliche Ausfuhr von Betäubungsmitteln in der jeweils genannten Anzahl von Fällen (H., F., K., A. und Bo: 29.385, Be: 22.256, F.: 19.339, S.: 7.129 und G.: 2.917) erfüllt. Das Betäubungsmittelgesetz ist vorliegend aufgrund der Ausnahme unter Buchstabe b) in Liste III zu § 1 BtMG für ausgenommene Zubereitungen auf die Ausfuhr anzuwenden und damit auch die dazu gehörigen Strafvorschriften (vgl. BGH Urteil vom 2.11.10, 1 StR 581/09).
Das Regelbeispiel des § 29 Abs. 3, Nr. 1 bejaht die Kammer wegen der Vielzahl und des großen Gewichts der Milderungsgründe, die nachfolgend im Rahmen der Strafzumessung noch eingehend dargestellt werden, nicht. Aus dem Blickwinkel der Strafmilderungsgründe erscheint die Anwendung des Grundstrafrahmens vollkommen ausreichend, um das Unrecht der Taten angemessen zu sühnen.
Bei den Fällen in der Liste IV wurde jeweils die Grenze zur nicht geringen Menge geringfügig überschritten. Insoweit haben die Angeklagten jeweils die im Tenor genannte Anzahl von Fällen (H., F., K., A., Bo: 111, Be: 92, F.: 87, S.: 19 und G.: 5) aus dem Qualifikationstatbestand des § 30 a Abs. 1 BtMG verwirklicht, weil sie die Ausfuhren bandenmäßig und jeweils als Mitglied einer Bande, wie oben bereits ausgeführt, begangen haben. Wegen der Vielzahl und wegen des großen Gewichts der Strafmilderungsgründe, die nachfolgend in der Strafzumessung noch eingehend dargestellt werden, bejaht die Kammer einen minder schweren Fall gem. Absatz 3. Im Lichte der Strafmilderungsgründe würde die Anwendung des Regelstrafrahmens, der für den „echten“ bandenmäßigen Betäubungsmittelhandel mit all seinen bekannten kriminellen Begleiterscheinungen gedacht ist, dem tatsächlichen Unrechtsgehalt der Taten ein zu großes Gewicht zuweisen. Eine Mindeststrafe von 5 Jahren stünde in einem unangemessenen Verhältnis zu dem in der Gesamtbetrachtung deutlich darunter einzustufenden Unrechtsgehalt der Taten und würde den Rahmen des gerechten Schuldausgleichs verlassen.
Konkurrenzen:
Die einzelnen Taten stehen in Tatmehrheit zueinander. Dabei stellen die einzelnen Versendungen in den Listen I-IV jeweils eine selbständige Handlung dar.
Soweit in der Liste IV zu einem Bestellvorgang, der durch die Ordernummer gekennzeichnet wird, mehrere Versendungsvorgänge aufgelistet werden, wurden diese zu einer Tat zusammengefasst, weil die Versendungen am gleichen Tag aufgrund derselben Bestellung erfolgt sind und in der Regel dadurch zustande kamen, dass die Medikamente nicht in eine Versandtasche passten und deshalb auf mehrere verteilt wurden, die jeweils eine gesonderte Posteinlieferungsnummer erhielten. Dieser Vorgang stellt sich als natürliche Handlungseinheit dar.
Anzuwendende Vorschriften:
§§ 29 Abs. 1, Nr. 1, 30a Abs. 1 und 3, § 1 Abs. 1 mit Liste III, §§ 3 und 11 BtMG, §§ 25, II, 53, § 421 Abs. 1, Nr. 3 StPO
VI.
Strafzumessung:
Strafrahmen:
Für die Fälle aus den Listen I bis III hat die Kammer den wegen des vermeidbaren Verbotsirrtums gemilderten (§§ 17, 49 Abs. 1 StGB) Strafrahmen aus § 29 Abs. 1 BtMG zugrunde gelegt. In der rechtlichen Würdigung wurde bereits ausgeführt, dass die Kammer einen besonders schweren Fall gemäß § 29 Abs. 3, Nr. 1 BtMG wegen der Vielzahl gewichtiger Strafmilderungsgründe nicht bejaht, obwohl das Merkmal des gewerbsmäßigen Handelns vorliegt.
Folgende Strafmilderungsgründe, die auf alle Angeklagten zutreffen, waren dafür maßgeblich.
– Die Tatzeiten aus den Jahren 2007 und 2008 liegen sehr lange zurück.
– Das Strafverfahren hat bis zur Verurteilung annähernd 9 Jahre gedauert.
Die Angeklagten waren in dieser Zeit der belastenden Ungewissheit über den Verfahrensausgang ausgesetzt trotz ihrer frühzeitigen Angaben zur Sache und hatten ständig die Gefahr einer unbedingten Freiheitsstrafe vor sich.
– Die Rechtslage zu den verfahrensgegenständlichen Rechtsproblemen war zur Tatzeit obergerichtlich noch nicht geklärt. Zuständige Fachstellen haben keine einheitliche Rechtsauffassung vertreten.
– Die Strafbarkeit springt aus dem Gesetzestext nicht ins Auge. Zunächst werden in Anlage III zu § 1 BtMG die ausgenommenen Zubereitungen von der Anwendung des BtMG ausgenommen. Diese Ausnahme wird erst am Ende der Liste wieder relativiert durch eine Ausnahme von der Ausnahme in Buchstabe b, Satz 2, die sich aus dem Text sprachlich nicht ohne weiteres erschließt und auch in den Fachkreisen zur Tatzeit zu unterschiedlichen Auslegungen geführt hat.
– Die Angeklagten haben keine Betäubungsmittel im herkömmlichen Verständnis wie Heroin oder Kokain, sondern zugelassene Arzneimittel, deren Ausfuhr vom Gesetzgeber dem BtMG unterstellt wird, versandt. Sie haben nicht im Untergrund oder im Verborgenen agiert, sondern offen am Geschäftsverkehr teilgenommen.
– Nach dem grundsätzlichen Entschluss zur gemeinsamen Zusammenarbeit sind die einzelnen Versandfälle von den Angeklagten routinehaft und gewissermaßen automatisiert nach festgelegten Ablaufregeln ausgeführt worden.
– Die Angeklagten haben in der Hauptverhandlung umfassende Geständnisse abgelegt, die erheblich zur Verfahrensabkürzung beigetragen haben. Zudem haben sie bereits im Ermittlungsverfahren den objektiven Sachverhalt weitgehend eingeräumt bzw. nicht ernsthaft in Frage gestellt.
– Die Angeklagten haben von sich aus den weiteren Versand eingestellt, bevor die Ermittlungsbehörden an sie herangetreten sind.
– Die Angeklagten sind nicht vorbestraft.
– Aus der gesamten Verfahrensdauer ist insgesamt ein Zeitraum von 2 Jahren als überlange Verzögerung einzustufen und neben einem Vollstreckungsabschlag auch strafmildernd zu werten. Einzelheiten hierzu werden nachfolgend unter dem Punkt Vollstreckungsabschlag abgehandelt.
Die Summe und das Gewicht dieser Milderungsgründe haben für die Kammer eine so erhebliche Bedeutung, dass die Anwendung des erhöhten Strafrahmens des Regelbeispiels unangemessen wäre, auch wenn das Merkmal des gewerbsmäßigen Handelns aus dem Regelbeispiel erfüllt ist. Dieses Merkmal ist dem Versandhandel, wenn er im regulären Geschäftsverkehr ausgeführt wird wie im vorliegenden Fall, gewissermaßen geschäftsimmanent und ist nicht zu vergleichen mit dem Gewinnstreben von Betäubungsmittelhändlern, die ihre Geschäfte nach den auf Verdeckung angelegten Mustern der organisierten Kriminalität im Verborgenen betreiben.
Damit kommt zunächst der Grundstrafrahmen aus § 29 Abs. 1 BtMG zur Anwendung, der jedoch wegen des vermeidbaren Verbotsirrtums gemäß §§ 17, 49 Abs. 1 StGB bei allen Angeklagten zu mildern war.
Bei den Versandfällen mit einer nicht geringen Menge (Liste IV) hat die Kammer einen minder schweren Fall wegen der genannten zahlreichen Strafmilderungsgründe und ihrem großen Gewicht in der Gesamtschau bejaht. Hinzu kommt, dass die Grenzwerte zur nicht geringen Menge (Diazepam, Valium: 2.400 mg, Alprazolam: 240 mg, Lorazepam: 480 mg, Clonazepam: 480 mg, Tetrazepam: 4.800 mg, Oxazepam: 7.200 mg) jeweils nur maßvoll überschritten wurden.
Auch hier war der Strafrahmen aus § 30a Abs. 3 gem. §§ 17, 49 Abs. 1 StGB wegen des vermeidbaren Verbotsirrtums bei allen Angeklagten zu mildern.
Strafzumessung im engeren Sinn:
Die bereits aufgezählten Strafmilderungsgründe hat die Kammer bei allen Angeklagten mit einem erheblichen Gewicht als strafmildernd gewertet.
Bei den Apothekern F., Be, S. und G. kommen
– die berufsrechtlichen Konsequenzen mit der Gefahr eines Entzuges der Approbation noch hinzu.
– Zusätzlich hat bei den Apothekern der Umstand ein besonderes strafmilderndes Gewicht, dass sie innerhalb der Gesamtorganisation keinen Einfluss auf die Außendarstellung (Seitengestaltung, Werbung, Callcenter), auf die angebotenen Medikamente und auf die Preisgestaltung den Abnehmern gegenüber hatten. Andererseits waren sie am nächsten am Tatbestand durch die Organisation und die Abwicklung des grenzüberschreitenden Versands ins Ausland.
– Strafmilderndes Gewicht hat bei den Apothekern auch die Tatsache, dass sie in der Gesamtbetrachtung am wenigsten am Gewinn beteiligt waren, der sich bei ihnen in der Handlingpauschale zwischen 5 und 7 Euro je Versandeinheit und der geringen Spanne zwischen ihrem Einkaufspreis und dem Apothekenverkaufspreis erschöpfte.
Straferschwerend hat die Kammer bei allen Angeklagten die Vielzahl der Einzelfälle, jedoch unterschiedlich bei den einzelnen Angeklagten nach der von jedem einzelnen zu verantworteten Gesamtzahl, gewertet, sowie die lange Tatzeit mit Ausnahme bei der Angeklagten G.. Bei den Apothekern war zusätzlich die berufsrechtliche Verantwortung für den Schutz vor Missbrauch beim Umgang mit Medikamenten in die Bewertung einzustellen.
Einzelstrafen:
Angesichts der Vielzahl der Einzelfälle und der dadurch bedingten geringen Bedeutung der Einzelstrafen gegenüber der Gesamtstrafe hat die Kammer aber auf eine Differenzierung bei den Einzelstrafen verzichtet und diese erst in der Gesamtschau auf alle Angeklagte bei der Gesamtstrafenbildung vorgenommen, weil bei den weitgehend inhaltsgleichen Einzeltaten das unterschiedliche Gewicht der Mitwirkung des einzelnen Angeklagten nicht entscheidend zum Tragen kommt, sondern erst in der Gesamtschau aller Taten. Dies gilt insbesondere für die Angeklagten auf der Planungs- und Organisationsebene.
Unter Berücksichtigung und entsprechender Gewichtung sämtlicher Strafzumessungsgesichtspunkte hielt die Kammer für die Versendungsfälle mit einer nicht geringen Menge in bandenmäßiger Begehungsweise (Liste IV) eine Einzelstrafe von 6 Monaten für angemessen.
Die Verhängung einer Freiheitsstrafe war hier mit dem Blick auf die Überschreitung einer erheblichen Gefährlichkeitsgrenze (bandenmäßige Begehung und nicht geringe Menge) und die Anzahl der Einzelfälle zur Einwirkung auf die Angeklagten geboten, auch wenn im Ergebnis nur ein minder schwerer Fall mit gemildertem Strafrahmen vorliegt.
Bei den übrigen Fällen, die unter dieser Gefährlichkeitsgrenze liegen, genügte die Verhängung einer Geldstrafe, die mit 90 Tagessätzen ausreichend erscheint.
Gesamtstrafen:
In der Gesamtschau der Tatumstände und Strafzumessungsgesichtspunkte kam zunächst allen Angeklagten der enge innere sachliche und zeitliche Zusammenhang der gewissermaßen automatisiert ablaufenden Einzelfälle zugute. Das verlangt trotz der Vielzahl der Einzeltaten nur eine sehr maßvolle Erhöhung der Einsatzstrafen. Die Unterschiede bei den einzelnen Angeklagten in der Höhe der Gesamtstrafen ergeben sich im Wesentlichen aus ihrer Stellung innerhalb der Organisation, ihres unterschiedlichen Beitrages innerhalb der Arbeitsabläufe und aus der Anzahl der Taten.
Die Gruppe der Apotheker rechnet die Kammer innerhalb der Gesamtorganisation und der Gesamtabläufe im Gesamtgefüge aller Angeklagten der untergeordneten Ausführungsebene zu, da sie auf die Gestaltung des organisatorischen Gesamtablaufs der Bestellungen keinen Einfluss hatten und insbesondere auch bei den wesentlichen Punkten wie interne Gewinnverteilung, Preisbildung gegenüber den Bestellern und Auswahl der vertriebenen Produkte kein Mitspracherecht hatten. Sie konnten lediglich den Versandablauf nach ihren Vorstellungen gestalten, der allerdings den Kern des Tatbestandgeschehens ausmacht. Insgesamt wurden die Gesamtstrafen für die Apotheker deutlich unterhalb der Hauptverantwortlichen H., F. und K. eingeordnet.
Innerhalb der Gruppe der Apotheker waren der Angeklagte Be und der Angeklagte F. die zentralen Figuren. Beide haben wesentlich größere Mengen an Medikamenten vertrieben als S. und G. und deutlich mehr Fälle mit einer nicht geringen Menge verwirklicht. Die Angeklagte G. war lediglich für wenige Monate in den Versand eingebunden und sie hat die geringste Anzahl von Fällen verwirklicht, auch bei den bandenmäßigen Versendungen mit einer nicht geringen Menge.
Folgende Gesamtstrafen hat die Kammer bei den Angeklagten S. und G. in der Gesamtschau aller Strafzumessungsgesichtspunkte als schuldangemessen und ausreichend angesehen. Dabei haben bei beiden Angeklagten die vergleichsweise wenigen Fälle mit einer nicht geringen Menge angesichts der ausgesprochenen Gesamtstrafen an der Untergrenze des vertretbaren Strafmaßes keine ausschlaggebende Rolle gespielt. Die Kammer hat in der Hauptverhandlung mit Unterstützung der Verteidigung eine Sachbehandlung dieser Fälle gem. § 154 Abs. 2 StPO ohne Abänderung des vereinbarten Strafrahmens angeregt, die allerdings am notwendigen Antrag der Staatsanwaltschaft gescheitert ist. Ein Wechsel der Strafart (nur Geldstrafe) war dabei zu keinem Zeitpunkt angedacht und würde trotz aller Milderungsgründe den Unrechtsgehalt in der Summe aller Taten nicht richtig wiederspiegeln.
Angeklagter S.:
Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung.
Nachdem bei den Einzelstrafen verschiedene Strafarten (Geld- und Freiheitsstrafen) vorliegen, war als Gesamtstrafe eine Freiheitsstrafe als die schwerere Strafart zu bilden (§ 54 Abs. 1, S. 2 StGB). Dabei gehen die Einzelgeldstrafen in der Gesamtfreiheitsstrafe auf.
Eine gesonderte Geldstrafe neben der Freiheitsstrafe (§ 41 StGB) erschien anders als bei den Angeklagten Be und F. wegen der deutlich geringeren Einzelfälle nicht angebracht.
Ein Härteausgleich wegen der bereits bezahlten Geldstrafe aus der gesamtstrafenfähigen Verurteilung durch das Amtsgericht W. vom 4.12.14 war nicht geboten, weil dadurch kein Nachteil eingetreten ist. Im Rahmen einer Gesamtstrafenbildung wäre es zu einer Erhöhung der Gesamtfreiheitsstrafe gekommen. Dadurch wäre die weniger gewichtige Geldstrafe anteilig in eine Freiheitsstrafe mit größerem Gewicht und Nachteil umgewandelt worden. Durch die vollständige Bezahlung der Geldstrafe ist es dazu nicht mehr gekommen. Dies ist für den Angeklagten kein Nachteil, sondern eher ein Vorteil.
Angesichts der noch überschaubaren Zahl der Einzelfälle, ihres engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs, der zahlreichen Strafmilderungsgründe und angesichts der Tatsache, dass nach der Einrichtung der EDV und der einzelnen Ablaufschritte die einzelnen Versendungen routinemäßig abliefen, genügte es, die verwirkte höchste Einzelstrafe maßvoll nur um 5 Monate anzuheben. Wegen der deutlich geringeren Zahl der Einzelfälle im Gegensatz zu Be und F. wurde die Gesamtstrafe unter der Jahresgrenze gewählt, um für die Verwaltungsbehörde bei der berufsrechtlichen Entscheidung den vollen Beurteilungsspielraum offen zu halten.
Angeklagte G.:
Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung, in der die Einzelgeldstrafen aufgehen. Insoweit gelten zum Verhältnis zwischen den Einzelstrafen als Freiheits- und Geldstrafen die gleichen Ausführungen wie beim Angeklagten S..
Die Kammer hat der Angeklagten G. die niedrigste Gesamtstrafe auferlegt, weil sie mit der geringsten Anzahl der Versendungsfälle und die kürzeste Zeit am Versand teilgenommen hat. Ansonsten gelten bei ihrer Gesamtstrafenbildung die gleichen Ausführungen wie beim Angeklagten S.. Eine gesonderte Geldstrafe war bei ihr ebenso wenig wie beim Angeklagten S. geboten.
Bewährung:
Bei allen Angeklagten konnten die verhängten Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt werden (§ 56 StGB).
Eine günstige Legalprognose ist bei allen Angeklagten vorbehaltlos zu bejahen, da sie, auch der Angeklagten S., nicht vorbestraft sind, sozial in ein geordnetes Umfeld integriert und in gefestigte persönliche Beziehungen und in stabile wirtschaftliche Verhältnisse eingebunden sind und sich nach der Tatbegehung über einen Zeitraum von annähernd 10 Jahren strafrechtlich nichts mehr zu Schulden kommen haben lassen. Die verkehrsrechtliche Verurteilung des Angeklagten S. erfolgte nach den abgeurteilten Taten und gilt nicht als Vorstrafe.
Vollstreckungsabschlag:
Die Kammer kann im Verfahrensfortgang bis zur Erhebung der 1. Anklageschrift vom 28.1.13 keine überlange Verfahrensdauer erkennen. Das Verfahren wurde bei der Staatsanwaltschaft offiziell am 22.4.08 begonnen. Das Verfahren betraf am Anfang 10 Personen, war umfangreich und im Sachverhalt zunächst schwer durchschaubar, so dass zur Abklärung der Organisationsstruktur und des Tatablaufs ein erheblicher Ermittlungsaufwand erforderlich war. Dies betrifft insbesondere die gerichtsverwertbare Aufbereitung und Darstellung der Einzelfälle, die anfangs im Bereich von ca. 100 T Versendungen lagen. Am 7.4.09 wurde ein Rechtshilfeersuchen an die Liechtensteinischen Behörden zur Beschlagnahme der Serverdaten gerichtet, das erst am 6.7.12 durch die Übergabe der sichergestellten Daten abgeschlossen werden konnte. Danach wurden die Daten zügig ausgewertet und es wurde umgehend Anklage erhoben. Die Anklageerhebung hat sich durch die lange Dauer des Rechtshilfeersuchens verzögert. Die Erledigung des Ersuchens hat über 3 Jahre gedauert. Dieser Zeitraum bleibt in der Gesamtbetrachtung unberücksichtigt, weil er nicht von einer inländischen Behörde zu verantworten ist.
Zwischen der Anklageerhebung und der Rücknahme der 1. Anklage vergingen mehr als 2 Jahre. In dieser Zeit ging es im Wesentlichen darum, aus dem Sachverhalt solche Medikamente herauszufiltern, die nicht dem BtMG unterfallen. In Anbetracht des Umfangs und des Schwierigkeitsgrades des gegenständlichen Verfahrens erscheint dafür ein Zeitaufwand von ca. 1 Jahr als angemessen, so dass 1 Jahr als überlange Verfahrensdauer gewertet werden kann.
Nach der Erhebung der 2. Anklage vergingen bis zum Beginn der Hauptverhandlung weitere 2 Jahre und 8 Monate. In dieser Zeit ist die Kammer, bei der das Verfahren seit dem 1.7.15 anhängig ist, nicht untätig geblieben. Durch Überarbeitung der Tatlisten wurde die Liste IV, 2. Teil erst lesbar und inhaltlich verständlich gestaltet. Im Zuge von Nachermittlungen wurde festgestellt, dass für die Fälle aus der Liste IV, 1. Teil der hinreichende Tatverdacht fehlte und der Entstehungsweg der Listen I bis III wurde transparent gemacht. Dabei hat sich herausgestellt, dass es zu den einzelnen Bestellnummern (Ordernummer) mehrere Versandvorgänge gibt, die in der Anklage als selbständige Taten ohne Bezug zueinander behandelt wurden. Bei einer stichprobeweisen Überprüfung der Versandmengen zu den Mehrfachversendungen zu einer Ordernummer hat sich herausgestellt, dass bei der Listenerstellung dem einzelnen Versandvorgang jeweils der gesamte Inhalt des über die Ordernummer zuordenbaren Rezeptes zugewiesen wurde und nicht nur ein Teil davon, wie es richtig wesen wäre. Daraufhin wurden diese Mehrfachversendungsfälle gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Bereits im Juli 2017 haben Verständigungsgespräche mit einer weitgehenden Einigung stattgefunden. Der Beginn der Hauptverhandlung hat sich im Wesentlichen wegen terminlicher Schwierigkeiten der Beteiligten bis in den Januar 2018 verschoben. Unter Berücksichtigung dieser Umstände betrachtet die Kammer auch bei der 2. Anklage einen Zeitraum von 1 Jahr als überlang.
Diese beiden Jahre rechtfertigen neben der Feststellung der überlangen Verfahrensdauer im Hinblick auf die lange Zeit der Ungewissheit des Verfahrensausgangs mit der konkreten Gefahr unbedingter Freiheitsstrafen, die bei allen Angeklagten in gleicher Weise vorhanden war, bei allen Angeklagten einen einheitlichen Vollstreckungsabschlag von 3 Monaten.
VII.
Einziehung:
Die Kammer hat mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft von der Möglichkeit des § 421 Abs. 1, Nr. 3 StPO Gebrauch gemacht und keine Einziehung ausgesprochen, weil die genaue Abklärung der einzugsfähigen Beträge einen unangemessen langen Zeit- und Personalaufwand bedeuten würde und das Verfahren, das ohnehin schon überlang gedauert hat, weiter in die Länge ziehen würde. Die im Ermittlungsverfahren angeordneten Arrestentscheidungen wurden aufgehoben.
VIII.
Berufsverbot (§ 70 StGB):
Ein Berufsverbot gegen die Apotheker S. und G. wurde nicht beantragt und kam auch für die Kammer nicht in Betracht. Zum einen kann angesichts der schwierigen und ungeklärten Rechtslage zur Tatzeit und der rechtlichen Beratung, die jedoch formal unzureichend war, eine grobe Verletzung der Apothekerpflichten nicht bejaht werden und zum anderen besteht aus der Sicht der Kammer nach dem straflosen Wohlverhalten über einen Zeitraum von annähernd 10 Jahren seit der Tatbeendigung keine Gefahr, dass die beiden Angeklagten bei der weiteren Ausübung ihres Berufes in der Zukunft weitere rechtswidrige Taten der abgeurteilten Art begehen werden. Sie sind durch die lange Verfahrensdauer und die ausgesprochenen Bewährungsstrafen ausreichend beeindruckt und werden sich nach Überzeugung der Kammer in der Zukunft, wie bereits bei der Bewährungsfrage ausgeführt, insgesamt und nicht nur auf dem Gebiet ihrer besonderen Apothekerpflichten straffrei verhalten.
IX.
Kosten:
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 465 StPO und § 21 Abs. 1, S. 1 GKG.
Im Ermittlungsverfahren wurde ein elektronischer Trojaner eingesetzt, dessen Verwendung vom Landgericht Landshut als rechtswidrig bewertet und beendet worden ist. Die dafür entstandenen ausscheidbaren Kosten können den Angeklagten nicht auferlegt werden, weil sie bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären.