Strafrecht

Waffenbesitzverbot für erlaubnisfreie Waffen

Aktenzeichen  M 7 K 16.771

Datum:
25.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG WaffG § 5 Abs. Nr. 2a, Abs. 2 Nr. 1a, § 41 Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Bei § 5 Abs. 1 Nr. 2a WaffG handelt es sich um eine unwiderlegbare Vermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ausgehend von der Absicht des Gesetzgebers, den missbräuchlichen oder leichtfertigen Umgang mit Waffen durch die jüngsten Verschärfungen des Waffenrechts zum Schutz der Allgemeinheit einzudämmen, genügt für die gesetzlich geforderte Prognoseentscheidung ein rationaler Schluss von der Verhaltensweise eines Betroffenen auf dessen in Zukunft zu erwartendes Verhalten (wie VGH München BeckRS 2013, 59078). (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Prognose über die waffenrechtliche Zuverlässigkeit ist gerichtlich uneingeschränkt überprüfbar. (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Einschätzung einer Behörde, dass eine Person, die mehrere Waffen bzw. gefährliche Gegenstände in ihrer Wohnung verwahrt, unter einem Alkoholproblem leidet, für tätliche Auseinandersetzungen bekannt ist und immer wieder polizeilich auffällig wird, zukünftig missbräuchlich oder leichtfertig Waffen oder Munition verwenden wird und daher waffenrechtlich unzuverlässig ist, ist nicht zu beanstanden. (redaktioneller Leitsatz)
5. Ein Abweichen von der Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit kommt nur dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind (wie BVerwG, NVwZ 2009, 398 Rn. 5). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg.
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers über die Sache verhandeln und entscheiden, da der Kläger ordnungsgemäß geladen und in der mit Postzustellungsurkunde zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Der Bescheid der Beklagten vom 2. Februar 2016 mit dem darin verfügten Waffenbesitzverbot ist im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, U.v. 6.12.1978 – I C 23.76 – juris Rn. 13) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG kann die zuständige Behörde jemandem den Besitz von Waffen oder Munition, deren Erwerb nicht der Erlaubnis bedarf, und den Erwerb solcher Waffen oder Munition u. a. dann untersagen, wenn Tatsachen bekannt werden, die die Annahme rechtfertigen, dass dem rechtmäßigen Besitzer oder Erwerbswilligen die für den Erwerb oder Besitz solcher Waffen oder Munition erforderliche Zuverlässigkeit fehlt. Dabei beurteilt sich der Begriff der Zuverlässigkeit ebenso nach § 5 WaffG wie im Bereich der erlaubnispflichtigen Waffen (BayVGH, B.v. 22.1.2014 – 21 ZB 13.1781 – juris Rn. 13 ff. m. w. N.; OVG Hamburg, U.v. 11.1.2011 – 3 BF 197/09 – juris Rn. 33).
Die Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass beim Kläger Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden wird (§ 5 Abs. 1 Nr. 2a WaffG). Weiter ist der Kläger als waffenrechtlich unzuverlässig im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG anzusehen.
Bei § 5 Abs. 1 Nr. 2a WaffG handelt es sich um eine unwiderlegbare Vermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit (Steindorf/Heinrich/Papsthart, WaffR, 10. Aufl. 2015, § 5 WaffG Rn. 8, 13; BayVGH, B.v. 14.7.2009 – 21 CS 09.1523 – juris Rn. 4). Ausgehend von der Absicht des Gesetzgebers, den missbräuchlichen oder leichtfertigen Umgang mit Waffen durch die jüngsten Verschärfungen des Waffenrechts zum Schutz der Allgemeinheit einzudämmen, genügt für die gesetzlich geforderte Prognoseentscheidung ein rationaler Schluss von der Verhaltensweise eines Betroffenen auf dessen in Zukunft zu erwartendes Verhalten (vgl. BayVGH, U.v. 10.10.2013 – 21 BV 13.429 – juris Rn. 28 f.). Dabei wird in Anbetracht von Sinn und Zweck des § 5 Abs. 1 Nr. 2a WaffG und der erheblichen Gefahren, die von Waffen oder Munition für hochrangige Rechtsgüter ausgehen, für die gerichtlich uneingeschränkt überprüfbare Prognose nicht der Nachweis verlangt, der Betroffene werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden; vielmehr genügt eine hinreichende, auf der Lebenserfahrung beruhende Einschätzung (vgl. BayVGH, a. a. O., Rn. 30). Weitergehende Anforderungen übersehen den präventiven Charakter des Waffenrechts genauso wie die Tatsache, dass auch vermeintlich exakte Begutachtungen ein Restrisiko nicht ausschließen können (BayVGH, a. a. O., Rn. 31 m. w. N.). Ein Restrisiko muss im Waffenrecht aber nicht hingenommen werden (BayVGH, a. a. O., Rn. 31 m. w. N.). Erforderlich sind daher konkrete Tatsachen, die den nachvollziehbaren und plausiblen Schluss rechtfertigen, dass der Erlaubnisinhaber in Zukunft entweder selbst mit Waffen in einer vom Waffengesetz nicht geduldeten Form umgehen oder Dritten einen solchen Umgang durch willentliche Überlassung ermöglichen wird (BayVGH, a. a. O., Rn. 32). Solche Tatsachen liegen hier vor.
Die Behörde hat zu Recht den Vorfall vom 19. November 2015 – einen Streit zwischen dem Kläger und seiner Mutter, bei dem die Polizei einschreiten musste – sowie seine zahlreichen rechtskräftigen Verurteilung als Tatsachengrundlage herangezogen. Die Verurteilungen erfolgten wegen verschiedener Delikte, u. a. dem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln, fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und Körperverletzung. Der Kläger räumt in seiner Klagebegründung selbst ein, dass es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen ihm und seiner Mutter komme und dass bei ihm eine Alkoholproblematik vorliege, derentwegen er sich in Behandlung begeben werde. In der Wohnung des Klägers wurden zahlreiche Waffen und gefährliche Gegenstände aufgefunden, u. a. eine Anscheinswaffe, zwei Zielfernrohre, Pfeil und Bogen, mehrere Messer, Dolche, ein Schwert und eine Axt. Die Gegenstände lagen größtenteils griffbereit auf Kommoden und Tischen. Für einige Waffen waren Holster vorhanden, so dass davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger die Waffen mit sich führte bzw. dies beabsichtigte. Weiter fanden die Polizeibeamten Hinweise auf Drogenkonsum, zahllose Gewaltvideos, mehrere Ausgaben von Hitlers „Mein Kampf“ und Utensilien für eine Teufelsanbetung.
All diese Gesichtspunkte rechtfertigen eine negative Prognose im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2a WaffG hinsichtlich des zukünftigen waffenrechtlichen Verhaltens des Klägers. Hierfür genügt eine auf Lebenserfahrung gestützte Einschätzung basierend auf Anknüpfungstatsachen. Die Einschätzung der Behörde, dass eine Person, die mehrere Waffen bzw. gefährliche Gegenstände in ihrer Wohnung verwahrt, unter einem Alkoholproblem leidet, für tätliche Auseinandersetzungen bekannt ist und immer wieder polizeilich auffällig wird, zukünftig missbräuchlich oder leichtfertig Waffen oder Munition verwenden wird, ist nicht zu beanstanden.
Weiter besitzen nach § 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG die erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel Personen nicht, die wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen oder mindestens zwei Mal zu einer geringeren Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahr noch nicht verstrichen sind. Auch diese Voraussetzungen sind beim Kläger erfüllt.
Er wurde mit Urteil vom 28. Dezember 2011, rechtskräftig seit 14. Januar 2012, vom Amtsgericht München wegen zwei tatmehrheitlichen Fällen der Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 95 Tagessätzen verurteilt. Zugrunde lag ein Vorfall, bei dem der Kläger seiner Mutter einen Faustschlag gegen den Kopf verpasste, woraufhin diese stürzte und sich an der Hand verletzte. Seinen der Mutter zu Hilfe eilenden Vater stieß der Kläger zu Boden, so dass er mit dem Hinterkopf gegen einen Schrank prallte. Eine weitere Verurteilung durch das Amtsgericht München erfolgte am 1. August 2014, rechtskräftig seit 4. September 2014, wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (Geldstrafe von 60 Tagessätzen). Der Kläger war trotz vorangegangenen Alkoholkonsums Fahrrad gefahren, wobei eine ca. eine Stunde nach der Tat entnommene Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 2,73 Promille ergeben hatte.
Eine Ausnahme von der in § 5 Abs. 2 WaffG aufgestellten Regelunzuverlässigkeit kann bei den abgeurteilten Taten nicht angenommen werden. Ein Abweichen von der Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit kommt nur dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.2008 – 3 B 12/08 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 18.4.2011 – 21 CS 11.373 – juris Rn. 6). Daran fehlt es hier offensichtlich.
Die Beklagte hat das ihr zustehende Ermessen erkannt und zweckgerecht und im Rahmen der gesetzlichen Grenzen ausgeübt (Art. 40 BayVwVfG), nämlich den Besitz von erlaubnisfreien Waffen, insbesondere zur Abwehr der auch von erlaubnisfreien Waffen und Munition ausgehenden Gefahren (BT-Drs. 14/7758, S. 76) untersagt. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Besitzverbot mit dem sich aus der fehlenden waffenrechtlichen Zuverlässigkeit ergebenden Sicherheitsrisiko begründet worden ist. Im Hinblick auf den Zweck des Waffengesetzes, den Umgang mit Schusswaffen und Munition zu begrenzen und den zuverlässigen und sachkundigen Umgang mit Waffen zu gewährleisten, um die naturgemäß aus dem Besitz und Gebrauch von Waffen resultierenden erheblichen Gefahren einzugrenzen und überwachen zu können (BayVGH, B.v. 19.3.2010 – 21 CS 10.59 – juris Rn. 14), ist das strafbewehrte Besitz- und Erwerbsverbot (vgl. § 52 Abs. 3 Nr. 8 WaffG) ein geeignetes Mittel der Gefahrenabwehr. Ein milderes Mittel, das gleichermaßen geeignet wäre, Gefahren zu begegnen, die auch von erlaubnisfreien Waffen im Besitz des nicht zuverlässigen Klägers ausgehen, ist nicht ersichtlich. Entgegen der Meinung des Klägers ist das Waffenbesitzverbot damit nicht unverhältnismäßig.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

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