Strafrecht

Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung im Rahmen des Verfahrens zur Prüfung der Fortdauer einer Sicherungsverwahrung

Aktenzeichen  2 Ws 748/15

Datum:
3.2.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2016, 04076
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO StPO §§ 143, 463 VIII,

 

Leitsatz

1. Ein Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung für die Verfahren zur Prüfung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung ist nach Beginn des Prüfungsverfahrens nur dann möglich, wenn die von der Rechtsprechung in analoger Anwendung des § 143 StPO entwickelten Voraussetzungen hierfür vorliegen. (amtlicher Leitsatz)
2. Vor Beginn des Prüfungsverfahrens ist einem Antrag des Sicherungsverwahrten auf Auswechslung des Pflichtverteidigers in der Regel stattzugeben. (amtlicher Leitsatz)
3 Bei den jährlichen Überprüfungsverfahren handelt es sich um selbstständige Verfahren, für die nach Nr. 4200ff VV-RVG die Verteidigergebühren jeweils neu anfallen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

SR StVK 149/07 2015-11-16 Bes LGREGENSBURG LG Regensburg

Gründe

Oberlandesgericht Nürnberg
2 Ws 748/15
Beschluss
vom 03.02.2016
3 Ws 715/15 Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg
SR StVK 149/07 Landgericht Regensburg
3 VRs 205/99 Staatsanwaltschaft Bayreuth
2. Strafsenat
LEITSATZ
In dem Sicherungsverwahrungsvollstreckungsverfahren
gegen
M. J., geb. am …
Verteidiger: Rechtsanwalt W. Rechtsanwalt S.
hier: Beschwerde des Verurteilten M. J.
erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg – 2. Strafsenat – durch die unterzeichnenden Richter am 03.02.2016 folgenden Beschluss
Die Beschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 16.11.2015 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe:
I. Das Landgericht Bayreuth verurteilte J. M. mit rechtskräftigem Urteil vom 15.12.1999 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren und ordnete seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. Die verhängte Freiheitsstrafe verbüßte der Beschwerdeführer vollständig bis 08.10.2010. Seit 09.10.2010 wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen.
Am 23.01.2014 teilte der Vorsitzende der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing dem Untergebrachten mit, dass beabsichtigt ist, ihm einen Pflichtverteidiger zu bestellen und forderte ihn zur Benennung eines Rechtsanwalts seines Vertrauens auf. Da der Untergebrachte sich hierauf nicht äußerte, bestellte der Vorsitzende am 11.02.2014 Rechtsanwalt S. als Pflichtverteidiger. Mit Schreiben vom 16.06.2014 teilte der Untergebrachte mit, es versäumt zu haben, die Bestellung von Rechtsanwalt S. abzuwenden. Mit Beschluss vom 11.09.2014 ordnete die Strafvollstreckungskammer an, dass die Sicherungsverwahrung weiter zu vollziehen ist.
Im nächsten Überprüfungsverfahren nach §§ 67d Abs. 2, 67e Abs. 2 StGB gab der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer dem Untergebrachte und seinem Pflichtverteidiger Gelegenheit, sich zur Auswahl des Sachverständigen zu äußern. Da weder der Angeklagte noch sein Verteidiger diese Gelegenheit wahrnahmen, beauftragte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 24.02.2015 den Sachverständigen Dr. W. mit der Erstellung des Gutachtens.
Mit Schreiben vom 13.07.2015 teilte der Untergebrachter der Strafvollstreckungskammer mit, dass „sein neuer Anwalt Rechtsanwalt W. ist“. Mit Schreiben vom 17.09.2015 führte er aus, dass „S.nicht mein Anwalt ist“.
Mit Verfügung vom 06.10.2015 wies der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer den Untergebrachten darauf hin, dass die Bestellung von Rechtsanwalt S. gemäß § 463 Abs. 8 StPO fortdauere, bis sie aufgehoben werde, wofür aber ein Grund erforderlich sei, der nicht vorgetragen werde. Deshalb verbleibe es bei der Beiordnung.
Mit Schriftsatz vom 21.10.2015 beantragte Rechtsanwalt W. für den Untergebrachten, Rechtsanwalt S. zu entpflichten und sich selbst als Pflichtverteidiger zu bestellen. Zur Begründung führte er aus, dass bislang keine Gespräche des Verteidigers mit dem Untergebrachten geführt worden seien und ein Vertrauensverhältnis nicht habe aufgebaut werden können.
Der Pflichtverteidiger Rechtsanwalt S. teilte mit Schriftsatz vom 03.11.2015 mit, dass er den Untergebrachten am 17.09.2015 habe besuchen wollen, dieser sich aber nicht habe vorführen lassen. Er kündigte einen weiteren Besuchsversuch für den 12.11.2015 an.
Im Schriftsatz vom 05.11.2015 führte Rechtsanwalt W. aus, dass kein Vertrauensverhältnis des Untergebrachten zu Rechtsanwalt S. bestehe, was sich auch aus dem Schreiben des Rechtsanwalts S.vom 03.11.2015 ergebe. Dies sei nachvollziehbar, da der Pflichtverteidiger den persönlichen Kontakt erst am 12.11.2015 gesucht habe.
Mit Beschluss vom 16.11.2015 hat der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer den Antrag des Untergebrachten auf Beiordnung von Rechtsanwalt W. zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz von Rechtsanwalt W. vom 18.11.2015 eingelegte Beschwerde, der der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 19.11.2015 nicht abgeholfen hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollstreckt, bestellt das Gericht gemäß § 463 Abs. 8 StPO dem Verurteilten, der keinen Verteidiger hat, für die Verfahren über die auf dem Gebiet der Vollstreckung zu treffenden gerichtlichen Entscheidungen einen Verteidiger, wobei die Bestellung rechtzeitig vor der ersten gerichtlichen Entscheidung zu erfolgen hat. Diese gilt für jedes weitere Verfahren, solange die Bestellung nicht aufgehoben wird. Mit dieser zum 01.06.2013 in Kraft getretenen Neuregelung wollte der Gesetzgeber aufgrund einer uneinheitlichen und restriktiven Beiordnungspraxis der Strafvollstreckungskammern sicherstellen, dass angesichts der Bedeutung und Tragweite jeder Entscheidung über die Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und einer regelmäßig schwierigen Rechts-, insbesondere aber schwierigen psychiatrisch- neurologischen Sachlage, die das Verständnis des Verurteilten und seine Fähigkeit, sich damit angemessen auseinanderzusetzen, übersteigen dürfte, die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch im Vollstreckungsverfahren nunmehr künftig immer stattfindet. Dabei gilt die Bestellung nach § 463 Abs. 8 StPO für jedes Verfahren, im dem eine gerichtliche Entscheidung auf dem Gebiet des Vollstreckungsrechts getroffen wird. Aus Gründen der Verfahrensvereinfachung ist nur ein einziger Bestellungsbeschluss vor der ersten gerichtlichen Entscheidung erforderlich. Das Wort „rechtzeitig“ weist dabei darauf hin, dass die Bestellung des Pflichtverteidigers so frühzeitig erfolgen muss, dass er die Interessen des Verurteilten im Verfahren angemessen wahrnehmen kann. Die Bestellung ist insbesondere nur dann rechtzeitig, wenn sie vor der Beauftragung eines Sachverständigen erfolgt. Für eine Rücknahme der Bestellung gilt § 143 StPO entsprechend; ein Widerruf ist aus wichtigem Grund ist zulässig, etwa wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verurteiltem und Verteidiger zerstört ist (Bundestagsdrucksache 17/9874, S. 27).
Entsprechend diesen gesetzlichen Vorgaben hat der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer nach Anhörung des Untergebrachten am 11.02.2014 Rechtsanwalt S. als Pflichtverteidiger bestimmt. Diese Bestellung gilt gemäß § 463 Abs. 8 Satz 2 StPO grundsätzlich auch für alle weiteren Verfahren, in denen der weitere Vollzug der Unterbringung der Sicherungsverwahrung überprüft wird.
2. Der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer hat zu Recht von einer Entbindung des bestellten und der Beiordnung eines neuen Pflichtverteidigers abgesehen.
a. Der Widerruf der Bestellung eines Pflichtverteidigers ist gesetzlich zwar nicht vorgesehen, nach der Rechtsprechung entsprechend § 143 StPO aber dann zulässig und geboten, wenn ein wichtiger Grund für die Abberufung des bestellten Verteidigers vorliegt, wofür jeder Umstand in Frage kommt, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet (BVerfG, Beschluss vom 08. April 1975 – 2 BvR 207/75 -, BVerfGE 39, 238, Rn. 19). Hierzu zählen insbesondere grobe Pflichtverletzungen des Pflichtverteidigers oder eine nachhaltige und endgültige Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Untergebrachten und seinem Pflichtverteidiger (Meyer-Goßner, StPO, 58. Auflage, § 143 Rn. 4ff).
b. Bei dem Widerruf der Bestellung des Pflichtverteidigers für die Verfahren über die auf dem Gebiet der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zu treffenden gerichtlichen Entscheidungen sind zwei Fallgestaltungen zu unterscheiden: zum einen der Widerruf der Bestellung und damit der Wechsel des Pflichtverteidigers vor Beginn eines neuen Prüfungsverfahrens und zum anderen der Widerruf während eines begonnenen und noch laufenden Prüfungsverfahrens.
Grund für die durch die Rechtsprechung entwickelten hohen Anforderungen für die Entbindung des Pflichtverteidigers sind das Vertrauen des Pflichtverteidigers in die Beiordnungsentscheidung als einen ihn begünstigenden Verwaltungsakt (BVerfG a. a. O.), die Kontinuität der Verteidigung im Interesse eines zügigen Verfahrens, aber auch fiskalische Erwägungen: Der Wechsel des Pflichtverteidigers zu einem Zeitpunkt, in dem für seine Tätigkeit bereits Gebühren angefallen sind, soll nicht durch willkürliches Verhalten des Angeklagten ermöglicht werden, da in der Regel für den neu zu bestellenden Pflichtverteidiger dieselben Gebühren nochmals anfallen. Entsprechend wird in der Rechtsprechung ein Hinderungsgrund für den Wechsel des Pflichtverteidigers dann nicht gesehen, wenn der Angeklagte sowie der alte und der neue Pflichtverteidiger damit einverstanden sind, keine Verfahrensverzögerung entsteht und keine Mehrkosten anfallen (Meyer-Goßner, a. a. O., Rn. 5a).
Diese Grundsätze wurden in erster Linie im Hinblick auf Pflichtverteidigerbestellungen für ein konkretes, zeitlich überschaubares Verfahren entwickelt und gelten deshalb ohne weiteres für die Fälle, in denen nach Beginn und vor Beendigung Verfahrens zur Prüfung der Fortdauer des weiteren Vollzugs der Sicherungsverwahrung der Widerruf der Bestellung beantragt wird.
Da der Untergebrachte vorliegend den Widerruf der Bestellung des Pflichtverteidigers während eines begonnenen und noch andauernden Verfahrens zur Prüfung der Fortdauer der gegen ihn angeordneten Sicherungsverwahrung begehrt hat, ist die Abberufung des Verteidigers nur dann möglich, wenn ein wichtiger Grund hierfür vorliegt. Dies ist nicht der Fall. Der Vorwurf des Untergebrachten, der Pflichtverteidiger habe keinen Kontakt mit ihm aufgenommen und er habe zu diesem kein Vertrauensverhältnis aufbauen können, ist angesichts der Weigerung des Untergebrachten, mit diesem zu sprechen, nicht nachvollziehbar.
3. Für weitere Prüfungsverfahren ist darauf hinzuweisen, dass dem Antrag eines Sicherungsverwahrten auf Auswechslung des Pflichtverteidigers vor Beginn des nächsten Prüfungsverfahrens in der Regel stattzugeben sein wird. Ein mehrfaches Anfallen der Verteidigergebühren ist dann nicht zu befürchten: Bei den jährlichen Überprüfungsverfahren handelt es sich um selbstständige Verfahren, für die nach Nr. 4200ff VV-RVG die Verteidigergebühren jeweils neu anfallen.
Aufgrund der Auswechslung des Pflichtverteidigers vor Beginn eines neuen Überprüfungsverfahrens sind auch keine Verzögerungen zu erwarten; jedenfalls zeigt dies die bisherige Praxis in Verfahren, in denen über die Fortdauer der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus (dort gilt bei gleicher Interessenlage § 463 Abs. 8 StPO nicht) oder der Sicherungsverwahrung vor der Gesetzesänderung zu entscheiden ist.
Auch Gründe des Vertrauensschutzes des bestellten Pflichtverteidigers erfordern es nicht, dass hohe Anforderungen an die Auswechslung des Pflichtverteidigers vor Beginn des nächsten Prüfungsverfahrens zu stellen wären. Wesentlicher Schutzzweck der neu eingeführten Regelung des § 463 Abs. 8 StPO ist es, die erforderliche Verteidigung des Untergebrachten sicherzustellen, und nicht dem Pflichtverteidiger eine dauernde Einnahmequelle zu verschaffen.
Zudem ist es ohne weiteres nachvollziehbar, dass der Untergebrachte bei langjährigem Vollzug der Sicherungsverwahrung das Vertrauen zu seinem während dieser Zeit „erfolglosen“ Verteidiger verlieren kann.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

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