Aktenzeichen B 1 S 16.681
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1 Ist nach den Feststellungen in den Behördenakten nur zweimaliger Cannabiskonsum belegt und spricht das verkehrsmedizinische Gutachten auch nur von „gelegentlichen Cannabiskonsum“, ist ein Bescheid, der sich fälschlicherweise auf regelmäßigen Cannabiskonsum, fehlerhaft. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Verwertbarkeit eines der Fahrerlaubnisbehörde tatsächlich bekanntgewordenen negativen Fahreignungsgutachtens hängt danach nicht von der Rechtmäßigkeit der Beibringungsanordnung ab; ein Gutachten ist aber nicht brauchbar, wenn trotz geringen THC-Gehalts im Blut nicht näher ausgeführt wird, womit nachgewiesen sein soll, dass der Betroffene nicht über das erforderliche Trennvermögen verfügt. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des … C. vom 28.09.2016 wird wiederhergestellt.
2. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A1, A2, AM, B und L.
Die Polizeiinspektion C. teilte dem … C. am 10.02.2016 mit, dass der Antragsteller am 27.12.2015 als Fahrer eines Kraftfahrzeuges einer Verkehrskontrolle unterzogen worden sei. Dabei habe er drogentypische Auffälligkeiten gezeigt (starker Bewegungsdrang, bei Lichteinfall pulsierende Pupillen). Ein Drogenvortest sei auf Cannabis positiv verlaufen. Nach dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum Ulm sei in der ca. 1,25 Stunden nach der Verkehrskontrolle entnommenen Blutprobe THC in einer Konzentration von 0,9 ng/ml und THC-COOH in einer Konzentration von 29,6 ng/ml nachgewiesen worden. Bei einer Zimmerdurchsuchung sei ein Tütchen mit 0,5 g Marihuana-Tabak-Gemisch sichergestellt worden.
Der Antragsgegner forderte den Antragsteller mit Schreiben vom 31.03.2016 auf, bis zum 31.05.2016 ein ärztliches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen, das ein Urinscreening bzw. eine Haaranalyse beinhalte und zum Konsumverhalten Stellung nehme.
Das verkehrsmedizinische Gutachten der … T. F. GmbH & Co.KG vom 27.04.2016 führt aus, dass der Antragsteller zweimaligen Cannabiskonsum eingeräumt habe (01.08.2015 und 27.12.2015). Die erhobenen Befunde hätten keine Hinweise auf akute Drogenwirkung, chronischen Drogenmissbrauch oder mittelüberdauernde toxisch psychoorganische Veränderungen ergeben und stünden nicht im Widerspruch zu den Angaben über eine Abstinenz seit dem 27.12.2015. Das Konsumverhalten sei als gelegentliche Einnahme von Betäubungsmitteln zu bezeichnen.
Die Fahrerlaubnisbehörde forderte den Antragsteller daraufhin am 31.05.2016 auf, bis zum 31.07.2016 ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen.
Das daraufhin erstellte medizinisch-psychologische Gutachten der … T. F. GmbH & Co.KG vom 29.08.2016 kommt zu dem Ergebnis, es sei zu erwarten, dass der Antragsteller zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis und dessen Nachwirkungen führen werde. Die Angaben des Antragstellers ließen sich nicht mit den aktenkundigen toxikologischen Befunden vereinbaren. Darüber hinaus hätten sich deutliche Widersprüche zwischen den Angaben des Antragstellers im Rahmen der verkehrsmedizinischen Untersuchung vom 27.04.2016 und seinen Angaben bei dieser Untersuchung ergeben. Dieses Verhalten habe sich auch nach Hilfestellung bzw. Erläuterungen nicht geändert. Es sei nicht gelungen, den Antragsteller soweit zur Mitarbeit zu motivieren, dass verwertbare Angaben zu erheben gewesen wären. Die im Blut festgestellte Menge an Drogen sei mit den Angaben des Antragstellers zum Drogenkonsum vor der Drogenfahrt nicht vereinbar. Eine fundierte Einsicht in das von der Norm abweichende Ausmaß des früheren Drogenkonsums bestehe noch nicht. Gegenwärtig seien deutliche Bagatellisierungstendenzen hinsichtlich des früheren Konsumverhaltens zu erkennen. Der Antragsteller habe sich auch noch nicht mit Fragen der Rückfallverhinderung auseinandergesetzt. So hätten individuelle, in der Person verwurzelte Rückfallrisiken, deren Erkennen rückfallpräventive Maßnahmen erst ermöglichten, nicht benannt werden können. Vor diesem Hintergrund ließen die Angaben des Antragstellers im Verlauf der verkehrspsychologischen Exploration zwar eine differenzierte diagnostische Einordnung des Schweregrades der vorliegenden Problematik nicht zu. Dies stehe aber einer abschließenden fachlichen Bewertung auf der Grundlage der anzuwendenden Begutachtungsleitlinien und einer eindeutigen Beantwortung der behördlichen Fragestellung nicht entgegen. Zusammenfassend bleibe festzustellen, dass der Antragsteller die grundlegende Anforderung letztlich nicht erfülle, im Untersuchungsgespräch in ausreichendem Maße zu kooperieren, wesentliche Hintergrundinformationen zu liefern und Angaben zu machen, die frei von inneren Widersprüchen seien und auch frei von Widersprüchen zu gesichertem Erfahrungswissen, wissenschaftlichen Erkenntnissen, der medizinischen Befundlage und/ oder der Aktenlage. Die begründete Annahme eines erhöhten Risikos bzgl. zukünftiger Auffälligkeiten, die sich aus den aktenkundigen Vorgeschichtsdaten ergebe und die Grundlage für die behördliche Anordnung der Begutachtung darstelle, lasse sich vor diesem Hintergrund weder abschwächen noch widerlegen. Insofern könne eine günstige Verkehrsverhaltensprognose nicht gerechtfertigt werden. Vielmehr müsse aus medizinisch-psychologischer Sicht eine negative Prognose gestellt und zukünftig mit einschlägigen Verkehrsauffälligkeiten im Sinne der Fragestellung gerechnet werden.
Der Antragsgegner entzog dem Antragsteller mit Bescheid vom 28.09.2016 die Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1, A2, B und L (Nr. 1) und ordnete an, den Führerschein bis spätestens fünf Tage nach Zustellung des Bescheides abzugeben (Nr. 2). Ferner wurde ein Zwangsgeld angedroht in Höhe von 500,00 EUR falls der Antragsteller dieser Verpflichtung nicht fristgerecht nachkommt, (Nr. 3) und die sofortige Vollziehung des Bescheides angeordnet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller habe am 18.09.2015 einen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz begangen, im Blut sei aber nur Carbonsäure in einer Konzentration von 16,8 ng/ml nachgewiesen worden (Verkehrspolizeiinspektion C., Az. …). Am 27.12.2015 sei er als Fahrer eines Pkw festgestellt worden, habe drogentypische Auffälligkeiten gezeigt, bei der Zimmerdurchsuchung sei ein Marihuana-Tabak-Gemisch gefunden worden und nach dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum Ulm sei in der dem Antragsteller entnommenen Blutprobe THC in einer Konzentration von 0,9 ng/ml und THC-COOH in einer Konzentration von 29,6 ng/ml nachgewiesen worden. Nach dem verkehrsmedizinischen Gutachten der … T. F. GmbH & Co.KG vom 27.04.2016 sei das Konsumverhalten des Antragstellers als gelegentlicher Cannabiskonsum zu bezeichnen. Die Bedenken der Fahrerlaubnisbehörde seien durch das medizinisch-psychologische Gutachten der … T. F. GmbH & Co.KG vom 29.08.2016 nicht ausgeräumt worden. Der Antragsteller sei als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen einzustufen. Ungeeignet sei, wer regelmäßig Cannabis konsumiere. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei das bereits bei 1 ng/ml im Blut der Fall. Der Antragsteller habe unter Einfluss von 0,9 ng/ml THC im Blut ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt. Daher könne nach der zitierten Rechtsprechung schon bei einem THC-Wert von mindestens 1,0 ng/ml mangelndes Trennvermögen zwischen Konsum von Cannabis und dem Fahren mit der Folge angenommen werden, dass einem Betroffenen, der als gelegentlicher Konsument von Cannabis ein Fahrzeug mit mindestens diesem Wert führe, die Fahrerlaubnis ohne weiteres zu entziehen sei. Der regelmäßige Konsum sei im Falle des Antragstellers durch die beiden vorstehend genannten Gutachten des TÜV Thüringen nachgewiesen worden. Durch die Feststellungen der PI C. und das Untersuchungsergebnis des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Ulm sei erwiesen, dass der Antragsteller ein Fahrzeug unter Drogeneinfluss geführt habe. Die Fahrerlaubnisbehörde gehe vom Vorliegen eines Regelfalles und mangelndem Trennvermögen aus.
Weiter wird die Anordnung des Sofortvollzuges und die Zwangsgeldandrohung begründet.
Mit Schriftsatz vom 06.10.2016, beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen am 07.10.2016 erhob der Antragsteller Klage und beantragte gleichzeitig:
Die aufschiebende Wirkung der am 06.10.2016 erhobenen Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Zweckverbands Zulassungsstelle C. vom 28.09.2016 wird wiederhergestellt.
Zur Begründung wird ausgeführt, der Bescheid sei rechtswidrig, weil bereits die Anordnung des medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtswidrig gewesen sei. Der Antragsteller habe durch Vorlage des ärztlichen Attests bereits nachgewiesen, dass er keinerlei Drogen zu sich nehme und schon gar nicht unter dem Einfluss von Drogen Auto fahre. Der Antragsteller bezweifelt (ohne sachliche Begründung) die Unvoreingenommenheit der Begutachtungsstelle. Das Gutachten sei völlig unsubstantiiert. Ihm werde ohne nähere Begründung vorgeworfen, dass er bei der Begutachtung nicht mitgewirkt habe. Im Gegenteil dazu habe der Antragsteller von sich aus eingeräumt, dass er bei zwei verschiedenen Gelegenheiten im Freundeskreis an einem Joint mitgeraucht habe. Es habe sich um einige wenige Züge gehandelt, die beim Antragsteller zu keinerlei Wirkung geführt hätten. Im Hinblick auf seine sportlichen Aktivitäten habe der Antragsteller von weiterem Genuss Abstand genommen; er rauche nicht einmal Zigaretten und trinke keinen Alkohol. Der Antragsgegner stütze den Bescheid auch darauf, dass bei der Zimmerdurchsuchung einige Krümel Cannabis gefunden worden seien. Diese Behauptung werde bestritte. Tatsächlich habe es sich nicht um Cannabis gehandelt.
Der Antragsgegner legte die Behördenakten vor und beantragte mit Schriftsatz vom 17.10.2016, den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
Gemäß Anlage 4 Nr. 9.2 FeV sei nicht geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer regelmäßig Cannabis konsumiere. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei das bereits bei 1 ng/ml im Blut der Fall. Der Antragsteller habe unter dem Einfluss von 0,9 ng/ml THC im Blut ein Kraftfahrzeug geführt. Daher könne nach dieser Rechtsprechung schon bei Fahrzeugführung mit einem THC-Wert von mindestens 1,0 ng/ml mangelndes Trennvermögen zwischen Konsum von Cannabis und dem Fahren mit der Folge angenommen werden, dass einem Betroffenen, der als gelegentlicher Konsument von Cannabis ein Fahrzeug mit mindestens diesem Wert führt, die Fahrerlaubnis ohne weiteres nach § 11 Abs. 7 FeV zu entziehen ist. Der regelmäßige Konsum sei im Falle des Antragstellers durch die beiden vorstehenden Gutachten des TÜV Thüringen belegt. Die Fahrerlaubnisbehörde gehe nach allem vom Vorliegen eines Regelfalles und mangelndem Trennvermögen aus. Ein Ermessensspielraum sei nicht gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, den Vortrag der Beteiligten und die übermittelten Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist dem vorliegenden Antrag stattzugeben, da der angefochtene Bescheid nach summarischer Überprüfung Bedenken begegnet. Das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage überwiegt deshalb das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV. Nach diesen Vorschriften hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV (Anlage 4) vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Normzweck ist der Schutz der Allgemeinheit und der Individualrechtsgüter der Straßenverkehrsteilnehmer vor unfähigen oder ungeeigneten Führern solcher Kraftfahrzeuge, für die eine Fahrerlaubnis benötigt wird. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ist regelmäßig derjenige der letzten Behördenentscheidung, hier der Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids.
Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen liegt nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 bei regelmäßiger Einnahme von Cannabis vor. Das Tatbestandsmerkmal der Regelmäßigkeit ist zumindest im Normalfall nur dann erfüllt, wenn Haschisch oder Marihuana täglich oder nahezu täglich konsumiert wird (vgl. etwa BayVGH, B.v. 18.5.2010 – 11 CS 09.2849; B.v. 8.2.2008 – 11 CS 07.3017).
Die Fahreignung kann auch bei gelegentlichem Cannabiskonsum ausgeschlossen sein. Gelegentlicher Konsum von Cannabis i.S.v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 liegt dann vor, wenn der Betroffene in zumindest zwei selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13; BayVGH, B.v. 31.3.2011 – CS 11.256).
Gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 genügt der gelegentliche Cannabiskonsum für sich genommen noch nicht, um von fehlender Fahreignung des Betroffenen auszugehen (vgl. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13; U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 29 S. 7; BayVGH, B.v. 23.5.2016 – 11 CS 16.690). Hinzu treten müssen nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 vielmehr zusätzliche tatsächliche Umstände. Eine dieser „Zusatztatsachen“ ist neben dem Mischkonsum von Cannabis und Alkohol, dass der Betroffene nicht zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeuges trennt. In dieser fehlenden Trennung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein die Fahreignung ausschließender charakterlich-sittlicher Mangel. Er ist darin zu sehen, dass der Fahrerlaubnisinhaber ungeachtet einer im Einzelfall anzunehmenden oder jedenfalls nicht auszuschließenden drogen-konsumbedingten Fahruntüchtigkeit nicht bereit ist, vom Führen eines Kraftfahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr abzusehen (BVerfG, Kammerbeschluss v. 20.6.2002 – 1 BvR 2062/96 – NJW 2002, 2378). Daraus folgt zugleich, dass nicht jeder bei einem Kraftfahrzeugführer festgestellte THC-Pegel die Annahme fehlender Trennung im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 rechtfertigt (BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13).
Im vorliegenden Fall stützt sich der angefochtene Bescheid fälschlicherweise auf regelmäßigen Cannabiskonsum. Nach den Feststellungen in den Behördenakten ist aber nur zweimaliger Cannabiskonsum belegt. Dementsprechend attestiert der TÜV Thüringen im verkehrsmedizinischen Gutachten vom 27.04.2016 auch nur „gelegentlichen Cannabiskonsum“. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller häufiger Cannabis konsumiert, insbesondere so häufig, dass nach der obigen Definition von regelmäßigem Konsum auszugehen wäre, sind nicht erkennbar.
Damit entfällt die Fahreignung nach der Anlage 4 nur dann, wenn ausreichend sicher festgestellt werden kann, dass der Antragsteller nicht in der Lage ist, das Führen von Kraftfahrzeugen und seinen Drogenkonsum hinreichend sicher zu trennen (da die anderen in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 genannten Ausschlussgründe hier nicht zur Debatte stehen). Dafür sind aber keine ausreichend sicheren Anhaltspunkte vorhanden. Die Fahrerlaubnisbehörde bewertet nämlich die beim Antragsteller festgestellten THC-Werte falsch: Nach den nicht näher spezifizierten Angaben in der Gesamtauskunft (S. 89 der Behördenakten) wurde der Antragsteller wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz angezeigt, wobei im Blut des Antragstellers nur Carbonsäure = THC-COOH (16,8 mg/l) nachgewiesen werden konnte. Da keine weiteren Angaben in den Behördenakten enthalten sind, ist davon auszugehen, dass der Wirkstoff von Cannabis (THC) nicht im Blut nachgewiesen wurde.
Bei der Blutprobe vom 27.12.2015 wurde laut Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum Ulm vom 15.01.2016 ein Wert vom 0,9 ng/ml THC nachgewiesen. Auch dieser Wert liegt – worauf in dem Gutachten auch hingewiesen wird – unter dem für eine Ahndung nach § 24a StGB empfohlenen Grenzwert von 1,0 ng/ml. Er liegt auch unterhalb des(selben) Wertes, bei dem nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs eine Beeinträchtigung der verkehrsrelevanten Eigenschaften durch die Einnahme von Cannabis zu erwarten ist (vgl. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13; BayVGH, B.v. 31.3.2011 – CS 11.256).
Damit steht zwar fest, dass der Antragsteller mindestens zweimal Cannabis konsumiert hat, was er auch selbst einräumt. Da der Wirkstoffgehalt im Blut in beiden Fällen unter dem Grenzwert von 1,0 ng/ml lag, war der Antragsteller aber in beiden Fällen trotz des Cannabiskonsums nicht in seiner Fahrtauglichkeit eingeschränkt, so dass nicht ohne weiteres von einer Wiederholungsgefahr (im Sinne einer erneuten Fahrt in fahruntauglichem Zustand) ausgegangen werden kann.
Dieser wiederholte Cannabiskonsum, der zum einen in engem zeitlichen Abstand stattfand (01.08.2015, 27.12.2015) und auch in Zusammenhang mit dem Führen von Kraftfahrzeugen steht, gab entgegen der Auffassung des Antragstellers durchaus Anlass zur Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Die Gutachtensanforderung ist allerdings insoweit fehlerhaft, als der Antragsgegner im Schreiben vom 31.05.2016 ausführt, „Gem. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 ist bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis“ ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen. Entgegen dieser Formulierung lautet die Formulierung in § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV „kann angeordnet werden“. Dies bedeutet, dass für die Behörde keine Verpflichtung besteht, sondern sie nach pflichtgemäßem Ermessen über die Notwendigkeit einer Gutachtensbeibringung zu entscheiden hat und damit diese Ermessensentscheidung auch begründen muss. Dies hat der Antragsgegner verkannt und ist offensichtlich von einer Verpflichtung zur Gutachtensanordnung ausgegangen.
Allerdings kommt es auf diese Frage nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung nicht mehr an, wenn das Gutachten vorgelegt wurde, aus dem sich die Fahrungeeignetheit ergibt. Die Verwertbarkeit eines der Fahrerlaubnisbehörde tatsächlich bekanntgewordenen negativen Fahreignungsgutachtens hängt danach nicht von der Rechtmäßigkeit der Beibringungsanordnung ab (st. Rspr., vgl. z.B. BVerwG, B.v. 19.03.1996 – 11 B 14.94; BayVGH, B.v. 28.11.2014 – 11 CS 14.2267, B.v. 28.10.2013 – 11 CS 13.1746 – und B.v. 15.6.2009 – 11 CS 09.373 – juris). Der Antragsgegner konnte deshalb das ihm vorgelegte Gutachten des … T. F. GmbH & Co.KG vom 29.08.2016 seiner Entscheidung zugrunde legen, unabhängig davon, ob es zu Recht gefordert wurde oder nicht.
Dies bedeutet aber nicht, dass das Gutachten einfach ungeprüft übernommen werden darf. Die Behörde muss vielmehr prüfen und auch nachvollziehbar begründen, ob und aus welchen Gründen sie dem Gutachten folgen kann, insbesondere, weshalb sie es für richtig hält. Dies ist im vorliegenden Bescheid nicht geschehen.
Das Gutachten geht zwar vom richtigen Sachverhalt aus, legt seiner Auswertung auch die richtigen rechtlichen Vorschriften zugrunde und erscheint insgesamt auch schlüssig und nachvollziehbar. Insbesondere sind die Feststellungen zutreffend, dass die Angaben des Antragstellers über sein Konsumverhalten, die konsumierte Menge und den Zeitpunkt nicht mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen in Einklang zu bringen sind und deshalb davon auszugehen ist, dass der Antragsteller insoweit falsche Angaben gemacht hat. Auch wird aus den wiedergegebenen Antworten deutlich, dass der Antragsteller wohl nicht über das notwendige Wissen in Bezug auf die Wirkungsdauer und die möglichen Folgen eines Cannabiskonsums verfügt, so dass eine tragfähige Vermeidungsstrategie nicht möglich ist.
Dem Antragsteller kann jedoch in beiden Fällen nicht ohne weiteres zur Last gelegt werden, dass er den Cannabiskonsum und das Führen von Kraftfahrzeugen nicht hinreichend sicher trennen kann, nachdem jeweils weniger als 1,0 ng/ml THC im Blut nachgewiesen wurde. Zwar kann im Hinblick auf den verhältnismäßig schnellen Abbau von THC und die relativ kurze Nachweisbarkeit im Blut, sowie der zwischen Fahrt und Blutentnahme liegenden Zeitspanne von ca. 1,25 Stunden nicht sicher ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller tatsächlich unter aktuellem Drogeneinfluss ein Kraftfahrzeug geführt hat, doch geht weder das medizinisch-psychologische Gutachten noch der angefochtene Bescheid auf diese Möglichkeit ein. Insbesondere wird weder im angefochtenen Bescheid noch im Gutachten des TÜV Thüringen begründet, weshalb trotz des unter 1,0 ng/ml liegenden Wertes davon ausgegangen wird, dass der Antragsteller nicht über das erforderliche Trennvermögen verfügt und sein Vorsatz, kein Cannabis mehr zu konsumieren, keine ausreichende Vermeidungsstrategie darstellt. Dass dieser Vorsatz unglaubwürdig wäre, ist ebenfalls nicht ohne weiteres ersichtlich, nachdem trotz der zwischen dem letzten nachgewiesenen Cannabiskonsum und dem Bescheiderlass liegenden Zeitspanne keine Anhaltspunkte für weiteren Konsum vorliegen.
Bei diesem Sachverhalt überwiegt auch bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen eigenständigen Interessenabwägung des Gerichts das Interesse des Antragstellers, vorerst weiterhin Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr führen zu dürfen, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Fahrerlaubnisentzugs. Soweit eine weitere Abklärung der noch offenen Fragen erforderlich ist, muss dies dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nach allem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Höhe des Streitwerts richtet sich nach § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 – 3 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5, 46.2 und 46.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).