Aktenzeichen 206 StRR 277/20
StGB § 224 Abs. 1 Nr. 5
Leitsatz
1. Der Zulässigkeit einer Revision des Angeklagten gegen ein Berufungsurteil, das auf die Berufung der Staatsanwaltschaft ergangen ist, steht nicht entgegen, dass die von dem Angeklagten eingelegte Berufung durch (rechtskräftiges) Urteil des Landgerichts wegen unentschuldigten Nichterscheinens in der Hauptverhandlung gem. § 329 Abs. 1 StPO verworfen wurde (vgl. OLG Stuttgart BeckRS 9998, 36151). (Rn. 13 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Annahme einer das Leben gefährdenden Behandlung iSd § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB begegnet bei einer Verursachung von Belastungsfrakturen der Rippen keinen Bedenken. Eine Rippenfraktur ist potentiell lebensbedrohlich, denn es besteht bereits bei einer einzelnen gebrochenen Rippe die Gefahr, dass die Lunge verletzt wird, was in der Folge zu einem Lungenkollaps und zu tödlichem Kreislaufstillstand führen kann. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
3 Ls 21 Js 1376/17 jug 2020-03-09 Urt LGMUENCHENII LG München II
Tenor
I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 9. März 2020 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
Die Revision des Angeklagten ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der mit der Revision erhobenen Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
Mit Urteil des Amtsgerichts Starnberg vom 17. Mai 2018 wurde der Angeklagte der Misshandlung von Schutzbefohlenen in zwei Fällen schuldig gesprochen und deswegen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten verurteilt.
Gegen das Urteil legten der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft jeweils fristgerecht Berufung ein, wobei letztere auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war. Da der Angeklagte in dem vom Berufungsgericht bestimmten Termin zur Hauptverhandlung vom 11. März 2019 nicht erschienen war, verwarf das Landgericht München II die Berufung des Angeklagten mit Urteil vom 11. März 2019 nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO. Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten blieb ohne Erfolg; sie wurde mit Beschluss des Senats vom 20. September 2019, Az. 206 StRR 1793/19, als unbegründet verworfen.
Auf die Rücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 16. Oktober 2019 erklärte der Angeklagte mit Verteidigerschreiben vom 29. Oktober 2019, dass er die Zustimmung zur Rücknahme verweigere. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hob das Landgericht München II mit Urteil vom 9. März 2020 sodann das Urteil des Amtsgerichts Starnberg vom 17. Mai 2018 auf, sprach den Angeklagten zweier Fälle der gefährlichen Körperverletzung für schuldig und verurteilte ihn deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren sechs Monaten. Die von der Staatsanwaltschaft erklärte Beschränkung ihrer Berufung auf die Rechtsfolgenentscheidung hielt das Landgericht für unwirksam.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision, eingelegt mit Verteidigerschreiben, welches am 13. März 2020 eingegangen ist. Nach Zustellung des Urteils an den Verteidiger am 27. April 2020 wurde das Rechtsmittel mit am 11. Mai 2020 eingegangen Schreiben mit der allgemeinen Sachrüge begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Der Angeklagte sei durch das angegriffene Urteil nicht beschwert, denn es habe zu einem geringeren Schuldspruch und zu einem geringeren Rechtsfolgenausspruch geführt als das Urteil des Amtsgerichts, gegen welches die Berufung des Angeklagten bereits rechtskräftig verworfen sei.
II.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 9. März 2020 ist form- und fristgerecht eingelegt, § 41 StPO, und begründet worden, §§ 344, 345 Abs. 1, Abs. 2 StPO und auch im Übrigen zulässig.
Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft ist der Angeklagte durch das Urteil auch beschwert. Der Zulässigkeit der Revision stehen auch keine anderen Gründe entgegen.
1. Während die Staatsanwaltschaft berechtigt ist, ein Rechtsmittel zugunsten oder zu Lasten des Angeklagten einzulegen, § 296 Abs. 1, Abs. 2 StPO, ist für den Angeklagten, wovon die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeht, eine Beschwer erforderlich (allgemeine Meinung, vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. November 1961 – 1 StR 140/61, NJW 1962, 404; BayObLG, Beschluss vom 18. August 1977 – 3 St 179/77, BayObLGSt 1977, 143; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. 2019, vor § 296 Rn. 8; Paul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, vor § 296 Rn. 5; Allgayer in Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 296 Rn. 41). Es handelt sich dabei um eine Ausprägung des Rechtsschutzbedürfnisses (Allgayer a.a.O.).
a) Der Angeklagte ist durch eine Entscheidung dann beschwert, wenn er in eigenen Rechten oder schutzwürdigen Interessen unmittelbar beeinträchtigt ist. Nach einhelliger Meinung liegt eine Beschwer dann vor, wenn sich der unmittelbare Nachteil aus der Urteilsformel ergibt (st. Rspr.; ausführlich BGH, Beschluss v. 14. Oktober 2015 – 1 StR 56/15, NJW 2016, 728 Rn. 10; BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 – 4 StR 608/19, BeckRS 2020, 2151; NJW 1962, 404; BayObLGSt 1977, 143; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O.; Paul a.a.O. Rn. 5a; Allgayer a.a.O. Rn. 43). Belastungen aus den Urteilsgründen, etwa im Fall einer Freisprechung, genügen demgegenüber nicht (lediglich ausnahmsweise kann die Art der Urteilsbegründung den freigesprochenen Angeklagten in nicht mehr zumutbarer Weise beeinträchtigten, vgl. BGH, BeckRS 2020, 2151). Aus diesen Grundsätzen folgt gleichzeitig, dass der Angeklagte durch jeden ihn belastenden Entscheidungsausspruch beschwert ist, sowohl durch einen Schuldspruch als auch durch eine ihm nachteilige Rechtsfolgenentscheidung. Insbesondere verbietet sich zur Bestimmung der Beschwer ein Vergleich des Urteilstenors mit den zuletzt im Verfahren von dem Angeklagten gestellten Anträgen oder gar, bei Anfechtung einer Rechtsmittelentscheidung durch den Angeklagten, die Frage, ob die Entscheidung von der Ausgangsentscheidung nachteilig abweicht oder für den Angeklagten günstiger ist.
b) Der Angeklagte ist nach diesen Grundsätzen durch den im angegriffenen Urteil getroffenen Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und den Strafausspruch zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten in eigenen Rechten und Interessen unmittelbar beeinträchtigt und damit beschwert. Darauf, dass Schuldspruch und Strafausspruch milder sind als diejenigen des Ausgangsurteils, kommt es nicht an.
2. Der Zulässigkeit des Rechtsmittels des Angeklagten steht auch nicht entgegen, dass die von ihm gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegte Berufung bereits durch inzwischen rechtskräftig gewordenes Urteil des Landgerichts München II vom 11. März 2019 wegen unentschuldigten Nichterscheinens in der Hauptverhandlung gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen wurde (vgl. bereits RG, Urteil vom 19. März 1931 – II 921, 923/30, RGSt 65, 231, 232 f.; BayObLG, Urteil vom 1. Februar 1956 – 1 St 508/55, BayObLGSt 1956, 32, 34; OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Mai 1972 – 1 Ss 73/72, NJW 1972, 1871; OLG Stuttgart, Beschluss vom 2. August 1999 – 1 Ss 411/99, NStZ 2000, 52; Eschelbach in BeckOK StPO, 37. Ed., Stand 01.07.2020, § 329 Rn. 51, wobei dies überwiegend vorausgesetzt und nicht gesondert begründet wird).
a) Dieser einhelligen Meinung schließt sich der Senat an. Soweit sich die Generalstaatsanwaltschaft zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung in ihrem Vorlageschreiben auf einen Beschluss des 7. Strafsenats des BayObLG vom 17. April 2020, Az. 207 StRR 96/20 (nicht veröffentlicht) bezieht, liegt diesem Beschluss ein vom gegenständlichen abweichender Verfahrensgang zugrunde. Der 7. Strafsenat des BayObLG hat auf einen gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG i.V.m. § 10 Abs. 1 EGGVG, Art. 11, 12 Nr. 1 BayAGGVG erfolgten Anfragebeschluss des Senats vom 31. Juli 2020 mitgeteilt, dass die Revision der dortigen Angeklagten mangels Rechtsschutzbedürfnisses verworfen wurde, weil noch vor dem mit der Revision angegriffenen Berufungsurteil ihre eigene Berufung bereits durch Sachurteil verworfen worden war. Sodann war eine erneute, den Rechtsfolgenausspruch ermäßigende Sachentscheidung auf die Berufung der Staatsanwaltschaft und, unter Missachtung des vorangegangenen Urteils, der Angeklagten ergangen. Im gegenständlichen Verfahren ist hingegen auf die Berufung des Angeklagten ein Urteil nach § 329 Abs. 1 StPO vorausgegangen und im angegriffenen Sachurteil nur noch über die Berufung der Staatsanwaltschaft entschieden worden. Die im vorliegenden Beschluss vertretene Rechtsmeinung weicht daher nicht von einer Auffassung des 7. Strafsenats ab; eine Vorlage der Rechtsfrage an den Großen Strafsenat des BayObLG nach § 132 Abs. 2 GVG i.V.m. § 10 Abs. 1 EGGVG, Art. 11, 12 Nr. 1 BayAGGVG ist nicht angezeigt.
b) Es existiert weder eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, die dem Angeklagten in der gegenständlichen prozessualen Konstellation jedes weitere Rechtsmittel gegen das auf die Berufung der Staatsanwaltschaft ergangene Urteil versagen würde, noch kann eine solche Beschränkung seiner Rechtsmittelbefugnisse sonst aus dem geltenden Recht hergleitet werden.
aa) Die, hier bereits rechtskräftige, Verwerfung der Berufung des Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO hatte zwar zur Folge, dass der Angeklagte das Ersturteil des Amtsgerichts mit Rechtsmitteln nicht mehr angreifen konnte. Die Regelung des § 329 Abs. 1 StPO, welche eine Ausnahme von dem in §§ 230 Abs. 1, 332 StPO normierten Grundsatz macht, dass gegen den nicht erschienenen Angeklagten kein Urteil erlassen werden darf, beruht auf der Unterstellung, dass der säumige Angeklagte an der Durchführung der Hauptverhandlung kein Interesse hat und auf das Rechtsmittel und damit eine sachliche Prüfung des angefochtenen Urteils verzichtet (BGH, Beschluss vom 23. November 1960 – 4 StR 265/60, NJW 1961, 567; Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn. 2). Das gegenständlich eingelegte Rechtsmittel richtet sich aber nicht gegen das Ersturteil, sondern gegen das Berufungsurteil des Landgerichts, welches seinerseits im Gegensatz zum Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO auf eine Sachprüfung hin erfolgt ist.
bb) Gegen ein Urteil der Berufungskammer, wie gegenständlich, ist gem. § 333 StPO das Rechtsmittel der Revision statthaft. Dem Angeklagten steht das Rechtsmittel gem. § 296 Abs. 1 StPO auch in der vorliegenden Verfahrenskonstellation zu.
(1) Dem steht nicht entgegen, dass er seinerseits gegen das Verwerfungsurteil vom 11. März 2019 bereits Revision eingelegt hatte und insoweit ein das Verfahren abschließender, die Revision verwerfender Beschluss des Revisionsgerichts ergangen ist. Aufgrund der Besonderheiten des Verfahrens nach § 329 Abs. 1 StPO (Verwerfung der Berufung des Angeklagten) einerseits und § 329 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 bis Abs. 4 StPO (Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft) andererseits ist nämlich zwischen dem Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO und dem auf eine Berufung der Staatsanwaltschaft ergangenen Sachurteil strikt zu unterscheiden. Die erfolglose Ausschöpfung der dem Angeklagten gegen das Verwerfungsurteil zustehenden Rechtsbehelfe kann daher nicht zum Verlust der gegen das Sachurteil statthaften Revision führen. Es handelt sich bereits formal nicht um denselben Gegenstand des Rechtsmittelangriffs.
(2) Eine Gefahr, dass es bei einer Revision durch den Angeklagten gegen das Sachurteil zu sich widersprechenden Entscheidungen kommen könnte, besteht nicht. Im Übrigen würde eine solche Gefahr der Revision des Angeklagten bereits deshalb nicht entgegenstehen, weil sie auch bei einer Revision der Staatsanwaltschaft entstünde, die aber ohne Zweifel zulässig ist.
Zwar ist grundsätzlich, wenn gegen ein erstinstanzliches Urteil vom Angeklagten und von der Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt wird, über die Rechtsmittel in einer einheitlichen Entscheidung zu befinden, denn über eine Straftat kann gegen denselben Täter in der Regel nur einheitlich geurteilt werden (so schon RGSt 65, 231, 233). Für die durch das unentschuldigte Nichterscheinen des Angeklagten in der Hauptverhandlung in solchen Fällen entstehende Verfahrenssituation ist indessen allgemein anerkannt, dass über die Berufung des Angeklagten und diejenige der Staatsanwaltschaft ausnahmsweise in getrennten Entscheidungen erkannt werden darf. Über die Berufung des Angeklagten kann sofort durch Verwerfungsurteil, das sich zur Sache nicht verhält, geurteilt werden, während über die Berufung der Staatsanwaltschaft anschließend verhandelt und durch (Sach-)urteil entschieden werden kann (RG a.a.O.; OLG Stuttgart NStZ 2000, 52; Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 329 Rn. 88; Eschelbach in BeckOK StPO, § 329 Rn. 51). Das Berufungsgericht ist dabei nicht in seiner Entscheidung gebunden: Trotz Verwerfung der Berufung des Angeklagten ist auf die Berufung der Staatsanwaltschaft vielmehr nach § 301 StPO das Ersturteil auch zugunsten des Angeklagten zu überprüfen und kann zu seinen Gunsten abgeändert werden (RG a.a.O.; Gössel a.a.O.).
Der aus der beschriebenen Verfahrenssituation entstehenden Gefahr sich widersprechender Entscheidungen wird auf andere Weise als durch Versagung eines weiteren Rechtsmittels begegnet. Zum einen vermag sich das Sachurteil regelmäßig nicht mit dem Verwerfungsurteil in Widerspruch zu setzen, da dort allein die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO, nicht aber sachliche Voraussetzungen Gegenstand der Prüfung waren (vgl. OLG Stuttgart, NStZ 2000, 52). Ist das Sachurteil hingegen aufzuheben, weil unter Verstoß gegen § 329 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO verfahrensfehlerhaft in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt wurde, obwohl dieser tatsächlich genügend entschuldigt war, so steht fest, dass gleichzeitig auch die Voraussetzungen der Verwerfung nach § 329 Abs. 1 StPO nicht vorlagen. Nach allgemeiner Auffassung ist in einem solchen Fall deswegen auch die Entscheidung über die Verwerfung der Berufung des Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO aufzuheben (vgl. nur Gössel a.a.O., Rn. 89). Umgekehrt wird, wenn das Verwerfungsurteil vom Revisionsgericht aufgehoben wird, auch das auf die Berufung der Staatsanwaltschaft ergangene Sachurteil hinfällig und es muss über beide neu verhandelt werden (OLG Stuttgart, Urteil vom 5. Mai 1961 – 1 Ss 142/61, NJW 1961, 1687; MeyerGoßner/Schmitt, a.a.O. Rn. 50; Gössel a.a.O.).
cc) Eine Einschränkung der Rechtsmittelbefugnis des Angeklagten kommt schließlich auch nicht deswegen in Betracht, weil er im gegenständlichen Fall durch das auf die Berufung der Staatsanwaltschaft ergangene Sachurteil günstiger gestellt wird als durch das Ersturteil.
(1) Mit der Verwerfung der Berufung des Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO war infolge der noch nicht behandelten Berufung der Staatsanwaltschaft das Verfahren insgesamt noch nicht erledigt, sondern ist im Hinblick auf den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch rechtshängig geblieben. Im weiteren Verfahren waren die geltenden Verfahrensnormen einzuhalten und das sachliche Recht rechtsfehlerfrei anzuwenden. Ist aber der Angeklagte nach den dargestellten Grundsätzen durch den Tenor des Sachurteils ungeachtet des für ihn günstigeren Schuldspruchs und der milderen Rechtsfolge beschwert, muss ihm folgerichtig die Möglichkeit offenstehen, die Einhaltung der rechtlichen Anforderungen an den Erlass eines Sachurteils dem Revisionsgericht zur Prüfung zu unterbreiten.
(2) Für eine vergleichbare Verfahrenssituation entspricht es im Übrigen einhelliger Meinung, dass der Angeklagte gegen ein Urteil, welches nicht auf seine, sondern auf die Berufung der Staatsanwaltschaft ergangen ist, selbst dann Revision einlegen kann, wenn das Urteil für ihn günstiger ist als das Ersturteil: Hat der Angeklagte nämlich selbst von vornherein davon abgesehen, das Ausgangsurteil anzufechten, ergeht aber ein Urteil auf die Berufung der Staatsanwaltschaft, so kann er dieses mit dem noch gegebenen Rechtsmittel der Revision anfechten, auch wenn die Berufung zwar zu seinen Ungunsten eingelegt war, aber nach § 301 StPO für ihn günstiger ausgefallen ist (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1982 – AnwSt B 20/82, MDR 1983, 778 – juris; OLG München, Beschluss vom 26. Juni 2006 – 5 StRR 181/05, Rn. 15, zit. nach juris; Meyer-Goßner/Schmitt, § 301 Rn. 1; Jesse in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2014, § 301 Rn. 7; Paul in KK-StPO § 301 Rn. 1) . Entsprechendes gilt, wenn er zwar Berufung eingelegt hat, diese aber nicht zulässig war, oder er eine eingelegte Berufung zurückgenommen hat. Der Angeklagte muss sich in diesen Fällen nicht etwa darauf verweisen lassen, durch Nichteinlegung der Berufung habe er seinerseits das für ihn ungünstigere Ersturteil akzeptiert und damit jedes weitere Rechtsmittel verwirkt.
Die gegenständliche Konstellation, dass seine Berufung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen wurde, kann aufgrund der insoweit vergleichbaren Verfahrenslage nicht anders zu beurteilen sein.
(3) Schließlich kann es auch keinem Zweifel unterliegen, dass die Staatsanwaltschaft ihrerseits gegen das auf ihre Berufung ergangene Sachurteil gem. § 333 StPO mit der Revision vorgehen kann mit der Folge, dass das Revisionsgericht das Urteil unter allen Gesichtspunkten auf Rechtsfehler zu überprüfen hat, § 337 StPO. Ergeben sich dabei Fehler, die sich zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt haben, ist das Berufungsurteil gegebenenfalls gem. § 301 StPO zugunsten des Angeklagten aufzuheben oder zu ändern. Dafür, dem Angeklagten selbst den Weg zum Revisionsgericht mit dem Ziel einer für ihn (noch) vorteilhafteren Entscheidung zu versperren, ergibt sich auch unter diesem Gesichtspunkt kein tragfähiger Grund.
III.
Die demnach zulässige Revision des Angeklagten hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Berufung der Staatsanwaltschaft war, was vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen war, zulässig und auch nicht wirksam zurückgenommen. Zwar hatte die Staatsanwaltschaft mit Eingang beim Landgericht München II am 17. Oktober 2019 die Erklärung abgegeben, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Starnberg vom 17. Mai 2015 zurückzunehmen. Der Angeklagte hat die seinerseits nach § 303 S. 1 StPO erforderliche Zustimmung zur Berufungsrücknahme nicht erteilt.
Die Staatsanwaltschaft kann gem. § 303 Satz 1 StPO ihre Berufung grundsätzlich nur mit Zustimmung des Gegners, hier also des Angeklagten, zurücknehmen, wenn die Hauptverhandlung bezüglich des Rechtsmittels bereits begonnen hatte, was mit dem Termin vom 11. März 2019, in dem der Angeklagte ausblieb, der Fall war. Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 329 Abs. 5 Satz 2 StPO die Berufung der Staatsanwaltschaft auch ohne Zustimmung des Angeklagten zurückgenommen werden kann, liegen nicht vor. Die Ausnahmeregelung gilt nur für eine Rücknahme der Berufung in der Hauptverhandlung, in welcher der Angeklagte unentschuldigt nicht erschienen ist; sie gilt nicht mehr, wenn die Hauptverhandlung unterbrochen oder ausgesetzt wurde und auch nicht, wie hier, für eine Rücknahme außerhalb der Hauptverhandlung (OLG München, Beschluss vom 24. September 2007, 2 Ws 890/07 K, 891/07, NStZ 2008, 120; Paul in KK-StPO, § 329 Rn. 17; Quentin in MüKo StPO, 1. Aufl. 2016, § 329 Rn. 86).
2. Ungeachtet dessen, dass die Berufung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war, hat die Kammer über die Schuldfrage eigene Feststellungen getroffen und darüber neu entschieden. Dies bleibt rechtlich ohne Beanstandung, denn die erklärte Berufungsbeschränkung war nicht wirksam.
a) Die Beschränkung der Berufung nach § 318 StPO ist im Hinblick auf die weitreichende Wirkung, dass der nicht angefochtene Schuldspruch in (Teil-) Rechtskraft erwächst und zudem die dem nicht angefochtenen Teil getroffenen Feststellungen für das Rechtsmittelgericht bindend werden, nicht uneingeschränkt zulässig. Voraussetzung ist stets, dass der angegriffene Entscheidungsteil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden kann, ohne dass eine Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig würde, sog. Trennbarkeit (st. Rspr.; BGH, Beschl. vom 25. April 2018 – 1 StR 136/18, BeckRS 2018, 14695, Rn. 3; BGH Beschl. vom 27. April 2017, 4 StR 547/16, NStZ 2018, 367, 368). Nach diesen Grundsätzen ist eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch zwar grundsätzlich vom Schuldausspruch trennbar und damit wirksam (MeyerGoßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 318 Rn. 16). Voraussetzung ist jedoch, dass die zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen eine hinreichende Grundlage für die vom Berufungsgericht eigenständig unter Berücksichtigung des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat festzusetzen Rechtsfolgen darstellen (Paul in KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 318 Rn. 7a; BGH NStZ 2018, 367, 368 und st. Rspr.). Daran fehlt es, wenn die dem nicht angefochtenen Schuldspruch zugrundeliegenden Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Art so mangelhaft, insbesondere unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sie Art und Umfang der Schuld nicht hinreichend erkennen lassen und keine taugliche Grundlage für die Bestimmung der Rechtsfolge bieten (BGH NStZ 2018, 367, 368; BGH Urteil vom 2. Dezember 2015 – 2 StR 258/15, Beck RS 2016, 3826, Rn. 15), oder wenn unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat (BGH NStZ 2018, 367, 368).
b) Wie die Berufungskammer rechtlich zutreffend ausgeführt hat, stellen sich die Feststellungen des Ausgangsurteils nach diesen Maßstäben als unzureichend dar und tragen den Schuldspruch nicht. Das Amtsgericht legte zugrunde, dass der Angeklagte dem Tatopfer durch seine Handlungen eine Blutung im Schädelinneren zugefügt habe, unterließ es aber, die Verletzung einer der beiden Tathandlungen zuzuordnen, und legte dem Schuldspruch, Misshandlung von Schutzbefohlenen in zwei Fällen, bezüglich beider Verletzungen eine „gefühllose Gesinnung“ zugrunde, ohne hierzu nähere Ausführungen zu machen. Das angeklagte Geschehen war daher, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, von seiner Kognitionspflicht vollumfänglich umfasst.
3. Der vom Berufungsgericht getroffene Schuldspruch, der auf die – zunächst nicht ausgeführte – Sachrüge umfassend zu überprüfen war, wird von den Feststellungen getragen. Soweit die Sachrüge erst nach Ablauf der Revisionsbegründungfrist durch weitere Einzelbeanstandungen begründet wurde, hat der Senat diese zwar im Rahmen seiner Prüfung berücksichtigt; Ausführungen hierzu sind jedoch nicht veranlasst (vgl. BGH, Beschl. vom 21. August 2008, 3 StR 229/08, NStZ-RR 2008, 385; Beschl. vom 14. November 2014, 3 StR 391/14, juris).
Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
a) Die Feststellungen tragen die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen.
aa) Das Landgericht hat in objektiver Hinsicht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte im Dezember 2016 mit beiden Händen den Brustkorb seines drei Monate alten Sohnes umfasste und durch festes Zusammendrücken der Finger erheblichen Druck auf den Brustkorb des Säuglings ausübte, wodurch dieser linksseitig seitlich beim Rippenbogen eine Rippenserienfraktur betreffend die Rippen 3 bis 7 und nicht unerhebliche Schmerzen erlitt. Am 5. Januar 2017 umfasste er den Säugling wiederum mit beiden Händen im unteren Brustbereich, drückte mit den Fingern über dem Brustkorb fest zu, schüttelte ihn mehrfach und warf ihn mit Wucht gegen eine Couch, wo er abprallte. Der Säugling zog sich u.a. eine erneute Fraktur der linken Rippen 6 und 7 zu.
Dass das Landgericht in beiden Fällen eine gefährliche Körperverletzung in der Begehungsform des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB wegen einer das Leben gefährdenden Behandlung angenommen hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt voraus, dass die Körperverletzung „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ begangen wird. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die Art der Behandlung durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls generell geeignet ist, das Leben des Opfers zu gefährden; einer konkreten Gefährdung bedarf es nicht (st. Rspr., vgl. BGH, Beschl. vom 16. Januar 2013, 2 StR 520/12, NStZ 2013, 345; Urteil vom 25. Februar 2010, 4 StR 575/09, NStZ-RR 2010, 176; Eschelbach in BeckOK StGB, 47. Ed., Stand 01.08.2020, § 224 Rn. 41 f.). Das feste Zudrücken des Brustkorbs war, wie das Landgericht, den Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen folgend, geeignet, die – tatsächlich eingetretenen – Belastungsfrakturen der Rippen auszulösen (UA S. 14), wobei eine Rippenfraktur ihrerseits lebensbedrohlich ist, denn es besteht bereits bei einer einzelnen gebrochenen Rippe die Gefahr, dass die Lunge verletzt wird, was in der Folge zu einem Lungenkollaps und zu tödlichem Kreislaufstillstand führen kann. Wenn die Kammer im Hinblick darauf und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass beide Tathandlungen zum Bruch mehrerer Rippen führten, von einer zumindest potentiellen Lebensgefährdung ausgegangen ist, begegnet dies keinen rechtlichen Bedenken. Darauf, dass nach den weiteren Feststellungen für den Säugling keine konkrete Lebensgefährdung eingetreten ist, kommt es für die Tatbestandsverwirklichung nicht an.
bb) In subjektiver Hinsicht wurde zwar im Abschnitt „C.“ der Urteilsgründe, das die Feststellungen zum Tatgeschehen in geschlossener Darstellung enthält, lediglich festgestellt, der Angeklagte habe sowohl die Verletzungsfolgen und die Schmerzen als auch eine „erhebliche Gefährdung für die Gesundheit“ des Säuglings zumindest billigend in Kauf genommen. Dies trägt die Annahme eines auf eine das Leben gefährdende Handlung bezogenen Tatvorsatzes zwar nicht. Das Revisionsgericht hat aber darüber hinaus Feststellungen aus der gesamten Urteilsurkunde zu berücksichtigen (Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl. 2020, § 267 Rn. 3); an anderer Stelle führt das Gericht, insoweit den für § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erforderlichen Tatvorsatz ausreichend beschreibend, aus, der Angeklagte habe auch hinsichtlich der abstrakten Lebensgefährdung mit bedingtem Vorsatz gehandelt (UA S. 16).
Die dieser Feststellung zugrundeliegende Beweiswürdigung (UA S. 16) ist in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Subjektiv muss der Täter einer Körperverletzung i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB die Umstände der Tat erkennen, aus denen sich die Lebensgefährlichkeit ergibt (BGH, Urteil vom 31. Juli 2013, 2 StR 38/13, NStZ-RR 2013, 342). Da der Angeklagte nach den Feststellungen wusste, dass er auf den Brustraum eines erst drei Monate alten Säuglings massiv mit Gewalt einwirkte, was er auch wollte, weist die Würdigung der Kammer, er habe die naheliegende Möglichkeit erkannt, dass es zu Rippenbrüchen und damit zusammenhängenden lebensgefährlichen Verletzungen der dortigen inneren Organe kommen kann, er habe damit auch die abstrakte Lebensgefährdung erkannt (UA S. 16), keine Rechtsfehler auf. Ob der Angeklagte jeweils mit längerfristigen Folgen oder Spätfolgen rechnete ist, anders als die Revision meint, für den Tatvorsatz unerheblich.
b) Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Strafzumessung enthalten alle von Gesetzes wegen vorzunehmenden Erwägungen und sind auch im Übrigen ohne Rechtsfehler.
(aa) Die Erörterung der Voraussetzungen des § 21 StGB und einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB oder eines minder schweren Falls nach § 224 Abs. 1 2. Halbsatz StGB, weil der Angeklagte an Bulimie leide und sich deshalb seit ca. Anfang 2018 in psychologischer Behandlung befinde, drängte sich hier nicht auf. Für einen Einfluss der Erkrankung auf die Taten liegen keinerlei Anhaltspunkte vor.
(bb) Das Landgericht hat die hier bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte zugunsten und zu Lasten des Angeklagten auch bei der konkreten Strafzumessung beanstandungsfrei in den Blick genommen und gewichtet. Der Umstand, dass die Taten zum Urteilszeitpunkt bereits länger zurücklagen, wurde ausdrücklich strafmildernd berücksichtigt, ebenso, entgegen der Auffassung der Revision, die Dauer des Verfahrens, wenngleich, wie das Landgericht durch die Formulierung „wenig“ zum Ausdruck bringt, mit geringem Gewicht. Im Hinblick darauf, dass die Anklageschrift vom 16. Januar 2018 datiert, bereits am 17. Mai 2018 das Urteil des Amtsgerichts erging und das angegriffene Urteil am 9. März 2020, ist die Wertung der Kammer nicht zu beanstanden.
Insgesamt bleibt der Revision daher der Erfolg versagt.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.