Aktenzeichen 12 C 951/18
BGB § 249 Abs. 2 S. 1, § 254 Abs. 2 S. 1
Leitsatz
1. Der Geschädigte ist im Totalschadensfall weder gehalten abzuwarten, um dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeuges Gelegenheit zu geben, zum eingeholten Gutachten Stellung zu nehmen und bessere Restwertangebote vorzulegen (Anschluss BGH BeckRS 9998, 126908), noch muss er dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vor dem Verkauf des beschädigten Fahrzeugs die Möglichkeit einzuräumen, ihm höhere Restwertangebote zu übermitteln (Anschluss BGH BeckRS 2016, 20147). (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der allgemeine Hinweis im Totalschadensfall, “Verkaufen Sie Ihr beschädigtes Fahrzeug bitte nicht sofort zu dem im Gutachten angegebenen Restwert. Wir können Ihnen sicher ein besseres Angebot vermitteln. Bitte warten Sie unsere Nachricht ab, damit Ihnen keine Nachteile entstehen”, löst keine Schadensminderungspflicht des Geschädigten aus, da es sich nicht um ein annahmefähiges Angebot der Haftpflichtversicherung im obigen Sinne handelt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.265,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.04.2018 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 3.265,00 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten nach dem Verkehrsunfall vom 10.04.2018 ein weiterer Schadenersatzanspruch in Höhe von 3.265,00 € zu.
Es war ein Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 15.200,00 € zugrunde zu legen.
Nach ständiger Rechtsprechung kann der Geschädigte, der von der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB Gebrauch macht und den Schaden nicht im Wege der Reparatur, sondern in der Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs beheben will, Ersatz des Wiederbeschaffungswertes abzüglich des Restwerts verlangen. Der Geschädigte ist dabei im Rahmen des ihm zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage gehalten, den wirtschaftlichsten Weg zu wählen. Das Wirtschaftlichkeitspostulat gilt daher auch für die Frage, in welcher Höhe der Restwert des Unfallfahrzeuges bei der Schadensabrechnung berücksichtigt werden muss. Denn auch bei der Verwertung des beschädigten Fahrzeuges muss sich der Geschädigte im Rahmen der wirtschaftlichen Vernunft halten (BGH, NJW 2010, 2722).
Der Geschädigte leistet dem Wirtschaftlichkeitsgebot im Allgemeinen genüge, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeugs zu dem Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine konkrete Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (BGH, NJW 2010, 2722). Der Kläger ist mithin weder verpflichtet, über die Einholung des Sachverständigengutachtens hinaus noch eigene Marktforschungen zu betreiben und dabei die Angebote auch räumlich entfernter Interessenten einzuholen (BGH, NJW 2005, 357) oder einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen (BGH, NJW 2010, 2722), noch ist er gehalten abzuwarten, um dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeuges Gelegenheit zu geben, zum eingeholten Gutachten Stellung zu nehmen und ggf. bessere Restwertangebote vorzulegen (BGH, NJW 1993, 1849).
Mithin besteht kein Anlass, dem Geschädigten unter dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebotes des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB oder der Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB aufzuerlegen, dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vor dem Verkauf des beschädigten Fahrzeugs die Möglichkeit einzuräumen, ihm höhere Restwertangebote zu übermitteln (BGH, Urteil vom 27.09.2016, Az. VI ZR 673/15).
Diese Grundsätze hat der Kläger beachtet. Der Kläger hat ein entsprechendes Schadensgutachten eingeholt. Das Sachverständigengutachten weist drei Restwertangebote verschiedener Unternehmen des regionalen Markts aus. Der Kläger hat das Fahrzeug zum höchsten Restwert veräußert.
Ein annahmefähiges Angebot der Beklagten wurde dem Kläger vor der Veräußerung gerade nicht unterbreitet. Der allgemeine Hinweis im Schreiben vom 11.04.2018 (Anlage B1), wonach die Beklagte angibt:
„Sollte ein Totalschaden vorliegen, beachten Sie bitte:
Verkaufen Sie Ihr beschädigtes Fahrzeug bitte nicht sofort zu dem im Gutachten angegebenen Restwert. Wir können Ihnen sicher ein besseres Angebot vermitteln. Bitte warten Sie unsere Nachricht ab, damit Ihnen keine Nachteile entstehen (vgl. BGH vom 27.09.2016, Aktenzeichen VI ZR 673/15).“
Diese allgemein gehaltenen Ausführungen sind nicht im Ansatz geeignet, einen Verstoß des Klägers gegen die Schadensminderungspflicht zu begründen. Ein konkretes annahmefähiges Angebot, so wie nach der ständigen Rechtsprechung des BGH gefordert, enthalten diese allgemeinen Ausführungen gerade nicht. Auch ist entgegen der Auffassung der Beklagten der Kläger nicht verpflichtet, überregionale Intemetrestwertangebote einzuholen. Es ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH allein auf den regionalen Markt abzustellen.
Auch die von der Beklagten zitierte Entscheidung des OLG Braunschweig vom 09.01.2018 (Az.: 7 U 3/17) überzeugt nicht. Diese Entscheidung steht schon der ständigen Rechtsprechung des BGH entgegen. Darüber hinaus hat der Kläger zudem im konkreten Fall der Beklagten angezeigt, dass er nicht zur Vorfinanzierung in der Lage ist.
Mithin war der Berechnung ein Restwert von 15.300,00 € zu Grunde zu legen, so dass die Beklagte einen weiteren Betrag in Höhe von 3.265,00 € zu zahlen hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.