Aktenzeichen M 26 K 16.3029
StPO § 370
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
Bereits die Anordnung der Wiederaufnahme des Strafverfahrens versetzt das Verfahren in den Zustand zurück, in dem es sich vor dem Urteil befunden hat. Ist ein strafrechtliches Urteil sogar im Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben worden, entfaltet es keine Bindungswirkung für die Frage, ob ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr geführt worden ist. Ohne sonstige Feststellung darf in diesem Fall eine Gutachtensanordnung nicht ergehen, und deren Nichtbefolgung lässt nicht den Schluss auf fehlende Fahreignung zu. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 2015 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 9. Juni 2016 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der streitgegenständliche Bescheid und der Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Es besteht keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis. Voraussetzung hierfür ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV, dass der Kläger fahrungeeignet ist. Zwar darf die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV grundsätzlich auf die fehlende Fahreignung schließen, wenn der Betroffene ein von ihm gefordertes Fahreignungsgutachten nicht vorlegt. Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Aufforderung zur Beibringung des Fahreignungsgutachtens rechtmäßig war. Daran fehlt es hier.
Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV fordert die Fahrerlaubnisbehörde den Inhaber einer Fahrerlaubnis zur Beibringung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung auf, wenn dieser ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr geführt hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Entziehungsbescheids ist derjenige der letzten Behördenentscheidung bzw. derjenige, in dem der Betroffene zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens aufgefordert wurde. Voraussetzung für die Aufforderung ist, dass feststeht, dass der Betroffene den Tatbestand des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV verwirklicht hat. Insoweit entfaltet ein strafgerichtliches Urteil grundsätzlich Bindungswirkung. Die Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts München vom 24. November 2011 mit Beschluss des Amtsgerichts Starnberg vom 19. Oktober 2017 geschieht jedoch rückwirkend, nachdem bereits die Anordnung der Wiederaufnahme des Strafverfahrens das Verfahren in den Zustand zurückversetzt, in dem es sich vor dem Urteil befunden hat (Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 55. Auflage, § 370 Rn. 10 m.w.N.). Im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Aufforderung zur Beibringung des Fahreignungsgutachtens fehlt es daher an der Verwirklichung des Tatbestandes von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV, so dass diese Aufforderung rechtswidrig ist.
Die sonstigen Verfügungen im streitgegenständlichen Bescheid, die zur Entziehung der Fahrerlaubnis selbst akzessorisch sind, sind vor diesem Hintergrund ebenfalls rechtswidrig und daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.