Verkehrsrecht

Berechnung des Punktestandes nach § 4 Abs. 5 StVO

Aktenzeichen  11 CS 16.585/11 CS 16.553

Datum:
23.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV FeV § 48 Abs. 10
StVG StVG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3, S. 5, S. 6 Nr. 1, Abs. 6 S. 1-4

 

Leitsatz

1 Bei der Frage, ob dem Betreffenden eine Punkteverringerung nach § 4 Abs. 6 S. 3 StVG zugute kommt, ist nach dem Gesetzeswortlaut des § 4 Abs. 6 S. 1 und 2 StVG nicht auf den Zeitpunkt der Begehung, der rechtskräftigen Ahndung oder Eintragung im Fahreignungsregister der letzten zu berücksichtigenden Zuwiderhandlung abzustellen, sondern es kommt allein darauf an, ob bei Ergreifen der weiteren Maßnahme die vorherige Maßnahme tatsächlich schon rechtmäßig ergriffen wurde. (red. LS Jan Luckey)
2 Auch bei dieser Auslegung bestehen keine durchgreifenden Zweifel an der Verfassungsgemäßheit von § 4 Abs. 5 und 6 StVG. (red. LS Jan Luckey)

Verfahrensgang

3 S 16.138 2016-03-01 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I.
Die Verfahren 11 CS 16.553 und 11 CS 16.585 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II.
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III.
Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
IV.
Der Streitwert wird in beiden Verfahren auf jeweils 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, L, M und S sowie seiner Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung.
Am 26. Januar 2015 ermahnte ihn das Landratsamt Aichach-Friedberg (im Folgenden Fahrerlaubnisbehörde) nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG, nachdem das Kraftfahrt-Bundesamt mitgeteilt hatte, für den Antragsteller seien fünf Punkte im Fahreignungsregister gespeichert. Das Schreiben wies auf die Möglichkeit zur freiwilligen Teilnahme an einem Fahreignungsseminar zum Punktabzug hin.
Mit Schreiben vom 19. Mai 2015 verwarnte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG, da weitere zwei Punkte im Fahreignungsregister eingetragen worden und damit insgesamt sieben Punkte erreicht waren. Diesen Punkten lagen zwei am 13. und 16. Dezember 2014 begangene Ordnungswidrigkeiten zugrunde. Das Schreiben wies auf die Möglichkeit zur freiwilligen Teilnahme an einem Fahreignungsseminar und auf die Folgen weiterer Punkte hin.
Mit Bescheid vom 28. Dezember 2015 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, L, M und S sowie die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung und ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds an, dass der Führerschein und der Fahrgastbeförderungsschein unverzüglich abzuliefern seien. Die Fahrerlaubnis sei wegen Erreichens von neun Punkten zwingend zu entziehen. Die zwei weiteren Punkte wegen fahrlässigen Fahrens trotz Fahrverbots am 4. Dezember 2014 seien erst nach der Verwarnung vom 19. Mai 2015 im Fahreignungsregister eingetragen und der Fahrerlaubnisbehörde bekannt geworden. Das Stufensystem sei daher ordnungsgemäß durchlaufen. Der Widerspruch oder die Anfechtungsklage habe nach § 4 Abs. 9 StVG keine aufschiebende Wirkung. Der Antragsteller gab seinen Führerschein fristgerecht ab.
Gegen den Bescheid vom 28. Dezember 2015 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, hat das Verwaltungsgericht mit Beschlüssen vom 23. Februar 2016 hinsichtlich der Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, L, M und S und vom 1. März 2016 hinsichtlich der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung abgelehnt.
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seinen Beschwerden, denen der Antragsgegner entgegentritt. Der Antragsteller macht geltend, nach der bis 5. Dezember 2014 gültigen Rechtslage hätte es zu einer Punktereduzierung kommen müssen, da sowohl die Verstöße, die zu der Verwarnung vom 19. Mai 2015 als auch zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt hätten, alle vor dieser Verwarnung begangen worden seien. Es handele sich um eine unzulässige Rückwirkung, da das Straßenverkehrsgesetz erst nach der Tat vom 4. Dezember 2014, die zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt habe, geändert worden sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II. Die zulässigen Beschwerden, die der Senat aufgrund des Sachzusammenhangs zur gemeinsamen Entscheidung verbindet (§ 93 Satz 1 VwGO) und bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, haben keinen Erfolg.
Auf den vorliegenden Fall findet § 4 des Straßenverkehrsgesetzes in der ab 5. Dezember 2014 anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 28. November 2014 (BGBl I S. 1802), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juni 2015 (BGBl I S. 904), Anwendung, da auf den Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 28. Dezember 2015 abzustellen ist. Die gerichtliche Prüfung fahrerlaubnisrechtlicher Entziehungsverfügungen ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung der handelnden Verwaltungsbehörde auszurichten (vgl. BVerwG, U. v. 27.9.1995 – 11 C 34.94 – BVerwGE 99, 249; U. v. 23.10.2014 – 3 C 13.13 – NJW 2015, 2439 Rn. 13). In Ermangelung eines Widerspruchsverfahrens ist dies hier der Zeitpunkt des Erlasses des streitbefangenen Bescheids.
1. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist ihm zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte im Fahreignungsregister ergeben. Nach § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde für das Ergreifen einer Maßnahme auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Damit hat der Gesetzgeber das von der Rechtsprechung zur Rechtslage vor der Gesetzesänderung zum 1. Mai 2014 entwickelte Tattagprinzip normiert. Der Antragsteller hat durch die am 13. und 16. Dezember 2014 begangenen Verstöße insgesamt neun Punkte erreicht, so dass ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen war.
Nach § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG werden bei der Berechnung des Punktestandes Zuwiderhandlungen unabhängig davon berücksichtigt, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden sind. Die für die Verkehrsverstöße vom 13. und 16. Dezember 2014 angefallenen zwei Punkte konnten daher den zu diesem Zeitpunkt schon bestehenden fünf Punkten hinzurechnet werden und eine Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG auslösen, obwohl die Ermahnung vom 26. Januar 2015 erst nach deren Begehung erfolgte. Als der Fahrerlaubnisbehörde diese Zuwiderhandlungen mit Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamts vom 22. April 2015 bekannt wurden, hatte der Antragsteller die Maßnahmenstufe des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG schon durchlaufen. Als der Fahrerlaubnisbehörde die Zuwiderhandlung vom 4. Dezember 2014 mit Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamts vom 28. Oktober 2015 bekannt wurde, hatte der Antragsteller die Maßnahmenstufe des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG schon durchlaufen. Die Fahrerlaubnis musste ihm nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG daher zwingend entzogen werden.
2. Der Antragsteller kann auch keine Punktereduzierung beanspruchen. Nach § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG darf die Fahrerlaubnisbehörde eine Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 oder 3 StVG (Verwarnung oder Fahrerlaubnisentziehung) erst ergreifen, wenn die Maßnahme der jeweils davor liegenden Stufe nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 oder 2 StVG bereits ergriffen worden ist. Sofern die Maßnahme der davor liegenden Stufe noch nicht ergriffen worden ist, ist diese zu ergreifen (§ 4 Abs. 6 Satz 2 StVG). Der Punktestand verringert sich dann mit Wirkung vom Tag des Ausstellens der ergriffenen Ermahnung auf fünf Punkte und der Verwarnung auf sieben Punkte, wenn der Punktestand zu diesem Zeitpunkt nicht bereits durch Tilgungen oder Punktabzüge niedriger ist (§ 4 Abs. 6 Satz 3 StVG). Diese Regelungen wurden (inhaltlich) bereits zum 1. Mai 2014 eingeführt, wenngleich § 4 Abs. 6 StVG mit Gesetz vom 28. November 2014 (BGBl I S. 1802) zum 5. Dezember 2014 neu gefasst und durch weitere Regelungen ergänzt wurde.
Der Antragsteller hat das Stufensystem durchlaufen, ohne dass eine Punktereduzierung eingetreten wäre. Die Fahrerlaubnisbehörde ermahnte ihn nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG mit Schreiben vom 26. Januar 2015 bei einem Punktestand von fünf Punkten bezogen auf den letzten bekannten Tattag 4. September 2014. Die Ordnungswidrigkeiten vom 13. und 16. Dezember 2014 waren der Fahrerlaubnisbehörde zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt und waren auch noch nicht rechtskräftig geahndet. Der Punktestand verringerte sich daher nicht nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 StVG. Sie verwarnte ihn dann bei einem auf den letzten bekannten Tattag 16. Dezember 2014 bezogenen, im Fahreignungsregister eingetragenen Stand von sieben Punkten mit Schreiben vom 19. Mai 2015 nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG. Zwar war die weitere Zuwiderhandlung vom 4. Dezember 2014 zum Zeitpunkt der Verwarnung bereits begangen, aber der Fahrerlaubnisbehörde nicht bekannt und noch nicht rechtskräftig geahndet. Die Punkte waren noch nicht entstanden und konnten nicht berücksichtigt werden. Der Punktestand verringerte sich deshalb nicht nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG mit Wirkung des Tags des Ausstellens der ergriffenen Verwarnung auf sieben Punkte.
Bei der Frage, ob dem Betreffenden eine Punkteverringerung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG zugute kommt, ist nach dem Gesetzeswortlaut des § 4 Abs. 6 Sätze 1 und 2 StVG nicht auf den Zeitpunkt der Begehung, der rechtskräftigen Ahndung oder Eintragung im Fahreignungsregister der letzten zu berücksichtigenden Zuwiderhandlung abzustellen, sondern es kommt allein darauf an, ob bei Ergreifen der weiteren Maßnahme die vorherige Maßnahme tatsächlich schon rechtmäßig ergriffen wurde. Diese Auslegung wird auch durch den Wortlaut des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG gestützt, der besagt, dass auch im Falle einer Verringerung der Punktezahl nach Satz 3 der Vorschrift Punkte für Zuwiderhandlungen, die vor der Verringerung nach Satz 3 begangen worden sind und von denen die zuständige Behörde erst nach der Verringerung Kenntnis erhält, den sich nach Satz 3 ergebenden Punktestand erhöhen.
Unabhängig von seiner Formulierung und seiner systematischen Stellung in der einschlägigen Vorschrift gilt das ganz allgemein. Es wäre widersinnig, bei der Berechnung des Punktestands Zuwiderhandlungen unabhängig davon zu berücksichtigen, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden sind (vgl. § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG), andererseits aber eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 1 bis 3 StVG anzunehmen, wenn der Betreffende vor der vorhergehenden Maßnahme bereits weitere Zuwiderhandlungen begangen hat. Der Rechtsgedanke des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG löst den Widerspruch dahingehend auf, dass die Kenntnis der Behörde von den rechtskräftig mit bindender Wirkung (§ 4 Abs. 5 Satz 4 StVG) geahndeten und im Fahreignungsregister eingetragenen Verkehrsverstößen maßgeblich ist. Eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG tritt somit nur ein, wenn der Fahrerlaubnisbehörde am Tag der ergriffenen Maßnahme weitere Verkehrsverstöße bekannt sind, die zu einer Einstufung in eine höhere Stufe nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG führen (vgl. BayVGH, U. v. 11.8.2015 – 11 BV 15.909 – VRS 129, 27).
Eine solche Auslegung entspricht auch dem Zweck der Rechtsänderungen zum 1. Mai 2014 und 5. Dezember 2014. Der Gesetzgeber wollte sich gemäß der Gesetzesbegründung von den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 25. September 2008 (Az. 3 C 3/07) für das ab 1. Mai 2014 geltende neue System mit den Erwägungen zur Punkteentstehung und zum Tattagprinzip bewusst absetzen (BT-Drs. 18/2775, S. 9). Es soll nach dem Fahreignungs-Bewertungs-system nicht mehr darauf ankommen, dass eine Maßnahme den Betroffenen vor der Begehung weiterer Verstöße erreicht und ihm die Möglichkeit zur Verhaltensänderung einräumt, bevor es zu weiteren Maßnahmen kommen darf. Vielmehr kommt es unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten und für das Ziel, die Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern zu schützen, auf die Effektivität des Fahreignungs-Bewertungssystems an (BT-Drs. 18/2775, S. 9 f.). Insbesondere bei Konstellationen, in denen in kurzer Zeit wiederholt und schwer gegen Verkehrsregeln verstoßen wurde, was ein besonderes Risiko für die Verkehrssicherheit bedeutet, soll nach Ansicht des Gesetzgebers in Abwägung mit dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit nicht über bestimmte Verkehrsverstöße hinweggesehen werden (vgl. BT-Drs. 18/2775, S. 10). Die Prüfung der Behörde, ob die Maßnahme der vorangehenden Stufe bereits ergriffen worden ist, ist daher vom Kenntnisstand der Behörde bei der Bearbeitung zu beurteilen und beeinflusst das Entstehen von Punkten nicht (BT-Drs. 18/2775, S. 10). Mit § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG soll nach der Gesetzesbegründung verdeutlicht werden, dass Verkehrsverstöße auch dann mit Punkten zu bewerten sind, wenn sie vor der Einleitung einer Maßnahme des Fahreignungs-Bewertungssystems begangen worden sind, bei dieser Maßnahme aber noch nicht verwertet werden konnten, etwa weil deren Ahndung erst später Rechtskraft erlangt hat oder sie erst später im Fahreignungsregister eingetragen wurden oder der Behörde zur Kenntnis gelangt sind (BT-Drs. 18/2775, S. 10). Eine solche Konstellation, in der die Behörde erst nach Ergreifen einer Maßnahme von weiteren – vorher begangenen – Verkehrsverstößen erfahren hat, liegt hier vor, denn die Fahrerlaubnisbehörde hatte vor dem Eingang der Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts am 28. Oktober 2015 keine Kenntnis von dem am 3. Oktober 2015 rechtskräftig geahndeten Verkehrsverstoß vom 4. Dezember 2014 und vor dem Eingang der Mitteilungen vom 22. April 2015 keine Kenntnis von den am 8. und 9. April 2015 rechtskräftig geahndeten Ordnungswidrigkeiten vom 13. und 16. Dezember 2014.
Durchgreifende Zweifel an der Verfassungsgemäßheit des § 4 Abs. 5 und 6 StVG bestehen nicht. Die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) der ohne Übergangsregelung geänderten bzw. neu eingeführten Vorschriften (vgl. hierzu BayVGH, U. v. 18.5.2015 – 11 BV 14.2839 – VRS 128, 206; SächsOVG, B. v. 7.7.2015 – 3 B 118/15 – juris Rn. 11; OVG Berlin-Bbg, B. v. 2.6.2015 – OVG 1 S 90.14 – juris) stellt sich hier auch dann nicht, wenn man die zum 5. Dezember 2014 erfolgte Gesetzesänderung (a. a. O.) nicht als Klarstellung ansähe, weil die Taten, die Anlass für die Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG waren, ohnehin erst am 13. und 16. Dezember 2014, also nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung zum 5. Dezember 2014 begangen und im Übrigen alle drei Verkehrsverstöße (vom 4.12.2014, 13.12.2014 und 16.12.2014) erst im Jahr 2015 rechtskräftig geahndet wurden. Bevor ein Verkehrsverstoß rechtskräftig festgestellt und geahndet wird, kann er nicht berücksichtigt werden, der Sachverhalt ist damit noch nicht abgeschlossen (vgl. auch § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG).
Es stellt auch keinen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG dar, dass der Gesetzgeber die in § 4 Abs. 5 Satz 1 und 2 StVG a. F. geregelte Warn- und Erziehungsfunktion und die damit einhergehende Verringerung der Punktestände weitestgehend aufgegeben hat. Es ist nicht ersichtlich, dass es verfassungsrechtlich geboten wäre, eine solche Begünstigung für Personen, die in kurzen zeitlichen Abständen erhebliche Verkehrsverstöße begehen, beizubehalten. Nach der Begründung des Gesetzes vom 28. November 2014 (BT-Drs. 18/2775, S. 9) dient das Stufensystem der Information des Betroffenen. Die Fahrerlaubnisbehörde kann aber nur informieren, wenn ihr die mit Punkten bewehrten Verkehrsverstöße bekannt sind. Soweit keine willkürliche Verzögerung der Kenntnisnahme durch die Behörde vorliegt, ist es nicht zu beanstanden, die entsprechenden Maßnahmen vom Kenntnisstand der Fahrerlaubnisbehörde abhängig zu machen (vgl. BayVGH, U. v. 11.8.2015 – 11 BV 15.909 – VRS 129, 27; B. v 11.3.2016 – 11 CS 16.204 – juris; B. v. 28.4.2016 – 11 CS 16.537 – juris; OVG NW, B. v. 27.4.2015 – 16 B 226/15 – juris; B. v. 7.10.2015 – 16 B 554/15 – VRS 129, 164).
3. Nach § 48 Abs. 10 Satz 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 18. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2015 (BGBl I S. 1674), erlischt die Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit der Entziehung der zugrundeliegenden Fahrerlaubnis. Nachdem die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, L, M und S mit Bescheid vom 28. Dezember 2015 sofort vollziehbar entzogen hat, kann er auch von der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung keinen Gebrauch mehr machen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzungen ergeben sich aus § 47, § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5, 46.3, 46.5 und 46.10 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anh. § 164 Rn. 14).
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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