Aktenzeichen M 26 S 16.5794
FeV FeV § 47 Abs. 1 S. 2, Abs. 2
BayVwZVG BayVwZVG Art. 21a, Art. 37 Abs. 4
Leitsatz
Im sicherheitsrechtlich relevanten Bereich des Ausschlusses ungeeigneter Fahrer von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr begegnet eine Zwei-Wochen-Frist im Rahmen einer Anhörung keinen Bedenken. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Es wird festgestellt, dass die Klage gegen die Nr. 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 18. November 2016 aufschiebende Wirkung hat. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Von den Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller 3/4 und die Antragsgegnerin 1/4 zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem.
Er ist Inhaber einer griechischen EU-Fahrerlaubnis der Klasse B. Mit Bescheid vom 18. November 2016 entzog ihm die Fahrerlaubnisbehörde wegen Erreichens von acht Punkten im Fahreignungs-Bewertungssystem die Fahrerlaubnis für das Inland und forderte ihn zur Vorlage des Führerscheins zum Zweck der Eintragung eines Sperrvermerks auf. Für den Fall der nicht fristgerechten Vorlage des Führerscheins wurde ein Zwangsgeld angedroht.
Der Antragsteller ließ Anfechtungsklage erheben und beantragte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens,
die aufschiebende Wirkung der Klage „herzustellen“.
Zur Begründung wird vorgetragen, die Äußerungsfrist vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids sei zu knapp bemessen gewesen. Außerdem sei gegen drei die vom Antragsteller angeblich begangenen Verkehrszuwiderhandlungen ahndenden Entscheidungen jeweils ein Rechtsbehelf in Verbindung mit einem Wiedereinsetzungsantrag gestellt worden. Die insoweit angefallenen Punkte dürften nicht berücksichtigt werden. Der Antragsteller sei beruflich dringend auf die Fahrerlaubnis angewiesen.
Die Antragsgegnerin verteidigt den angegriffenen Bescheid.
Mit Beschluss vom heutigen Tag wurde die Verwaltungsstreitsache auf den Einzelrichter übertragen. Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag ist unzulässig, soweit er sich gegen die kraft Gesetzes ergebende sofortige Vollziehbarkeit der Zwangsgeldandrohung (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a BayVwZVG) richtet. Nach Aktenlage ist der Sperrvermerk in den Führerschein des Antragstellers eingetragen worden. Die Anwendung eines Zwangsmittels ist einzustellen, sobald der Pflichtige seiner Verpflichtung nachkommt (Art. 37 Abs. 4 Satz 1 BayVwZVG). Ein Fall einer Duldungs- oder Unterlassungspflicht im Sinne von Art. 37 Abs. 4 Satz 2 BayVwZVG liegt nicht vor. Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin das angedrohte Zwangsgeld (noch) beitreiben wollte. Die Zwangsgeldandrohung hat sich damit erledigt, so dass sie nicht mehr Gegenstand einer Anfechtungsklage sein kann mit der Folge, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unstatthaft ist.
2. Soweit sich der Antrag gegen die kraft Gesetzes (§ 4 Abs. 9 StVG) eintretende sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis richtet, ist er unbegründet. Im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO nimmt das Gericht eine eigene Interessenabwägung vor, die sich, soweit überschaubar, in erster Linie an den Hauptsacheerfolgsaussichten orientiert. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist jedenfalls derzeit rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zur Begründung wird insoweit in entsprechender Anwendung von § 117 Abs. 5 VwGO auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids Bezug genommen. Ergänzend wird ausgeführt, dass die im Anhörungsschreiben vom 31. Oktober 2016 gesetzte Äußerungsfrist von zwei Wochen in Bezug auf ihre Angemessenheit zwar der Nachprüfung durch die Gerichte unterliegt (Bader/Ronellenfitsch, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Auflage 2016, § 28 VwVfG, Rn. 19), jedoch im sicherheitsrechtlich relevanten Bereich des Ausschlusses ungeeigneter Fahrer von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr keinen Bedenken begegnet. Nach § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG ist die Fahrerlaubnisbehörde im Rahmen der Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem an rechtskräftige Entscheidungen über die Straftat oder Ordnungswidrigkeit gebunden (Sitter, Straßenverkehrsstrafrecht, Loseblatt, 8/2.5.11). Eine Überprüfung der eingetragenen und mit Punkten bewerteten Verstöße bzw. Entscheidungen findet deshalb nicht statt (VG Neustadt, B.v. 13.7.2010 – 3 L 664/10.NW – DAR 2011, 45). Die Antragsbegründung räumt selbst ein, dass die den Punktebewertungen zu Grunde liegenden Entscheidungen bestands- bzw. rechtskräftig sind. Soweit zukünftig durch eine etwaige Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eine rückwirkende Beseitigung der Bestands- oder Rechtskraft einer der in Rede stehenden Entscheidungen eintreten sollte, wäre das im fahrerlaubnisrechtlichen Entziehungsverfahren jedenfalls bis zum Eintritt der Bestandskraft des streitgegenständlichen Bescheids zu berücksichtigen. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes könnte dem durch eine Abänderungsentscheidung nach § 80 Abs. 7 VwGO Rechnung getragen werden. Da die in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG angeordnete Rechtsfolge der Entziehung der Fahrerlaubnis bei einem Stand von acht Punkten oder mehr im Fahreignungs-Bewertungssystem zwingend ist und nicht im Ermessen der Behörde steht, ist auch kein Raum für eine Berücksichtigung beruflicher oder privater Umstände des Antragstellers.
3. Die Aufforderung zur Vorlage des Führerscheins (Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids) wurde nicht für sofort vollziehbar erklärt. Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit muss in Bezug auf die Verfügung, die von ihr betroffen ist, ausdrücklich erfolgen. Es ist nicht möglich, sie als konkludent angeordnet zu verstehen (Münchner Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, Band 1, § 3 StVG, Rn. 49). Sie ist auch nicht kraft Gesetzes sofort vollziehbar, da es sich § 47 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 FeV nicht um ein Gesetz im formellen Sinne handelt (Jagow, Fahrerlaubnis- und Zulassungsrecht, Loseblattkommentar, § 47 FeV, S. 115a unter Berufung auf BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – ZfS 2015, 717). Eine sonstige Vorschrift, die die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins im Fall einer Entziehung nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem kraft Gesetzes für sofort vollziehbar erklären würde, ist nicht ersichtlich. Soweit die Behörde in der Begründung ihres Bescheids auf § 4 Abs. 9 StVG Bezug nimmt, betrifft diese Vorschrift ausschließlich die Entziehung der Fahrerlaubnis selbst und nicht auch die Verpflichtung zur Vorlage des Führerscheins. Im Hinblick auf den in § 80 Abs. 1 VwGO aufgestellten Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Hauptsacherechtsbehelfen und auf die Bedeutung der aufschiebenden Wirkung für die Rechtsschutzgarantie im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG bedarf es stets einer ausdrücklichen und eindeutigen Regelung (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 80, Rn. 65 m.w.N.), so dass eine Erstreckung der Rechtsfolge des § 4 Abs. 9 StVG auch auf die Ablieferungs- oder Vorlageverpflichtung nicht in Betracht kommt. Nachdem die Antragsgegnerin bereits ausweislich der Formulierung der Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids von einer sofortigen Vollziehbarkeit der Vorlageverpflichtung ausgeht, war in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 VwGO der Eintritt der aufschiebenden Wirkung durch die Einlegung des Hauptsacherechtsbehelfs festzustellen. Zwar mag der Begründung des gestellten Antrags im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auch ein konkludenter Antrag auf Rückgängigmachung der Eintragung des Sperrvermerks im Sinne von § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO zu entnehmen sein. Von der Anordnung der Rückgängigmachung sieht das Gericht jedoch unter Anwendung des ihm eingeräumten Ermessensspielraums ab, nachdem die Entziehung der Fahrerlaubnis selbst rechtmäßig ist, der Antragsteller deshalb kein schützenswertes Interesse an der Entfernung des Sperrvermerks haben kann und die Antragsgegnerin im Übrigen berechtigt und ohne weiteres in der Lage wäre, durch eine entsprechende Ergänzung des streitgegenständlichen Bescheids die sofortige Vollziehbarkeit der Vorlageverpflichtung anzuordnen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit den Empfehlungen in Nrn. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.