Aktenzeichen 11 ZB 16.245
VwGO § 86 Abs. 1, Abs. 2, § 124 Abs. 2 Nr. 1
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
GKG § 47, § 52 Abs. 1
Leitsatz
1 Um das Ergebnis eines chromatographischen Verfahren („Haarprobe“ mit Nachweis des Kokainkonsums) zu erschüttern, muss substantiiert dargelegt werden, dass die Möglichkeit von Kreuzreaktionen besteht. Die bloße Behauptung eines Heilpraktikers, die Injektionen von Procain, Lidocain und Novocain könnten zu verfälschten Werten bei Verkehrskontrollen führen, ist hierfür nicht ausreichend. (red. LS Jan Luckey)
2 Eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht kann grundsätzlich dann nicht als Verfahrensfehler iSd § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend gemacht werden, wenn ein anwaltlich vertretener Beteiligter davon abgesehen hat, in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag zu stellen, und wenn sich dem Gericht die Beweiserhebung auch nicht ohne einen solchen Beweisantrag aufdrängen musste. Verzichtet der Beteiligte auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung, ist die vor dem Verzicht auf mündliche Verhandlung schriftsätzlich beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht als förmlich abzulehnender Beweisantrag im obigen Sinne anzusehen. (red. LS Jan Luckey)
Verfahrensgang
Au 7 K 15.1185 2016-01-26 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B.
Im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens entnahm ihm die Polizei am 10. Februar 2015 eine ca. 12 Zentimeter lange Haarprobe. Das Institut für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg führte nach Untersuchung dieser Haarprobe mit Gutachten vom 11. März 2015 aus, in den Haaren seien 1,5 ng/mg Cocain und 0,3 ng/mg Benzoylecgonin festgestellt worden. Unter der Annahme eines durchschnittlichen Haarwachstums von einem Zentimeter pro Monat könnten die gemessenen Werte einem gelegentlichen Konsum von Kokain während des von der Untersuchung erfassten Zeitraums von etwa 12 Monaten vor der Abnahme zugeordnet werden.
Auf die Anhörung durch die Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts Ostallgäu (weiterhin Fahrerlaubnisbehörde) vom 19. Mai 2015 machte der Kläger geltend, er erhalte seit 15. November 2013 mindestens zwei Mal monatlich subcutane Injektionen unter Verwendung von Procain 2,0%, Lidocain 2,0% als auch Novocain 2,0%. Dabei könne es nach Aussage des behandelnden Heilpraktikers zu einem falschen positiven Drogentest kommen.
Auf Nachfrage teilte der Gutachter des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg telefonisch mit, die genannten Medikamente könnten keinen Einfluss auf die Messergebnisse haben. Die Werte seien eindeutig der Einnahme von Kokain zuzuordnen.
Mit Bescheid vom 10. Juli 2015 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Kläger die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds die Ablieferung des Führerscheins spätestens fünf Tage nach Zustellung des Bescheids (Nrn. 2 und 3) an. Der Kläger sei nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, da er harte Betäubungsmittel konsumiere. Der Kläger gab seinen Führerschein fristgerecht ab.
Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage hat das Verwaltungsgerichts Augsburg mit Beschluss vom 9. September 2015 abgelehnt (Au 7 S 15.1186). Die dagegen erhobene Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 12. November 2015 zurückgewiesen (11 CS 15.2119).
Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Bescheid vom 10. Juli 2015 mit Urteil vom 26. Januar 2016 abgewiesen. Der Kläger habe sowohl nach dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg als auch nach dem von ihm selbst im Klageverfahren vorgelegten Gutachten des Labors Krone GbR vom 18. Juli 2015 Kokain konsumiert. Seine Behauptung, die in den Haarproben nachgewiesenen Rückstände seien durch die Medikamente hervorgerufen worden, habe er nicht näher substantiiert.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt. Der Kläger macht geltend, er habe zu keiner Zeit Kokain konsumiert. Es sei nicht wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Neuraltherapie keinen Einfluss auf das Untersuchungsergebnis gehabt habe. Ein Aktenvermerk über ein Telefonat mit einem Abteilungsleiter des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg am 7. Juli 2015 finde sich bei der Akte nicht. Auch das Untersuchungsergebnis des Labors Krone schließe nicht aus, dass das aufgefundene Kokain durch die Neuraltherapie verursacht sei. Es sei Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde, die fundierten Argumente des Klägers zu widerlegen. Er habe ausführlich dargelegt, an welchen Tagen er behandelt worden sei. Er verliere seinen Arbeitsplatz, sollte er über keine Fahrerlaubnis mehr verfügen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung, auf die sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), ergeben sich die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen vor, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (zu diesem Maßstab vgl. BVerfG, B. v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057.11 – BVerfGE 134, 106/118; B. v. 21.1.2009 – 1 BvR 2524.06 – NVwZ 2009, 515 m. w. N.). Daran fehlt es hier.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juni 2015 (BGBl I S. 904), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung vom 16. Dezember 2014 (BGBl I S. 2213), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes einnimmt. Ein solcher Fall liegt hier vor.
Mit den beiden Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg vom 11. März 2015 und des Labors Krone GbR vom 18. Juli 2015 wird bestätigt, dass in den beim Kläger entnommenen und mittels beweissicher chromatographisch untersuchten Haarproben Rückstände von Cocain und Benzoylecgonin gefunden wurden. Daraus schließen beide Gutachter, dass der Kläger Kokain konsumiert hat. Dabei handelt es sich um ein Betäubungsmittel, das in Anlage III zu § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes genannt ist. Die Fahrerlaubnisbehörde konnte daher nach § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen davon ausgehen, dass der Kläger fahrungeeignet ist.
Soweit der Kläger vorträgt, er habe kein Kokain konsumiert, sondern es handele sich um Rückstände der ihm im Rahmen einer Neuraltherapie verabreichten Medikamente Procain, Lidocain und Novocain, kann dies nicht zur Zulassung der Berufung führen. Hinsichtlich dieser Medikamente finden sich weder in den Beurteilungskriterien (Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP)/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM), 3. Aufl. 2013) noch in den Gebrauchsinformationen und Fachinformationen (abrufbar auf dem Portal für Arzneimittelinformationen des Bundes und der Länder des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information unter www.pharmnetbund.de) Hinweise darauf, dass diese Arzneimittel Kreuzreaktionen in immunchemischen Testverfahren hervorrufen oder zu Kokain und Kokainmetaboliten verstoffwechselt werden. Um das Ergebnis der durchgeführten beweissicheren chromatographischen Verfahren zu erschüttern, müsste aber substantiiert dargelegt werden, dass eine solche Möglichkeit besteht. Die bloße Behauptung eines Heilpraktikers, die Injektionen könnten zu verfälschten Werten bei Verkehrskontrollen führen, ist hierfür nicht ausreichend.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen. Die Antragsbegründung macht insoweit geltend, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, da es zu der Frage der möglichen Wechselwirkungen der Medikamente keine fachlich fundierte Stellungnahme des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg und auch kein Sachverständigengutachten eingeholt habe.
Daraus ergibt sich jedoch kein entscheidungserheblicher Verfahrensmangel. Das Verwaltungsgericht hat durch die unterbliebene weitere Sachaufklärung nicht gegen den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen. Eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht kann nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich dann nicht geltend gemacht werden, wenn ein anwaltlich vertretener Beteiligter davon abgesehen hat, in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag zu stellen, und wenn sich dem Gericht die Beweiserhebung auch nicht ohne einen solchen Beweisantrag aufdrängen musste (vgl. BayVGH, B. v. 31.3.2016 – 11 ZB 16.61 – juris Rn. 15; B. v. 14.7.2015 – 5 ZB 14.1162 – juris, B. v. 7.12.2009 – 7 ZB 09.146 – juris). Der Prozessbevollmächtigte des bereits erstinstanzlich anwaltlich vertretenen Klägers hat mit Schriftsatz vom 20. Januar 2016 auf mündliche Verhandlung verzichtet und danach keinen Beweisantrag gestellt. Die schriftsätzlich beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens vor dem Verzicht auf mündliche Verhandlung ist nicht als förmlich abzulehnender Beweisantrag im Sinne des § 86 Abs. 2 VwGO anzusehen (vgl. Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 86 Rn. 29). Kommt das Gericht einer solchen Beweisanregung nicht nach, verletzt es dadurch seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nur, wenn sich ihm die Notwendigkeit der Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen. Das ist vorliegend nicht der Fall. Die in den Akten enthaltenen schriftlichen Äußerungen des Heilpraktikers sind nicht hinreichend substantiiert, um ohne weitere Anhaltspunkte in der Literatur oder in den Gebrauchs- und Fachinformationen auf Kreuzreaktionen der genannten Medikamente in immunchemischen Testverfahren ein Sachverständigengutachten zu beauftragen. Es wäre Sache des Klägers gewesen, entsprechende Informationen beizubringen.
Auch die Einholung einer schriftlichen Stellungnahme des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg drängte sich nicht auf, da sich entgegen der mehrfach geäußerten Ansicht des Klägers, ein Aktenvermerk vom 7. Juli 2015 über das Telefonat mit dem Abteilungsleiter der forensischen Toxikologie in der Behördenakte befindet. Dort ist nachvollziehbar erläutert, dass Verfälschungen ausgeschlossen seien. Welche weiteren Erkenntnisse die Einholung einer schriftlichen Stellungnahme bringen sollte, ist nicht ersichtlich.
3. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügend dargelegt. Hierzu muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist, und darlegen, warum der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (st.Rspr., vgl. BayVGH, B. v. 3.2.2016 – 10 ZB 15.1413 – juris Rn. 8; B. v. 15.1.2016 – 7 ZB 15.929 – juris Rn. 5; Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 72). Die Antragsbegründung führt insoweit lediglich aus, der Rechtsstreit weise besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf. Sie benennt jedoch keine konkreten und fallübergreifenden Fragen, die in der Rechtsprechung bisher ungeklärt sind, und genügt daher nicht den Anforderungen an die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.
4. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Dazu müsste das Verfahren das normale Maß erheblich übersteigende Schwierigkeiten aufweisen. Solche Schwierigkeiten werden mit der Antragsbegründung nicht aufgezeigt und liegen auch nicht vor.
5. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 und § 52 Abs. 1 GKG und der Empfehlung in Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anh. § 164 Rn. 14).
7. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).