Aktenzeichen M 26 S 16.5640
StVG StVG § 4 Abs. 2 S. 3
GG GG Art. 19 Abs. 4 S. 1, Art. 20 Abs. 3
Leitsatz
§ 4 Abs. 6 StVG macht deutlich, dass Zuwiderhandlungen auch dann mit Punkten zu bewerten und bei der Prüfung der Maßnahmenstufe zu berücksichtigen sind, wenn sie vor der Einleitung der vorherigen Maßnahme des Fahreignungs-Bewertungssystems begangen worden sind. Grund hierfür ist, dass für das Entstehen der Punkte zwar das Tattagprinzip gilt, jedoch für das Ergreifen von Maßnahmen keine Relevanz hat. Denn diese können erst nach Rechtskraft und Registrierung ergriffen werden. Die Maßnahme der Fahrerlaubnisbehörde ist daher vom Kenntnisstand der Behörde bei der Bearbeitung aus zu beurteilen (Fortführung VG München BeckRS 2016, 48732). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Es wird festgestellt, dass die Klage gegen Nr. 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 15. November 2016 aufschiebende Wirkung hat. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Nr. 3 des Bescheids vom 15. November 2016 ausgesprochene Zwangsgeldandrohung wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II.
Von den Kosten des Verfahrens haben der Antragsteller ¾ und die Antragsgegnerin ¼ zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgelegt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit des Entzugs seiner Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem.
Bis zum … Mai 2014 waren im damaligen Verkehrszentralregister zulasten des Antragstellers insgesamt zehn Punkte eingetragen, die zum 1. Mai 2014 in vier Punkte nach neuem Recht umgerechnet wurden. Zuvor hatte ihn die Fahrerlaubnisbehörde der A. (im Folgenden: Fahrerlaubnisbehörde) mit Schreiben vom … Januar 2012 verwarnt. Nach weiteren Verkehrsverstößen vom … Dezember 2013 und … September 2015 kam es zu einer Eintragung von zwei weiteren Punkten im Fahreignungsregister. Nach damit gegebenem Punktestand von insgesamt sechs Punkten verwarnte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller mit am … Dezember 2015 zugestelltem Schreiben vom … Dezember 2015. Bereits zuvor – am … März 2015 – beging der Antragsteller tatmehrheitlich zwei Nötigungen im Straßenverkehr, welche mit insgesamt vier Punkten geahndet worden sind, jedoch aufgrund des vom Antragsteller eingelegten Einspruchs gegen einen darauf vom Amtsgericht A. erlassenen Strafbefehl erst zum … Februar 2016, also nach erfolgter Verwarnung, in Rechtskraft erwuchsen.
Mit Bescheid vom 15. November 2015 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller nach vorangegangener Anhörung die Fahrerlaubnis der Klassen A, Ab, A1, B, BE, C1 (171), C1E, CE (79 (C1E>12000kg, L<=3), L (174) und M (Nr. 1) und verpflichtete ihn unter Androhung eines Zwangsgelds (Nr. 3) zur Ablieferung des Führerscheins innerhalb von einer Woche nach Zustellung (Nr. 2). Zur Begründung der Entziehungsverfügung führt die Fahrerlaubnisbehörde aus, aufgrund der vom Antragsteller begangenen Verstöße gegen Verkehrsvorschriften, die mit zehn Punkten registriert seien, stünde das Fehlen der Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs fest. Im Übrigen seien die erforderlichen Vorschaltmaßnahmen ordnungsgemäß durchlaufen worden. Zur Abgabe des Führerscheins (Nr. 2) stellte die Fahrerlaubnisbehörde mit Verweis auf § 47 Abs. 1 Satz 2 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) fest, die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins sei kraft Gesetzes sofort vollziehbar.
Der Antragsteller ließ mit Schriftsatz vom … Dezember am … Dezember 2016 Klage gegen den Entziehungsbescheid erheben und einen Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren mit dem Inhalt stellen,
die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage gegen den Entziehungsbescheid vom 15. November 2016 hinsichtlich Nr. 1 (Führerscheinentzug), Nr. 2 (Abgabepflicht des Führerscheins), Nr. 3 (Zwangsgeldandrohung), sowie der im Bescheid enthaltenen Kostenentscheidungen (Nr. 5 und 6) des Bescheides anzuordnen.
Zur Begründung lässt der Antragsteller im Wesentlichen ausführen, die Kombination der Bonusregelung aus § 4 Abs. 6 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und das Abstellen auf die reine Rechtskraft der die Verkehrsverstöße ahnenden Entscheidungen, ohne den Tattag zu berücksichtigen, führe zu rechtsstaatlich nicht zu akzeptierenden Ergebnissen. Insbesondere sei die Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt. Hinzu komme ein weiterer Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Hierzu führten seine Bevollmächtigten an, dass die Zuwiderhandlungen vom … März 2015, die hier zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt hätten, sämtlich vor der Verwarnung vom … Dezember 2015 begangen, jedoch wegen der durch das Amtsgericht A. – ihrer Ansicht nach – verzögerten Strafsache erst nach der Eintragung rechtskräftig worden seien. Dadurch sei dem Antragsteller die Reduzierung seiner Punkte nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG verwehrt worden. In der Konsequenz bedeutete dies für den Antragsteller, er hätte seinen Einspruch gegen den Strafbefehl besser rechtskräftig werden lassen, indem er den Einspruch erst gar nicht eingelegt oder wieder zurückgenommen hätte. In diesem Fall hätte die Fahrerlaubnisbehörde bereits vor der Verwarnung Kenntnis von den am … März 2015 begangenen Taten erlangt, so dass zu dessen Gunsten die Bonusregelung des § 4 Abs. 6 StVG zur Anwendung hätte kommen müssen. Dadurch hätte tatsächlich eine Eintragung von sieben Punkten erfolgen müssen. Es wäre demnach gar nicht dazu gekommen, dass die für die Entziehung der Fahrerlaubnis maßgebende Grenze von acht Punkten erreicht worden wäre. In Anbetracht dessen, dass der Antragsteller nur so den Verlust seiner Fahrerlaubnis hätte vermeiden können, würde er wider sein verfassungsmäßiges Recht auf effektiven Rechtsschutz dazu gedrängt, den Rechtsweg nicht zu beschreiten.
Die Antragsgegnerin verteidigt den angegriffenen Bescheid und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen des weiteren Sachverhalts und zum Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Gerichts- und Behördenakte ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat in dem aus dem Tenor ersichtlichem Umfang Erfolg. Er ist hinsichtlich der Nr. 2 des Bescheids (Rückgabeverpflichtung) nach sachgerechter Auslegung zulässig und begründet (1.). Ebenso hat der Antrag hinsichtlich der in Nr. 3 des Bescheides ausgesprochenen Zwangsgeldandrohung (2.) Erfolg. Im Übrigen ist der Antrag zulässig, aber unbegründet (3.).
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Fall des Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 3 ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Nach diesen Grundsätzen war die aufschiebende Wirkung vorliegend hinsichtlich der Nrn. 3 und 6 des Bescheides anzuordnen.
1.
Der Antrag hat Erfolg, soweit der Antragsteller sich gegen die Rückgabeverpflichtung aus Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheides wendet.
Die darin ausgesprochene Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins wurde nicht nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) für sofort vollziehbar erklärt. Sie ist auch nicht kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Soweit sich der Antragsgegner in der Begründung des Bescheids auf § 47 Abs. 1 FeV (wohl in entsprechender Anwendung) bezieht, ergibt sich hieraus nichts anderes, weil es sich bei dieser Vorschrift nicht um ein förmliches Gesetz im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO handelt (BayVGH, B. v. 22.09.2015 – 11 CS 15.1447 – ZfSch 2015, 217; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 80 Rn. 65; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 28; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 47 FeV Rn. 19). In sachgerechter Auslegung des gestellten Antrags und entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO war daher festzustellen, dass dem Hauptsacherechtsbehelf insoweit aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO), da der Antragsgegner ersichtlich davon ausgeht, dass auch die Ablieferungsverpflichtung kraft Gesetzes sofort vollziehbar sei.
2.
Vor diesem Hintergrund ist die Androhung des Zwangsgelds (Art. 31 Abs. 1, Art. 36 Abs. 1 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz -VwZVG-), die kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist (Art. 21 a VwZVG), rechtswidrig, da zu dem im Bescheid festgesetzten Zeitpunkt für die Erfüllung der Ablieferungsverpflichtung diese selbst nicht vollstreckbar ist, da der förmliche Rechtsbehelf insoweit aufschiebende Wirkung hat (Art. 19 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG). Die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins hat sich nicht dadurch erledigt, dass sich dieser im Zeitpunkt der Wirksamkeit des streitgegenständlichen Bescheids bzw. möglicherweise auch jetzt noch in amtlicher Verwahrung und daher nicht in Besitz des Antragstellers befindet. Denn diese Verpflichtung misst sich dauernde Wirkung jedenfalls für denjenigen Zeitraum zu, in dem der Antragsteller nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis ist. Die erhobene Anfechtungsklage gegen die Zwangsgeldandrohung wäre daher voraussichtlich erfolgreich.
3.
Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am … Dezember 2016 gegen den Bescheid der Stadt A. vom 15. November 2016 eingereichten Klage hat keinen Erfolg. Zwar ist der Antrag zulässig, aber unbegründet.
Nach summarischer Prüfung wird die Klage des Antragstellers vom … Dezember 2016 erfolglos bleiben, soweit sie sich gegen Nr. 1 des Bescheides vom 15. November 2016 wendet. Das Vollzugsinteresse der Behörde überwiegt gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
Die mit Ordnungsverfügung vom 15. November 2016 ausgesprochene und auf die Bestimmung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis ist nach derzeitiger Sach- und Rechtslage voraussichtlich rechtmäßig, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
3.1
Die Fahrerlaubnisbehörde hatte dem Antragsteller die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG zu entziehen, nachdem sich dieser als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis, ergeben sich acht oder mehr Punkte im Fahreignungsregister, als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist zu entziehen. Nach Satz 5 der Vorschrift hat die Fahrerlaubnisbehörde für das Ergreifen auch dieser Maßnahme auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Damit hat der Gesetzgeber das von der Rechtsprechung zur Rechtslage vor der Gesetzesänderung zum 1. Mai 2014 entwickelte Tattagprinzip normiert. Der Antragsteller hat daher durch die am … März 2015 begangenen und am … Dezember 2016 rechtskräftig gewordenen Straftaten zehn Punkte erreicht, so dass ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen war.
Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 n. F., denn er hat die Stufen des Punktsystems ordnungsgemäß durchlaufen. Nach § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG darf die Fahrerlaubnisbehörde eine Maßnahme nach Absatz 5 Satz 1 Nr. 2 oder 3 StVG (Verwarnung oder Fahrerlaubnisentziehung) erst ergreifen, wenn die Maßnahme der jeweils davor liegenden Stufe nach Absatz 5 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StVG bereits ergriffen worden ist. Sofern die Maßnahme der davor liegenden Stufe noch nicht ergriffen worden ist, ist diese zu ergreifen (Satz 2 der Vorschrift). Im Fall des Satzes 2 verringert sich der Punktestand mit Wirkung vom Tag des Ausstellens der ergriffenen Ermahnung auf fünf Punkte und bei der Verwarnung auf sieben Punkte, wenn der Punktestand zu diesem Zeitpunkt nicht bereits durch Tilgungen oder Punktabzüge niedriger ist (§ 4 Abs. 6 Satz 3 StVG).
Der Antragsteller hat das Stufensystem ordnungsgemäß durchlaufen. Er wurde bei einem im Fahreignungsregister eingetragenen Stand von acht Punkten mit Schreiben der Behörde vom … Januar 2012 nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG a. F. ordnungsgemäß verwarnt. Diese Verwarnung war nach Einführung des Fahreignungsbewertungssystems zum 1. Mai 2014 nicht – nun als Ermahnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG – zu wiederholen, denn allein die mit der Umstellung verbundene Umrechnung auf vier Punkte nach dem neuen Fahreignungs-Bewertungssystem führt nicht zur Erforderlichkeit einer Maßnahme nach § 4 Abs. 5 StVG (§ 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 2 StVG). Ebenso wenig war der Antragsteller erneut zu ermahnen, nachdem sich sein Punktestand um einem auf fünf Punkte erhöhte. Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, ist bei wechselnden Punkteständen innerhalb der Maßnahmenstufe die Maßnahme nicht erneut zu ergreifen (BT-Drs. 17/12636, S. 41).
Der Antragsteller hat auch die zweite Stufe ordnungsgemäß durchlaufen. Er wurde bei einem im Fahreignungsregister eingetragenen Stand von sechs Punkten mit Schreiben der Behörde vom … Dezember 2015 nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG ordnungsgemäß verwarnt, nachdem er mit der Tat vom … September 2015 in die nächste Maßnahmenstufe eingetreten ist.
Der Entziehung der Fahrerlaubnis steht auch nicht entgegen, dass die beiden Verkehrszuwiderhandlungen, die zum Erreichen der dritten Stufe (Entziehung) führten, zeitlich etwa acht Monate vor der letzten Verwarnung begangen wurden. In einem vergleichbaren Fall hat das Gericht mit Beschluss vom 9. Mai 2016 – M 26 S 16.1641 – hierzu bereits das Folgende ausgeführt:
„Punkte ergeben sich mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit. Darüber hinaus muss die Entscheidung rechtskräftig werden (§ 4 Abs. 2 Satz 3 StVG). Nur dann kann eine Speicherung im Fahreignungsregister und eine Heranziehung für die Berechnung des Punktestands erfolgen. Ab Erreichen eines maßgeblichen Punktestandes (an einem Tattag) bis zur Vornahme der zugehörigen Maßnahme (nach Rechtskraft) liegt daher ein Zeitraum, in dem der Betroffene bereits weitere Zuwiderhandlungen begangen haben kann, die aber mangels eigener Rechtskraft noch nicht verwertet werden können. Für das Ergreifen der Maßnahmen hat die Fahrerlaubnisbehörde bei Eingang einer neuen Entscheidung zu prüfen, wie viele Punkte sich zum letzten Tattag ergeben haben (§ 4 Abs. 5 Satz 5 StVG). Die Fahrerlaubnisbehörde muss somit retrospektiv auf den Tag der Begehung der letzten Zuwiderhandlung abstellen. § 4 Abs. 6 StVG macht deutlich, dass Zuwiderhandlungen auch dann mit Punkten zu bewerten und bei der Prüfung der Maßnahmenstufe zu berücksichtigen sind, wenn sie vor der Einleitung der vorherigen Maßnahme des Fahreignungs-Bewertungssystems begangen worden sind. Grund hierfür ist, dass für das Entstehen der Punkte zwar das Tattagprinzip gilt, jedoch für das Ergreifen von Maßnahmen keine Relevanz hat. Denn diese können erst nach Rechtskraft und Registrierung ergriffen werden. Die Maßnahme der Fahrerlaubnisbehörde ist daher vom Kenntnisstand der Behörde bei der Bearbeitung aus zu beurteilen. Damit wird im Interesse der Verkehrssicherheit dem nach altem Recht möglichen Ausblenden von Taten und Punkten entgegengewirkt (vgl. zum Ganzen Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, 2016, Band 1, § 4 StVG, Rn. 27 m. w. N.). Eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG tritt nur ein, wenn der Fahrerlaubnisbehörde am Tag des Ausstellens der ergriffenen Maßnahme weitere Verkehrsverstöße bekannt sind, die zu einer Einstufung in eine höhere Stufe nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG führen (BayVGH, U. v. 11.8.2015 – 11 BV 15.909 – VRS 129, 27). Das war hier jedoch nicht der Fall.“
Soweit der Antragsteller vorträgt, dass maßgeblich ein Verschulden des die Strafsache durchführenden Amtsgericht dazu geführt habe, dass der Strafbefehl erst nach der Verwarnung rechtskräftig geworden sei und so eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG nicht zur Anwendung komme, vermag dieser Einwand kein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. Zwar mag es Fälle geben, in denen eine zurechenbare verzögerte Übermittlung mit dem Ziel, eine Punktereduzierung zu verhindern, rechtsmissbräuchlich ist und so eine analoge Anwendung des § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG gerechtfertigt sei (vgl. BayVGH B. v. 6.9.2016 – 11 CS 16.1646 – juris Rn. 15). Eine solche willkürliche Verzögerung hat der Antragsteller hier jedoch nicht nachvollziehbar vorgetragen. Anhaltspunkte hierfür sind im Übrigen auch nicht ersichtlich.
3.2.
Durchgreifende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angewendeten Normen bestehen nicht.
3.2.1.
Auch wenn die zur Entziehung der Fahrerlaubnis führenden Straftaten bereits am … März 2015 begangen wurden, so stellt sich die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung schon vor dem Hintergrund nicht, dass diese Taten erst nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung vom 5. Dezember 2014 rechtskräftig wurden (BayVGH B. v. 8.6.2015 – 11 CS 15.718 – juris Rn. 22).
3.2.2.
Ebenso wenig vermag der vom Antragsteller vorgetragene Einwand des Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 GG zu überzeugen. Ein den Antragsteller durch die angewendeten Regelungen entstehender Nachteil, der ihn davon abhalten könnte, den Rechtsweg zu beschreiten, besteht nicht.
Die Taten des Antragstellers, die zum Erreichen von zehn Punkten führten (Vortaten), geschahen schon am … März 2015 und damit vor der Verwarnung vom … Dezember 2015, der Strafbefehl wurde jedoch erst zum … Februar 2016 rechtskräftig, so dass die Fahrerlaubnisbehörde sie nicht hat berücksichtigen dürfen (§ 4 Abs. 2 Satz 3 StVG). Vor diesem Hintergrund liegt der Antragsteller zwar richtig mit der Annahme, dass die theoretische Möglichkeit einer Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG bestanden hätte, wenn die Taten vom … März 2015 (Vortaten) vor der ausgesprochenen Verwarnung rechtskräftig geworden wären und dies zur Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde gelangt wäre. Allerdings hätte zu diesem Zeitpunkt noch keine Verwarnung wegen der Tat vom … September 2015 (Nachtat) ausgesprochen sein dürfen. Somit hätte erst nach der Rechtskraft der geahndeten Vortaten und der Nachtat die Verwarnung aufgrund des Anstieges von fünf auf zehn Punkte ausgesprochen werden dürfen. Nur in diesem Fall wäre eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG erfolgt.
Wäre hingegen zunächst der die Vortaten (Taten vom … März 2015) ahndende Strafbefehl in Rechtskraft erwachsen, hätte dies bereits zu einer Ermäßigung von neun auf sieben Punkte nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG geführt. Mit der daraufhin geahndeten Nachtat vom … September 2015 wäre mithin der Punktestand des Antragstellers auf acht Punkte gestiegen, so dass ihm ebenfalls nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG die Fahrerlaubnis hätte entzogen werden müssen.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass dem Antragsteller der Führerschein auch dann hätte entzogen werden müssen, wenn entsprechend dem Tatgeschehen zunächst die Vortaten (…3.2013) und anschließend die Nachtat (…9.2015) rechtskräftig bzw. bestandskräftig geworden wären. Allein die Einlegung des Einspruchs gegen den die Vortaten ahndenden Strafbefehl hat den Antragsteller überhaupt erst in die Lage gebracht, durch die Rücknahme dieses Rechtsbehelfs die Rechtskraft im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Bestandskraft der Nachtat entstehen zu lassen. Dadurch dass der Antragsteller hierdurch sprunghaft von fünf auf zehn Punkte einzustufen gewesen wäre, ohne dass die Fahrerlaubnisbehörde vorab eine Verwarnung hätte aussprechen können, hätte der Antragsteller auf sieben Punkte im Fahreignungsregister heruntergestuft werden müssen, § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG. Insofern benachteiligen die anzuwendenden Vorschriften den Antragsteller im hier zu entscheidenden Fall nicht.
Soweit der Antragsteller vortragen lässt, er wäre durch § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG insofern in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG beeinträchtigt, als dass das Abstellen auf die Rechtskraft geahndeter Verstöße ihn dazu dränge, Rechtsmittel gegen Strafbefehle oder Bußgeldbescheide erst gar nicht einzulegen oder gar zurückzunehmen, um die Rechtskraft möglichst vor der wegen einer anderen Tat auszusprechenden Verwarnung eintreten und damit die Bonusregelung des § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG zur Anwendung kommen zu lassen, vermag dieser Einwand nicht zu überzeugen.
Es entspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen, Rechtsfolgen grundsätzlich erst an rechtskräftig gewordene Entscheidungen anzuknüpfen. Dass sich die Rechtskraft von Entscheidungen auf einen Zeitpunkt nach einer Verwarnung wegen eines nachzeitigen Verkehrsverstoßes verschiebt, wenn der Betroffene von Rechtsbehelfen Gebrauch macht, stellt lediglich eine mittelbare Folge des weiteren Verkehrsverstoßes dar. Diesen Verkehrsverstoß während der Zeit der noch ausstehenden Rechtskraft oder Bestandskraft der zeitlich vorangegangenen Tat nicht zu ahnden, den Betroffenen also für diese Zeit von der Ahndung weiterer Verstöße freizustellen, liegt schon nicht im Sinne der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG. Angesichts der für den Betroffenen erkennbar noch ausstehenden Rechtskraft von Entscheidungen und der daran anknüpfenden Rechtsfolge aus § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG ist der jeweils Betroffene selbst in der Pflicht, sein Verhalten verkehrskonform zu gestalten, um so weitere zu ahndende Verkehrsverstöße und damit eine vorzeitige Verwarnung zu vermeiden. Insofern wirkt die vom Antragsteller verfassungsrechtlich in Zweifel gezogene Regelung im Sinne der Verkehrssicherheit auch verhaltensorientiert auf Mehrfachtäter ein. Der Umstand, dass der Betroffene durch sein zeitlich nachgelagerten Verkehrsverstoß die Ursache einer Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG setzt, hat der Antragsteller stets selbst in der Hand. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass dem Betroffene wegen der noch ausstehenden Rechtskraft der Entscheidung über die Vortat dazu gedrängt würde, einen Rechtsbehelf erst gar nicht einzulegen oder gar zurückzunehmen.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins spielt im Verhältnis zur Entziehung der Fahrerlaubnis selbst nur eine untergeordnete Rolle, nachdem der bloße Besitz eines Führerscheins nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr berechtigt, wenn der Inhaber des Führerscheins – wie hier – tatsächlich keine Fahrerlaubnis mehr hat. Nachdem die Ablieferungspflicht jedoch zwangsgeldbewehrt ist, scheidet eine Anwendung von § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO aus und erscheint die im Tenor ausgesprochene Kostenteilung angemessen.
5.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i. V. m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3, 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Die Fahrerlaubnisklasse CE wird nicht streitwerterhöhend berücksichtigt, weil sie durch die Schlüsselzahl 79 (vgl. Anlage 9 zur FeV Nr. 48) lediglich die Befugnis zum Führen bestimmter Anhänger mit einem Zugfahrzeug der Klasse C1 im Verhältnis zu der durch eine Fahrerlaubnis der Klasse C1E verliehenen Befugnis erweitert (vgl. BayVGH, B. v. 30.1.2014 – 11 CS 13.2324 – juris Rn. 21 ff.).