Aktenzeichen 11 CE 20.397
Leitsatz
Ein sog. qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis für die ausnahmsweise Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes ist auch bei einer für den Fall der Nichtbeibringung eines angeordneten Fahreignungsgutachtens angedrohten Entziehung der Fahrerlaubnis nicht gegeben (Fortführung von BayVGH BeckRS 2005, 17337 Rn. 17 f.). (Rn. 10 und 11) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
AN 10 E 20.157 2020-01-31 Bes VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen eine ihm drohende Entziehung der ihm am 31. Oktober 2018 wiedererteilten Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L.
Mit Schreiben vom 24. Oktober 2019 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller unter Bezug auf zwei strafgerichtliche Verurteilungen auf, bis spätestens 28. Januar 2020 ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Beantwortung der Frage vorzulegen, ob trotz der aktenkundigen erheblichen Straftat vom 29. März 2019 in Zusammenhang mit der Kraftfahreignung, die Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial aufweise, zu erwarten sei, dass er künftig nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde.
Am 28. Januar 2020 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten beim Verwaltungsgericht Ansbach beantragen, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Erlass eines Entziehungsbescheids zu unterlassen. Es lägen besondere Gründe für die Vorwegnahme der Hauptsache vor, da die sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis bei Nichtbeibringung eines Gutachtens angedroht worden sei, obwohl die Gutachtensanordnung unwirksam wäre. Der Antragsteller habe bei der Begehung der abgeurteilten Taten weder eine außerordentliche Gewalttätigkeit noch ein sehr hohes Aggressionspotenzial gezeigt. Es handle sich um eine einfache Körperverletzung, durch welche das Opfer keine größeren Schäden davongetragen habe. Er habe in einer unverschuldeten Situation spontan unangemessen reagiert.
Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 31. Januar 2020 als unzulässig ab. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung handle es sich bei der Anordnung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um eine vorbereitende, nicht anfechtbare Verfahrenshandlung im Sinne von § 44a VwGO. Mit dem Erlass einer einstweiligen Anordnung würde aber die Unanfechtbarkeit vorbereitender Verfahrenshandlungen aufgrund der dann gebotenen Inzidenzprüfung der Rechtmäßigkeit der Gutachtensanforderung im Ergebnis umgangen. Der Verweis auf nachträglichen Rechtsschutz führe auch nicht zu unzumutbaren Nachteilen, die in einem späteren Prozess nicht mehr vollständig beseitigt werden könnten.
Mit seiner Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt, macht der Antragsteller geltend, das Verwaltungsgericht habe der existenzsichernden Bedeutung der Fahrerlaubnis nicht ausreichend Gewicht gegeben. Allein in der Gefahr, dass die Behörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entziehen werde, liege schon eine erhebliche Beeinträchtigung seiner „existenzsichernden Rechte“. Auch die Befolgung der Gutachtensanordnung sei mit beträchtlichen, dem Antragsteller nicht zumutbaren Belastungen verbunden.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht als unzulässig abgelehnt. Dem Rechtsschutzsuchenden, der sich wie hier der Antragsteller vorbeugend gegen den Erlass eines Verwaltungsakts wendet, ist es in der Regel zuzumuten, die Verwaltungsmaßnahme abzuwarten und anschließend um vorläufigen Rechtsschutz nach §§ 80, 80a VwGO nachzusuchen. Für einen vorbeugenden Antrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO fehlt dann ein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2019, § 123 Rn. 45; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 37).
Der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz ist aus Gründen der Gewaltenteilung nicht vorbeugend konzipiert (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 23.6.2016 – 2 C 18.15 – NVwZ-RR 2016, 907 = juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 28.11.2019 – 10 CE 19.2234 – juris Rn. 5; B.v. 24.1.2017 – 4 CE 15.273 – juris Rn. 16; B.v. 4.10.2005 – 11 CE 05.2304 – juris Rn. 17). Um den Grundsatz der Gewaltenteilung und das der Verwaltung zugewiesene Handlungsfeld nicht übermäßig und „anlasslos“ zu beeinträchtigen, setzt die den Gerichten übertragene Kontrollfunktion gegen Maßnahmen der Behörden grundsätzlich erst nachgelagert ein. Die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes erfordert daher regelmäßig den Erlass einer Maßnahme, der nachfolgend Gegenstand gerichtlicher Überprüfung ist (BVerwG, U.v. 23.6.2016 a.a.O.). Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn dem Betroffenen ein weiteres Zuwarten, ob und wie die Behörde tätig werden wird, nicht zugemutet werden kann und daher ein schutzwürdiges Interesse an einer alsbaldigen gerichtlichen Klärung besteht (BVerwG, U.v. 23.6.2016, a.a.O.; BayVGH, B.v. 24.1.2017 a.a.O. m.w.N.; B.v. 4.10.2005 a.a.O.). Ein sog. qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis ist etwa dann gegeben, wenn die Gefahr besteht, dass irreversible Fakten geschaffen werden und dadurch nicht wiedergutzumachende Nachteile entstehen (Schoch, a.a.O. Rn. 46).
Dies ist im Falle der Entziehung der Fahrerlaubnis jedoch nicht der Fall (vgl. BayVGH, B.v. 4.10.2005 a.a.O.; Schoch, a.a.O. Rn. 47) und auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht ausnahmsweise anders zu beurteilen. Dem Antragsteller steht es frei, kein Fahreignungsgutachten einzuholen und seine Rechtsauffassung bzw. die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung im Falle einer Entziehung der Fahrerlaubnis unter Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes inzident im gerichtlichen Verfahren prüfen zu lassen. Die Tragung der Begutachtungskosten ist ihm im Hinblick auf die Regelung in § 11 Abs. 6 Satz 2 und 5 FeV zumutbar (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2019 – 11 CS 18.2400 – juris Rn. 19). Das Gesetz mutet ihm diese Kosten ebenso zu, wie es ihm zumutet, die Kosten zu zahlen, die zum verkehrssicheren Führen des Fahrzeugs notwendig sind (BVerwG, U.v. 13.1.1997 – 3 C 1.97 – BayVBl 1998, 634 = juris Rn. 23). Ferner hätte er Begutachtungskosten, die durch eine Gutachtensanordnung ohne ausreichenden Anlass entstanden sind, im Wege eines allgemeinen öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs (vgl. BVerwG, B.v. 17.5.1994 – 11 B 157.93 – DAR 1994, 372 = juris Rn. 4; U.v. 15.12.1989 – 7 C 52.88 – DAR 1990, 153 = juris Rn. 6; Siegmund in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 27.1.2020, § 11 FeV Rn. 108) oder der Amtshaftung zurückfordern können (Dronkovic in Buschbell/Höke, MAH Straßenverkehrsrecht, 5. Aufl. 2020, § 4 Rn. 164). Daher sind behauptete Vermögensschäden in der Regel nicht geeignet, ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis an der Erlangung vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutzes zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 4.10.2005 a.a.O. Rn. 18). Inwiefern ihm durch den befürchteten Entziehungsbescheid nicht wiedergutzumachende Nachteile entstehen, hat der Antragsteller im Übrigen nicht substantiiert dargelegt.
Damit war die Beschwerde mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).