Verkehrsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Betäubungsmittelkonsums

Aktenzeichen  M 26 S 16.2437

Datum:
20.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 3 Abs. 1
FeV FeV § 46 Abs. 1
Anlage 4 zur FeV Nr. 9.1
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Wenn im Rahmen einer strafprozessualen Telefonüberwachung Angaben zu der bei sich selbst beobachteten Wirkung des Kokains („bei Kokain kann ich nur nicht schlafen“) und zu dessen Qualität (aufgrund derer es nicht gelungen sei, eine „Linie“ zu „machen“) nachgewiesen sind, ist die im Fahrerlaubnisverfahren getätigte Behauptung, das seinerzeitige Geständnis im Strafverfahren sei rein taktisch motiviert gewesen, unglaubhaft. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofort vollziehbare Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt) mit Unterklassen.
Aufgrund einer polizeilichen Mitteilung vom … Februar 2016 wurde der Antragsgegnerin bekannt, dass der Antragsteller im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln polizeilich in Erscheinung getreten war. Der Antragsteller stand demnach aufgrund von Erkenntnissen aus telefonischen Überwachungsmaßnahmen gegenüber einer anderen Person seit dem … November 2014 unter dem dringenden Tatverdacht, wiederholt Kokain erworben zu haben. Anlässlich der Durchsuchung der Wohnung des Antragstellers am … Januar 2016 wurden a… g Marihuana aufgefunden. In der am selben Tag durchgeführten Beschuldigtenvernehmung gab der Antragsteller an, dass der Vorwurf des Kokainerwerbs zutreffe. Er beziehe Kokain seit … Jahren von der anderweitig verfolgten Person. Er schätze, nicht wie vorgeworfen a… Mal, sondern ca. b… Mal im Vorfeld beabsichtigter Partybesuche, bei denen er davon ausgegangen sei, die ganze Nacht wegzubleiben, Kokain gekauft zu haben. Meist habe er a… oder b… g Kokain erworben. a… Gramm nehme er dann am Wochenende, auf ein oder 2 Tage verteilt. Bei dem aufgefundenen Marihuana handele es sich um die Restmenge von b… g, die er für sich selbst aus dem Urlaub in Kroatien mitgebracht und zum Teil bereits geraucht habe. Der Antragsteller wurde wegen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln (Marihuana) und … Fällen des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln (Kokain) mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts A. vom … Februar 2016 zu einer Geldstrafe verurteilt.
Mit Bescheid vom 23. Mai 2016, zugestellt am … Mai 2016, entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller nach Anhörung die Fahrerlaubnis der Klasse 3 einschließlich Unterklassen (Nr. 1 des Bescheids) und drohte für den Fall, dass der Antragsteller seinen Führerschein nicht spätestens innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids abliefere, ein Zwangsgeld in Höhe von a… EUR an (Nrn. 2 und 3). Unter Nr. 4 des Bescheids wurde die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 angeordnet. Die Nrn. 5 und 6 enthalten die Kostenentscheidungen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen darauf abgestellt, dass der Antragsteller wegen des Konsums von Kokain fahrungeeignet sei. Der Konsum sei vom Antragsteller eingeräumt.
Am … Mai 2016 versicherte der Antragsteller an Eides statt, dass sein Führerschein abhandengekommen sei.
Mit Schriftsatz vom … Mai 2016, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am selben Tag, erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers für diesen Klage (Az. M 26 K 16.2436) mit dem Antrag, den Bescheid vom 23. Mai 2016 aufzuheben. Mit weiterem Schriftsatz vom … Mai 2016 beantragte er außerdem:
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. Mai 2016 wird wiederhergestellt.
Zur Begründung führte der Bevollmächtigte des Antragstellers u. a. aus, dass dieser in der Zeit vom … November 2014 bis … Juli 2015 a… Gramm Kokaingemisch erworben und dies im Rahmen von Partys dritten Personen unentgeltlich zu deren Konsum zur Verfügung gestellt habe. Ein Eigenkonsum sei nicht erfolgt. Dahingehend habe er sich zwar im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eingelassen. Sein Aussageverhalten habe jedoch auf seiner Motivation beruht, einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe (mit Aussetzung zur Bewährung) zu entgehen. Das Recht eines Beschuldigten, seine Einlassung – unabhängig vom Wahrheitsgehalt – am Interesse eines möglichst geringen Strafmaßes zu orientieren, sei verfassungsrechtlich im Rechtsstaatsgebot verankert.
Mit Schriftsatz vom 13. Juni 2016 beantragte der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 14. Juni 2016 der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen. Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren M 26 K 16.2436 sowie auf die Akte der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist dahingehend zu verstehen, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die in Nrn. 1 und 2 des Bescheids vom 23. Mai 2016 enthaltenen Regelungen (zur Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Abgabeverpflichtung hinsichtlich des Führerscheins s. BayVGH, B. v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris) sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der in Nr. 3 verfügten Zwangsgeldandrohung (s. Art. 21a des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes – VwZVG) und der im Bescheid enthaltenen Kostenentscheidungen (s. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO) begehrt.
2. Der so zu verstehende Antrag ist mangels Rechtsschutzbedürfnis bereits unzulässig, soweit er auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Nr. 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 23. Mai 2016 (Zwangsgeldandrohung) gerichtet ist. Die Zwangsgeldandrohung bezieht sich auf die in Nr. 2 des Bescheids enthaltene Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins innerhalb der dort gesetzten Frist. Dem ist der Antragsteller zwar nicht nachgekommen. Er hat jedoch gemäß § 5 Straßenverkehrsgesetz – StVG – am … Mai 2016 an Eides statt versichert, dass ihm der Führerschein abhandengekommen sei. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Antragsgegnerin das Zwangsgeld trotzdem noch beitreiben wird (s. Art. 37 Abs. 4 Satz 1 VwZVG), zumal sie selbst in ihrer Antragserwiderung vom 13. Juni 2016 auf Seite 4 von der Erledigung des betreffenden Teilantrags ausgeht.
3. Soweit der Antrag ansonsten zulässig ist, ist er unbegründet.
3.1. Die Antragsgegnerin hat in Bezug auf die Nrn. 1 und 2 des Bescheids vom 23. Mai 2016 das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug ausreichend einzelfallbezogen im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO begründet (zu den Anforderungen Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43). Zwar bedarf es regelmäßig der Darlegung besonderer Gründe, die über die Gesichtspunkte hinausgehen, die den Verwaltungsakt selbst rechtfertigen. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verpflichtet die Behörde aber nicht, eine Begründung zu geben, die ausschließlich auf den konkreten Sachverhalt zutrifft. Gerade dann, wenn wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung darauf beschränken, diese Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass sie nach ihrer Auffassung auch im konkreten Fall vorliegt. Das kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts in Betracht, zu dem auch die Fälle des Fahrerlaubnisentzugs wegen fehlender Fahreignung gehören. Denn es liegt in der Regel auf der Hand, dass die Teilnahme eines für ungeeignet erachteten Kraftfahrers am Straßenverkehr zu erheblichen Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer führt und durch die Anordnung des Sofortvollzugs des Entziehungsbescheids schnellstmöglich auszuschließen ist (BayVGH, B. v. 10.8.2011 – 11 CS 11.1271 – juris Rn. 6, B. v. 10.3.2008 – 11 CS 07.3453 – juris Rn. 16). Dass die Antragsgegnerin den Antragsteller wegen der Einnahme von Betäubungsmitteln in Form von Kokain für fahrungeeignet erachtet, ist bereits ihren Ausführungen zu der deshalb ausgesprochenen Entziehung der Fahrerlaubnis zu entnehmen.
3.2. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Klage ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Es trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Grundlage dieser Entscheidung ist eine Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners, wobei insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen sind (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 72 ff.).
Hier überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin, da die Klage des Antragstellers nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Der Bescheid vom 23. Mai 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (s. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend – nachdem unmittelbar Klage erhoben wurde – der Zeitpunkt des Erlasses bzw. der Zustellung des Entziehungsbescheids als letzter Behördenentscheidung (s. BVerwG, U. v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 Rn. 13 m. w. N.).
Zunächst nimmt das erkennende Gericht vollumfänglich Bezug auf die ausführlichen Gründe des Bescheids vom 23. Mai 2016 und macht sich diese zur Begründung der vorliegenden Entscheidung zu Eigen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Die Antragsgegnerin hat im Ergebnis richtig festgestellt, dass dem Antragsteller die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG und § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – mangels Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu entziehen war, weil er Kokain konsumierte (s. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV). Es bestehen auch keine rechtlichen Bedenken hinsichtlich der in Bezug auf die Frist konkretisierten Verpflichtung, den Führerschein abzugeben (§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 1 FeV) oder der im Bescheid enthaltenen Festsetzungen zu den Kosten des Verwaltungsverfahrens.
Im Hinblick auf die Einwendungen des Antragstellers ist noch zu ergänzen, dass auch zur Überzeugung des Gerichts der Kokainkonsum des Antragstellers unzweifelhaft feststeht, auch wenn er durch seinen Bevollmächtigten auf das Recht eines Beschuldigten zu wahrheitswidrigen Angaben hinweisen und zum Ausdruck bringen lässt, dass er aus Taktikgründen im Strafverfahren falsch ausgesagt habe. Das Gericht wertet diese Einlassungen als unglaubhafte Schutzbehauptungen, mit denen der Antragsteller versucht, der Entziehung der Fahrerlaubnis die Grundlage zu nehmen. Anlass zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen bestand auf Antragsgegnerseite nicht (§ 11 Abs. 7 FeV).
Die Angaben des Antragstellers zu seinem Eigenkonsum im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung vom … Januar 2016 sind plausibel und detailreich. Sie beziehen sich auf polizeiliche Fragen zu im Wege der Telefonüberwachung bekannt gewordenen Erwerbsvorgängen im Zeitraum … November 2014 bis … Juli 2015 und ihnen lässt sich (ohne weiteres) ein recht regelmäßiges Konsumverhalten des Antragstellers im Zusammenhang mit dessen Partyaktivitäten, insbesondere an Wochenenden, entnehmen. Der Antragsteller machte Angaben zu der bei sich selbst beobachteten Wirkung des Kokains („bei Kokain kann ich nur nicht schlafen“) und bezogen auf konkrete Inhalte der Telefongespräche mit seinem Verkäufer sogar dazu, dass es ihm einmal aufgrund der klebrigen Qualität des erworbenen Kokains nicht gelungen sei, eine „Linie“ zu „machen“. Nur a… Gramm sei gut gewesen (vgl. Bl. 4 und 14 der Akte der Antragsgegnerin).
Selbst wenn sich die freimütige Einräumung eines Eigenkonsums im Strafverfahren strafmildernd ausgewirkt haben könnte bzw. der Antragsteller bereits zum Zeitpunkt der Wohnungsdurchsuchung und seiner Beschuldigtenvernehmung taktische Überlegungen zu einem im Strafverfahren günstigen Aussageverhalten angestellt haben sollte, kann hieraus nicht der Schluss gezogen werden, dass der Antragsteller hinsichtlich seines Kokainkonsums gelogen hat. Vielmehr zeichnen seine Angaben gegenüber der Polizei und die sonstigen polizeilichen Erkenntnisse in ihrer Gesamtheit ein genau gegenteiliges Bild. Dieses wird nicht durch die sehr pauschal vorgetragene und u. a. auch deshalb unglaubhafte Behauptung entkräftet, Kokain nur deshalb erworben zu haben, um es auf Partys an andere zu verschenken.
Besondere Umstände, aus denen sich ergäbe, dass der Betäubungsmittelkonsum des Antragstellers entgegen der in § 46 Abs. 1 FeV i. V. m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV zum Ausdruck gebrachten Regel ausnahmsweise nicht zum Verlust der Fahreignung geführt hat (s. Vorbemerkung 3 zur Anlage 4 der FeV), sind nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Es kommt auch nicht in Betracht, dass der Antragsteller die Fahreignung zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung wieder erlangt hat. Es kann insoweit dahinstehen, ob das erkennende Gericht der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur verfahrensrechtlichen Einjahresfrist weiterhin folgt (vgl. hierzu VG München, U. v. 9.12.2015 – M 6b K 15.1592). Denn jedenfalls kann der Antragsteller nach dem Vorstehenden schon aus zeitlichen Gründen bis zum Erlass des Entziehungsbescheids keine ausreichend lange Abstinenz geltend machen. Im Übrigen hat der Antragsteller einen Abstinenzbeginn nicht einmal behauptet.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

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