Aktenzeichen 11 CS 20.72
FeV § 11 Abs. 6 S. 4, Abs. 8, § 14 Abs. 1 S. 3, § 46 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
Eine im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde stehende Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens leidet unter Ermessensfehlern, wenn darin nicht begründet wird, weshalb ein vom Fahrerlaubnisinhaber schon absolviertes Aufbauseminar nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG nicht ausreichend gewesen ist. (Rn. 16)
Verfahrensgang
AN 10 S 19.470 2019-11-06 Bes VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 6. November 2019 wird in Nummer 1 und 2 aufgehoben.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nummer I und II des Bescheids des Landratsamts Ansbach vom 4. Februar 2019 wird wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der 1991 geborene Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B, die ihm im Jahr 2015 erteilt worden ist.
Mit Schreiben vom 22. August 2017 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt dem Landratsamt Ansbach (im Folgenden: Landratsamt) mit, für den Antragsteller seien wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 und 3 StVG vom 31. März 2017, die am 18. August 2017 rechtskräftig geahndet worden sei, zwei Punkte im Fahreignungsregister eingetragen.
Mit Bescheid vom 19. September 2017 ordnete das Landratsamt daraufhin die Teilnahme an einem besonderen Aufbauseminar nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 36 FeV an. Am 26. Oktober 2017 ging die Teilnahmebescheinigung des Antragstellers beim Landratsamt ein.
Mit Schreiben vom 12. Oktober 2018 forderte das Landratsamt den Antragsteller auf, bis 21. Dezember 2018 ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Er habe am 31. März 2017 ein Kraftfahrzeug geführt, obwohl er zuvor Cannabis konsumiert habe. Die Untersuchung der entnommenen Blutprobe habe einen Wert von 2,3 ng/ml THC ergeben. Es sei davon auszugehen, dass es sich beim Antragsteller um einen gelegentlichen Cannabiskonsumenten handele. Es sei zu klären, ob insbesondere nicht zu erwarten sei, dass er zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis oder dessen Nachwirkungen führen werde (Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme). Angemerkt wird darüber hinaus, dass nicht zu klären sei, ob der Antragsteller seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen wiedererlangt habe. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt, da die Anordnung gegenüber der sofortigen Entziehung der Fahrerlaubnis die mildere Maßnahme sei.
Der Antragsteller erklärte sich am 23. Oktober 2018 mit der Begutachtung einverstanden, legte aber kein Gutachten vor. Mit Schreiben vom 23. Januar 2019, beim Landratsamt eingegangen am 28. Januar 2019, führte der Antragsteller aus, in seiner Akte würden sich polizeiliche Unterlagen über Vorkommnisse aus den Jahren 2008 bis 2010 befinden, die der Gutachter habe verwerten wollen. Zwei dieser Verfahren seien eingestellt worden. Er bitte darum, die Akte zu bereinigen und dann eine Begutachtung zu ermöglichen.
Ohne Berücksichtigung des Schreibens vom 23. Januar 2019 entzog das Landratsamt dem Antragsteller mit Bescheid vom 4. Februar 2019 die Fahrerlaubnis und ordnete unter Androhung unmittelbaren Zwangs die unverzügliche Vorlage des Führerscheins sowie die sofortige Vollziehung der Verfügung an. Nach § 11 Abs. 8 FeV könne auf die Nichteignung des Antragstellers geschlossen werden.
Mit Schreiben vom 6. Februar 2019 teilte das Landratsamt dem Antragsteller mit, die Unterlagen zu den Vorfällen aus den Jahren 2008 bis 2010 seien noch verwertbar.
Die Klage gegen den Bescheid vom 4. Februar 2019 hat das Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 6. November 2019 abgewiesen (Az. AN 10 K 19.00471). Das Landratsamt habe gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV eine medizinisch-psychologische Begutachtung verlangen dürfen. Auch das Ermessen sei ordnungsgemäß ausgeübt worden. Es seien keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Gutachtensanordnung unverhältnismäßig sein könnte. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht ebenfalls am 6. November 2019 abgelehnt und zur Begründung auf das Urteil verwiesen.
Gegen den Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt. Der Antragsteller macht geltend, der Eilbeschluss sei nicht ordnungsgemäß begründet. Es könne nicht von ihm verlangt werden, den Inhalt des Urteils zu prüfen, um entscheiden zu können, ob gegen den Eilbeschluss ein Rechtsmittel eingelegt werde. Darüber hinaus sei die Anordnung des Sofortvollzugs im Bescheid nicht ordnungsgemäß begründet gewesen. Die Gutachtensanordnung sei ermessensfehlerhaft, da der Verkehrsverstoß die Anordnung nicht rechtfertige. Die Fragestellung sei auch zu weit gefasst. Die viele Jahre zurückliegenden Vorkommnisse hätten nicht zum Nachteil des Klägers berücksichtigt werden dürfen. Zudem beruhe der Beschluss auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, da die Stellungnahmen des Antragstellers vom 1. Oktober 2018 und 23. Januar 2019 nicht hinreichend beachtet worden seien.
Gegen das Urteil hat der Antragsteller Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt und diesen fristgerecht begründet (Az. 11 ZB 20.305). Er macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, besondere rechtliche Schwierigkeiten und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten beider Instanzen hingewiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet, denn der Bescheid des Landratsamts Ansbach vom 4. Februar 2019 ist bei summarischer Prüfung nicht rechtmäßig. Der Antragsteller hat auch noch ein Rechtsschutzbedürfnis an der Entscheidung über seine Beschwerde, denn der Senat hat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 6. November 2019 mit Beschluss vom heutigen Tag zugelassen.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 4. Dezember 2018 (BGBl I S. 2251), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 3. Mai 2018 (BGBl I S. 566), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV).
Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder wenn er das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – NJW 2017, 1765 Rn. 19 m.w.N.) und für die Nichtbeibringung des angeforderten Gutachtens kein ausreichender Grund besteht.
Hier spricht vieles dafür, dass § 11 Abs. 6 Satz 4 FeV nicht hinreichend beachtet worden ist. Danach teilt die Fahrerlaubnisbehörde der untersuchenden Stelle mit, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind und übersendet ihr die vollständigen Unterlagen, soweit sie unter Beachtung der gesetzlichen Verwertungsverbote verwertet werden dürfen. Informationen, die die Polizei nach § 2 Abs. 12 Satz 1 StVG übermittelt hat, sind nach § 2 Abs. 12 Satz 2 StVG unverzüglich zu vernichten, soweit sie für die Beurteilung der Eignung oder Befähigung nicht erforderlich sind. Im Berufungsverfahren wird daher zu prüfen sein, ob die in der Akte enthaltenen polizeilichen Mitteilungen, um deren Entfernung der Antragsteller mit Schreiben vom 23. Januar 2019 ausdrücklich nachgesucht hat, gemäß § 2 Abs. 12 Satz 2 StVG vor dem Versand der Akten an den Gutachter hätten vernichtet werden müssen. Insbesondere ist dabei auch zu berücksichtigen, dass diese Unterlagen bei der Erteilung der Fahrerlaubnis an den Antragsteller im Jahr 2015 keine Maßnahmen ausgelöst haben.
Eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 11 Abs. 8 FeV kommt im vorliegenden Fall darüber hinaus wohl auch deshalb nicht in Betracht, weil die Gutachtensanordnung unter Ermessensfehlern leidet. Das Ermessen nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV war nicht auf Null reduziert, sondern hier hätte das Landratsamt noch in den Blick nehmen müssen, dass der Antragsteller schon ein besonderes Aufbauseminar nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 2b Abs. 2 Satz 1 StVG i.V.m. §§ 35, 36 FeV absolviert hat. Grundsätzlich bleibt zwar die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 StVG gemäß § 2a Abs. 4 Satz 1 StVG unberührt. Unabhängig davon, ob nur bei Hinzutreten weiterer Tatsachen in den jeweils anderen Maßnahmenkatalog übergegangen werden kann (vgl. Dronkovic in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 2a StVG Rn. 12) oder ob beide Maßnahmen unabhängig voneinander ergriffen werden können (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 2a StVG Rn. 47 f.), muss aber auf jeden Fall bei einer im Ermessen stehenden Gutachtensanordnung begründet werden, warum ein Aufbauseminar nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG nicht ausreicht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2019 – 11 CS 19.2070 – juris Rn. 18; VG Augsburg, U.v. 18.9.2015 – Au 7 K 15.637 – juris Rn. 33 ff.).
Der Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, Anh. § 164 Rn. 14).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).