Verkehrsrecht

Ersatzfähige Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall können auf der Grundlage der BVSK-Honorarbefragung 2015 geschätzt werden

Aktenzeichen  15 C 1482/16

Datum:
12.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 133270
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Coburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 249 Abs. 2 S. 1, § 254
ZPO § 287

 

Leitsatz

1 Ersatzfähige Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall können hinsichtlich des Grundhonorars auf der Grundlage der BVSK-Honorarbefragung geschätzt werden. Die von einem Sachverständigen abgerechneten Kosten übersteigen die üblichen Kosten nur dann evident, wenn der abgerechnete Betrag oberhalb des höchsten Wertes liegt, der regelmäßig in HB III bzw. HB V abgebildet ist. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Betreffend die Nebenkosten kann die BVSK-Honorarbefragung 2015, die sich im Wesentlichen an den Sätzen des JVEG orientiert, auch für Altfälle, also auch Unfälle vor dem Jahr 2015, herangezogen werden. Bei den dort ausgewiesenen Sätzen handelt es sich um Netto-Preise. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Neben dem Grundhonorar vereinbarte Kosten von 2,50 € netto pro erstes Lichtbild, von 1,65 € netto pro zweites Lichtbild, von 1,10 € netto pro gefahrenem Kilometer, von pauschal 18 € netto für Porto/Telefon, von 2,80 € netto Schreibkosten pro Seite der Erstausfertigung bzw. 1,40 € der Zweitausfertigung sind für den Geschädigten erkennbar deutlich überhöht und deshalb in dieser Höhe nicht ersatzfähig. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.
5. Der Streitwert wird auf 45,77 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten aus der Kettenabtretung über die vorgerichtliche Zahlung hinaus kein Anspruch zum Ausgleich restlicher Sachverständigenkosten zu, §§ 115 VVG, 7 Abs. 1 StVG, 249 ff., 398, 631 ff. BGB.
Die Beklagte ist dem Grunde nach umfassend eintrittspflichtig für den Unfallschaden. Dazu gehören auch die Kosten der Feststellung der Schadenshöhe infolge Beauftragung eines Sachverständigenbüros. Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Sie kann sich auf die Abtretungskette in Anlage K3 berufen.
Zur Frage der Aktivlegitimation und zur Höhe angemessener Sachverständigenkosten hat sich die Berufungskammer positioniert, wobei es in den Verfahren 32 S 71/15 bzw. 33 S 62/15 auszugsweise lautet:
„Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadenersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den hierzu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Dabei ist der Geschädigte nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei. Er darf zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen, der aus seiner Sicht seinen Interessen am besten zu entsprechen scheint. Der Geschädigte ist deshalb grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen. Er kann jedoch vom Schädiger nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlichsten Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Der Geschädigte ist allerdings grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Marktes verpflichtet, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen. Bei der konkreten Bemessung des vom Geschädigten zu beanspruchenden Finanzierungsbedarfs ist nicht der vom Geschädigten tatsächlich gezahlte Rechnungsbetrag maßgeblich, sondern der zur Wiederherstellung objektiv erforderliche Geldbetrag. Der tatsächliche Aufwand gibt lediglich ex post gesehen einen Anhalt zur Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrages, da sich in ihm regelmäßig die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten niederschlagen. Seiner ihn im Rahmen des § 249 BGB treffenden Darlegungslast genügt der Geschädigte deshalb regelmäßig durch die Vorlage der Rechnung des mit der Begutachtung seines Fahrzeug beauftragten Sachverständigen, soweit diese von ihm beglichen wurde.
Allerdings ist der vom Geschädigten aufgewandte Betrag nicht notwendig mit dem zu ersetzenden Schaden identisch. Liegen die mit dem Sachverständigen vereinbarten oder von diesem berechneten Preise für den Geschädigten erkennbar erheblich über den üblichen Preisen, so sind sie bereits des-halb nicht geeignet, den erforderlichen Aufwand abzubilden (vgl. BGH, NJW 2014, 3151 ff., Rdnr. 14-17, zitiert nach Juris, m.w. Rechtsprechungsnachweisen). Nichts anderes gilt, wenn die Sachverständigenkosten durch den Sachverständigen selbst oder einen Dritten aus abgetretenem Recht eingeklagt werden, vgl. BGH, Urteil vom 22.7.2014, Az. VI ZR 357/13, in dem der BGH im Rahmen einer Klage des Sachverständigen aus abgetretenem Recht diese Grundsätze für die Beurteilung heranzieht.
a) Gemessen an den dargestellten Grundsätzen handelt es sich bei den hier abgerechneten Preisen teilweise nicht um den erforderlichen Wiederherstellungsaufwand. Die Kammer hat sich bei der Überprüfung der Angemessenheit der Abrechnung an der BVSK-Honorarbefragung orientiert, um anhand dieser Feststellungen zur Frage der erkennbar deutlichen Überhöhungen und dem zu erstattenden Schaden gemäß § 287 ZPO zu treffen. Die Berücksichtigung von derartigen Listen und Tabellen bei der Schadensschätzung ist anerkannt und grundsätzlich zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 11.03.2008, Az.: VI ZR 164/07, OLG Dresden, Urteil vom 19.02.2014, Az.: 7 U 111/12). Zwar hat der BGH in seinem Urteil vom 22.7.2014, Az. VI ZR 357/13, revisionsrechtlich nicht beanstandet, dass das Berufungsgericht die BVSK-Befragung nicht als geeignete Schätzgrundlage für die Nebenkosten angesehen hat. Hieraus ist jedoch nicht der Umkehrschluss zu ziehen, dass sich eine Anwendung der BVSK-Befragung verbietet, insbesondere nicht, um erforderliche Grundhonorarkosten zu schätzen. Die Kammer hält die Befragungen betreffend das Grundhonorar für repräsentativ und ausreichend aussagekräftig. Vorliegend haben der Geschädigte und der Sachverständige beim Grundhonorar den im Honorarbereich V ermittelten Wert der aktuellen BVSK-Befragung 2013 vereinbart. Die Kammer muss jedoch nicht entscheiden, ob bei der Schätzung und der Frage der erkennbar deutlichen Überhöhung die vereinbarte BVSK-Befragung 2013 oder die zeitlich nähere BVSK-Befragung 2015 heranzuziehen ist, da sich das abge-rechnete Grundhonorar jeweils unter dem höchsten Wert (HB III und HB V) beider Tabellen bewegt. Unter Berücksichtigung der subjektiven Schadensbetrachtung liegt nämlich nach der aktuellen Rechtsprechung der Kammer, an der weiter festgehalten wird, eine evidente Überschreitung der üblichen Kosten nur dann vor, wenn der vom Sachverständigen abgerechnete Betrag oberhalb des höchsten Wertes liegt, der regelmäßig in HB III bzw. HB V abgebildet ist. Das vom Sachverständigen berechnete Grundhonorar in Höhe von 1.115,00 € liegt zwar über dem arithmetischen Mittelwert zwischen HB II und HB IV der BVSK-Befragung 2013, es erreicht jedoch weder den Höchstwert der Befragung 2013 noch den Höchstwert der Befragung 2015, so dass jedenfalls nicht von einer erkennbar deutlichen Überhöhung auszugehen ist.
b) Hinsichtlich der Nebenkosten hat der Geschädigte eine konkrete Vereinbarung mit dem Sachverständigen getroffen. Die Vergütungsabsprache enthält jedoch für den Geschädigten erkennbar deutlich überhöhte Preise, die keinesfalls den tatsächlichen Kostenaufwand abbilden. Einem durchschnittlichen Geschädigten muss sich aufdrängen, dass – neben dem Grundhonorar, mit dem die geistige Arbeit des Sachverständigen vollständig abgedeckt ist – Kosten von 2,50 € netto (2,97 € brutto) pro 1. Lichtbild, 1,65 € netto (1,96 € brutto) pro 2. Lichtbild, 1,10 € netto (1,31 € brutto) pro gefahrenem Kilometer, 18,- € netto (21,42 € brutto) pauschal für Porto/Telefon, Schreibkosten pro Seite von 2,80 € netto (3,33 € brutto) und für die Zweitausfertigung von 1,40 € netto (1,67 € brutto) pro Seite nicht mehr den erforderlichen Aufwand abbilden. Hierbei ist weiter zu berücksichtigen, dass der Geschädigte die Rechnung nicht beglichen hat, so dass der Rechnung und auch der zugrundeliegenden Vereinbarung keinerlei Indizwirkung zukommt. Die Kammer schätzt daher die erforderlichen Nebenkosten auf Grundlage der BVSK-Befragung 2015, die zum einen die zeitnähere Schätzgrundlage zum Unfall darstellt und zum anderen den Sachverständigen selbst deutlich niedrigere Nebenkostenbeträge vorgibt als sie in der Vergangenheit in den Befragungen ermittelt und abgerechnet wurden. Sie orientiert sich hierbei im wesentlichen – wenn auch nicht vollständig – an den Sätzen des JVEG. Hieraus zieht die Kammer den Schluss, dass die in den vorherigen Befragungen enthaltenen Nebenkosten versteckte Gewinnanteile enthielten. In der Honorarbefragung 2015 heißt es insoweit: „Vielmehr wurde ein üblicher Nebenkostensatz, der rechtsprechungskonform sein dürfte, vorgegeben.“ Daher erscheint es angemessen, die Honorarbefragung 2015 betreffend die Nebenkosten auch als geeignete Schätzgrundlage für sog. Altfälle, also Unfälle vor 2015, anzuerkennen. Hierbei handelt es sich selbstredend um Bruttopreise, da diese Preise als Endverbraucherpreise gelten, die nicht ausdrücklich als Nettopreise gekennzeichnet sind.
Für den Geschädigten ist jedoch nicht erkennbar, ob und ggf. wieviele vom Sachverständigen angefertigte Lichtbilder unnötig waren. Insoweit obliegt es grundsätzlich dem Sachverständigen zu entscheiden, welche und wieviele Lichtbilder er für die Gutachtenerstellung benötigt und anfertigt. Nur wenn es auch für den Geschädigten, der Laie auf dem Gebiet der Schadensbegutachtung ist und gerade auf den Sachverstand des Gutachters vertraut, ganz offensichtlich ist, dass die Anfertigung einzelner Lichtbilder unnötig war, kommt eine Kürzung in Betracht. Allein die Tatsache, dass der Sachverständige auch Übersichtsaufnahmen, Innenaufnahmen und Aufnahmen ohne erkennbaren Schaden gefertigt hat, genügt hierfür nicht. Ein Geschädigter kann insoweit nämlich nicht überblicken, ob die Fotos für eine schlüssige und lückenlose Dokumentation, z.B. auch der Feststellung, dass an bestimmter Stelle eben kein Schaden vorhanden ist, erforderlich sind.
Für den Geschädigten ist jedoch bei Rechnungserhalt erkennbar, dass Schreibkosten – also ein tatsächlicher Aufwand für Schreibarbeit – nur für die Seiten des Gutachtens angefallen sein können, mit denen ein Schreibaufwand verbunden war. Hierunter fallen nicht die Seiten des Gutachtens, die eine AUDATEX-Kalkulation enthalten, da es sich hierbei um einen computergenerierten Ausdruck handelt.
Kopierkosten fallen allerdings auch für die AUDATEX-Seiten an.
Kosten für die Wertermittlung waren weder vereinbart noch sind solche Kosten nach BVSK-Befragungen zu erstatten.“
Das Gericht folgt der Rechtsmeinung der Berufungskammer hinsichtlich der Kosten beim Sachverständigenhonorar – unter Berücksichtigung, dass auch die Berufungskammer an der Tatsache, es handele sich „selbstredend um Bruttopreise“, nicht mehr festhält, mithin von Nettopreisen auch bei den Nebenkosten auszugehen ist. Dass diese Werte aus der Befragung des BVSK 2015 als Schätzgrundlage nach § 287 ZPO übernommen werden können, hat die Berufungskammer des Landgerichts Coburg im Endurteil 33 S 74/16 am 28.10.2016 entschieden.
Bei einem festgestellten Nettoschaden von bis zu 1.500 € netto ist das vom Sachverständigen hierfür angesetzte Grundhonorar mit 349,00 € nicht zu beanstanden.
Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass das Gutachten ausgedruckt in Papierform an den Auftraggeber verschickt wurde.
Je Foto sind 2 € anzusetzen, also 14 €. Die Schreibkosten übernimmt das Gericht aus der Rechnung ebenfalls mit 8,40 €.
Ein durchschnittlicher Auftraggeber benötigt zur Beweissicherung des Unfallschadens auch keine drei Ausfertigungen, sondern es genügen wie üblich ein Original (welches er üblicherweise an den Versicherer weitergibt) und ein Kopiersatz für sich. Kopien sind mit 50 Cent abzugelten.
Daher bringt das Gericht aus dem Rechnungsansatz für die drei Seiten „2. Fotosatz“ 1,50 € und die „5 Stk Schreibkosten Zweitausfertigung“ 2,50 € und für „6 Stk.Kopien Kalkulation“ weitere 3,00 € in Ansatz.
Für Porto und Telefonkosten sind 15 € aus der Rechnung zu übernehmen.
Hinsichtlich der Fahrtkosten wurde beklagtenseits unter Vorlage der Anlage B2 vorgetragen, dass in unmittelbarer Nähe zum Besichtigungsort neun Sachverständige ortsnäher liegen, bei denen keine oder geringere Fahrtkosten angefallen wären. Dieser Sachvortrag blieb klägerseits unbestritten und gilt daher als richtig, § 138 Abs. 3 ZPO. Zwar muss ein Geschädigter nicht den erstbesten ortsnächsten Gutachter beauftragen. Es ist ihm unbenommen, einen Gutachter aus Berlin, Köln oder Hamburg zu beauftragen. Dem Gutachten ist ohnehin nicht zu entnehmen, wo das Fahrzeug besichtigt wurde. Soweit dem Gutachten auch nicht zu entnehmen ist, inwieweit das Fahrzeug fahrfähig oder verkehrssicher war, geht das Gericht angesichts des beschriebenen und fotodokumentierten Umfangs davon aus, dass es sich nur um einen leichten Lackschaden (Anbauteile verformt/beschädigt) handelte, der auf die Verkehrssicherheit ohne Einfluss war. Wenn dann der Geschädigte aus … einen Gutachter aus … beauftragt, verstößt er jedenfalls gegen seine Schadensminderungspflicht des § 254 BGB, wenn er damit Fahrtkosten in Höhe von 6,5 % der Rechnungssumme anfallen läßt, anstatt einen aus der Vielzahl ortsnäherer Gutachter zu beauftragen oder diesen selbst anzusteuern. Zumal zwischen dem Unfalltag (1. Juli) und dem Besichtigungstag (8. Juli) bzw. der zeitlich späteren schriftlichen Beauftragung (18. Juli) viele Tage lagen und für den Geschädigte der Zeitfaktor offenkundig nicht ausschlaggebend war bei der Beauftragung eines weit entfernten Gutachters.
Vorgenannte Positionen addieren sich auf netto 396,40 € bzw. brutto 471,72 €. Die vorgerichtliche Zahlung lag mit 473 € darüber und war somit zum Schadensausgleich ausreichend.
Die Kostenfolge leitet sich aus § 91 ZPO her, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 48 Abs. 1 GKG.

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