Aktenzeichen 101 C 888/16
StVG StVG § 7, § 17
VVG VVG § 115 Abs. 1 Nr. 1
ZPO ZPO § 287
Leitsatz
1 Die Kosten für die Einholung eines Schadensgutachtens nach einem Verkehrsunfall gehören zu den gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, wenn ein verständiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigen zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs für geboten erachten durfte. Diese Grundsätze gelten auch für die Einholung eines „Zweitgutachtens“ nach Vorliegen eines von der Schädigerseite eingeholten „Erstgutachtens“ (Anschluss LG Saarbrücken BeckRS 2013, 04378). (redaktioneller Leitsatz)
2 Können mit dem von der Schädigerseite eingeholten „Erstgutachten“ die für die Berechnung des Wiederbeschaffungsaufwands erforderlichen Werte höhenmäßig verlässlich dargelegt werden und ist aus Sicht des Geschädigten lediglich die Höhe der erforderlichen Reparaturkosten relativ niedrig angesetzt, so dass sie weniger als 130% des Wiederbeschaffungswertes betragen, so ist der Geschädigte schadensrechtlich nicht berechtigt, ein „Zweitgutachten“ einzuholen, wenn aus seiner Sicht die Gefahr besteht, dass das neue Gutachten zu 130% des Wiederbeeschaffungswertes übersteigenden Reparaturkosten kommt. (redaktioneller Leitsatz)
3 Kommt das Schadensgutachten zu einem wirtschaftlichen Totalschaden, liegen die im Gutachten angenommenen Reparaturkosten aber unter 130% des Wiederbeschaffungswertes, so ist dem Geschädigten bei Anschaffung eines Ersatzfahrzeugs im Hinblick auf die Nutzungsausfalldauer zusätzlich zur Wiederbeschaffungsdauer eine Überlegungsfrist von drei Tagen einzuräumen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 83,00 € zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.05.2016 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 91%, die Beklagte 9%.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger wie auch die Beklagte können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgegner zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
Der Kläger hat zwar gegen die Beklagte einen Anspruch aus §§ 823 Abs. 1 BGB, 7, 17 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG in einer Haftungsquote von 100%. Dieser Anspruch ist allerdings im Wesentlichen durch Erfüllung erloschen.
Da die Haftung der Beklagten dem Grund nach in Höhe von 100% zwischen den Parteien unstreitig ist, sind nur noch die Schadenspositionen zu klären, die gar nicht oder nicht in vollem Umfang erstattet wurden, nämlich der Fahrzeugschaden in Höhe von weiteren 100 €, der Nutzungsausfall in Höhe von weiteren 120 € und die vollständigen Kosten des vom Beklagten beauftragten Gutachtens.
1. Da die beiden streitgegenständlichen Gutachten von einem wirtschaftlichen Totalschaden ausgehen, berechnet sich der Fahrzeugschaden aus dem Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert.
Vorliegend ist der Restwert unstreitig. Denn dem Kläger ist es gelungen, das Fahrzeug zu dem im Gutachten der Allianz angegebenen Restwert zu veräußern. Deswegen kann es dahingestellt bleiben, unter welchen Bedingungen ein Fahrzeugkäufer aus dem Ausland benannt werden darf, der das Auto zum genannten Restwert aufkaufen will.
Deswegen kommt es für die Ermittlung des Fahrzeugschadens nur noch darauf an, wie hoch der Wiederbeschaffungswert ist. Die beiden Gutachten kommen hier im Wesentlichen zum gleichen Ergebnis, denn die Abweichung beträgt weniger als 3%. Deswegen war der von Klägerseite zur richtigen Bestimmung des Wiederbeschaffungswertes angebotene Sachverständigenbeweis nicht zu erholen. Vielmehr ist der Schaden gemäß § 287 ZPO zu ermitteln. Da keines der beiden vorgelegten Gutachten für sich eine höhere Richtigkeitsgarantie hat, legt das Gericht den Mittelwert beider Gutachten zugrunde und geht von einem Wiederbeschaffungswert von 3.050,00 € aus, so dass dem Kläger weitere 50,00 € zustehen.
2. Der Kläger hat darüber hinaus einen Anspruch auf Erstattung seines Nutzungsausfalls allerdings nur für die Dauer von 17 Tagen. Da er ein neues Fahrzeug erworben hat, steht sein Nutzungswille außer Frage.
Wie der Kläger informatorisch angegeben hat (Sitzungsniederschrift 23.08.2016, Seite 4, Blatt 51 der Akten), hatte er nach dem Unfall sein beschädigtes Fahrzeug unrepariert weiter genutzt für alle Fahrten, die er mit dem Auto unternehmen musste. Erst als er es nach dem Vorliegen des Gutachtens der Beklagten in die Werkstatt … in … gebracht hatte, hatte er es nicht mehr genutzt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das Fahrzeug verkehrssicher war oder nicht. Da es der Kläger sogar noch nach Vorliegen des Gutachtens von der … tatsächlich weiterhin genutzt hat, ist ihm in dieser Zeit kein Nutzungsausfall entstanden. Da das Gutachten des Sachverständigen der …-Versicherung von wirtschaftlichem Totalschaden ausgegangen war, wusste der Kläger ab diesem Zeitpunkt sicher, dass er sich um ein Ersatzfahrzeug wird kümmern müssen. Zwar ist ihm ab dann noch eine Überlegungsfrist zuzubilligen, weil die Reparaturkosten unter 130% des Wiederbeschaffungswertes ermittelt wurden. Diese Frist bemisst das Gericht mit mit drei Tagen. Da die Wiederbeschaffungsdauer in den beiden Gutachten erheblich abweicht, geht das Gericht zu Gunsten des Klägers von 14 Tagen Wiederbeschaffungsdauer aus, so dass unter Hinzurechnung einer Überlegungsfrist von drei Tagen für 17 Tage ein Nutzungsausfall geschuldet ist.
Da der Kläger nach der Auskunft des Autohauses Hofmann davon ausgegangen war, dass die Reparaturkosten noch teurer sein könnten, als vom Gutachter der Beklagten angenommen, konnte er auch nach dieser Auskunft keinen Zweifel an einem wirtschaftlichen Totalschaden haben. Im Übrigen wusste er zumindest laienhaft, wie er bei seiner informatorischen Anhörung bestätigt hat (SN S. 4, Bl. 51), dass bei zu hohen Reparaturkosten nicht mehr repariert werden darf, sondern ein Ersatzfahrzeug anzuschaffen ist. Deswegen bestand kein Anlass abzuwarten, ob die Reparaturkosten noch teurer werden könnten und sich eine Reparatur somit noch als deutlich unwirtschaftlicher darstellen würde.
Wie die Parteien unstreitig gestellt haben (Sitzungsniederschrift 23.08.2016, Seite 5, Blatt 52 der Akten), können pro Tag 29,00 € verlangt werden. Somit sind für 17 Tage 493,00 € geschuldet. Abzüglich der bereits erstatteten 460,00 € verbleiben weitere 33,00 €.
3. Da die Klägerseite mit Schreiben vom 18.05.2016 (K6, Blatt 41 der Akten) Forderungsausgleich bis 25.05.2016 verlangt hat, können ab 26.05.2016 aus den beiden noch zu erstattenden Beträgen somit aus insgesamt 83,00 € Verzugszinsen beansprucht werden.
4. Dagegen hat der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für das von ihm beauftragte weitere Sachverständigengutachten.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, dass die Kosten der Erholung eines Sachverständigengutachtens zu den gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen gehören, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruches erforderlich und zweckmäßig ist. Ebenso können diese Kosten zu dem nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, wenn eine vorherige Begutachtung zur tatsächlichen Durchführung die Wiederherstellung erforderlich und zweckmäßig ist.
Für die Frage der Erforderlich- und Zweckmäßigkeit einer solchen Begutachtung ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen. Demnach kommt es darauf an, ob ein verständiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte (BGH, NJW RR 2013, 1365, Rand-Nr. 13 m. w. N.).
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechungsgrundsätze durfte der Kläger vorliegend kein weiteres Gutachten in Auftrag geben. Auch wenn die Klägerseite das Gutachten vom 13.04.2016 (K5, Blatt 18 der Akten) als Reparaturkostenkalkulation bezeichnet und nicht als Gutachten, liegt ein vollständiges Gutachten vor. Genauso wie im Gutachten … sind die Daten des Fahrzeugs erfasst und sodann ist eine Reparaturkostenkalkulation durchgeführt worden.
Soweit der Kläger angibt, das Fahrzeug sei vom Fahrzeugtyp her im Gutachten der … falsch erfasst worden, geht das jedenfalls nicht zu seinem Nachteil, nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, er gehe davon aus, dass das Gutachten der … ein Fahrzeug zugrunde gelegt habe, das im Verhältnis zu seinem tatsächlich verunglückten größer sei (Sitzungsniederschrift Seite 5, Blatt 52 der Akten). Somit hat auch nach der Darstellung des Klägers das Gutachten ein im Verhältnis zum verunglückten Fahrzeug hochwertigeres Fahrzeug zugrunde gelegt, so dass sich die vom Kläger gerügte Fehleinordnung jedenfalls nicht nachteilig auf den Wiederbeschaffungswert auswirken konnte.
Vorliegend kam das Gutachten zum Ergebnis eines wirtschaftlichen Totalschadens. Allerdings sind die Reparaturkosten relativ niedrig angesetzt, so dass sie weniger als 130% des Wiederbeschaffungswertes betragen und sich daher im Bereich des sogenannten Integritätszuschlages bewegen. Damit hatte der Kläger nach den Feststellungen des Gutachters der Beklagten die Wahlmöglichkeit, tatsächlich zu reparieren oder ein Ersatzfahrzeug anzuschaffen.
Wie der Kläger informatorisch angegeben hat (Sitzungsniederschrift Seite 3, Blatt 50 der Akten), war er von der Werkstatt in … darauf hingewiesen worden, dass die Achse seines Fahrzeuges schwerer beschädigt sei als es im Gutachten der Allianz festgestellt worden sei. Demnach hatte die Werkstatt dem Kläger mitgeteilt, dass der Reparaturaufwand höher sein würde als im bereits vorliegenden Gutachten veranschlagt. Damit bestand die Gefahr, dass die Reparaturgrenze von 130% des Wiederbeschaffungswertes nicht eingehalten werden konnte. Sofern der Kläger tatsächlich davon ausgegangen sein sollte, dass das Gutachten der … die Reparaturkosten extrem zu niedrig bewertete hatte und demnach in diesem Punkt ein völlig unbrauchbares Gutachten vorliegen sollte, wird nicht erkennbar, welches Interesse der Kläger unter Berücksichtigung der Belange eines verständig und wirtschaftlich denkenden Geschädigten gehabt haben könnte, durch ein neues Gutachten Reparaturkosten ermitteln zu lassen, die außerhalb der Grenze von 130% des Wiederbeschaffungswertes liegen. Wenn die Reparaturkosten tatsächlich bedeutend höher gewesen sein sollten, blieb dem Kläger ohnehin nur der Weg, den Unfall auf Totalschadensbasis abzurechnen. Die genaue Höhe der Reparaturkosten war für den Kläger in diesem Fall zur Geltendmachung seines Schadens völlig unerheblich.
Wie der Klägervertreter klar gestellt hat (Sitzungsniederschrift Seite 5, Blatt 52 der Akten), möchte auch die Klägerseite gar nicht behaupten, dass der Wiederbeschaffungswert ein grob falscher Wert sei, sondern lediglich die Reparaturkosten im Gutachten seien grob falsch ermittelt worden. Zwar hat der BGH in seiner Entscheidung vom 22.02.2013 (BGH NJW-RR 2013,1365 Rand-Nr. 16) klargestellt, dass ein offensichtlich fehlerhaftes Gutachten keine geeignete Grundlage für die Wiederherstellung darstellt, so dass ein verständig und wirtschaftlich denkender Mensch von der Notwendigkeit eines neuen Gutachtens ausgehen durfte. Denn dem Geschädigten muss es aufgrund eines Gutachtens möglich sein, seinen Schaden konkret vorzutragen und seine Ansprüche verlässlich zu beziffern (BGH a.a.O., Rand-Nr. 17).
Vorliegend konnte der Kläger den Wiederbeschaffungswert mit Hilfe des Gutachtens der Beklagten verlässlich höhenmäßig darlegen. Kein verständiger und wirtschaftlich denkender Mensch in seiner Lage hätte zur Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben in der Hoffnung, dass der Wert vielleicht geringfügig, wie vorliegend tatsächlich erfolgt, um weniger als 3% nach oben steigen könnte. Zur Darlegung höherer Reparaturkosten gegenüber der Beklagten benötigte er dagegen wie bereits dargelegt, kein weiteres Gutachten, da er deutlich höhere Reparaturkosten von der Beklagten ohnehin nicht erstattet bekommen konnte, so dass es auf deren konkrete Höhe gerade nicht ankam.
Wie der BGH in seiner Grundsatzentscheidung (BGH 30.11.2004, NJW 2005, 356, dort Rand-Nr. 17) klar gestellt hat, kommt es für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der Begutachtung auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung an. Allerdings kann der später ermittelte Schadensumfang im Rahmen tatrichterlicher Würdigung nach § 287 ZPO ein Gesichtspunkt für die Beurteilung sein, ob eine Begutachtung tatsächlich erforderlich war oder eine kostengünstigere Schätzung ausgereicht hätte (BGH a.a.O., Rand-Nr. 18).
Demnach bestand zum Zeitpunkt der Beauftragung eines weiteren Sachverständigen für den Kläger gerade kein Anlass, ein weiteres Gutachten zu erholen.
5. Der Kläger hat keinen Anspruch auf weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren. Unter Berücksichtigung des zugesprochenen weiteren Betrages von 83,00 € sind vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren nur aus einem Gegenstandswert bis 3.000,00 € geschuldet, die die Beklagtenseite bereits erhalten hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.