Verkehrsrecht

Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten

Aktenzeichen  341 C 30483/15

Datum:
13.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 249, § 632 Abs. 2

 

Leitsatz

Ein Geschädigter kann die Erstattung der ihm in Rechnung gestellten Sachverständigenkosten verlangen, sofern sie einschließlich der Nebenkosten nicht für ihn deutlich erkennbar über den üblichicherweise verlangten Sätzen liegen oder unplausible Positionen enthalten. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 391,62 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.12.2013 sowie weitere 413,64 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13.01.2016 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 785,92 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte noch einen Schadensersatzanspruch i. H. v. EUR 391,62.
Die Alleinhaftung der Beklagtenseite war zwischen den Parteien unstreitig.
Sachverständigenkosten
I.
Entscheidend für die Erstattungsfähigkeit der Sachverständigenkosten durch den Schädiger ist nicht, ob der Sachverständige nach dem zwischen ihm und dem Geschädigten geschlossenen Werkvertrag einen Anspruch auf die in Rechnung gestellten Gebühren hat; dies wird bei den vorgerichtlich bei der Abwicklung von Haftpflichtschäden abgerechneten Gebühren nicht immer der Fall sein. Entscheidend dafür ist nämlich meist mangels Honorarvereinbarung die übliche Vergütung gemäß § 632 Abs. 2 BGB. Der Sachverständige hat daher in der Regel nur Anspruch auf Ersatz der üblichen Gebühren.
Bei der hier zu entscheidenden Frage, welche Sachverständigengebühren der Geschädigte vom Schädiger ersetzt verlangt werden kann, ist der Beurteilungsmaßstab ein anderer.
Entscheidend ist gemäß § 249 BGB, welche Aufwendungen „ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und geboten halten darf“ (BGHZ 115, 364/369).
„Auch bei der Beauftragung eines KFZ-Sachverständigen darf sich der Geschädigte damit begnügen, den ihm in seiner Lage ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen zu beauftragen. Er muss nicht zuvor eine Marktforschung nachdem honorargünstigsten Sachverständigen betreiben.“ (BGH, Urteil vom 11.02.2014, VI ZR 225/13).
Selbst wenn die Rechnung insgesamt oder einzelne Positionen tatsächlich überteuert sein sollten, trägt das Risiko hierfür grundsätzlich nicht der Geschädigte.
Gegen ein ihrer Ansicht nach überhöhtes Honorar kann sich die Beklagte in einem Schadensersatzprozess gegen den Sachverständigen wehren, z. B. nach Abtretung der Ansprüche des Geschädigten gegen den Sachverständigen.
Der Sachverständige ist auch kein Erfüllungsgehilfe des Geschädigten, dessen etwaiges Verschulden ihm zugerechnet würde (vgl. z. B. OLG Naumburg, Urteil vom 20.1.2006, 4 U 49/05).
Es ist also weder Aufgabe des Geschädigten. Preisvergleiche anzustellen oder den billigsten Sachverständigen auszuwählen, noch ist es Aufgabe des Geschädigten, einzelne Positionen der Rechnung nach Überhöhung/Plausibilität zu durchforsten.
Dies wäre nur der Fall, falls eine eventuelle Überhöhung derart evident wäre, also soweit vom Angemessenen in einem Maß abweicht, dass eine Monierung vom Geschädigten verlangt werden kann.
„Der Geschädigte genügt seiner Darlegungslast zur Schadenshöhe regelmäßig durch Vorlage einer Rechnung des von ihm zur Schadensbeseitigung in Anspruch genommenen Sachverständigen. Die tatsächliche Rechnungshöhe bildet bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein wesentliches Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ Betrags im Sinne von „249 Abs. 2 S. 1 BGB, schlagen sich in ihr doch die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls einschließlich der – vor dem Hintergrund der subjektbezogenen Schadensbetrachtung relevanten – beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten regelmäßig nieder. (…) Ein Indiz für die Erforderlichkeit bildet aber die Übereinstimmung des vom Geschädigten erbrachten Kostenaufwands mit der Rechnung und der ihr zugrundeliegenden getroffenen Preisvereinbarung, sofern diese nicht auch für den Geschädigten deutlich erkennbar erheblich über den üblichen Preisen liegt. Wissenstand und Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten spielen bereits bei der Prüfung der Erforderlichkeit des Schadensaufwandes gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB eine maßgebende Rolle.“ (BGH, Urteil vom 11.02.2014, VI ZR 225/13).
II.
Dass die Klagepartei von vornherein hätte erkennen können, dass der Sachverständige überhöhte Nebenkosten ansetzen würde, wird im Rechtsstreit nicht behauptet.
Dass tatsächlich bereits bei Auftragserteilung eine Honorarvereinbarung abgeschlossen wurde, ergibt sich nicht.
Anhaltspunkte für das Vorliegen eines sog. „Schadensservices aus einer Hand“ hat das Gericht nicht. Insbesondere war der Kläger selbst bei der Besichtigung anwesend. Ausreichende Indizien für einen Schadensservice aus einer Hand hat die Beklagtenseite, die insoweit darlegungsbelastet ist, nicht vorgetragen. Das pauschale Bestreiten ist angesichts der Tatsache, dass der Kläger selbst klagt, bei der Besichtigung, die an seiner Wohnadresse stattfand, anwesend war und als Auftraggeber genannt ist, nicht ausreichend.
Eine Ausnahme von der subjektiven Schadensbetrachtung ist daher nicht vorzunehmen.
III.
Die Klagepartei hat vorliegend auch nicht gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen, indem sie die Rechnung unbeanstandet gelassen hat, weil die Kosten nicht für sie erkennbar unüblich überhöht sind.
Dabei ist auch unerheblich, ob die Rechnung bereits bezahlt ist oder nicht. Der geschädigte Laie ist nämlich, solange die Rechnung nicht beglichen ist, dem Anspruch des Sachverständigen aus der Rechnung ausgesetzt. Ein eventueller Freistellunganspruch ist dabei mittlerweile in einen Geldersatzanspruch übergegangen. „Aus prozessualer Sicht gilt jedoch, dass bei unbezahlter Rechnung dann, wenn sich der Schädiger oder seine Haftpflichtversicherung ernsthaft weigert, Schadensersatz zu leisten (BGH NJW 2004, 1868, NJW-RR 2011, 910 jew. m. w. N.). was auch in einem entsprechenden prozessualen Verhalten (z. B. einem Klageabweisungsantrag) liegen kann (BGH NJW-RR 2011, 910), der Geschädigte sich nicht auf einen Freistellungsanspruch verweisen lassen muss“ (OLG München, Beschluss vom 12.03.2015, Az. 10 U 579/15, m. w. N.).
Irgendwelche „Ungereimtheiten“ der Rechnung (z. B. erkennbar nicht entstandene Fahrtkosten, Abrechnung für eine falsche Anzahl von Lichtbildern oder Seiten) mussten der Klagepartei vorliegend nicht auffallen.
IV.
Die Kosten sind vorliegend nicht für den Laien erkennbar unüblich überhöht.
Dabei ist schon durch die Beklagte nicht nachvollziehbar und schlüssig vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass sich die vom Sachverständigen geltend gemachten Kosten (Honorar und Nebenkosten) außerhalb des Üblichen bewegen.
Eine in Deutschland übliche Abrechnung der freien Sachverständigen nach JVEG ist dem Gericht nicht bekannt. Das JVEG ist auf die freien Sachverständigen nicht anwendbar. Diese befinden sich in einer gänzlich anderen Situation, als die seitens des Gerichts beauftragten. Letztere haften schon nicht für jede Fahrlässigkeit und haben z. B. einen stets solventen Schuldner.
„Eine Beschränkung des Sachverständigenhonorars bezüglich aufgeführter Nebenkosten unter Verweis auf BVSK-Umfragen (…) oder unter Heranziehung des JVEG (…) ist abzulehnen.“ (vgl. OLG München Beschluss vom 12.03.2015, Az. 10 U 579/15).
Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Kosten des Gutachtens hinsichtlich ihrer Angemessenheit nur insgesamt betrachtet werden können und nicht das Grundhonorar und die Nebenkosten jeweils isoliert.
Im vorliegenden Fall überschreitet die Sachverständigenrechnung weder bzgl. des Grundhonorars noch hinsichtlich der Nebenkosten erheblich den Rahmen dessen, was nach der BVSK-Honorarbefragung für die Jahre 2014/2015 als normal angesehen werden kann.
„Der Senat hält es jedoch für rechtsfehlerfrei, wenn davon ausgegangen wird, dass ein Honorar, das sich im Bereich des BVSK-Korridors befindet, als branchenüblich angesehen wird.“ (vgl. OLG München Beschluss vom 12.03.2015, Az. 10 U 579/15).
Hinsichtlich der Nebenkosten ist zu berücksichtigen, dass die Forderung von „Nebenkosten“, die u.U. nicht genau den tatsächlichen Aufwand abbilden, sondern „versteckte Gewinnanteile“ enthalten, in München von zahlreichen, wenn nicht allen Sachverständigen erfolgt, also absolut üblich ist.
Es gibt auch keinerlei gesetzliche Grundlage, wonach ein Sachverständiger gehalten ist, seine Aufwendungen besonders gering zu halten. Auch sein Honorar kann er grundsätzlich – innerhalb der Grenzen des § 138 BGB – frei bestimmen.
Bezüglich der Nebenkosten ist eine Pauschalierung üblich. Diese Nebenkosten können neben dem Grundhonorar geltend gemacht werden. Sie können auch einen nicht unerheblichen Anteil an den Gesamtgutachtenskosten ausmachen, ohne dass der Geschädigte, der dies nicht moniert, gegen die Pflicht zur Schadensminderung verstößt.
Es ist daher auch zulässig, dass der Geschädigte Sachverständigenkosten ersetzt verlangt, die sich aus Positionen wie Fahrt-, Foto-, Porto-/Telefonkosten etc. errechnen. Entsprechend ist in der genannten BVSK-Honorarbefragung auch eine isolierte Aufzählung von Nebenkosten enthalten, die regelmäßig von Sachverständigen in ihren Abrechnungen in Rechnung gestellt werden. Dies beinhaltet z. B. auch Schreibkosten, Fahrtkosten, Kosten für Lichtbilder und für Porto und Telefon. Solche Positionen sind im Rahmen der Sachverständigenkosten regelmäßig erstattungsfähig und zwar auch pauschal, unabhängig davon, ob sie im konkreten Fall tatsächlich in dieser Höhe angefallen sind.
Nach der neueren Rechtsprechung des OLG München (vgl. Beschluss vom 14.12.2015, Az 10 U 579/15) sind Sachverständigenkosten, die der Art und der Höhe nach im Rahmen der BVSK Befragung 2015 liegen, üblich. Dabei ist für „Altverfahren“ ein Schätzaufschlag von 15% zu machen.
Vorliegend ergäben sich dann folgende Kosten:
EUR Gesamt
526
Grundhonorar max
Anzahl
Fahrtkosten 0,70 EUR/km
22
15,4
Fotokosten 2,00 EUR
12
24
2. Fotosatz (0,50 EUR)
12
6
Schreibkosten (1,80 EUR/S.)
19
34,2
Kopien (0,50 EUR/Kopie)
32
16
Porto/Telefon
15
Sonderpositonen
Gesamtsumme Nebenkosten
110,6
Gesamtsumme incl. Grundhonorar netto
636,6
MwSt 19%
120,95
Gesamtsumme incl. Grundhonorar brutto
757,55
Schätzaufschlag 15%
95,49
Gesamt incl. 15% Schätzaufschlag netto
732,09
MwSt 19%
139,10
Gesamt incl. 15% Schätzaufschlag brutto
871,19
Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Rechnung vorliegend aus 2013 stammt.
Zwar überschreitet die Rechnung hinsichtlich der Nebenkosten die Werte der BVSK-Befragung teilweise deutlich. Nachdem aber dem Kläger als Laien diese Befragung oder auch sonstige Abrechnungsgrundlagen von Sachverständigen nicht bekannt sein mussten, hält das Gericht die Kosten nicht für den Laien erkennbar unüblich überhöht.
Abzüglich der geleisteten Zahlung kann der Kläger daher noch 391,62 EUR ersetzt verlangen:
Der Kläger hat daneben Anspruch auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,3 Gebühr aus einem Gegenstandswert von 3.164,- EUR (Vorgerichtlich bezahlt 2.772,72 EUR zzgl. mit der Klage erstrittene 391,62 EUR) zzgl. Auslagenpauschale und MWSt; dies sind 413,64 EUR.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Der Streitwert ergibt sich aus der Klageforderung und 90% der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Diese werden aus einem Gegenstandswert von 3.622,- EUR berechnet. Mit der Klage werden aber nur noch 391,- EUR geltend gemacht. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hängen also nur teilweise von der Hauptforderung ab und müssen im Übrigen (hier zu 90%) Streitwert erhöhend berücksichtigt werden.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen die Entscheidung kann das Rechtsmittel der Berufung eingelegt werden. Die Berufung ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 600 Euro übersteigt oder das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat.
Die Berufung ist binnen einer Notfrist von einem Monat bei dem
Landgericht. München I
Prielmayerstraße 7
80335 München
einzulegen.
Die Frist beginnt mit der Zustellung der vollständigen Entscheidung, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung der Entscheidung.
Die Berufung muss mit Schriftsatz durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt eingelegt werden. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung und die Erklärung enthalten, dass Berufung eingelegt werde.
Die Berufung muss binnen zwei Monaten mit Anwaltsschriftsatz begründet werden. Auch diese Frist beginnt mit der Zustellung der vollständigen Entscheidung.
Gegen die Entscheidung, mit der der Streitwert festgesetzt worden ist, kann Beschwerde eingelegt werden, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat.
Die Beschwerde ist binnen sechs Monaten bei dem
Amtsgericht München
Pacellistraße 5
80333 München
einzulegen.
Die Frist beginnt mit Eintreten der Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache oder der anderweitigen Erledigung des Verfahrens. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der sechsmonatigen Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht.
Die Beschwerde ist schriftlich einzulegen oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des genannten Gerichts. Sie kann auch vor der Geschäftsstelle jedes Amtsgerichts zu Protokoll erklärt werden; die Frist ist jedoch nur gewahrt, wenn das Protokoll rechtzeitig bei dem oben genannten Gericht eingeht. Eine anwaltliche Mitwirkung ist nicht vorgeschrieben.

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