Verkehrsrecht

Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach Verkehrsunfall

Aktenzeichen  18 C 2692/19

Datum:
6.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 14669
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 249, § 398, § 823
StVG § 7
VVG § 115

 

Leitsatz

1 Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist. Ein Indiz für die Erforderlichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens bildet der durch das Gutachten festgestellte Reparaturaufwand. Im Hinblick auf die Entwicklung der Reparaturkosten werden heute überwiegend die Grenzen bei Reparaturkosten zwischen 750,00 € und 1.000,00 € gesehen (ebenso BGH BeckRS 2005, 00604). (Rn. 5 – 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Da es zur Begründung des Anspruchs auf die Einschätzung des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung ankommt, darf die Einschaltung eines Sachverständigen nur dann als nicht notwendig betrachtet werden, wenn auch für einen Laien ausgeschlossen werden kann, dass er der sachverständigen Beratung bedarf. Im Bereich der Schadenregulierung nach Verkehrsunfällen ist das nur dann der Fall, wenn offensichtlich nur oberflächliche Schäden (an Blechen oder Zierrat beispielsweise) entstanden sind. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 335,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.01.2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 335,40 € festgesetzt.

Gründe

Gemäß § 495 a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
Die zulässige Klage ist weitgehend begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch aus abgetretenem Recht auf Bezahlung der Sachverständigenkosten gemäß §§ 823, 249, 398 BGB, § 7 StVG i.V.m. § 115 VVG in Höhe von 335,40 €.
Gegenstand der Klage sind Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfallereignis vom 15.01.2016 in Nürnberg, für dessen Folge die Beklagte zu 100 % eintrittspflichtig ist. Der Kläger erstellte im Auftrag der Geschädigten … ein Schadensgutachten und kalkulierte den Reparaturschaden am Fahrzeug auf 866,07 € brutto und 727,79 € netto sowie eine Wertminderung i.H.v. 100,00 €. Die tatsächlichen Reparaturkosten beliefen sich auf 633,28 € netto und 753,60 € brutto. Die Beklagte leistete auf das Sachverständigenhonorar, das der Kläger nach BVSK 2015 mit 335,40 € geltend macht, keine Zahlung. Sie ist der Ansicht, dass die Erholung eines Sachverständigengutachtens nicht erforderlich war, da ein Bagatellschaden vorgelegen habe.
Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist. Ebenso können diese Kosten zu dem nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, wenn eine vorherige Begutachtung zur tatsächlichen Durchführung der Wiederherstellung erforderlich und zweckmäßig ist (BGH vom 30.11.2004, Az. VI ZR 365/03, Rn. 16 – juris). Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ist dabei grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen (BGH vom 15. Oktober 2013, Az. VI ZR 528/12). Ob die Erstellung eines Sachverständigengutachtens ausnahmsweise zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich ist, bestimmt sich aus der Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters (BGH vom 30.11.2004, Az. VI ZR 365/03, Rn. 17 – juris) unter Berücksichtigung seiner seine individuellen Erkenntnis und Einflussmöglichkeiten sowie der möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten (BGH vom 15. Oktober 2013, Az. VI ZR 471/12, Rn. 19 – juris).
Ein Indiz für die Erforderlichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens bildet der durch das Gutachten festgestellte Reparaturaufwand (BGH vom 30.11.2004, Az. VI ZR 365/03, Rn. 18 – juris). Im Hinblick auf die Entwicklung der Reparaturkosten werden heute überwiegend die Grenzen bei Reparaturkosten zwischen 750,00 € und 1.000,00 € gesehen. Vorliegend ist hier ein Grenzbereich betroffen. Die vom Sachverständigen ermittelten Bruttoreparaturkosten betragen 866,07 € brutto und die tatsächlichen Reparaturkosten haben 753,60 € brutto betragen.
Es kann hier keine feste Grenze gezogen werden. Es ist zu berücksichtigen, dass für den Geschädigten bei einer ex ante-Betrachtung die Höhe des exakten Schadens nicht absehbar ist. Da es zur Begründung des Anspruchs auf die Einschätzung des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung ankommt, darf die Einschaltung eines Sachverständigen nur dann als nicht notwendig betrachtet werden, wenn auch für einen Laien ausgeschlossen werden kann, dass er der sachverständigen Beratung bedarf (BGH VersR 2005, 380). Im Bereich der Schadenregulierung nach Verkehrsunfällen ist das nur dann der Fall, wenn offensichtlich nur oberflächliche Schäden (an Blechen oder Zierrat beispielsweise) entstanden sind. Jedwede nach dem Unfallhergang oder dem Schadenbild vertretbare Zweifel, ob nicht verborgene Schäden (Verformungen beispielsweise) entstanden sind, gehen insoweit zu Lasten des Schädigers, der die Beweisnot des Geschädigten zu verantworten hat (Geigel, Haftpflichtprozsss, 1. Teil Allgemeine Begriffe und Rechtsverhältnisse des Haftpflichtrechts 3. Kapitel. Schadensersatz wegen Beschädigung oder Zerstörung von Sachen Rn. 119, beck-online).
Vorliegend soll sich der Unfall durch ein zurücksetzendes Fahrzeug mit Schrittgeschwindigkeit ereignet haben. Dies mag zunächst dagegen sprechen, dass hier erhebliche Schäden zu erwarten waren. Nach dem Gutachten war aber die vordere Stoßstangenverkleidung eingedrückt und verformt, sodass für die Geschädigten nicht ohne weiteres ersichtlich war, dass nur oberflächliche Schäden entstanden sind. Verborgene Schäden ließen sich bei diesem Schadensbild nicht sicher ausschließen. Aus damaliger Sicht konnte sich die Geschädigte nicht darauf verlassen, es liege lediglich ein Bagatellschaden vor. Zumal auch die Frage der Wertminderung gutachterlich zu klären war. Ausgehend davon war die Geschädigte nach dem Unfall berechtigt, ein Schadensgutachten zu erholen.
Die Höhe des Sachverständigenhonorars, das der Kläger nach der ständigen Rechtsprechung im hiesigen Gerichtsbezirk berechnet hat, blieb unstrittig.
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288, 291 BGB. Die Verzinsung erfolgt ab Zustellung des Mahnbescheids. Eine Verzinsung bereits zum 19.02.2016 kommt nicht in Betracht, da die einseitige Bestimmung eines Zahlungstermins/Frist in einem ersten Forderungsschreiben keinen Verzug begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

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