Verkehrsrecht

Fahrtkostenabgeltung nach dem Baurahmentarifvertrag

Aktenzeichen  11 Sa 58/17

Datum:
24.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
AuR – 2018, 148
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BRTV § 7 Nr. 3.1

 

Leitsatz

Die Fahrtkostenabgeltung nach dem Baurahmentarifvertrag wird nach dem Willen der Tarifvertragsparteien auch bei Nutzung eines Fahrrades geschuldet. (Rn. 30 – 36)

Verfahrensgang

24 Ca 662/16 2016-12-15 TeU ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts München (Az.: 24 Ca 662/16) vom 15.12.2016 in Ziff. 2 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 808,80 netto nebst Zinsen i.H.v. 5%-Punkten über dem Basiszinssatz
aus € 127,20 seit 15.03.2016,
weiteren € 130,40 seit 15.04.2016,
weiteren € 129,20 seit 15.05.2016,
weiteren € 114,00 seit 01.07.2016,
weiteren € 148,40 seit 15.07.2016 und
weiteren € 159,60 seit 15.08.2016
zu bezahlen.
2. Die Anschlussberufung der Beklagte wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist mit Ausnahme hinsichtlich des Zinsbeginns bei den Verzugszinsen begründet, die zulässige Anschlussberufung der Beklagten unbegründet.
I.
Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers sowie die gem. § 64 Abs. 6 ArbGG, § 524 ZPO statthafte Anschlussberufung der Beklagten sind form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520, 524 ZPO). Sie sind daher zulässig.
II.
Die Berufung des Klägers ist mit Ausnahme des Zinsbeginns der Verzugszinsen begründet.
1. Der Kläger hat gem. § 7 Ziff. 3.1 Abs. 1 BRTV Anspruch auf Fahrtkostenabgeltung i.H.v. € 0,20 je gefahrenen Kilometer für die von ihm angegebenen Monate Februar bis Juli 2016 in dem von ihm angegebenen Umfang, der insoweit unstreitig ist.
a) Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist der Anspruch des Klägers auf Fahrtkostenabgeltung nicht deswegen ausgeschlossen, weil der Kläger ein Fahrrad für seine Fahrten von der Wohnung zur jeweiligen Baustelle benutzt hat. Dies ergibt die Auslegung von Ziff. 3.1 des § 7 BRTV.
aa) Haben die Tarifvertragsparteien einen Tarifvertrag mit Rechtsnormen vereinbart, sind diese nach der objektiven Methode auszulegen. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfrei Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an die Reihenfolge, weitere Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG, Urteil v. 23.06.2016 – 8 AZR 643/14; Urteil v. 14.07.2015 – 3 AZR 903/13).
bb) Danach ergibt die Auslegung, dass auch die Nutzung eines Fahrrades eine Nutzung eines Fahrzeuges i.S.v. Ziff. 3.1 des § 7 BRTV darstellt.
Zunächst ergibt dies bereits die Auslegung des Wortlauts. Denn die Rede ist in dieser Ziff. 3.1 lediglich von einem Fahrzeug. Insoweit erscheint bereits der Wortlaut als eindeutig und insoweit nicht auslegungsfähig, als zwischen den Parteien völlig unstreitig auch ein Fahrrad ein Fahrzeug darstellt. Dabei ist es auch gleichgültig, ob es sich um ein Fahrzeug i.S.v. § 21 StVO handelt, da jedenfalls auch ein Fahrrad ein Fahrzeug im allgemein gebrauchten Wortsinne ist. Insoweit stellt sich bereits die Frage, ob nach der Wortlautauslegung ohnehin eine weitere Auslegung erforderlich ist. Zwar beinhaltet § 7 BRTV in Ziff. 3.1 keine ausdrückliche Erwähnung des Fahrrades, so dass die Vorschrift an sich auslegungsbedürftig dahingehend ist, ob sie auch den Begriff des Fahrrades erfasst. Die Wortlautauslegung, die aber primär vorzunehmen ist, spricht an sich bereits eindeutig auch für die Einbeziehung des Fahrrades.
Selbst wenn dies nicht als eindeutig anzusehen wäre, insbesondere unter Einbeziehung von Ziff. 2.1 des § 7 BRTV, wo die Rede von der Entfernung über die Bemessung der kürzesten Strecke mit einem PKW vorgenommen wird, so wäre nach den o.g. Auslegungsgrundsätzen jedenfalls der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen. Dieser muss sich auch aus den tariflichen Normen insoweit ergeben, als er dort seinen Niederschlag gefunden haben muss.
Aufgrund der von Seiten des Gerichts eingeholten Tarifauskunft der Tarifvertragsparteien ist aber von diesen eindeutig ein Wille dahingehend geäußert worden, dass die Tarifnorm auch das Fahrrad mit erfassen soll. Dies zeigen die eingeholten Auskünfte, in denen explizit dargelegt ist von allen drei tarifschließenden Parteien, dass der Begriff des Fahrzeuges auch das Fahrrad mit erfassen sollte, insbesondere im Hinblick auf die Abänderung des Tarifwortlauts im Jahre 2002. Dies sollte eine Vereinheitlichung und Verkürzung insoweit darstellen, dass lediglich noch die Fahrzeuge erwähnt werden und keine Differenzierung mehr vorgenommen werden sollte, so dass eine Vereinheitlichung und Ver-schlankung des Tarifvertrages eintreten sollte. Dieser tatsächlich geäußerte Wille der Tarifvertragsparteien findet auch seinen Niederschlag im Wortlaut in dem Begriff Fahrzeug, der wie oben erwähnt, auch das Fahrrad mit erfasst.
Schließlich ergibt sich dieses Auslegungsergebnis insoweit von der Systematik her, als der Tarifvertrag in § 7 Ziff. 2.1 BRTV zwar vom Personenkraftwagen spricht, aber ansons ten in der Regelung Ziff. 3.1 den Begriff Fahrzeug verwendet, wobei es nahegelegen hätte, hätte die Tarifregelung lediglich etwa motorgetriebene Fahrzeuge umfassen sollen, diesen Begriff zu verwenden und nicht den Begriff des Fahrzeuges, der völlig allgemein sämtliche Fahrzeuge aller Art erfasst.
Insofern ist, nachdem die Wortlautauslegung eindeutig ist, auch der Wille der Tarifvertragsparteien eindeutig geäußert wurde und vorliegt, eine weitere Auslegung entbehrlich. Insoweit ist insbesondere auch der tarifliche Gesamtzusammenhang nur für die Auslegung heranzuziehen, um den Anhaltspunkt für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien und den Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend zu ermitteln. Nachdem aber insbesondere der Wille der Tarifvertragsparteien eindeutig bestimmbar ist, kommt es auf den näheren Gesamtzusammenhang nicht mehr an.
Selbst wenn es insoweit zwar nachvollziehbar erscheint, dass es merkwürdig wäre, dass der Arbeitgeber durch das Zurverfügungstellen eines Fahrrades bereits die Fahrtkostenabgeltung ausschließen könne, da auch im weiteren Text der Ziff. 3.1 des § 7 BRTV die Formulierung Fahrzeug verwendet wird, so spricht dies grundsätzlich nicht gegen diesen Inhalt der Tarifnorm. Denn insoweit dürfte auch zu berücksichtigen sein, dass die Zurverfügungstellung eines Fahrrades für den Weg von der Wohnung zur Baustelle und auch die Nutzung des Fahrrades einen absoluten Ausnahmefall darstellen dürfte und daher von den Tarifvertragsparteien vernachlässigbar erschiehn. Eine Tarifauslegung gegen den ausdrücklichen Willen der Tarifvertragsparteien ist zudem auch dadurch gehindert, weil dies einen Eingriff in die Tarifautonomie darstellen würde. Denn das Gericht würde seine Ansicht an die Stelle der übereinstimmenden Äußerungen der Tarifvertragsparteien stellen. Dies ist nicht Aufgabe der Gerichte. Lediglich bei unklaren Regelungen und unklarem Willen der Tarifvertragsparteien, insbesondere etwa auch divergierendem Willen der Tarifvertragsparteien, kann allenfalls über die Auslegung ein bestimmtes Ergebnis herbeigeführt werden, jedoch nicht gegen den Willen der Tarifvertragsparteien.
Somit war auf die Berufung der Klage des Klägers stattzugeben. Da allerdings nach dem Baurahmentarifvertrag die Löhne erst zum 15. des Folgemonats fällig werden, war der Zinsbeginn frühestens auf diesen Zeitpunkt festzulegen, lediglich für die Maiansprüche auf den eingeklagten Zinsbeginn 01.07.2016. Insoweit war die Berufung zurückzuweisen.
2. Die Anschlussberufung der Beklagten ist unbegründet, da der Kläger Anspruch auf den Verpflegungszuschuss hat.
Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Kläger grundsätzlich die Voraussetzungen von Ziff. 3.2 des § 7 BRTV unstreitig erfüllt hat. Dabei spielt es des Weiteren auch keine Rolle, dass der Kläger über die 10-Stunden-Grenze möglicherweise nur wegen der Verwendung eines Fahrrades hinauskommt.
Da wie vorhin dargelegt, auch ein Fahrrad i.S.d. Ziff. 3.1 des § 7 BRTV ein Fahrzeug darstellt, kann es dem Arbeitnehmer nicht genommen werden, ein entsprechenden Fahrzeug zu nutzen. Vielmehr hätte gegebenenfalls von Seiten der Tarifvertragsparteien eine entsprechende Nutzung ausgeschlossen werden müssen. Jedenfalls war der Kläger i.S.d. Tarifnorm lediglich ausschließlich aus beruflichen Gründen mehr als 10 Stunden von seiner Wohnung abwesend. Denn der Kläger hat sich, um sich auf die Baustelle zu begeben, mit dem Fahrrad dorthin begeben. Dass der Kläger dies aus gesundheitlichen oder sportlichen Gründen gemacht hätte, ist eine reine Vermutung der Beklagten. Jedenfalls kann bei Einbeziehung des Fahrrades in den Begriff des Fahrzeuges dem Kläger die Nutzung dieses Fahrrades dann nicht entgegengehalten werden. Insoweit konnte die Anschlussberufung keinen Erfolg haben und war diese zurückzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 ZPO. Trotz des Unterliegens des Klägers im Hinblick auf die Berufung bezüglich des Zinsbeginns, waren der Beklagten die Kosten aufzuerlegen, da hierdurch keine zusätzlichen Kosten verursacht wurden.
4. Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht. Dem Rechtsstreit kommt keine grundlegende Bedeutung zu. Die Frage der Auslegung des Tarifvertrages ist kein Zulassungsgrund gem. § 72 Abs. 2 ArbGG. Angesichts des hier vorliegenden Einzelfalls kann von einer grundsätzlichen Bedeutung der Frage nicht die Rede sein. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird verwiesen.

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