Verkehrsrecht

Haftung wegen nicht ordnungsgemäßer Reifenmontage und Mitverschulden wegen unterlassenem Nachziehen der Radmuttern trotz Hinweises

Aktenzeichen  10 O 3894/17

Datum:
9.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 5677
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 280, § 634 Nr. 4

 

Leitsatz

Die Kfz-Werkstatt haftet zu 70 % für Schäden durch nicht richtig angezogene Radschrauben. Das Unterlassen des Nachziehens der Radschrauben trotz erteilten Hinweise führt zu einer Mithaftung von 30 %. (Rn. 29 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
Ein solches Mitverschulden ist selbst unter Berücksichtigung dessen anzunehmen, dass aus sachverständiger technischer Sicht ein Nachziehen der Schrauben bei einer ordnungsgemäßen Montage nicht erforderlich ist. Denn es ist durchaus möglich, dass – wie im streitgegenständlichen Fall –  gerade keine ordnungsgemäße Montage erfolgt, was natürlicherweise in der Sphäre der jeweiligen Werkstatt liegt und zu deren überwiegendem Verschulden führt.   (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.263,93 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.07.2017 sowie weitere 571,44 € vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.11.2017 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 78% und die Beklagte 22% zu tragen.
4. Das Urteil ist für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
5.

Gründe

I. Die Klage ist zulässig. Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts ergibt sich aus dem Streitwert. Die örtliche Zuständigkeit beruht auf § 17 ZPO, die Beklagte hat ihren Sitz im hiesigen Bezirk. Hier erfolgte auch die streitgegenständliche Werkleistung.
II. Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet, da zwar eine Haftung der Beklagten zur Überzeugung des Gerichts besteht, dem Kläger jedoch nur ein Teil der Ansprüche der Höhe nach zusteht und ihm im Übrigen ein Mitverschulden in Höhe von 30% anzulasten ist.
1. Nach Überzeugung des Gerichts besteht vorliegend eine Haftung der Beklagten, da diese im Rahmen des Reifenwechsels am 05.04.2017 die Radmuttern, zumindest am linken Hinterrad des Pkw Mercedes nicht ausreichend festgezogen bzw. deren Sitz auch nicht ausreichend überprüft hat.
Nach den absolut schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. im Termin vom 17.10.2018 ist das Gericht davon überzeugt, dass die Radschrauben durch die Mitarbeiter der Beklagten nicht ordnungsgemäß angezogen wurden. Der Sachverständige führte aus, dass bei nicht ordnungsgemäß angezogenen Schrauben bevorzugt bei einem Fahrzeug mit Hinterradantrieb das linke Hinterrad sich ablösen wird. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sowohl beim Anfahren als auch beim Beschleunigen auf die Schrauben hinten links immer ein geringes Lösemoment wirksam ist. Sind die Schrauben nicht ordnungsgemäß angezogen, wird sich bei einem solchen Fahrzeug zuerst das linke Hinterrad lösen.
Beim streitgegenständlichen Fahrzeug handelt es sich nach den Angaben des Sachverständigen um ein solches mit Heckantrieb, darüber hinaus handele sich um ein sehr hochmotorisiertes Fahrzeug, sodass insbesondere beim Anfahren und Beschleunigen sehr hohe Kräfte auf die Radschrauben wirken. Der Sachverständige führte weiter aus, dass für den Fall, dass die Schrauben ordnungsgemäß angezogen und dies auch entsprechend überprüft wird, eine Nachjustierung bzw. ein Nachziehen aus technischer Sicht nicht erforderlich ist. Er führte ergänzend aus, dass bei Unternehmen, die Reifenwechsel durchführen in der Regel ein entsprechender Hinweis zum Nachziehen der Reifen gegeben wird.
Die Zeugin, die beim Reifenwechsel selbst nicht anwesend war, gab an, der Zeuge habe ihr berichtet, die Radmuttern seien zunächst mit einem Drehmomentschlüssel angezogen worden, der Zeuge habe diese dann selbst nochmals angezogen. Sie sei jedoch dabei nicht persönlich anwesend gewesen. Der Zeuge bestätigte, dass mehrere Personen an dem Fahrzeug gearbeitet hätten. Er selbst sei zunächst davon ausgegangen, dass seine Kollegen die Schrauben nachgezogen hätten, er selbst habe dies auch nochmals überprüft. Keine Schraube hätte nachgegeben.
Der Zeuge berichtete ergänzend, er habe den Kläger gefragt, ob er ihm noch eine Plakette hinsichtlich des erforderlichen Nachziehens der Schrauben am Armaturenbrett befestigen solle, was vom Kläger verneint wurde. Die Zeugin gab ergänzend an, sie sei dabei gewesen, als der Kläger einen entsprechenden Aufkleber abgelehnt habe. Sie gab weiter an, im Büro, in welchem der Kläger seine Rechnung bezahlt habe, habe sich ein Aushang befunden, dass die Muttern nachgezogen werden müssen, sie selbst gebe in der Regel auch mündlich diesen Hinweis ergänzend.
Angesichts der Ausführungen des Sachverständigen Dr. sowie der Tatsache, dass das Gericht ein Eingreifen eines Dritten dahingehend, dass dieser die Radschrauben gelöst haben könnte, für ausgeschlossen hält, kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass das Lösen der Radschraube, welches im Übrigen auch von der Beklagten nicht bestritten wurde, nur darauf zurückzuführen sein kann, dass die Radschrauben insbesondere am linken hinteren Rad nicht ordnungsgemäß angezogen bzw. nicht überprüft wurden. Der Sachverständige hat für das Gericht nachvollziehbar und schlüssig geschildert, dass sich gerade hinten links, insbesondere bei einem hoch motorisierten Fahrzeug wie dem des Klägers, die Radschrauben lösen können. Nach den Angaben des Klägers ist dieser mit dem Fahrzeug ca. 100 km gefahren. Das Gericht folgt insoweit nicht den Angaben des Zeugen zumal es fraglich erscheint, ob sich der Zeuge, der täglich mehrere Reifenwechsel durchführt an einen solchen Wechsel, der eineinhalb Jahre vor seiner Vernehmung durchgeführt wurde, noch erinnern kann.
Eine Haftung der Beklagten steht daher zur Überzeugung des Gerichts fest.
2. Der Kläger muss sich jedoch vorliegend ein Mitverschulden in Höhe von 30% anrechnen lassen, da er den Hinweis darauf, dass die Radschrauben nachzuziehen sind, zwar erhalten, jedoch nicht befolgt hat, sodass bei entsprechender Durchführung der Unfall hätte vermieden werden können. Allerdings überwiegt vorliegend deutlich das Verschulden der Beklagten bzw. deren Mitarbeiter.
Aus der vorgelegten Rechnung vom 05.04.2017 (Anlage HFB1) ergibt sich eindeutig ein Hinweis darauf, dass die Radmuttern nach 50 km nachzuziehen sind. Der Hinweis ist insbesondere auch ausreichend kenntlich gemacht, er befindet sich deutlich sichtbar und eingerückt unterhalb der durchgeführten Arbeiten. Der Kläger hat im Rahmen seiner Anhörung auch eingeräumt, dass er die Rechnung erhalten hat. Er habe sie allerdings nicht näher angeschaut.
Darüber hinaus steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger sowohl durch den Zeugen als auch zumindest durch einen entsprechenden Aushang im Büro der Beklagten davon Kenntnis hätte haben können, dass ein Nachziehen der Radmuttern erforderlich ist. Der Zeuge gab an, er habe den Kläger gefragt, ob er einen entsprechenden Aufkleber haben möchte, was verneint wurde. Die Zeugin berichtete, im Büro habe sich auch damals ein entsprechender Aushang bzw. Hinweis befunden. Das Gericht hat insoweit keinerlei Zweifel an den Angaben der Zeugen, sodass der Kläger hätte erkennen können und müssen, dass ein Nachziehen der Schrauben erforderlich ist.
Das vom Kläger zitierte Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 27.07.2011 Aktenzeichen 1 S 9/10 ist insoweit nicht einschlägig. In dem dort entschiedenen Fall war lediglich ein leicht zu übersehender Hinweis auf der Rechnung, nicht jedoch ein mündlicher Hinweis und ein Aushang im Büro hinsichtlich der Erforderlichkeit des Nachziehens der Radmuttern gegeben.
Hieran ändert sich auch nichts angesichts der Ausführungen des Sachverständigen Dr., der angegeben hat, aus technischer Sicht sei ein Nachziehen der Schrauben bei einer ordnungsgemäßen Montage nicht erforderlich. Wie der streitgegenständliche Unfall zeigt, ist es durchaus möglich, dass eben gerade keine ordnungsgemäße Montage erfolgt, was natürlicherweise in der Sphäre der jeweiligen Werkstatt liegt. Bei einem Nachziehen der Schrauben nach ca. 50 km wäre der streitgegenständliche Unfall jedoch vermieden worden. Wie bereits ausgeführt überwiegt jedoch deutlich das Verschulden der Beklagten. Das Gericht erachtet daher ein Mitverschulden des Klägers in der in Höhe von 30% für angemessen, aber auch ausreichend.
Ein Mitverschulden des Klägers dahingehend, dass er das geänderte Fahrverhalten aufgrund des sich lösenden Rades frühzeitig hätte erkennen können, nimmt das Gericht nicht an. Der Sachverständige Dr. Auer hat hierzu ausgeführt, dass eine entsprechende Reaktion des Klägers aufgrund der ohnehin hohen Geräuschkulisse des Fahrzeuges nicht möglich war. Den Ausführungen des Sachverständigen schließt sich das Gericht insoweit an.
3. Hinsichtlich der geltend gemachten Schäden ist folgendes festzustellen:
a) Soweit die Beklagte das Eigentum des Klägers an dem Fahrzeug mit Nichtwissen bestritten hat, ergibt sich dies zur Überzeugung des Gerichts aus dem vorgelegten Kaufvertrag (Anlage HFB2) vom 14.09.2016.
b) Hinsichtlich der vereinbarten Selbstbeteiligung verweist das Gericht auf den vorgelegten Versicherungsschein (Anlage K8) aus dem sich eine Selbstbeteiligung in Höhe von 5000 € ergibt. Nach den Angaben des Klägers wurden Gutschriften in Höhe von 96 und 189 € erteilt, sodass insoweit ein Betrag von 4715 € anzusetzen ist. Es ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, inwieweit auf diesen Betrag der Selbstbeteiligung Umsatzsteuer fällig wird, sodass dieser lediglich netto anzusetzen ist.
c) Eine Verbringung des Fahrzeugs zum Hersteller nach Mechernich war nach Überzeugung des Gerichts erforderlich. Der Sachverständige Dr. hat dies im Rahmen seines schriftlichen Gutachtens vom 01.07.2019 bestätigt. Bei dem Fahrzeug handelt es sich um einen Spezialumbau mit Einzelstückcharakter, eine Reparatur sei bei solchen Fahrzeugen nur beim Hersteller möglich. Dem Kläger stehen daher die geltend gemachten Verbringungskosten, die sich im Übrigen auch aus der Rechnung (Anlage K2) ergeben zu. Insoweit ist zunächst ein Betrag von Euro 1237,60 brutto anzusetzen.
d) Die Kosten für die Abholung des Fahrzeugs am 23. 6. 2017 sind nur zum Teil zu erstatten.
Das Gericht folgt hinsichtlich der Tatsache, dass das Fahrzeug durch den Sohn des Klägers und dessen Lebensgefährtin abgeholt wurde, den Angaben der Zeugen im Termin vom 04.03.2020. Die Abholung war auch erforderlich. Beide Zeugen gaben an, dass eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln teilweise unmöglich bzw. mit erheblichen Umständlichkeiten verbunden war. Das Gericht kommt daher zu der Überzeugung, dass eine Abholung mit dem Pkw im vorliegenden Fall erforderlich war. Die Beklagte hat die Entfernung im einzelnen nicht bestritten, jedoch erachtet das Gericht hinsichtlich der Fahrtkosten einen Betrag von 0,25 € pro Kilometer für angemessen. Insoweit wird auf Palandt 79. Aufl. 2020 § 249 Rn. 9 verwiesen.
Die weiter geltend gemachten Kosten für einen Zeitaufwand sind nach Überzeugung des Gerichts vorliegend nicht erstattungsfähig. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang nicht vorgetragen, dass sein Sohn und dessen Lebensgefährtin Zahlungen verlangt bzw. erhalten hätten. Der Zeitaufwand des Geschädigten selbst bzw. auch dessen Familienangehörigen ist im einzelnen grundsätzlich nicht erstattungsfähig. Insoweit wird auf Palandt § 249 Rn. 59 hingewiesen. Es ist daher insoweit nur ein Betrag von 472,50 € anzusetzen.
e) Die Kosten für Felgen und Reifen in Höhe von 1094,80 € waren vorliegend unstreitig.
f) Dem Kläger steht darüber hinaus weder eine Nutzungsausfallentschädigung, noch eine Wertminderung und dementsprechend auch keine damit verbundenen Kosten für einen Sachverständigen zu.
Hinsichtlich des geltend gemachten Nutzungsausfalls hat der Kläger im Rahmen seiner Anhörung vom 17.10.2018 angegeben, er habe während der Zeit der Reparatur durchgehend einen Firmenwagen zur Verfügung gehabt. Ergänzend wurde vorgetragen, dass der Kläger diesen sogar bis März 2018, d. h. weit über das streitgegenständliche Schadensereignis hinaus zur Verfügung hatte.
Voraussetzung für eine Nutzungsausfallentschädigung ist, dass eine fühlbare Beeinträchtigung der Nutzung gegeben sein muss. Erforderlich sind insbesondere Nutzungswille und eine hypothetische Nutzungsmöglichkeit. Der Anspruch entfällt, wenn der Einsatz eines Zweitwagens möglich und zumutbar ist. Insoweit wird verwiesen auf Palandt § 249 Rn. 42. So liegt der Fall hier. Der Kläger hat selbst vorgetragen, ihm habe während der gesamten Dauer der Reparatur ein Firmenwagen zur Verfügung gestanden. Soweit der Kläger vorträgt, er habe mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug Werbung machen wollen, führt dies nicht zum Ersatz eines Nutzungsausfalls. Ein möglicherweise in diesem Zusammenhang entgangener Gewinn ist wieder vorgetragen noch ersichtlich. Die Nutzung des Firmenwagens war insoweit nach Überzeugung des Gerichts zumutbar.
Auch eine Wertminderung in Höhe von 4500 € ist vorliegend nicht gegeben. Der Sachverständige Dr., dem das Gericht in diesem Zusammenhang vollumfänglich folgt, hat sowohl im Rahmen seines schriftlichen Gutachtens vom 01.07.2019 als auch im Rahmen seiner Anhörung vom 04.03.2020 für das Gericht absolut schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass es für das streitgegenständliche Fahrzeug aufgrund der Tatsache, dass es sich um einen Spezialumbau mit Einzelstückcharakter handelt, keinen Markt und damit auch keine Vergleichsbasis gibt. Derartige Fahrzeuge sind äußerst selten und werden allein aufgrund jenes Erscheinungsbildes und ihres Spezialumbaus von interessierten Käufern gekauft. Eine Wertminderung sei in diesem Zusammenhang nicht feststellbar.
Soweit der Kläger ergänzend den Zeugen dahingehend benannt hat, dass das Fahrzeug mit einem erheblichen Abschlag verkauft werden musste, konnte der Zeuge im Rahmen seiner Vernehmung vom 04.03.2020 hierzu keine weiterführenden Angaben machen. Der Zeuge war lediglich am Rande mit dem Verkauf des Fahrzeugs betraut. Bei den eigentlichen Verkaufsgesprächen war er nicht anwesend. Der Zeuge konnte beispielsweise auch nicht angeben, zu welchem Preis das Fahrzeug erworben wurde. Eine Wertminderung oder auch ein Mindererlös ist daher nicht zur Überzeugung des Gerichts vorliegend nachgewiesen.
g) Die Summe der insoweit berechtigten Positionen des Klägers beträgt Euro 7519,90, hiervon ist ein Abschlag aufgrund des bestehenden Mitverschuldens von 30% vorzunehmen, sodass dem Kläger aus dem Schadensereignis vom 8.4.2017 ein Betrag von Euro 5263,93 zusteht.
Darüber hinaus sind dem Kläger Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1,3 Gebühren aus dem zugesprochenen Betrag in Höhe von 571,44 € ebenfalls zuzusprechen.
Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht für beide Parteien auf § 709 ZPO.

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