Verkehrsrecht

Haftungsquote bei unaufklärbarer Verantwortlichkeit für einen Verkehrsunfall im Kreuzungsbereich

Aktenzeichen  17 O 3273/16

Datum:
11.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO ZPO § 286 Abs. 1 S. 1, § 377 Abs. 3
VVG VVG § 86 Abs. 1 S. 1
StVG StVG § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1, Abs. 2, § 18 Abs. 1 S. 1, Abs. 3
BGB BGB § 249 Abs. 1, Abs. 2, § 823 Abs. 1
StVO StVO § 1 Abs. 2, § 8 Abs. 1 S. 1, § 37 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 S. 1, S. 2, S. 3, S. 6

 

Leitsatz

Zur Haftungsquote bei einer Kollision von zwei Fahrzeugen in einem durch eine Lichtzeichenanlage geregelten Kreuzungsbereich, wenn nicht mehr aufklärbar ist (anders nachfolgend OLG München BeckRS 2017, 124994, auf Grudlage der von diesem durchgeführten Beweisaufnahme), welchem der beteiligten Fahrzeugführer ein Rotlichtverstoß anzulasten ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
4. Der Streitwert wird auf 5.583,04 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet und bleibt deshalb ohne Erfolg.
I.
Die Klägerin konnte unter Anwendung des Beweismaßes des § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO bereits dem Grunde nach nicht nachweisen, dass ihr ein (weitergehender) Schadensersatzanspruch aus übergegangenem Recht gemäß § 86 Abs. 1 S. 1 VVG i.V.m. §§ 18 Abs. 1 S. 1, 7 Abs. 1 StVG i.V.m. §§ 823 Abs. 1, 249 Abs. 1, Abs. 2 BGB gegen die Beklagten zu 1) zusteht, für den die Beklagte zu 2) über § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG gesamtschuldnerisch gemäß § 421 BGB haften würde. Im Einzelnen:
1. Zunächst ist die Beklagte zu 1) als Fahrerin wegen § 18 Abs. 1 S. 1 StVG gemäß § 7 Abs. 1 StVG für die beim Betrieb des von ihr geführten Fahrzeugs adäquat-kausal entstandenen Sachschäden ersatzpflichtig, weil sie den Verkehrsunfall schuldhaft herbeigeführt hat.
Es ist der Beklagten zu 1) aus Sicht des Gerichts nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht der Nachweis gelungen, dass der Schaden nicht auch durch ihr Verschulden verursacht ist bzw. sie sich gar verkehrsrichtig verhalten hat (vgl. Heß in B/H/H/J/, Straßenverkehrsrecht, § 18 StVG, Rn. 8). Dies wäre allerdings angesichts der Verschuldensvermutung in § 18 Abs. 1 S. 2 StVG erforderlich gewesen. Insbesondere konnte die Beklagte zu 1) nicht nachweisen, dass sie bei „Grünlicht“ abgebogen und deswegen gemäß § 37 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 S. 1 und S. 2 und S. 3 StVO i.V.m. § 8 Abs. 1 S. 1 StVO vorfahrtsberechtigt gewesen ist.
Die Beklagte zu 1) hat angegeben, in einer Kolonne mit weiteren Fahrzeugen auf der rechten der beiden Linksabbiegerspuren in den Kreuzungsbereich von der … kommend nach links auf die … abgebogen zu sein, und zwar als die Lichtzeichenanlage für sie GRÜN angezeigt habe. Sie sei fließend im Verkehr mitgefahren, vielleicht mit einer Geschwindigkeit von 30 bis maximal 40 km/h, ohne sagen zu können, wie viele Fahrzeuge vor ihr gefahren sind oder ob noch weitere Fahrzeuge hinter ihr fuhren. Sie habe ein bis zwei Meter und direkt nochmals vor dem Linksabbiegevorgang auf die Lichtzeichenanlage geschaut, die GRÜN angezeigt habe.
Der Zeuge … der als Beifahrer im klägerischen Fahrzeug saß, hat naturgemäß keine Angaben über die für die Beklagte zu 1) geltende Ampelschaltung machen können. Zugleich gab er an, es so in Erinnerung zu haben, dass das Beklagtenfahrzeug das letzte Fahrzeug in einer Kolonne gewesen ist, die ihr vorausfahrenden Fahrzeuge relativ zügig gefahren und bereits abgebogen waren und sie als letztes Fahrzueg hinterher kam, ohne dass er sagen konnte, wieviele Fahrzeuge in der Kollonne gefahren sind oder dass ihm hinsichtlich des Fahrverhaltens des Beklagtenfahrzeugs ein besonderes oder abweichende Fahrverhalten erinnerlich gewesen ist.
Videoaufzeichnungen oder unfallunbeteiligte Zeugen, die eine Aussage über die Ampelschaltung in der Fahrtrichtung des Beklagtenfahrzeugs machen könnten, sind nicht vorhanden. Insoweit hätte auch der nicht persönlich einvernommene Zeuge … keine Angaben machen können, die zur Aufklärung hätten beitragen können, da er – wie der Zeuge … auch – keinen Einblick auf die für die Beklagten zu 1) Lichtzeichenanlagen in dem Moment hatte, als diese die jeweiligen Haltelinien überfuhr. Dies gilt erst recht, wenn berücksichtigt wird, dass der Zeuge … angegeben hat, dass der Blick des Zeugen … nach rechts gewandt war, als das klägerische Fahrzeug in den Kreuzungsbereich einfuhr.
Schließlich konnte auch der Sachverständige Dipl.-Ing. … im Rahmen seiner weg-/zeitlichen Berechnungen keine eindeutige Aussage insoweit treffen, auch nicht bei Unterstellung der Richtigkeit der Angaben des Beklagten zu 1) selbst.
Der Sachverständige Dipl.-Ing. … führte zunächst aus, dass – ausgehend von dem vorliegenden Ampelphasenplan und einem störungsfreien Betrieb der Lichtzeichenanlage – letztere mit dem Signalplan P2 am Unfalltag und zur Unfallzeit in Betrieb gewesen ist. Demnach war für das klägerische Fahrzeug bei der Einfahrt in die Kreuzung das Signal 07 maßgeblich, für das Beklagtenfahrzeug zunächst (von der … kommend) das Signal 03 und so dann (kurz vor dem Linksabbiegen in die nördliche …) das Signal 09. Weil aus dem Phasenfolgeplan hervorgeht, dass Grün für die Fahrtrichtung des klägerischen Fahrzeugs in der Phase 1 geschaltet ist und in der Phase 4 Grün für die Fahrtrichtung des Beklagtenfahrzeugs bezogen auf die Signale 03 und 09 wurde vom Sachverständigen Dipl.-Ing. … der Phasenübergang der Phase 4 nach 1 als für die weg-/zeitliche Berechnung relevant zugrunde gelegt, mithin der Phasenübergang mit der Kennung 4, der insgesamt 18 Sekunden dauerte. Danach schaltete das Signal 03, also die (erste) Einfahrt des Beklagtenfahrzeugs in den Kreuzungsbereich in der dritten Sekunde auf Rotlicht, das Signal 09 eine Sekunde später, also in der vierten Sekunde dieses Phasenübergangs, während das für den Kläger maßgebliche Signal 07 in der sechsten Sekunde auf Rot-Gelb und in der siebten Sekunde auf Grün schaltet, so dass ein Zeitversatz zwischen Rotlicht der (zweiten) Lichtzeichenanlage für die Fahrtrichtung des Beklagtenfahrzeugs (Signal 09) und Grünlicht für die Fahrtrichtung des klägerischen Fahrzeugs (Signal 07) von drei Sekunden bestand.
Zugleich stellte der Sachverständige Dipl.-Ing. … fest, dass die Endpositionen der unfallbeteiligten Fahrzeuge nicht gesichert wurden und auch unfallbezogene Spuren auf der Fahrbahn nicht vorhanden bzw. bekannt sind, jedenfalls nicht dokumentiert wurden. Insoweit ist zwischen den Parteien auch unstreitig, dass die unfallbeteiligten Fahrzeuge nach der Kollision aus der Unfallstelle herausgefahren wurden, um den Verkehrsfluss nicht zu behindern, ohne diese zuvor lichtbildmäßig zu erfassen.
Aus diesem Grund unterstellte der Sachverständige Dipl.-Ing. … für die Rekonstruktion des Unfallhergangs eine Einfahrt des Beklagtenfahrzeugs auf der rechten Linksabbiegerspur in die nördliche … wie beklagtenseits vorgetragen, und verknüpfte dies mit einer Bewegung des klägerischen Fahrzeugs auf der rechten der beiden Geradeausspuren der … und einem geplanten Abbiegen in die … wie klägerseits vorgetragen. Er ermittelte so einen technisch plausiblen Kollisionsort, der 11,7 Meter hinter der Haltelinie des klägerischen Fahrzeugs lag und eine zurückgelegte Wegstrecke von 28,5 Meter für das Beklagtenfahrzeug von der Haltelinie der zweiten Lichtzeichenanlage aus bis dorthin bzw. von insgesamt 78,5 Metern angesichts des Abstands der Haltelinie der ersten Lichtzeichenanlage an der … bis zur Haltelinie der zweiten Ampel von etwa 50 Metern. Anhand einer energetischen Auswertung der Beschädigungen an den unfallbeteiligten Fahrzeugen ergaben sich für den das klägerische Fahrzeug ein EES-Wert von 8 bis 10 km/h und für das Beklagtenfahrzeug von 7 bis 9 km/h. Ausgehend von einer Querbeschleunigung von 1,5 bis 2,5 m/s² errechnete der Sachverständige Dipl.-Ing. … auf eine zu erwartende Abbiegegeschwindigkeit in einem Bereich von 21 bis 34 km/h bei einer wahrscheinlichen Fahrlinie des Beklagtenfahrzeugs mit einem Kurvenradius von etwa 24 Metern, insbesondere aufgrund des Schadensbilds an den unfallbeteiligten Fahrzeugen. Im Rahmen der Kollisionssimulation unter Berücksichtigung dieser Randbedingungen errechnete der Sachverständige Dipl.-Ing. … als wahrscheinlichste Geschwindigkeit für das klägerische Fahrzeug eine Kollisionsgeschwindigkeit von 14 km/h und für das Beklagtenfahrzeug von 30 km/h, unter Berücksichtigung der Toleranzen dieser Art der Geschwindigkeitsermittlung eine Kollisionsgeschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs von 12 bis 16 km/h und für das Beklagtenfahrzeug von 25 bis 35 km/h. Dieses Ergebnis sah der Sachverständige Dipl.-Ing. … auch durch das Schadensbild bestätigt. Zugleich betonte der Sachverständige Dipl.-Ing. … dass nach der Spurenlage beide Fahrzeuge zum Kollisionszeitpunkt abgebremst waren, mithin die Ausgangsgeschwindigkeit über der berechneten Kollisionsgeschwindigkeiten gelegen haben muss, ohne dass er beweissicher fixieren konnte, mit welcher Geschwindigkeit die Fahrzeuge jeweils bewegt wurden. Im weiteren führte der Sachverständige Dipl.-Ing. … aus, dass bei Unterstellung eines normalen (klägerseits vorgetragenen) Anfahrvorgangs des klägerischen Fahrzeugs von der Haltelinie und einer anschließende Vollbremsung auf die Kollisionsgeschwindigkeit sich eine Fahrzeit des klägerischen Fahrzeugs von der Haltelinie bis zum Kollisionsort von 2,9 bis 4,0 Sekunden, während sich für das Beklagtenfahrzeug bei Zugrundelegung einer durchschnittlichen Ausgangsgeschwindigkeit von 30 bis 40 km/h eine Fahrzeit von der zweiten Haltelinie bis zum Kollisionsort von 2,5 bis 3,4 Sekunden, und von der ersten Haltelinie bis zum Kollisionsort von 7,0 bis 9,4 Sekunden errechnet.
Zugleich betonte der Sachverständige aber auch, dass das Grünlicht der Lichtzeichenanlage an der … (Signal 03) verkehrsabhängig gesteuert sei und sich nicht mehr retrospektiv rekonstruieren lasse, wie lange die Grünphase gedauert habe, so dass auch nicht mehr festzustellen sei, wie viele Fahrzeuge von der … bei Grünlicht nach links in die … am Unfalltag mit bzw. um das Beklagtenfahrzeug abbiegen konnten. Angesichts der Fahrtstrecke von der (ersten) Haltelinie an der … bis zur (zweiten) Haltelinie von 50 Metern und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 35 km/h ergäbe sich eine Fahrzeit von etwa 5 Sekunden, wobei der Zeitversatz zwischen dem Signalwechsel der (ersten) Ampel an der … auf Rotlicht und dem Signalwechsel an der (zweiten) Ampel auf Rotlicht nur eine Sekunde beträgt. Der Sachverständige Dipl.-Ing. … kam deshalb zu dem Ergebnis, dass es bei einem Überfahren der Haltelinie an der … in einem frühen Verlauf der Grünphase technisch durchaus denkbar sei, von der … bei Grünlicht in die Kreuzung einzubiegen und in einem Zug auch das Signal an der (zweiten) Ampel bei Grünlicht zu überfahren, wie beklagtenseits vorgetragen wurde. Gleichermaßen technisch möglich sei es aber, von der … noch bei Grünlicht einzubiegen, an der zweiten Ampel jedoch bereits Rotlicht zu haben.
Den plausibel und nachvollziehbar dargestellten Ausführungen des dem Gericht aus einer Vielzahl von Verfahren als fachkundig und sorgfältig arbeitend bekannten Sachverständigen schließt sich das Gericht vollumfänglich an.
Die Bewertung, dass die Beklagte zu 1) nicht nachweise konnte, bei GRÜN in die Kreuzung eingefahren zu sein, ändert sich aus Sicht des Gerichts auch nicht etwa dadurch, weil die Beklagte zu 1) angab, sie habe ein bis zwei Meter und direkt nochmals vor dem Linksabbiegevorgang auf die für sie geltende Lichtzeichenanlage geschaut, die GRÜN angezeigt habe. Denn zu sehen ist insoweit, dass die Beklagte angab, soweit sie sich erinnerte, zuletzt rechtsseitig von ihr auf die Ampel geschaut zu haben. In diesem Zusammenhang sind aber für das Gericht auch die örtlichen Begebenheiten an der (zweiten) Ampel entscheidend, denn rechtsseitig – von der Fahrerposition des Beklagtenfahrzeugs auf der rechten der beiden Linksabbiegerspuren aus gesehen – ist zumindest nicht die für den Linksabbiegerverkehr geltende Lichtzeichenanlage, sondern die für den Geradeausverkehr geltende Lichtzeichenanlage angebracht. Insoweit stellte der Sachverständige Dipl.-Ing. … fest, dass im Kreuzungsbereich nach Norden insgesamt vier Fahrspuren bestehen, und zwar zwei Linksabbiegerspuren in die nördliche … und zwei Geradeausspuren in die …. Die Ampelphase der beiden Geradeausspuren ist mit dem Signal 08 geschaltet, das im maßgeblichen Phasenübergang 4 noch Grünlicht anzeigt, wenn die beiden Linksabbiegerspuren mit dem Signal 09 bereits Rotlicht zeigen. Zugleich sind entsprechende Pfeilmarkierungen an den jeweiligen Lichtzeichenanlagen angebracht. Aus Sachverständigensicht erschien es dennoch grundsätzlich denkbar, dass das Grünsignal der beiden Geradeausspuren fehl interpretiert werde und deshalb bei Rotlicht für die Linksabbiegerspur in die Kreuzung einzufahren. Insoweit besteht für das Gericht zumindest die Möglichkeit, dass die Beklagte zu 1) kurz vor dem Überfahren der Haltelinie an der zweiten Ampel das Grünlicht der für die Geradeausspur geltende Lichtzeichenanlage wahrgenommen und deswegen ihre Fahrt fortgesetzt hat, obschon die für die Linksabbiegerspur geltende Lichtzeichenanlage möglichweise doch bereits Rotlicht anzeigte. Auch deshalb steht nicht mit der im Rahmen der Überzeugungsbildung erforderlichen Gewissheit für das Gericht fest, dass die Beklagte zu 1) bei „Grünlicht“ in den Kreuzungsbereich eingefahren ist.
2. Die Abwägung der gegenseitigen Verschuldens- und Verursachungsanteile nach §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 2, Abs. 1 StVG ist, weil der Unfall weder für den Zeugen … als Fahrer des klägerischen Fahrzeugs noch für die Beklagten zu 1) unvermeidbar im Sinne von §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 3 StVG gewesen ist, notwendig, weil auch die Firma Daimler AG als Halterin gemäß § 7 Abs. 1 StVG und der Zeuge … als Fahrer des klägerischen Fahrzeugs grundsätzlich für die unfallbedingten Schäden haftet, da sich der Unfall auch bei dem Betrieb des klägerischen Fahrzeugs ereignete.
a) Dabei ist der Unfall zunächst weder für den Zeugen … noch für die Beklagte zu 1) unvermeidbar im Sinne von §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 3 StVG gewesen. Davon geht das Gericht deshalb aus, weil keiner der Parteien der Beweis gelungen ist, dass der Unfall für den Kläger bzw. den Beklagten zu 1) ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war.
Für die Unabwendbarkeit im Rahmen des § 17 Abs. 3 StVG ist derjenige beweisbelastet, der sich auf sie beruht, wobei nur Umstände berücksichtigungsfähig sind, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen, so dass die Unaufklärbarkeit zulasten desjenigen geht, der sich auf die Unabwendbarkeit beruft (vgl. OLG München, 12.08.2011, Az. 10 U 3150/10). Ein unabwendbares Ereignis liegt vor, wenn auch ein „Idealfahrer“ den Unfall nicht hätte vermeiden können bzw. der Unfall auch bei äußerster möglicher Sorgfalt nicht abzuwenden war und auch nicht weniger folgenschwer gewesen wäre. Dabei ist nicht nur entscheidend, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein „Idealfahrer“ reagiert hat, sondern ob ein „Idealfahrer“ überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre (vgl. OLG München, 12.08.2011, Az. 10 U 3150/10). Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden. Diese Überzeugung des Richters erfordert keine – ohnehin nicht erreichbare absolute oder unumstößliche, gleichsam mathematische Gewissheit und auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (vgl. u.a. OLG München, Urteil vom 11.06.2010, Az. 10 U 2282/10, m.w.N.).
Im Hinblick auf die Vermeidbarkeit des Unfalls für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs, den Zeugen … konnte sich das Gericht nicht davon überzeugen, dass dieser sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten hat. Denn selbst wenn dieser, wie der Zeuge … ausgesagt hat, bei Grünlicht die Haltelinie der für ihn maßgeblichen Lichtzeichenanlage überfahren hat, ist auch zu sehen, dass der Zeuge … angegeben hat, dass der Zeuge … im weiteren Fahrtverlauf beabsichtigte, in die … einzubiegen, deswegen noch an der Einmündung zur … vorbeifahren musste und der Blick des Zeugen … während des Anfahrens nach rechts gerichtet war, um auf dortige Fahrzeuge zu achten. Indes ist zu sehen, dass selbst das Einfahren bei „Grünlicht“ in eine Kreuzung den Einfahrenden nicht von der Einhaltung der allgemeinen Sorgfaltspflicht des § 1 Abs. 2 StVO entbindet, wie in § 37 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 S. 6 StVO ausdrücklich geregelt ist. Für den in die Kreuzung neu Einfahrenden folgt daraus, dass die Freigabe der Kreuzungseinfahrt durch grünes Ampellicht nicht von der Pflicht entbindet, die Einfahrt in die Kreuzung zurückzustellen, soweit dies die Verkehrslage erforderte. Dabei ist anerkannt, dass vor allem liegengebliebenen Nachzüglern, die sich noch im Kreuzungsbereich befinden, im Interesse des fließenden Verkehrs die Räumung der Kreuzung zu ermöglichen ist, wobei dies auch bezüglich des linksabbiegenden Querverkehrs gilt (vgl. KG, Urteil vom 13.11.2003, Az. 12 U 43/02). Ein „Idealfahrer“ hätte demnach nicht allein nach rechts geschaut, sondern insbesondere auch nach links gesehen, um etwaigen noch in der Kreuzung befindlichen Fahrzeugen (Querverkehr) das Räumen des Kreuzungsbereichs zu ermöglichen. Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass der Sachverständige Dipl.-Ing. … auch mit technischen Methoden nicht aufklären konnte, ob der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs vor seinem Start bereits erkennen konnte, dass das Beklagtenfahrzeug über die zweite Haltelinie hinweg in die … abbiegen wird, oder nicht: Zu dem Zeitpunkt, als das klägerische Fahrzeug von seiner Haltelinie startete, war das Beklagtenfahrzeug noch 24,1 bis 44,4 Meter vom Kollisionsort entfernt, befand sich mithin entweder noch 15,9 Meter vor oder bis 4,4 Meter nach der zweiten Haltelinie, so dass – zeitlich gesehen unter Zugrundelegung der genannten Prämissen das Beklagtenfahrzeug 0,5 Sekunden vor bis spätestens 1,5 Sekunden nach dem klägerischen Fahrzeug über die zweite Haltelinie fuhr. Den plausibel und nachvollziehbar dargestellten Ausführungen des dem Gericht aus einer Vielzahl von Verfahren als fachkundig und sorgfältig arbeitend bekannten Sachverständigen schließt sich das Gericht vollumfänglich an.
Dass indes von keinem sog. Kreuzugsräumungsfall auszugehen ist, weil die Beklagte zu 1) bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren ist, was insoweit durch die Klägerin zu beweisen wäre, steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest. Wie bereits ausgeführt wurde, kommt der Sachverständige Dipl.-Ing. … zu dem Ergebnis, dass das Grünlicht der Lichtzeichenanlage an der … (Signal 03) am Unfalltag verkehrsabhängig gesteuert war und die Dauer der Grünphase nicht mehr retrospektiv rekonstruierbar ist. Angesichts der Fahrtstrecke von der (ersten) Haltelinie an der … bis zur (zweiten) Haltelinie von 50 Metern, für die bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 35 km/h sich eine Fahrzeit von etwa 5 Sekunden ergäbe, und angesichts des Zeitversatzes zwischen dem Signalwechsel der (ersten) Ampel an der … auf Rotlicht und dem Signalwechsel an der (zweiten) Ampel auf Rotlicht von nur einer Sekunde beträgt, hielt es der Sachverständige Dipl.-Ing. … zwar für technisch möglich, dass die Beklagte zu 1) von der … noch bei Grünlicht eingefahren war, aber an der zweiten Ampel bereits Rotlicht hatte. Gleichermaßen technisch plausibel war es aber auch Sachverständigensicht, dass bei einem Überfahren der Haltelinie an der … in einem frühen Verlauf der Grünphase sowohl an der ersten als auch an der (zweiten) Ampel jeweils bei Grünlicht die Haltelinie zu überfahren. Dass die Beklagte zu 1) an der zweiten Ampel das Grünlicht der Geradeausspuren als für ihre Fahrtrichtung maßgeblich erachtete, während die Ampel für die Linksabbiegerspur bereits Rotlicht zeigte, erscheint zwar durchaus möglich, ist aber gerade nicht beweissicher festzustellen.
Nichts anderes ergibt sich aus Sicht des Gerichts durch die weiteren Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. … aus der Verknüpfung der Schaltzustände der Lichtzeichenanlage mit den Fahrzeiten der beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge: Zwar müsste bei Unterstellung eines Anfahrens des klägerischen Fahrzeugs gleichzeitig mit dem Umschalten der für ihn gültigen Ampel auf Grünlicht das Beklagtenfahrzeug nach 2,5 bis 4,5 Sekunden Rotlicht die für die Beklagte zu 1) gültige Haltelinie der (zweiten) Ampel (Signal 09) überfahren haben. Allerdings ist ein sofortiges i.S. eines zeitgleichen Anfahrens nicht möglich und eine Reaktions- und Anfahr- bzw. Beschleunigungszeit zu berücksichtigen. Das Reaktionsverhalten des Zeugen … ist aus Sicht des Gerichts nicht zuverlässig feststellbar, und zwar ungeachtet des Umstands, dass es sich bei dem klägerischen Fahrzeug um ein solches mit sog. Start-Stop-Modus handelt und der Frage, ob Start-Stop-Automatik abstellbar ist und der Motor bereits dann wieder anspringen mag, wenn man den Fuß vom Bremspedal nimmt, ohne das Gaspedal zu betätigen, und ob die Start-Stop-Automatik am Unfalltag eingeschaltet war. Denn mangels Bekanntsein der kollisionsbedingten Endlagen und der Dokumentation von Unfallspuren auf der Fahrbahn ist der Unfallablauf technisch nicht aufklärbar. Soweit der Zeuge … angeführt hat, dass seinem Empfinden nach der Zeuge … „normal“ angefahren sei und der Anfahrvorgang etwa eine Reaktionssekunde nach dem Umschalten der Lichtzeichenanlage auf Grünlicht gewesen sein soll, ist dies lediglich eine nicht verifzierbare und daher mit Unsicherheiten behaftete Schätzung. Dasselbe würde für eine entsprechende Aussage des nicht persönlich einvernommenen Zeugen … gelten. Insoweit folgt für das Gericht im Ergebnis auch nichts Abweichendes aus der alternativen Betrachtung des Sachverständigen Dipl.-Ing. … und der von ihm genannten Möglichkeit, dass bei einem Überfahren des Beklagtenfahrzeugs noch am Ende der Gelbphase der Haltelinie an der zweiten Ampel das klägerische Fahrzeug 1,5 bis 3,5 Sekunden bzw. bei einem Durchfahren des Beklagtenfahrzeugs noch in der Grünphase (wegen der Hinzurechnung der drei Sekunden Gelbphase) das klägerische Fahrzeug 4,5 bis 7,5 Sekunden vor dem Umschalten seiner Ampel auf Grün gestartet sein. Vor dem Hintergrund, dass ein Umschalten von der Rotlicht auf ROT-GELB eine Sekunde später und von GELB auf GRÜN um eine weitere Sekunde erfolgt, erscheint es aufgrund dieses Zeitversatzes aus Sicht des Gerichts aufgrund der Lebenserfahrung im Bereich des Möglichen, dass ein Anfahren bereits vor der Anzeige des Grünlichts inititert wurde, der Zeuge … als Beifahrer gleichwohl erst in einem Moment auf die Lichtzeichenanlage schaute, als diese bereits Grünlicht anzeigte.
Entscheidend ist aus Sicht des Gerichts letztlich, dass mangels Kenntnis der kollisionsbedingten Endlagen der unfallbeteiligten Fahrzeuge und daraus folgender Unkenntnis des genauen Kollisionsort und etwaiger Unfallspuren auf der Fahrbahn und der dargestelten Unwägbarkeiten der Grünphase der Ampelschaltung an der … weg-/zeitlich dem Sachverständigen Dipl.-Ing. … gerade keine beweissicheren Aussagen möglich waren, sondern lediglich eine Prüfung der technischen Plausibilität des wechselseitigen Vorbringens erfolgen konnte. Maßgeblich ist insoweit, dass der Sachverständige Dipl.-Ing. … die Angaben der Beklagten zu 1) und des Zeugen … zumindest technisch als möglich und nachvollziehbar wertete. Das Gericht hat weder von der Richtigkeit oder Unwahrheit der Aussage der Beklagten zu 1) noch von der des Zeugen … überzeugen können, insbesondere mangels weiterer objektiver Anhaltspunkte. Dabei hat das Gericht gesehen, dass das zunächst gegen die Beklagte zu 1) geführte Bußgeldverfahren wegen eines Rotlichtverstoßes auf ihren Einspruch hin eingestellt wurde. Gleichermaßen lässt das Gericht auch nicht unberücksichtigt, dass sich die Angaben des Zeugen … nicht nur mit seinen Angaben decken, die er bereits im Rahmen des Ordnungswidrigkeitsverfahren gegenüber der Polizei als Zeuge machte, sondern auch mit den Angaben des im Streitfall nicht persönlich einvernommenen Zeugen … die dieser eigens zunächst als Zeugen und sodann als Betroffner gegenüber der Polizei gemacht hat, in Einklang stehen. Zu sehen ist aber auch, dass der Zeuge … nicht als unbeteiligter Unfallzeuge gelten kann, weil er ein Freund des Zeugen … ist, freilich ohne dass dieser Umstand für sich die Glaubhaftigkeit der Aussage erhöhen oder schmälern würde. Die polizeilichen Angaben des Zeugen … hat das Gericht im Wege des Urkundenbeweises bei seiner Würdigung berücksichtigt. Dabei ist insbesondere zu sehen, dass der Zeuge … selbst in seinem Entschuldigungschreiben an das Gericht vom 08.08.2016 mitgeteilt hat, dass er sich auf diese schriftlichen Angaben ausdrücklich bezieht. Die Verwertung seiner früheren Angaben gegenüber der Polizei war auch zulässig, denn während § 250 StPO vorgibt, dass wenn der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person beruht, diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen ist und die Vernehmung nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer schriftlichen Erklärung ersetzt werden darf, existiert eine solche Regelung in der ZPO gerade nicht. Umgekehrt bestimmt sogar § 377 Abs. 3 ZPO ausdrücklich, dass das Gericht eine schriftliche Beantwortung der Beweisfrage anordnen kann, wenn es dies im Hinblick auf den Inhalt der Beweisfrage und die Person des Zeugen für ausreichend erachtet, so dass eine Beweiswürdigung sogar von Gesetzes wegen aufgrund einer privatschriftlichen Erklärung eines Zeugen möglich ist. Daher dürfen auch schriftliche Erklärungen, gleich ob sie schriftlich fixiert oder polizeilich oder gerichtlich protokolliert wurden, im Wege des Urkundenbeweises beigebracht werden, die als Urkunden der freien Beweiswürdigung zugänglich sind (vgl. BGH, Urteil vom 13.02.2007, VI ZR 58/06). Schließlich ist das Gericht auch davon überzeugt, dass auch eine persönliche Einvernahme des Zeugen … keine abweichende Beurteilung hinsichtlich der Aufklärbarkeit des Unfallgeschehens bzw. des Nachweises eines Rotlichtverstoßes durch die Beklagte zu 1) ergäben hätte. Denn selbst wenn dieser seine Angaben, die er seinerzeit gegenüber der Polizei gemacht hat, persönlich bestätigen würde, ändert sich aus Sicht des Gerichts das Beweisergebnis gerade nicht. Die Frage der Glaubhaftigkeit der Aussage der Beklagten zu 1) würde sich dadurch nicht ändern. Warum die Glaubwürdigkeit der Beklagten zu 1) durch die Angaben des Zeugen … beeinflusst werden soll, hat die Klägerin schon nicht konkret vorgetragen. Diese wird aus Sicht des Gerichts auch dadurch nicht in Frage gestellt werden, wenn der Zeuge … seine eigenen früheren Angaben und die des Zeugen … persönlich bestätigen würde. Dem Antrag der Klägerin auf eine persönliche Einvernahme des Zeugen … war aus den genannten Gründen daher nicht nachzukommen (vgl. BGH, Urteil vom 13.02.2007, VI ZR 58/06).
b) Wegen § 17 Abs. 2, Abs. 1 StVG ist angesichts einer Schadensentstehung zwischen mehreren Fahrzeugen eine Abwägung der Verursachungs- und Verschuldenbeiträge der unfallbeteiligten Fahrer unter Berücksichtigung der jeweils von den Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahren vorzunehmen. Klarzustellen ist dabei, dass auch insoweit nur solche Umstände berücksichtigt werden dürfen, die sich auf die Schadensentstehung tatsächlich ausgewirkt haben, wobei jede Partei die Umstände beweisen muss, die zu Ungunsten der Gegenpartei berücksichtigt werden sollen (vgl. OLG München, Urteil vom 12.08.2011, Az. 10 U 3150/10, m.w.N.). Im Streitfall führt eine solche Abwägung aber aus Sicht des Gerichts nicht etwa zu einer Allein- oder (überwiegenden) Haftung der Beklagten zu 1), sondern es ist, weil der genaue Hergang des Unfalls und damit auch der der Beklagte zu 1) vorgeworfene Rotlichtverstoß letztlich unaufklärbar geblieben sind, eine hälftige Haftungsverteilung unter Berücksichtigung der Betriebsgefahr anzunehmen.
Die Beklagte zu 2) hat vorgerichtlich die geltend gemachten Schäden, deren Höhe zwischen den Parteien unstreitig gewesen ist, auf einer Haftungsquote von 50:50 reguliert; weitergehende Ansprüche stehen der Klägerin nicht zu.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 11 Var. 2 ZPO, die Abwendungsbefugnis der Klägerin aus §§ 711 S. 1, S. 2, 709 S. 2 ZPO.
III.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 3, 4 Abs. 1, 5 Hs. 1 ZPO i.V.m. §§ 48 Abs. 1 S. 1, 43 Abs. 1, 39 Abs. 1, 40 GKG.

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