Verkehrsrecht

Haftungsquotelung nach einer Kollision beim Ausfahren aus einer Grundstücksausfahrt durch eine Fahrzeugkolonne

Aktenzeichen  41 O 397/16

Datum:
10.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 7 Abs. 1, § 17, § 18
StVO StVO § 10 S. 1
StVO Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO Zeichen 295
VVG VVG § 115 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Kollidiert ein aus einer Grundstücksausfahrt durch eine Lücke einer Fahrzeugkolonne hindurch ausfahrendes Fahrzeug mit einem die Kolonne auf der Linksabbiegerspur überholenden Fahrzeug, so spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Fahrer des ausfahrenden Fahrzeugs den bevorrechtigten Verkehr mangelhaft beobachtet hat. (redaktioneller Leitsatz)
2 Das gilt nicht, wenn der Fahrer des ausfahrenden Fahrzeugs aufgrund einer durchgezogenen Linie (Zeichen 295 Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO) auf der bevorrechtigten Straße nicht mit einem von links kommenden Fahrzeug zu rechnen brauchte. Der in einem solche Fall im Überholen der Kolonne liegende grobe Sorgfaltsverstoß kann zu einer jedenfalls überwiegenden Verantwortlichkeit des Überholenden führen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages.
IV. Der Streitwert wird auf EUR 6.530,26 festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme als unbegründet. Dem Kläger stehen gegen die Beklagten keine weiteren Ersatzansprüche aus § 7 Abs. 1, §§ 17, 18 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG zu.
I.
Der streitgegenständliche Unfall vom 31.10.2015 hat sich nach Überzeugung des Gerichts so abgespielt, dass die Beklagte zu 2) mit ihrem Wagen auf der Linksabbiegespur der Ausfahrt des …Marktes wartete, während sich die Fahrzeugkolonne auf der _Straße Richtung Westen im Stop-and-Go-Verkehr auf die Ampelanlage an der B – zubewegte. Der Zeuge Dr. S., der in dieser Kolonne fuhr, bemerkte die Linksabbiegeabsicht der Beklagten zu 2) und bremste daher vor der Ausfahrt so ab, dass er in etwa eine halbe Autolänge weiter zurück zum Stehen kam als das erste dunkle Fahrzeug, das auf dem Google-Luftbild (Anlage K 9) zu sehen ist. Die Beklagte zu 2) bog daraufhin vor dem Fahrzeug des Zeugen Dr. S. in die _Straße Richtung Osten ein. Der Kläger, der offenbar weder das Beklagtenfahrzeug noch dessen Abbiegevorgang wahrgenommen hatte, wollte wegen der ihm nicht erklärlichen Verzögerung des vorausfahrenden Pkw nicht warten, bis er die von ihm angestrebte Linksabbiegespur erreicht hatte, und überholte den Wagen des Zeugen Dr. S., wobei er die eigene Fahrspur über die an dieser Stelle noch durchgezogene weiße Fahrbahnbegrenzung (Zeichen 295 der StVO) verließ. Vor dem Fahrzeug des Zeugen Dr. S. kam es dann zum Zusammenstoß von Kläger- und Beklagtenfahrzeug.
Diesen Hergang schließt das Gericht aus den Darlegungen der Parteien, der Zeugen sowie aus folgenden Tatsachen:
1. Der Endstand der Unfallfahrzeuge ergibt sich aus den Lichtbildern der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte Az. 410 Js 10537/16.
2. Die Kollisionsgeschwindigkeit zumindest des Klägerfahrzeugs muss angesichts des Schadensbildes jedenfalls höher als Schrittgeschwindigkeit gelegen haben. Andererseits dürfte sie nicht so hoch gewesen sein, dass es zu einem nennenswerten seitlichen Versatz der beteiligten Fahrzeuge durch die Kollision kam.
3. Dass der Kläger bei seinem Überholvorgang die durchgezogene Fahrbahnabgrenzung (Zeichen 295 der StVO) überfahren haben muss, ergibt sich schon aus der von ihm selbst bekundeten Haltestellung des Fahrzeugs Dr. S. (etwas hinter dem dunklen Fahrzeug auf dem Luftbild Anlage K 9); Gleiches hat auch der Zeuge Dr. S. ausgesagt. Auch die polizeiliche Unfallaufnahme (vgl. Bl. 10 der genannten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte) geht hiervon aus.
Die Überfahrung der durchgezogenen Linie folgt zudem aus der Endstellung der Unfallfahrzeuge (vgl. die Lichtbilder 3 bis 6 der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte). Die Endstellung des klägerischen Fahrzeughecks liegt nur ca. 2 m nach Ende der durchgezogenen weißen Linie, wobei sich das Klägerfahrzeug hierbei schon vollständig außerhalb der Geradeausspur Richtung Westen befand. Es erscheint fahrtechnisch unmöglich, diese Endstellung aus Richtung E. kommend ohne Überfahren der durchgezogenen Linie zu erreichen. Für diese Feststellung bedarf es keines unfallanalytischen Sachverstands, sondern allenfalls einer jahrezehntelangen autofahrerischen Erfahrung, wie sie auch das Gericht besitzt.
II.
Diesen tatsächlichen Ablauf würdigt das Gericht rechtlich wie folgt:
„1. Im Rahmen der Verteilung der Verantwortungsbeiträge spricht zunächst der Beweis des ersten Anscheins für eine mangelhafte Beobachtung des bevorrechtigten Verkehrs durch die Beklagte zu 2) bei ihrem Abbiegevorgang. Diese Einschätzung relativiert sich allerdings durch den Umstand, dass die Beklagte zu 2) zumindest an der konkreten Unfallörtlichkeit nicht mit einem von links überholenden Fahrzeug aus Richtung E. rechnen musste, da die durchgezogene Fahrbahnabgrenzung (Zeichen 295 der StVO) in etwa bis zur Ausfahrt der Beklagten zu 2) reichte. Sinn der durchgezogenen Fahrbahnabgrenzung ist es auch und insbesondere, an entsprechend gefährlichen bzw. unübersichtlichen Stellen die Einhaltung der Fahrbahn bzw. ein Überholen zu verhindern. Die Beklagte zu 2) durfte sich daher – nach Verständigung mit dem ersten Fahrzeug der von links kommenden Kolonne – auf den von rechts kommenden bevorrechtigten Verkehr konzentrieren.“
Die erwähnte prima-facie-Regel kommt daher vorliegend nicht zum Tragen. Ob der Kläger sich überhaupt in dieser konkreten Situation auf ein Vorfahrtsrecht berufen konnte, kann hier dahinstehen.
2. Auf Seiten des Klägers fällt zunächst die Missachtung des Zeichens 295 der StVO ins Gewicht. Außerdem muss er – als Zweiter in der Kolonne – das wartende Beklagtenfahrzeug in der Ausfahrt gesehen haben, da insoweit freie Sicht für ihn bestand. Nicht nachvollziehbar ist für das Gericht, dass der Kläger ungeachtet des Abbremsens seines Vordermanns, dessen erkennbarer Lückenöffnung zur vorausfahrenden Kolonne (um der Beklagten zu 2) das Abbiegen zu ermöglichen) und des für den Kläger mindestens teilweise sichtbaren Abbiegevorgangs der Beklagten zu 2), der sich quasi vor seinen Augen abspielte, gleichwohl (verbotswidrig) zum Überholen ausgeschert ist.
3. In Abwägung der Verursachungsbeiträge (§ 17 Abs. 2 StVG) bewertet das Gericht das Verhalten des Klägers als groben Sorgfaltsverstoß, der jedenfalls zu einer überwiegenden Verantwortlichkeit des Klägers für das Unfallgeschehen führt. Einer näheren Bestimmung der Verantwortungsquoten bedarf es im Rahmen der vorliegenden Entscheidung nicht, da der Kläger von den Beklagten keinesfalls mehr als eine Regulierung auf der Basis 50:50 verlangen kann, die unstreitig bereits erfolgt ist.
4. Auch der Feststellungsantrag des Klägers kann auf dieser Grundlage keinen Erfolg haben.
III.
Der Kostenausspruch beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 ZPO.

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