Verkehrsrecht

Haftungsverteilung bei Kollision eines aus einer untergeordneten Straße Einbiegenden mit einem bevorrechtigten Fahrstreifenwechsler

Aktenzeichen  17 O 12838/18

Datum:
12.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 46329
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVO § 1 Abs. 1, § 7 Abs. 5, § 8 Abs. 2 S. 2
StVG § 7, § 17
VVG § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Kommt es bei einem Verkehrsunfall zur Kollision zwischen einem aus einer untergeordneten Straße einbiegenden Verkehrsteilnehmer mit einem auf der bevorrechtigten – hier vierspurig befahrbaren – Straße fahrenden Fahrstreifenwechsler und ereignet sich die Kollision innerhalb eines Korridors von 30 Metern nach dem abgeschlossenen Spurwechsel, spricht zwar der Anscheinsbeweis für einen Verstoß des Fahrstreifenwechslers gegen § 7 Abs. 5 StVO. Ereignet sich die Kollision aber unmittelbar im Bereich der Einmündung der untergeordneten Straße in die bevorrechtigte Straße, wirkt sich dieser Verstoß nicht unfallkausal aus. (Rn. 34 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Abwägung der Verschuldens- und Verursachungsbeiträge der Unfallbeteiligten in einem solchen Fall (hier Alleinhaftung des Einbiegenden). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 887,89 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5,0 Zinspunkten über dem Basiszins seit 11.04.2018 auf 500,39 Euro, 5,0 Zinspunkte über dem Basiszins seit 11.04.2018 auf 375,- Euro und 5,0 Zinspunkte über dem Basiszins seit 11.04.2018 auf 12,50 Euro zu zahlen.
2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, weitere fiktive Nettoreparaturkosten auf Gutachtenbasis in Höhe von 3.539,79 Euro zu zahlen.
3. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, die Klägerin von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 808,13 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5,0 Zinspunkte über Basiszins seit 07.09.2018 freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 23 Prozent und die Beklagten als Gesamtschuldner 77 Prozent zu tragen.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leisten.
7. Der Streitwert wird für den Zeitraum bis 19.08.2018 auf 4.385,22 Euro festgesetzt und für den Zeitraum danach auf 6.020,45 Euro.

Gründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
I.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten aus dem verfahrensgegenständlichen Unfallgeschehen einen Anspruch auf Zahlung von weiterem Schadensersatz in Höhe von 4.427,68 Euro aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 VVG.
Der vorgenannte Betrag setzt sich zusammen aus 3.539,79 Euro (weitere Reparaturkosten), 375,- Euro (weitere Wertminderung), 500,39 Euro (weitere Sachverständigenkosten) und 12,50 Euro (weitere Unkostenpauschale).
Haftungsquote
Die Abwägung der beiderseitigen unfallkausalen Verschuldens- und Verursachungsbeiträge gemäß § 17 StVG ergibt im vorliegenden Fall eine alleinige Haftung der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs für die Folgen des verfahrensgegenständlichen Unfalls.
Notwendigkeit einer Abwägungsentscheidung
Eine Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG ist im vorliegenden Fall erforderlich, da die Haftung beider Unfallbeteiligter feststeht.
Die Klagepartei haftet als Halterin des Klägerfahrzeugs nach § 7 Abs. 1 StVG für die  Unfallfolgen.
Die Haftung der Beklagtenpartei dem Grunde nach folgt ebenfalls aus § 7 Abs. 1 StVG, da das Klägerfahrzeug beim Betrieb des Beklagtenfahrzeugs beschädigt worden ist.
Weder die Klagepartei noch die Beklagtenpartei konnte nach Überzeugung des Gerichts im vorliegenden Fall nachweisen, dass das verfahrensgegenständliche Kollisionsgeschehen für eine der Fahrerinnen der unfallbeteiligten Fahrzeuge bei idealem Fahrverhalten in Annäherung an die verfahrensgegenständliche Kollisionsstelle ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war.
Abwägungsentscheidung
Im vorliegenden Fall sind bei gleichwertigen Betriebsgefahren der unfallbeteiligten Fahrzeuge ein Verstoß der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs gegen § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO abzuwägen gegen die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs.
Die Abwägung der vorgenannten Parameter führt nach Überzeugung des Gerichts in der Gesamtschau aller Umstände des vorliegenden Falls dazu, dass die allgemeine Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs hinter das deutlich überwiegende Verschulden der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs zurücktritt.
Gesichtspunkte, welche eine Berücksichtigung der allgemeinen Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs erforderlich machen würden, sind im vorliegenden Fall jedenfalls nicht ersichtlich.
Abwägungselemente Steht die Haftung beider Unfallbeteiligten fest, so hängt gemäß § 17 Absatz 1 und 2 StVG im Verhältnis der beteiligten Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen (BGH, NJW 2007, 506; NJW 2000, 3069; Hentschel/König/Dauer, StraßenverkehrsR, 41. Aufl., § 17 StVG Rdnr. 5) sind bei der Abwägung der beiderseitigen Verursacherbeiträge nur solche Umstände einzubeziehen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, d. h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein (OLG Saarbrücken, NJW-RR 2013, 1189, beckonline).
Der Klagepartei zuzurechnende StVO-Verstöße%(1) Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO Die Fahrerin des Klägerfahrzeugs hat den verfahrensgegenständlichen Unfall nicht durch einen Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO verursacht.
Gemäß § 7 Abs. 5 StVO darf in allen Fällen ein Fahrstreifen nur dann gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
Auf Grundlage der informatorischen Anhörung der Klägerin liegt zwar ein unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Zusammenhang zwischen dem Fahrstreifenwechsel des Klägerfahrzeugs und der verfahrensgegenständlichen Kollision von Klägerfahrzeug und Beklagtenfahrzeug vor.
Insbesondere auf Grund der von der Klägerin im Termin vom 14.05.2019 gefertigten Unfallskizze ist das Gericht nämlich überzeugt davon, dass sich die verfahrensgegenständliche Kollision von Klägerfahrzeug und Beklagtenfahrzeug innerhalb eines Korridors von 30 Metern nach dem abgeschlossenen Spurwechsel des Klägerfahrzeugs ereignete, so dass insoweit der Anscheinsbeweis eines Verstoßes der Fahrerin des Klägerfahrzeugs gegen § 7 Abs. 5 StVO greift.
Allerdings ist der Verstoß der Fahrerin des Klägerfahrzeugs gegen § 7 Abs. 5 StVO nicht unfallkausal, da im vorliegenden Fall nicht nachweisbar ist, dass die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs mit dem Beklagtenfahrzeug zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Kollision vom Schutzzweck des § 7 Abs. 5 StVO umfasst war.
Da der § 7 Abs. 5 StVO nicht dem Schutz des in eine Vorfahrtsstraße einmündenden Verkehrs dient, wäre die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs nämlich nur dann zum Zeitpunkt der Kollision vom Schutzzweck des § 7 Abs. 5 StVO erfasst gewesen, wenn sich die verfahrensgegenständliche Kollision auf dem Innsbrucker Ring nachweislich außerhalb eines Bereichs von 30 Metern Entfernung von der Einmündung der untergeordneten Uppenbornstraße ereignet hätte.
Im vorliegenden Fall ist das Gericht nach der durchgeführten Beweisaufnahme allerdings davon überzeugt, dass sich die verfahrensgegenständliche Kollision von Klägerfahrzeug und Beklagtenfahrzeug unmittelbar im Bereich der Einmündung der untergeordneten Uppenbornstraße auf den Innsbrucker Ring ereignet hat.
Die vorgenannte gerichtliche Überzeugung basiert auf den schlüssigen und nach den nachvollziehbaren Angaben des gerichtsbekannt fachkundigen Sachverständigen Dr. S. mit den technischen Anknüpfungstatsachen vereinbaren, mithin glaubhaften Angaben der Fahrerin des Klägerfahrzeugs zum Unfallhergang.
Auszug aus den Ausführungen der Fahrerin des Klägerfahrzeugs:
„Auf Nachfrage des Gerichts: Können Sie uns hier den Punkt einzeichnen, wo Sie waren, als Sie ganz auf der Spur drauf waren, auf die Sie wollten, also vollständig mit dem Auto in der Spur? Können Sie uns den Punkt hier bezeichnen? Ungefähr hier. (…) Genau, als sie hier raus kam.“
Nach der durchgeführten Beweisaufnahme können die Angaben der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs zum Kollisionsort keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben der Fahrerin des Klägerfahrzeugs begründen.
Die Angaben der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs zum Unfallhergang sind nämlich nach Überzeugung des Gerichts unglaubhaft.
Die Unglaubhaftigkeit der Angaben der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs zum Unfallhergang resultiert nach Überzeugung des Gerichts daraus, dass die Angaben der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs zum Unfallhergang in einem Kernbereich aus technischer Sicht widersprüchlich sind.
Die von der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs angegebene Kollisionsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs in der Größenordnung von 40 bis 50 Stundenkilometer ist nämlich nach Überzeugung des Gerichts auf Basis der diesbezüglichen Ausführungen des gerichtsbekannt fachkundigen Sachverständigen Dr. S. nicht mit der von der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs bezeichneten Endstellung des Beklagtenfahrzeugs nach der Kollision in Einklang zu bringen.
Auszug aus den Ausführungen der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs:
„Auf Frage des Gerichts: Können Sie uns auf der Skizze irgendwo bezeichnen, etwa, wo es denn Krach gemacht hat?
Hier, wo ich das X mache. (…)
Auf Nachfrage des Gerichts: Also etwa auf Höhe dort, wo diese Steine hier sind und der Lichtmasten ist. So in dem Bereich? Schon ein bisschen weiter vorne, zwischen dem Schild und der Stange. (…) Auf Nachfrage des Gerichts: Das ist ein Foto, was uns die Klägerseite eingereicht hat. Welchen Status gibt das wieder, bevor oder nachdem Sie einmal drum rum gefahren sind?
Das war, bevor ich rum gefahren bin. (…)
Auf Nachfrage des Gerichts: Können Sie uns einen Eindruck vermitteln, wie schnell Sie waren zu dem Zeitpunkt, als sie mit der anderen Fahrzeugführerin kollidiert sind?
Das waren so ungefähr 40 bis 50 km/h.“
Auszug aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S.:
„Aus technischer Sicht ist lediglich darauf hinzuweisen, dass der berichtete Kollisionsort nach Darstellung der Beklagten auf Höhe der dokumentierten Abstellposition (Anlage K1) zu verorten wäre. Aus technischer Sicht ist festzustellen, dass aufgrund der berichteten Kollisionsgeschwindigkeiten ein Anhalteweg der Parteifahrzeuge nachkollisionär minimal 25 und maximal 50 m betragen müsste. Ein unmittelbares Stillsetzen der Parteifahrzeuge im Bereich der Kollisionsstelle ist unter Berücksichtigung der vorgestellten Geschwindigkeiten (40 bis 60 km/h) nicht zu unterstellen.“
Die vorbezeichnete Widersprüchlichkeit in einem Kernbereich der Aussage der Beklagten zu 1) hat zur Folge, dass nach Überzeugung des Gerichts die gesamte Aussage der Beklagten zu 1) zum Unfallhergang als unglaubhaft zu bewerten ist.%(1) Verstoß gegen § 1 Abs. 1 StVO Die Fahrerin des Klägerfahrzeugs hat die verfahrensgegenständliche Kollision auch nicht durch einen Verstoß gegen § 1 Abs. 1 StVO verursacht.
Gemäß § 1 Abs. 1 StVO erfordert die Teilnahme am Straßenverkehr ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. Aus dem allgemeinen Rücksichtnahmegebot folgt nach Überzeugung des Berufungsgerichts, dass ein Verkehrsteilnehmer verhältnismäßig auf potentielle Gefahrenquellen im Straßenverkehr reagiert. Sofern ein Verkehrsteilnehmer eine Kollision durch Gaswegnahme, Bremsen und/oder Ausweichen verhindern kann, so ist er zu einem solchen maßvollen Verhalten aus der allgemeinen Rücksichtnahmepflicht auch verpflichtet.
Ein Verstoß der Fahrerin des Klägerfahrzeugs gegen die vorgenannten Verhaltensanforderungen im Straßenverkehr ist nicht nachweisbar.
Im vorliegenden Fall ist nämlich nicht nachweisbar, dass die Fahrerin des Klägerfahrzeugs die verfahrensgegenständliche Kollision konkret hätte vermeiden können.
Ein solcher Nachweis ist im vorliegenden Fall weder auf der Basis der Auswertung der Angaben der Unfallbeteiligten zum Unfallhergang noch auf der Basis der Auswertung der vorliegenden technischen Anknüpfungstatsachen möglich.
Diesbezüglich gilt es zunächst in Ansatz zu bringen, dass im vorliegenden Fall sich das verfahrensgegenständliche Unfallgeschehen nach Überzeugung des Gerichts so abgespielt hat, wie es von der Fahrerin des Klägerfahrzeugs schlüssig und nachvollziehbar, mithin glaubhaft geschildert worden ist (siehe zur Unglaubhaftigkeit der Unfalldarstellung der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs die obigen Ausführungen zur Prüfung eines Verstoßes der Fahrerin des Klägerfahrzeugs gegen § 7 Abs. 5 StVO).
Auf Basis der Auswertung der technischen Anknüpfungstatsachen lässt sich unter Berücksichtigung der glaubhaften Angaben der Klägerin zum Unfallhergang nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtsbekannt fachkundigen unfallanalytischen Sachverständigen Dr. S., denen das Gericht folgt, die Vermeidbarkeit des verfahrensgegenständlichen Unfallgeschehens für die Fahrerin des Klägerfahrzeugs jedenfalls nicht nachweisen.
Auszug aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S.:
„Beim Nachvollzug des Sachvortrags der Klagepartei wäre die Vermeidbarkeit nur bei der Beklagten zu sehen.“%(1) Weitere Verstöße gegen StVO-Normen Weitere unfallkausale Verstöße der Fahrerin des Klägerfahrzeugs gegen straßenverkehrsrechtliche Normen sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
Der Beklagtenpartei zuzurechnende StVO-Verstöße%(1) Verstoß gegen § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO Die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs hat den verfahrensgegenständlichen Unfall durch einen Verstoß gegen § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO verursacht.
Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO darf nur weitergefahren werden, wenn übersehen werden kann, dass wer die Vorfahrt hat, weder gefährdet noch wesentlich behindert wird.
Die insoweit beweisbelastete Klagepartei konnte im vorliegenden Fall den Nachweis erbringen, dass die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs unfallkausal gegen die vorgenannten Verhaltensanforderungen im Straßenverkehr verstoßen hat.
Ereignet sich nämlich die Kollision zwischen einem Fahrzeug des bevorrechtigten Verkehrs (Klägerfahrzeug) mit einem Fahrzeug des untergeordneten Verkehrs (Beklagtenfahrzeug) in einem Bereich von 30 Metern nach der Einmündung der untergeordneten Straße in die bevorrechtigte Straße, dann spricht der Beweis des ersten Anscheins für einen Vorfahrtsverstoß des Fahrzeugführers des Fahrzeugs, welches aus der untergeordneten Straße in die bevorrechtigte Straße eingefahren ist.
Die vorgenannten Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nach Überzeugung des Gerichts erfüllt.
Im vorliegenden Fall ist das Gericht nach der durchgeführten Beweisaufnahme nämlich davon überzeugt, dass sich die verfahrensgegenständliche Kollision von Klägerfahrzeug und Beklagtenfahrzeug unmittelbar im Bereich der Einmündung der untergeordneten Uppenbornstraße auf den Innsbrucker Ring ereignet hat.
Die vorgenannte gerichtliche Überzeugung basiert auf den schlüssigen und nach den nachvollziehbaren Angaben des gerichtsbekannt fachkundigen Sachverständigen Dr. S. mit den technischen Anknüpfungstatsachen vereinbaren, mithin glaubhaften Angaben der Fahrerin des Klägerfahrzeugs zum Unfallhergang.
Auszug aus den Ausführungen der Fahrerin des Klägerfahrzeugs:
„Auf Nachfrage des Gerichts: Können Sie uns hier den Punkt einzeichnen, wo Sie waren, als Sie ganz auf der Spur drauf waren, auf die Sie wollten, also vollständig mit dem Auto in der Spur? Können Sie uns den Punkt hier bezeichnen? Ungefähr hier. (…) Genau, als sie hier raus kam.“
Die gerichtliche Überzeugung, wonach sich die verfahrensgegenständliche Kollision innerhalb eines Bereichs in der Größenordnung von 30 Metern nach der Einmündung der Uppenbornstraße in den Innsbrucker Ring ereignet hat, wird auch durch die sachverständige Auswertung der auf Anlage K1 dokumentierten Endstellung des Beklagtenfahrzeugs untermauert.
Auf Basis der schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. ist auf Grund des von der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs geschilderten Geschwindigkeitsniveaus des Beklagtenfahrzeugs zum Unfallzeitpunkt und der auf Anlage K1 dokumentierten Endlage des Beklagtenfahrzeugs nämlich auf der Grundlage allgemeiner technischer Erfahrungswerte zum Bremsverhalten in vergleichbaren Sachverhaltskonstellationen davon auszugehen, dass sich die Kollision von Klägerfahrzeug und Beklagtenfahrzeug in einem Bereich von maximal 25 Metern nach der Einmündung der Uppenbornstraße in den Innsbrucker Ring ereignet hat.
Auszug aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S.:
„Aus technischer Sicht ist lediglich darauf hinzuweisen, dass der berichtete Kollisionsort nach Darstellung der Beklagten auf Höhe der dokumentierten Abstellposition (Anlage K1) zu verorten wäre. Aus technischer Sicht ist festzustellen, dass aufgrund der berichteten Kollisionsgeschwindigkeiten ein Anhalteweg der Parteifahrzeuge nachkollisionär minimal 25 und maximal 50 m betragen müsste (…).
Auf Nachfrage des Gerichts ist festzustellen, dass die dokumentierte Stillstandsposition etwa 50 m von der Einmündung der Uppenbornstraße in den Innsbrucker Ring entfernt zu verorten ist.
Auf Nachfrage des Gerichts ist festzustellen, dass der notwendige Anhalteweg auf Basis einer Reaktionszeit auf die Wechselwirkung von 0,8 Sekunden, einer Bremsenschwellzeit von 0,2 Sekunden und auf eine Verzögerung im Bereich einer stärkeren Betriebsbremsung (4 m/s2) und auf Basis einer Vollverzögerung (mittlere Verzögerung 8 m/s2) basiert.“
Nach der durchgeführten Beweisaufnahme können die Angaben der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs zum Kollisionsort keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben der Fahrerin des Klägerfahrzeugs begründen.
Die Angaben der Beklagten zu 1) zum Unfallhergang sind, wie oben dargestellt (siehe zur Unglaubhaftigkeit der Unfalldarstellung der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs die Ausführungen zur Prüfung eines Verstoßes der Fahrerin des Klägerfahrzeugs gegen § 7 Abs. 5 StVO) nämlich unglaubhaft.
Es gibt im vorliegenden Fall auch keine Umstände, welche der Annahme des oben genannten Anscheinsbeweises entgegenstehen.
Das anscheinsbeweisbegründende „Kerngeschehen“ reicht als Grundlage der rechtlichen Bewertung nur dann nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die als Besonderheit gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen. Denn es muss das gesamte feststehende Unfallgeschehen nach der Lebenserfahrung typisch dafür sein, dass derjenige Verkehrsteilnehmer, zu dessen Lasten der Anscheinsbeweis Anwendung finden soll, schuldhaft gehandelt hat. Ob der Sachverhalt in diesem Sinne im Einzelfall wirklich typisch ist, kann nur aufgrund einer umfassenden Betrachtung aller tatsächlichen Elemente des Gesamtgeschehens beurteilt werden, die sich aus dem unstreitigen Parteivortrag und den getroffenen Feststellungen ergeben (BGH, Urteil vom 13.12.2016 – VI ZR 32/16).
Im vorliegenden Fall sind nach Überzeugung des Gerichts keine Umstände im Zusammenhang mit dem Vorfahrtsverstoß der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs ersichtlich, die als Besonderheit gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen.%(1) Weitere Verstöße gegen StVO-Normen Weitere unfallkausale Verstöße der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs gegen straßenverkehrsrechtliche Normen sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
Schadenspositionen Reparaturkosten
Die unfallbedingt erforderlichen Reparaturkosten des Klägerfahrzeugs betragen im vorliegenden Fall unstreitig 6.652,50 Euro.
Hierauf hat die Beklagtenpartei vorgerichtlich bereits 3.079,10 Euro erbracht.
Mithin hat die Klagepartei einen Anspruch auf Zahlung von weiteren 3.573,40 Euro.
Hiervon hat die Klagepartei 3.539,79 Euro geltend gemacht.
Wertminderung
Im vorliegenden Fall ist mit der für eine richterliche Überzeugungsbildung erforderlichen Sicherheit in Bezug auf das Klägerfahrzeug eine unfallbedingte Wertminderung in Höhe von 750,- Euro nachweisbar.
Nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtsbekannt fachkundigen Sachverständigen Dr. S., denen das Gericht folgt, beträgt die unfallbedingte Wertminderung des Klägerfahrzeugs nämlich jedenfalls 750,- Euro.
Die Klagepartei hat weder den Nachweis erbracht noch explizit vorgetragen, dass in Bezug auf die Bemessung der unfallbedingten Wertminderung des Klägerfahrzeugs lediglich auf besonders penible Käuferschichten abzustellen ist.
In Bezug auf die Wertminderung hat die Beklagtenpartei vorgerichtlich bereits 375,- Euro erbracht.
Der weitere beklagtenseits geschuldete Zahlbetrag beträgt mithin 375,- Euro.
Sachverständigenkosten
Die unfallbedingt erforderlichen Sachverständigenkosten betragen im vorliegenden Fall unstreitig 1.000,79 Euro.
Hierauf hat die Beklagtenpartei vorgerichtlich bereits 500,40 Euro erbracht.
Der weitere beklagtenseits geschuldete Betrag beträgt mithin 500,39 Euro.
Unkostenpauschale
Die Unkostenpauschale ist nach ständiger Rechtsprechung der Münchner Verkehrsgerichte auf 25,- Euro festzusetzen (vgl. nur OLG München, Urteil vom 10. Juli 2009 – 10 U 5609/08, juris Rn. 12).
Hierauf hat die Beklagtenpartei vorgerichtlich bereits 12,50 Euro erbracht.
Der weitere beklagtenseits geschuldete Betrag beläuft sich mithin auf 12,50 Euro.
Feststellungsantrag
Der klägerseits geltend gemachte Feststellungsantrag ist nicht begründet.
Die Klagepartei hat den Feststellungsantrag damit begründet, dass der Klägerin im Falle der tatsächlichen Reparatur der unfallbedingten Schäden am Klägerfahrzeug von der Beklagtenseite die dann anfallende Mehrwertsteuer zu erstatten sei.
Die vorgenannte Auffassung der Klagepartei ist unzutreffend.
Nach Erhalt der fiktiven Netto-Reparaturkosten hat ein Geschädigter nämlich keinen Anspruch mehr auf Erstattung der Mehrwertsteuer einer tatsächlich angefallenen Reparatur des beschädigten Fahrzeugs.
Dies würde nämlich nach Überzeugung des Gerichts eine schadensrechtliche unzulässige Vermischung von fiktiver und konkreter Abrechnung von unfallbedingten Fahrzeugschäden darstellen (in diese Richtung BGH, Urteil vom 02.10.2018 – VI ZR 40/18, NJW-RR 2019, 144, beckonline).
Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung
Die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Klagepartei hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 808,13 Euro.
Nach § 249 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB sind diejenigen adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten zu ersetzen, die aus Sicht des Schadensersatzgläubigers zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren.
Im vorliegenden Fall hat die Klagepartei einen Anspruch auf Ersatz einer 1,3 Geschäftsgebühr aus dem Betrag von 8.394,68 Euro zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer, mithin 808,13 Euro.
II.
Der Zinsausspruch beruht auf § 280 Absatz 1 und 2, § 286 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 4, § 288 Absatz 1, § 291 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708, 711 ZPO in Verbindung mit § 709 S. 2 ZPO und die Streitwertfestsetzung auf § 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO.
Die klägerseits geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten erhöhen den Streitwert um 236,69 Euro.
Im Hinblick auf die Obsiegensquote ist der vorbezeichnete Betrag komplett zu Gunsten der Klagepartei zu berücksichtigen, da der überschießende Betrag im vorliegenden Fall tatsächlich 315,59 Euro beträgt.
Im Hinblick auf den Streitwert wurde der klägerseits geltend gemachte Feststellungsantrag mit 80 Prozent der Höhe des Mehrwertsteuerbetrags aus den klägerseits geltend gemachten Reparaturkosten von 6.618,89 Euro berücksichtigt, mithin also mit 1.006,07 Euro (1.257,59 Euro x 0,8).

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