Aktenzeichen IV ZR 105/20
Nr A.2.6.2 Buchst a AKB
Nr A.2.10.1 AKB
Leitsatz
Wird ein kaskoversichertes Fahrzeug, welches bei einem Unfall beschädigt oder zerstört wurde, nicht, nicht vollständig oder nicht fachgerecht repariert oder kann der Versicherungsnehmer nicht durch eine Rechnung die vollständige Reparatur nachweisen, so ist, wenn sich der Versicherungsnehmer entschließt, das beschädigte oder zerstörte Fahrzeug nicht zu veräußern, bei der fiktiven Bestimmung des Restwertes des Fahrzeugs lediglich der regionale Markt für den Aufkauf solcher Fahrzeuge am Sitz des Versicherungsnehmers in den Blick zu nehmen.
Verfahrensgang
vorgehend LG Darmstadt, 5. März 2020, Az: 25 S 223/18vorgehend AG Langen (Hessen), 19. Juni 2018, Az: 56 C 74/18 (10)
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt – 25. Zivilkammer – vom 5. März 2020 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Höhe der Versicherungsleistung aus einer von der Klägerin bei der Beklagten gehaltenen Kfz-Kaskoversicherung. Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einer Selbstbeteiligung von 300 € versicherten Fahrzeugs, das bei einem Verkehrsunfall am 22. November 2017 beschädigt wurde. Die Beklagte, deren Eintrittspflicht dem Grunde nach unstreitig ist, holte ein Schadengutachten ein, in welchem der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs mit 10.500 €, sein Restwert auf der Basis eines überregionalen Marktes mit 5.799 € und die Reparaturkosten unter Zugrundelegung der Stundenverrechnungssätze einer Markenwerkstatt mit 9.137,53 € netto bzw. 10.873,66 € brutto ausgewiesen wurden.
2
In den Versicherungsbedingungen (im Folgenden: AKB), über deren wirksame Einbeziehung in den Versicherungsvertrag die Parteien im Revisionsverfahren nicht mehr streiten, heißt es unter anderem:
“A.2.6.1
…
Was versteht man unter Totalschaden, Wiederbeschaffungswert, Restwert und Neupreis?
e Ein Totalschaden liegt vor, wenn die erforderlichen Kosten der Reparatur des Fahrzeugs dessen Wiederbeschaffungswert übersteigen.
Wiederbeschaffungswert ist der Preis, den Sie für den Kauf eines gleichwertigen Fahrzeugs am Tag des Schadenereignisses bezahlen müssten.
Restwert ist der Veräußerungswert des Fahrzeugs im beschädigten oder zerstörten Zustand.
…
A.2.6.2 Was zahlen wir bei Beschädigung?
Reparatur
a Wird das Fahrzeug beschädigt, zahlen wir die für die Reparatur erforderlichen Kosten bis zu folgenden Obergrenzen:
– Wird das Fahrzeug vollständig und fachgerecht repariert, zahlen wir die hierfür erforderlichen Kosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts, wenn Sie uns dies durch eine Rechnung nachweisen.
– Wird das Fahrzeug nicht, nicht vollständig oder nicht fachgerecht repariert oder können Sie nicht durch eine Rechnung die vollständige Reparatur nachweisen, zahlen wir die erforderlichen Kosten einer vollständigen Reparatur bis zur Höhe des um den Restwert verminderten Wiederbeschaffungswerts.
…
A.2.10 Meinungsverschiedenheit über die Schadenhöhe (Sachverständigenverfahren)
A.2.10.1 Bei einer Meinungsverschiedenheit über die Höhe des Schadens einschließlich der Feststellung des Wiederbeschaffungswerts oder über den Umfang der erforderlichen Reparaturarbeiten entscheidet ein Sachverständigenausschuss.
A.2.10.2 Für den Ausschuss benennen Sie und wir je einen Kfz-Sachverständigen. …
A.2.10.3 Soweit sich der Ausschuss nicht einigt, entscheidet ein weiterer Kfz-Sachverständiger als Obmann, …
A.2.10.4 Die Kosten des Sachverständigenverfahrens sind im Verhältnis des Obsiegens zum Unterliegen von uns bzw. von Ihnen zu tragen.”
3
Die Klägerin ließ ihr Fahrzeug in Eigenregie instandsetzen, eine Rechnung darüber existiert nicht. Die Beklagte rechnete den Schaden als Totalschaden ab und zahlte an die Klägerin 4.401 € (10.500 € Wiederbeschaffungswert – 5.799 € Restwert – 300 € Selbstbeteiligung).
4
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin Zahlung weiterer 2.377,71 € sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten. Sie ist der Auffassung, die von der Beklagten vorgenommene Abrechnung auf der Basis eines Totalschadens sei nicht gerechtfertigt. Die Beklagte habe sowohl den Restwert ihres Fahrzeugs, der in Wahrheit nur 3.400 € betragen habe, als auch die Reparaturkosten zu hoch veranschlagt. Das ca. zehn Jahre alte versicherte Fahrzeug sei nicht scheckheftgepflegt gewesen, deshalb seien hier auch nur die Reparaturkosten einer nicht markengebundenen Werkstatt mit einem Stundenverrechnungssatz von 98 € netto in Ansatz zu bringen, woraus sich ausweislich eines von ihr eingeholten Kostenvoranschlages Reparaturkosten von lediglich 7.078,71 € netto ergäben. Der von der Beklagten ermittelte Restwert sei ebenfalls zu hoch angesetzt, da das von der Beklagten eingeholte Gutachten dabei auch den überregionalen Markt berücksichtigt und der Sachverständige nicht mindestens drei Angebote eingeholt habe. Nach Rechnung der Klägerin stehen ihr der Ersatz von 7.078,71 € Reparaturkosten abzüglich 300 € Selbstbeteiligung, mithin 6.778,71 € zu. Unter Abzug der von der Beklagten geleisteten 4.401 € ergebe sich die Klageforderung von 2.377,71 €.
5
Die Beklagte hält die Klage für unzulässig, weil die Klägerin das Sachverständigenverfahren nicht eingeleitet habe. Im Übrigen verteidigt sie ihre Schadenberechnung. Zu Recht seien darin für die Reparaturkosten die Preise einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde gelegt. Auch den Restwert habe sie zutreffend ermittelt.
6
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
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