Aktenzeichen 5 U 74/17
Leitsatz
1 Übersteigen nach einem Verkehrsunfall die (fiktiven) Bruttoreparaturkosten, also Reparaturkosten einschließlich Umsatzsteuer (vgl. BGH BeckRS 2009, 08899), den Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs, so ist bei fiktiver Schadensabrechnung nur der Wiederbeschaffungsaufwand, also Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert, ersatzfähig. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der Beurteilung der Frage, ob die Bruttoreparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen, hat ein vom Schadensgutachter vorgenommener Abzug “neu für alt” außer Betracht zu bleiben. (Rn. 2 und 5) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
34 O 164/16 2017-03-30 Endurteil LGASCHAFFENBURG LG Aschaffenburg
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 30.03.2017, Az. 34 O 164/16, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Der Senat beabsichtigt weiterhin, dem Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen und den Streitwert auf 7.679,26 € festzusetzen.
3. Der Kläger erhält gemäß § 522 Abs. 2 ZPO Gelegenheit, zu den Ziffern 1. und 2. bis spätestens 25.08.2017 Stellung zu nehmen.
Gründe
I. Die Berufung des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Urteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht, noch die nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1, 546 ZPO).
Die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung hat auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens keinerlei Sach- bzw. Rechtsfehler ergeben. Dem Kläger stehen gegenüber dem Beklagten die geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz höherer (fiktiver) Reparaturkosten nicht zu. Aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls vom 08.04.2015 bestand lediglich ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 11.952,10 €, welcher von dem Beklagten vorgerichtlich bereits befriedigt wurde. Der Senat schließt sich der Sach- und Rechtsauffassung des Erstgerichts an, dass die Bruttoreparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen und der Kläger daher, da er das beschädigte Fahrzeug nach dem Unfall unstreitig nicht noch weitere sechs Monate benutzt hat, lediglich einen Anspruch auf den Wiederbeschaffungsaufwand, der sich aus einem Wiederbeschaffungswert in Höhe von netto 17.752,10 € abzüglich eines Restwerts von 5.800,00 € errechnet, hat. Bei einer fiktiven Schadensabrechnung ist nur der Wiederbeschaffungsaufwand ersatzfähig (vgl. Geigel Haftpflichtprozess, 27. Auflage, 2015, 3. Kapitel, Rdnr. 36 m. w. N.). Nachdem der Kläger nicht die ihm tatsächlich für die durchgeführte Reparatur entstandenen Kosten, sondern fiktiv die Reparaturkosten entsprechend des vorgerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens geltend macht, liegt keine konkrete Schadensabrechnung sondern eine fiktive Schadensabrechnung vor. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Geschädigte eines Kraftfahrzeugsachschadens bei der Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB die Wahl, ob er fiktiv nach den Feststellungen eines Sachverständigen oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abrechnet. Danach liegt eine fiktive Abrechnung vor, wenn die geltend gemachten Schäden nach den Feststellungen eines Sachverständigen geltend gemacht werden. Eine konkrete Schadensabrechnung liegt dagegen nur vor, wenn die tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten geltend gemacht werden, was vorliegend nicht der Fall ist (vgl. BGH NJW 2017, 1664 – 1665 m. w. N.). Entscheidet sich der Geschädigte für die fiktive Schadensabrechnung, sind die im Rahmen einer tatsächlich erfolgten Reparatur angefallenen Kosten nicht (zusätzlich) ersatzfähig (vgl. BGH aaO.).
Das Landgericht hat insbesondere mit zutreffenden Erwägungen dargelegt, dass der vom Schadensgutachter vorgenommene Abzug neu für alt bei der Beurteilung der Frage, ob die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen, außer Betracht zu bleiben hat und maßgeblich allein die tatsächlich errechneten Bruttoreparaturkosten von 21.246,11 € sind, die den Bruttowiederbeschaffungswert in Höhe von 21.125,00 € um 121,11 € übersteigen. Es ist daher nur der Wiederbeschaffungsaufwand ersatzfähig, der von dem Beklagten bereits vorgerichtlich bezahlt wurde.
Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die insoweit zutreffenden Darlegungen in der angefochtenen Entscheidung vollinhaltlich Bezug genommen.
Lediglich ergänzend ist zum Berufungsvorbringen in aller Kürze Folgendes auszuführen:
1. Nachdem die Bruttoreparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen, kann vorliegend offen bleiben, ob – wie vom Erstgericht angenommen – aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23.11.2010, Aktenzeichen: VI ZR 35/10, gefolgert werden kann, dass ein Unfallgeschädigter fiktiv die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes abrechnen kann, wenn er zwar das Fahrzeug nicht mindestens sechs Monate weiter nutzt, aber das Fahrzeug wertmäßig in einem Umfang repariert hat, der dem vom Sachverständigen in seinem Gutachten geschätzten Reparaturaufwand entspricht.
2. Entgegen der Ansicht der Berufung hat das Erstgericht zutreffend den vom Schadensgutachter vorgenommenen Abzug neu für alt in Höhe von 247,04 € bei der Beurteilung der Frage, ob die Bruttoreparaturkosten den Bruttowiederbeschaffungswert übersteigen, außer Betracht gelassen. Allein entscheidend sind die vom Schadensgutachter ermittelten Bruttoreparaturkosten und deren Verhältnis zum Bruttowiederbeschaffungswert.
Der Bundesgerichtshof stellt in ständiger Rechtsprechung bei dem Umfang des Schadensersatzes bei Kraftfahrzeughaftpflichtschäden und der Frage, ob die vom Sachverständigen kalkulierten Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen, auf die Bruttoreparaturkosten ab (vgl. BGH NJW 2009, 1340 m. w. N; Geigel aaO. Rdnr. 36). Die vom Sachverständigen S. ermittelten Bruttoreparaturkosten belaufen sich aber auf 21.246,11 €. Soweit der Sachverständige S. unter Berücksichtigung eines Abzugs neu für alt „korrigierte Reparaturkosten“ inklusive Mehrwertsteuer in Höhe von 20.999,07 € errechnet, handelt es sich nicht um die Bruttoreparaturkosten im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Die Bruttoreparaturkosten sind die Reparaturkosten inklusive Mehrwertsteuer, die anfallen, wenn unter Zugrundelegung der Feststellungen des Schadensgutachters das Fahrzeug repariert wird. Für die Reparatur des Fahrzeuges sind unter Zugrundelegung der Ausführungen des Sachverständigen S. aber Kosten inklusive Mehrwertsteuer in Höhe von 21.246,11 € und damit ein höherer Betrag als der Bruttowiederbeschaffungswert erforderlich. Bei dem vom Sachverständigen S. bei den „korrigierten Reparaturkosten“ vorgenommenen Abzug neu für alt handelt es sich lediglich um eine Vorteilsausgleichung, die bei der Berechnung eines Schadensersatzanspruchs automatisch – bei Vorliegen der Voraussetzungen – vorgenommen wird (vgl. Palandt, BGB, 76. Auflage, § 2017, Vorb. vor § 249 Rdnr. 67 ff.). Eine Verminderung der erforderlichen Bruttoreparaturkosten hat dieser Abzug neu für alt allerdings nicht zur Folge. Bei den vom Schadensgutachter festgestellten Bruttoreparaturkosten handelt es sich nicht nur um eine Zwischengröße, sondern um die voraussichtlichen Kosten, die für eine ordnungsgemäße Reparatur anfallen. Dass bei einer vorzunehmenden Reparatur aufgrund einer Wertverbesserung auch im Rahmen einer Vorteilsausgleichung ein Abzug neu für alt vorzunehmen wäre, spielt vorliegend bei der erfolgten fiktiven Abrechnung keine Rolle. Soweit die Berufung darauf abstellt, dass der Kläger lediglich Schadensersatz aufgrund einer konkret durchgeführten vollständigen Reparatur verlangen würde, wäre es dem Kläger unbenommen gewesen, die ihm tatsächlich entstandenen Reparaturkosten nach Vorlage der entsprechenden Rechnungen inklusive Mehrwertsteuer geltend zu machen. Diesen Weg einer konkreten Abrechnung ist er gerade nicht gegangen.
Aus diesen wesentlichen Gründen hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg, da das Erstgericht zutreffend die Klage abgewiesen hat.
II. Der Senat beabsichtigt außerdem, dem Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen und den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 7.679,26 € festzusetzen.
Auf die bei Berufungsrücknahme in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung auf die Hälfte (vgl. GKG KVNrn. 1220, 1222) wird vorsorglich hingewiesen.