Verkehrsrecht

Keine selbstständige Anfechtbarkeit einer MPU-Anordnung

Aktenzeichen  W 6 S 17.820

Datum:
22.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
VwGO VwGO § 123
VwGO § 44 a VwGO

 

Leitsatz

1. Die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach der Fahrerlaubnisverordnung stellt eine Verfahrenshandlung und keinen Verwaltungsakt dar und ist nicht selbständig angreifbar (ebenso BayVGH BeckRS 2017, 113691 Rn. 12). (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 44a VwGO schließt nicht nur isolierte Hauptsacherechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen aus, sondern auch Rechtsbehelfe im vorläufigen Rechtsschutz. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der bevollmächtigten Kanzlei wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der am …1999 geborene Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Aufforderung des Landratsamtes Miltenberg (Landratsamt) vom 10. Mai 2017, vor Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B (Begleitetes Fahren mit 17) ein Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung über die körperliche und geistige Eignung beizubringen.
Am 22. September 2016 führte der Antragsteller ein Kleinkraftrad im öffentlichen Straßenverkehr, obwohl er nur eine Prüfbescheinigung für ein Mofa hatte. Da er hierbei drogentypische Auffälligkeiten aufzeigte, wurde eine dem Antragsteller entnommene Blutprobe chemisch-toxikologisch untersucht. Der Befund war positiv auf Cannabinoide, es konnten 2,3 ng/ml THC, 0,5 ng/ml 11-OH-THC und 27,1 ng/ml THC-COOH nachgewiesen werden. Infolgedessen wurde der Antragsteller mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Obernburg vom 17. Januar 2017 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe in Höhe von 500 € verurteilt; zudem wurde ein Fahrverbot von einem Monat verhängt (Az: 2 Ds 207 Js 12485/16 jug). Im Rahmen des Strafverfahrens hatte der Antragsteller angegeben, im Sommer 2016 gelegentlich („zwei bis drei Mal“) Marihuana konsumiert zu haben. Die Verwirklichung des Ordnungswidrigkeitentatbestandes des fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges unter Drogeneinfluss trat hinter das vorsätzliche Fahren ohne Fahrerlaubnis zurück.
Am 20. April 2017 beantragte der Antragsteller beim Landratsamt die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B. Unter Verweis auf das Geschehen vom 22. September 2016 äußerte das Landratsamt Bedenken über die körperliche und geistige Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen und forderte ihn auf, bis zum 10. August 2017 ein entsprechendes Gutachten beizubringen. Mit Schreiben vom 7. Juli 2017 erklärte sich der Antragsteller damit einverstanden, dass die Begutachtung seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei der AVUS GmbH in Frankfurt am Main erfolgen soll.
Unabhängig davon wandte sich der Antragsteller, vertreten durch seinen gesetzlichen Vertreter, mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 4. August 2017 gegen die Aufforderung vom 10. August 2017 und ließ beantragen,
festzustellen, dass ein Widerspruch oder eine Klage des Antragstellers gegen das Schreiben des Antragsgegners vom 10. Mai 2017 aufschiebende Wirkung entfaltet,
hilfsweise den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller den begehrten Antrag vom 20. April 2017 auf Erteilung der Fahrerlaubnis ohne Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens über die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bis zum Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung über die Hauptsache zu erteilen.
Des Weiteren wurde beantragt,
dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der bevollmächtigten Kanzlei … … zu bewilligen.
Zur Begründung wurde vorgebracht, dass es sich bei dem Schreiben des Antragsgegners vom 10. Mai 2017, mit welchem die Vorlage eines Gutachtens einer Begutachtungsstelle für Fahreignung über die körperliche und geistige Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klasse B gefordert werde, zwar um ein vorgeschaltetes Verwaltungshandeln nach § 44 VwGO und nicht um einen Verwaltungsakt handle. Dennoch müsse dieses entsprechend der im Schrifttum vertretenen Ansicht selbstständig angefochten werden können, da die medizinisch-psychologische Untersuchung wegen ihrer Eingriffsintensität in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine Grundrechtsbeeinträchtigung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG darstelle. Überdies müsse die rechtliche Überprüfung auch deshalb möglich sein, da andernfalls derjenige, der sich die Kosten des MPU-Gutachtens nicht leisten könne, denknotwendig die Versagung bzw. den Verlust der Fahrerlaubnis riskiere. Der Eilantrag sei unter anderem nach § 80 Abs. 5 VwGO analog begründet, da sich aus der summarischen Prüfung ergebe, dass die Interessenlage des Antragstellers das öffentliche Interesse der Fahrerlaubnisbehörde, ein Gutachten vorzulegen, überwiege. Dem Antragsteller sei der Antrag auf Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B ohne die Anordnung der Beibringung eines Gutachtens zur Feststellung der körperlichen und geistigen Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu bewilligen, da er geeignet im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 StVG sei. Er sei bei dem Vorfall vom 22. September 2016 sehr wohl in Besitz einer Prüfbescheinigung gewesen. Darüber hinaus sei nicht zu erwarten, dass der Antragsteller zukünftig Kraftfahrzeuge unter Einfluss von Cannabis und deren Nachwirkungen führen würde. Der Antragsteller habe bisher keinen Führerschein besessen und sei ansonsten bisher verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Im Übrigen sei die am 22. September 2016 festgestellte Menge Cannabis in der entnommenen Blutprobe sehr gering gewesen. Mit Schriftsatz vom 21. August 2017 wurde die Argumentation zusätzlich vertiefend erläutert.
Der Antragsgegner beantragte,
der Antrag wird abgelehnt.
Er trägt zur Begründung vor, dass der Antrag unzulässig sei, da nach ständiger Rechtsprechung die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht isoliert anfechtbar sei. Es handele sich hierbei um eine Verfahrenshandlung nach § 44a VwGO und nicht um einen Verwaltungsakt. Dies gelte dementsprechend auch für das Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO. Überdies wäre der Antrag auch unbegründet, da keine Rechtsverletzung vorliege. Im Rahmen des Strafverfahrens habe der Antragsteller sämtliche Tatvorwürfe eingeräumt und außerdem angegeben, im Sommer 2016 gelegentlich Cannabis konsumiert zu haben. Er stehe daher zweifelsfrei als gelegentlicher Konsument von Cannabis fest.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist bereits unzulässig, da der Hauptantrag unstatthaft ist und dem Hilfsantrag das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Zudem wäre der Hilfsantrag auch unbegründet.
1. Soweit es um den Hauptantrag geht, ist der begehrte Eilrechtsschutz nicht statthaft. Denn der Antrag festzustellen, dass ein Widerspruch oder eine Klage des Antragstellers gegen das Schreiben des Antragsgegners vom 10. Mai 2017 aufschiebende Wirkung entfaltet, setzt jedenfalls voraus, dass ein Widerspruchsbzw. Klageverfahren gegen dieses Schreiben zulässig wäre, § 80 Abs. 1, Abs. 5 VwGO. Nachdem aber das Schreiben vom 10. Mai 2017 keine eigenständige behördliche Einzelfallregelung mit Außenwirkung darstellt und ihm folglich keine Verwaltungsaktsqualität gemäß Art. 35 BayVwVfG zukommt, fehlt es an der Statthaftigkeit des Antrags.
Zum einen geht der Antragsteller selbst davon aus, dass es sich bei der Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach der Fahrerlaubnisverordnung um eine Verfahrenshandlung nach § 44a VwGO und nicht um einen Verwaltungsakt nach Art. 35 BayVwVfG handelt (siehe Schriftsatz vom 4. August 2017). Es ist höchstrichterlich geklärt und entspricht ständiger Rechtsprechung, dass diese Aufforderung nicht selbständig angegriffen werden kann, sondern der Betroffene gegen die Sachentscheidung der Behörde, welche erst nach Vorlage bzw. Nichtvorlage des Gutachtens getroffen wird, vorzugehen hat. Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Mai 2017 (Az: 11 ZB 17.637, BeckRS 2017, 113691) hingewiesen. Aufgrund der Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) besteht auch für eine solche nach § 44a Satz 1 VwGO kein Raum (BayVGH, a.a.O., Rn. 12).
Daher kommt es nicht mehr darauf an, ob dem Antragsteller zudem das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, weil er ausweislich der Akte der verfahrensgegenständlichen Aufforderung noch vor Klageerhebung Folge geleistet hat.
2. Der Hilfsantrag ist ebenfalls unzulässig, da es dem Antragsteller am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Im Übrigen wäre der Antrag auch unbegründet, da weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund dargelegt wurde und es sich um eine Vorwegnahme der Hauptsache handeln würde.
Gemäß § 123 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
Vorliegend gibt es noch keine überprüfbare Entscheidung des Antragsgegners, da dieser über den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung der Fahrerlaubnis bisher nicht entschieden hat. Da die Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht selbstständig anfechtbar ist (siehe oben), hätte der Antragsteller vor Inanspruchnahme des gerichtlichen Rechtsschutzes die Entscheidung der Behörde abwarten müssen. Ihm fehlt folglich das Rechtsschutzbedürfnis. § 44a VwGO schließt nicht nur isolierte Hauptsacherechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen aus, sondern auch Rechtsbehelfe im vorläufigen Rechtsschutz. Ein auf die Inanspruchnahme vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes schützenswertes Interesse kann nur dann angenommen werden, wenn der Betroffene in nicht zumutbarer Weise auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann (Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 123 Rn. 35-37). Dafür, dass davon ausgegangen werden müsste, ist vorliegend nichts ersichtlich.
Im Übrigen wäre der Antrag auch unbegründet, da nicht dargelegt wurde, dass der Antragsteller einen Anspruch auf die begehrte Anordnung hat, ebensowenig wurde zur Dringlichkeit und damit dem Bestehen eines Anordnungsgrundes vorgetragen. Die beantragte Anordnung kann auch deshalb keinen Erfolg haben, weil sie zudem eine Vorwegnahme der Hauptsache darstellt, denn der Antragsteller begehrt die Voraberteilung einer Fahrerlaubnis. Die einstweilige Anordnung dient grundsätzlich nur der vorläufigen Sicherung, nicht aber (auch) der Befriedigung des geltend gemachten Rechts.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Bevollmächtigten Kanzlei (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121 ZPO) war aus o.g. Gründen mangels hinreichender Erfolgsaussichten abzulehnen. Im Übrigen fehlte es auch an der gemäß § 117 Abs. 4 ZPO zwingend erforderlichen formularmäßigen Auskunft über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die entgegen der Ankündigung des Prozessbevollmächtigten nicht vorgelegt wurden.
4. Gemäß § 154 Abs. 1 VwGO waren dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG Wegen der Höhe des Streitwerts folgt das Gericht den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 ( dort Nr. 46.3), da das Interesse des Antragstellers auf die Erteilung einer Fahrerlaubnis für die Klasse B (siehe Hilfsantrag) gerichtet ist und sich danach sein wirtschaftliches Interesse an dem Rechtsstreit zu bemessen hat. Unter Berücksichtigung der Empfehlung in Abschnitt 1.5 des Streitwertkatalogs war der Streitwert für das Sofortverfahren zu halbieren.

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