Aktenzeichen 11 CS 17.1489
FeV FeV § 11 Abs. 7, § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 46
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz
Hat der Antragsteller zur Frage eines Drogenkonsums widersprüchliche Angaben gemacht (hier: gegenüber der Polizei nach Bestreiten bejaht; nachfolgend dann eidesstattliche Versicherung, er habe nur “flapsig” einen Spaß machen wollen), steht nicht iSd § 11 Abs. 7 FeV fest, dass er tatsächlich Betäubungsmittel konsumiert hat. Da aber Tatsachen vorliegen, die die Annahme begründen, dass er Betäubungsmittel einnimmt oder eingenommen hat, ist die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens nach § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FeV anzuordnen. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 7 S 17.842 2017-07-11 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsgegner wendet sich gegen die Wiederherstellung und Anordnung der Klage des Antragstellers gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A und B (einschließlich Unterklassen).
Mit Schreiben vom 18. März 2017 teilte die Polizeiinspektion München dem Landratsamt Günzburg (im Folgenden: Landratsamt) mit, der Antragsteller sei drogenauffällig geworden. Bei einer verdachtsunabhängigen Kontrolle am 18. März 2017 um 7.50 Uhr seien bei ihm deutliche Anzeichen für einen frischen Konsum von Amphetaminen festgestellt worden. Seine Bindehäute seien auffällig wässrig und stark gerötet gewesen, d.h. es sei eine Vielzahl von Äderchen im Auge geplatzt und die Bindehäute tellerförmig geweitet gewesen. Trotz Tageslichts sei von der Iris fast nichts zu sehen gewesen und die Pupillen hätten auf Prüfreiz keinerlei Reaktion gezeigt. Bei einer Durchsuchung seien zwar keine Betäubungsmittel gefunden worden, der Antragsteller habe aber den Konsum von Amphetamin eingeräumt. Einen angebotenen Drogenschnelltest habe er abgelehnt.
Nach Anhörung entzog ihm das Landratsamt mit Bescheid vom 22. Mai 2017 die Fahrerlaubnis aller Klassen und ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds die unverzügliche Vorlage des Führerscheins sowie die sofortige Vollziehung an. Der Antragsteller sei ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, da er harte Drogen konsumiere.
Über die gegen den Bescheid vom 22. Mai 2017 erhobene Klage (Az. Au 7 K 17.841) hat das Verwaltungsgericht Augsburg nach Aktenlage noch nicht entschieden. Dem Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gab das Verwaltungsgericht statt. Es stehe nicht fest, dass der Antragsteller Betäubungsmittel konsumiert habe. Er habe eidesstattlich versichert, dass er zum Zeitpunkt der Kontrolle nicht unter Drogeneinfluss gestanden habe. Er habe zugestanden, dass er alkoholisiert gewesen sei und flapsige Bemerkungen gegenüber den Polizeibeamten gemacht habe. Die vom Landratsamt nach Bescheiderlass nachgeforderten Unterlagen von der Polizei könnten nicht verwertet werden, da es auf den Kenntnisstand zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids ankomme. Sie belegten aber, dass das Landratsamt selbst Zweifel gehabt habe, ob der Antragsteller ungeeignet sei und würden obendrein einen Konsum ebenfalls nicht zweifelsfrei belegen.
Dagegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde, der der Antragsteller entgegentritt. Der Antragsgegner macht geltend, es stehe fest, dass der Antragsteller ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei, da er einen Drogenkonsum selbst eingeräumt habe und drogentypische Anzeichen festgestellt worden seien. Bei der vermeintlichen Alkoholisierung handele es sich um eine Schutzbehauptung. Alkoholkonsum führe auch nicht zu einer Pupillenerweiterung. Alkoholtypische Auffälligkeiten seien von den Polizeibeamten nicht festgestellt worden. Die „Eidesstattliche Versicherung“ sei ebenfalls nicht glaubhaft. Demgegenüber bestünden keine Zweifel an der Richtigkeit der polizeilichen Sachverhaltsschilderung. Selbst wenn man die Erfolgsaussichten der Klage als offen ansehen würde, käme es nicht in Frage, den Antragsteller vorübergehend am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Die Auffälligkeiten in den Jahren 2009 und 2010 zeigten, dass der Antragsteller eine Gefahr darstelle.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten in beiden Instanzen verwiesen.
II.
Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der angefochtene Bescheid rechtmäßig wäre oder die Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausfallen müsste.
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. Mai 2017 (BGBl I S. 1214), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. Dezember 2016 (BGBl I S. 3083), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV ist die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anzuordnen, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt. Nach § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht.
2. Im vorliegenden Fall ist das Verwaltungsgericht nach summarischer Prüfung zutreffend davon ausgegangen, dass die Nichteignung des Antragstellers nicht nach § 11 Abs. 7 FeV feststeht, sondern dass nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV ein ärztliches Gutachten angeordnet werden muss. Es spricht zwar vieles dafür, dass der Antragsteller bei der polizeilichen Kontrolle unter Einfluss von Amphetaminen gestanden hat, da bei ihm drogentypische Auffälligkeiten festgestellt worden sind und er vor der Polizei widersprüchliche Angaben zu seinem Drogenkonsum gemacht hat. Nach der vom Landratsamt nachgeforderten Sachverhaltsergänzung der Polizeiinspektion München vom 14. Juni 2017 habe der Antragsteller bei der Kontrolle zuerst abgestritten, Betäubungsmittel konsumiert zu haben. Dann habe er angegeben, er habe vielleicht etwas konsumiert. Erst später habe er geäußert, er habe Amphetamin konsumiert. Der Antragsteller hat demgegenüber nunmehr mit einer „Eidesstattlichen Versicherung“ vor dem Verwaltungsgericht erklärt, er habe zum Zeitpunkt der Kontrolle nicht unter Betäubungsmitteleinfluss gestanden und habe flapsige Bemerkungen gegenüber den Polizeibeamten getätigt, um von diesen in Ruhe gelassen zu werden und seinen Zug erreichen zu können. Er sei alkoholisiert gewesen und könne sich nicht erinnern, die Einnahme von Amphetaminen zugegeben zu haben. Ein Drogenvortest ist nicht durchgeführt worden.
Dem Antragsgegner ist zwar zuzugeben, dass die Angaben des Antragstellers teilweise nicht ganz nachvollziehbar sind. Gleichwohl hat er aber nach der Sachverhaltsergänzung vom 14. Juni 2017 schon vor der Polizei widersprüchliche Angaben gemacht und wurde nicht als Beschuldigter vernommen, sondern nur informatorisch befragt. Mit diesen widersprüchlichen Angaben des Antragstellers steht nicht i.S.d. § 11 Abs. 7 FeV fest, dass er tatsächlich Betäubungsmittel konsumiert hat, sondern es liegen nur Tatsachen vor, die die Annahme begründen, dass er Betäubungsmittel einnimmt oder eingenommen hat (vgl. zu einem Fall des § 11 Abs. 7 FeV BayVGH, B.v. 26.9.2016 – 11 CS 16.1649 – juris Rn. 9 f.). Dies hat zwingend die Anordnung der Vorlage eines ärztlichen Gutachtens nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV mit der entsprechenden Fragestellung zur Folge.
3. Selbst wenn man die Erfolgsaussichten der Klage als offen ansehen würde, fiele die Interessenabwägung zu Gunsten des Antragstellers aus. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners kann bei der Interessenabwägung die Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 und 3 StVG vom 3. Mai 2009, rechtskräftig geahndet am 13. Juni 2009, nicht mehr berücksichtigt werden. Diese Ordnungswidrigkeit wird zwar nach der Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 StVG bis zum Ablauf des 30. April 2019 nach den Bestimmungen des § 29 StVG in der bis zum Ablauf des 30. April 2014 anwendbaren Fassung getilgt und gelöscht. Nach § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 3 StVG gilt Satz 1 für Entscheidungen wegen Ordnungswidrigkeiten nach § 24a StVG aber mit der Maßgabe, dass sie spätestens fünf Jahre nach Rechtskraft der Entscheidung getilgt werden. Die Ordnungswidrigkeit vom 3. Mai 2009 war daher am 13. Juni 2014 zu tilgen und kann dem Antragsteller nicht mehr entgegengehalten werden.
Im Übrigen ist aus der Behördenakte nicht ersichtlich, dass der Antragsteller nach Wiedererteilung der Fahrerlaubnis im Jahr 2012 weitere Verkehrsverstöße begangen hat.
4. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, Anh. § 164 Rn. 14).
6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).