Verkehrsrecht

Problematik des merkantilen Minderwertes und Klageänderung nach Hinweis gemäß § 522 ZPO

Aktenzeichen  21 U 3761/19

Datum:
20.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 6064
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 826
ZPO § 139, § 522 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Auf einen in zweiter Instanz gestellten Hilfsantrag kommt es nicht an, wenn die insoweit erfolgte Klageerweiterung aufgrund der Berufungszurückweisung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO wirkungslos ist.  (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Verlangt der Käufer eines VW mit einem Motor des Typs EA 189 aus Deliktsrecht die Erstattung eines merkantilen Minderwerts und beantragt nach Klageabweisung durch das Eingangsgericht und Hinweis auf eine beabsichtigte Zurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO hilfsweise die Rückabwicklung, so kann diese Klageänderung wirkungslos bleiben. (Rn. 15 – 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

11 O 5352/18 2019-03-13 Urt LGMUENCHENII LG München II

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 13.03.2019, Aktenzeichen 11 O 5352/18, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München II ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 6.968,75 € festgesetzt.

Gründe

I.
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die der Kläger gegen die Beklagte als Herstellerin eines Fahrzeugs geltend macht, in dessen Motor der Kennung EA 189 eine abgasbeeinflussende Software verbaut worden ist.
Der Kläger erwarb am 11.02.2015 vom Auto R. GmbH & Co KG in F. einen gebrauchten PKW VW Tiguan 2.0 l zum Preis von 19.900,00 Euro, Anlage K 1.
In dem Fahrzeug war eine Motorgerätesoftware verbaut, durch welche die Stickoxydwerte (NOx) im Vergleich zwischen Prüfstandlauf (NEFZ) und realem Fahrbetrieb verschlechtert werden. Ein Software-Update wurde zwischenzeitlich aufgespielt Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte sei im Rahmen eines deliktischen Schadensersatzanspruches verpflichtet, der Klägerseite einen durch die Abgasmanipulation entstandenen merkantilen Minderwert des Fahrzeugs in Höhe von mindestens 25% des Kaufpreises zu erstatten. Das Aufspielen eines Softwareupdates stelle keinen sachgemäßen Versuch dar, den Mangel zu beheben. Die Beklagten habe sittenwidrig gehandelt, es bestehe daher ein Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB. Er hätte das Fahrzeug nicht gekauft, wenn er von dem Mangel Kenntnis gehabt hätte.
Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger habe keinen Schaden erlitten. Die Klage sei bereits deshalb abzuweisen, weil er im Falle eines Schadens sowieso nur das negative Interesse verlangen könne. Einen Anspruch auf Rückabwicklung mache er aber nicht geltend. Der Feststellungsantrag sei bereits unzulässig.
Wegen der festgestellten Tatsachen und weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verweisen, § 540 ZPO.
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 13.03.2019 abgewiesen mit der Begründung, beide Anträge seien bereits unzulässig, aber jedenfalls auch unbegründet. Der Leistungsantrag sei unbeziffert. Der Kläger begehre eine Erstattung des merkantilen Minderwerts, dessen Erstattung im Rahmen deliktischer Ansprüche nicht geschuldet sei.
Dagegen richtet sich die vom Kläger eingelegte Berufung, mit der er seine erstinstanzlich gestellten Anträge vollumfänglich weiter verfolgt. Der Feststellungsantrag sei zulässig, die Bezeichnung der manipulierenden Software sei genau genug. Zumindest hätte das Landgericht auf seine Zulässigkeitsbedenken hinweisen müssen. Das Landgericht habe auch rechtsfehlerhaft den geltend gemachten Schadensersatzanspruch verneint. Der merkantile Minderwert stelle eine Grundlage für die Schadensberechnung dar. Bei einem Vergleich der Vermögenslagen sei zu berücksichtigen, dass das Fahrzeug ohne die Abschalteinrichtung einen deutlich höheren Wert hätte. Die Unterscheidung zwischen positivem und negativem Interesse spiele nur bei vertraglichem oder vertragsähnlichem, aber nicht bei deliktischem Schadensersatz eine Rolle. Im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung vom 08.08.2019, Bl. 268/280 d.A. Bezug genommen.
Mit der Berufung beantragte der Kläger:
1. Das Urteil des Landgerichts München II vom 13.03.2019 (Az. 11 O 5352/18) wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Schadensersatz in Höhe von mindestens 25% des Kaufpreises des Fahrzeugs 19.900,00 €, mindestens somit 4.975,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klagepartei über den Betrag aus Hauptantrag zu 1) hinausgehenden Schadensersatz für weitere Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs, …25, mit der manipulierenden Motorsoftware resultieren, zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 1.348,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5%Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
Mit Hinweisbeschluss vom 04.12.2019 hat der Senat darauf hingewiesen, dass die Berufung ohne Aussicht auf Erfolg ist.
Die Klagepartei hat daraufhin mit Schriftsatz vom 16.12.2019 folgende Anträge gestellt:
1. Das Urteil des Landgerichts München II vom 13.03.2019 (Az. 11 O 5352/18) wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Schadensersatz in Höhe von mindestens 25% des Kaufpreises des Fahrzeugs 15.400,00 €, mindestens somit 3.850,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
Hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des Antrags zu 2):
(1) Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs Fahrzeug-Identifikationsnummer …25 an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von EUR 19.900,00 nebst Zinsen in Höhe von 5%Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
(2) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Zinsen in Höhe von 4% aus EUR 19.900,00 seit dem 11.02.2015 bis zu Beginn der Rechtshängigkeit zu zahlen.
(3) Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in dem Antrag zu 2) genannten Zugum-Zug-Leistung in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 1.348,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5%Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
Weiter hat er die Zulassung der Revision beantragt und hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit der Klageänderung die ursprünglichen Klageanträge aufrecht erhalten.
Die Beklagte ist der Klageänderung entgegen getreten.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 13.03.2019 (Az. 11 O 5352/18) ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Insbesondere ist die hier streitgegenständliche Frage der Erstattungsfähigkeit des merkantilen Minderwerts im Deliktsrecht bereits höchstrichterlich geklärt, so dass für die beantragte Zulassung der Revision kein Anlass besteht.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 04.12.2019 Bezug genommen. Mit dem Schriftsatz vom 16.12.2019 ist die Klagepartei den Ausführungen im Hinweisbeschluss nicht entgegen getreten, sondern hat die Klage geändert, und mit Schriftsatz vom 30.12.2019 ist sie der von der Beklagten behaupteten Verjährung des nunmehr geltend gemachten Anspruches entgegen getreten.
Auf den erst in zweiter Instanz gestellten Hilfsantrag der Klägerin kommt es für die Entscheidung nicht an, weil die insoweit erfolgte Klageerweiterung aufgrund der Berufungszurückweisung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO wirkungslos ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10.06.2015, IV ZR 366/14, Beschluss vom 6. November 2014 – IX ZR 204/13). Dies gilt auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 533, 264 Nr. 2 oder 3 ZPO (vgl. z.B. die Anmerkungen Bub zu NJW 2016, 2058; OLG Nürnberg, Beschluss vom 23.06.2006, Az. 2 U 759/06). Es kommt daher hier auch nicht darauf an, ob die Änderung des Leistungsantrags von Erstattung des merkantilen Minderwerts auf Rückabwicklung des Kaufvertrags eine „echte“ Klageänderung nach § 263 ZPO oder „nur“ eine Änderung nach § 264 ZPO ist.
Etwas anderes gilt – ausnahmsweise – nur dann, wenn der Senat mit dem Hinweisbeschluss erstmals Hinweise erteilt hat, auf die mit einer Antragsmodifizierung reagiert wird. Der Bundesgerichtshof hat hierzu in seinem Beschluss vom 10.03.2016, Az. VII ZR 47/13 ausgeführt:
Hinsichtlich von Amts wegen zu berücksichtigender Punkte sieht § 139 Abs. 3 ZPO ausdrücklich eine Hinweispflicht vor, die auch für das Berufungsgericht gilt, § 525 Satz 1 ZPO. Erachtet das Berufungsgericht die Klage entgegen der Auffassung des Erstgerichts für unzulässig, so muss es den Kläger hierauf hinweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2012 – IV ZR 188/12, Rn. 11 m.w.N.). Darüber hinaus muss das Berufungsgericht dem Kläger jedenfalls dann Gelegenheit geben, auf einen solchen Hinweis in der Berufungsinstanz durch eine Antragsmodifizierung zu reagieren (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2009 – IX ZR 95/06, NJW-RR 2010, 70 Rn. 5), wenn der vom Berufungsgericht erteilte Hinweis deshalb geboten war, weil das Erstgericht einen gegenteiligen Hinweis erteilt und dadurch die erstinstanzliche Antragstellung veranlasst hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2009 – IX ZR 95/06, NJW-RR 2010, 70 Rn. 5). Denn sonst würde der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör in Verbindung mit dem Recht auf wirkungsvollen Rechtsschutz unzulässig eingeschränkt. Bei einer solchen Verfahrenskonstellation ist es dem Berufungsgericht ausnahmsweise verwehrt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und dadurch eine – als Reaktion auf den Hinweis des Berufungsgerichts erfolgte – Klageerweiterung für wirkungslos zu erachten.
Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor: Die Klageänderung nimmt den Hinweis des Senats auf, dass bei deliktischen Schadensersatzansprüchen ein merkantiler Minderwert regelmäßig nicht zu erstatten ist. Dieser Hinweis war aber nicht neu, sondern war bereits Gegenstand der erstinstanzlichen Erörterungen. So hatte die Beklagte in ihrer Klageerwiderung, dort S. 44 (Bl. 44 d.A.), auf die Problematik hingewiesen und der Kläger mit Schriftsatz vom 12.03.2019, dort S. 3 f (Bl. 187 d.A.) dazu Stellung genommen. Spätestens mit der Urteilsbegründung wies auch das Landgericht auf die Problematik des merkantilen Minderwerts hin. Eine Antragserweiterung/-änderung hätte damit in erster Instanz, allenfalls noch mit der Berufungsbegründung erfolgen müssen.
Nach alledem war die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Die Klageänderung ist wirkungslos.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.

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