Verkehrsrecht

Rücknahme der Entziehung der Fahrerlaubnis bei gelegentlichem Cannabiskonsum

Aktenzeichen  11 CE 19.1480

Datum:
17.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27423
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 14 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 Nr. 1, § 20 Abs. 1, Abs. 2
StVG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 5, § 3 Abs. 1 S. 1, § 28 Abs. 3 Nr. 6 lit. a, § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. b
VwGO § 123
BayVwVfG Art. 48 Abs. 1 S. 1, Art. 51 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Ist einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten entgegen der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Fahrerlaubnis beim ersten Verstoß gegen das Trennungsgebot entzogen worden, so hat die Fahrerlaubnisbehörde nunmehr auf Antrag des Betroffenen im Ermessen über die Rücknahme der Fahrerlaubnisentziehung zu entscheiden. Dabei ist das Rücknahmeermessen regelmäßig nicht auf Null reduziert, da die Entziehung zum Zeitpunkt ihres Erlasses nicht offensichtlich rechtswidrig war. (Rn. 21)

Verfahrensgang

M 26 E 19.2187 2019-07-04 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Rahmen eines Verfahrens nach § 123 VwGO die vorläufige Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B.
Mit Bescheid vom 19. April 2011 entzog ihm das Landratsamt München (im Folgenden: Landratsamt) die Fahrerlaubnis, weil er am 16. Januar 2011 mit einem Gehalt von 2,6 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) im Blut mit einem Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teilgenommen hatte. Weitere Vorfälle lassen sich den vorgelegten Behördenakten nicht entnehmen.
Am 12. Mai 2011 legte der Antragsteller das Ergebnis einer Haaranalyse vor, mit dem bestätigt wurde, dass keine Drogenrückstände festgestellt werden konnten, mithin seit zwei Monaten keine Drogen konsumiert worden seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. August 2011 wies die Regierung von Oberbayern den Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. April 2011 zurück. Klage hat der Antragsteller nach Aktenlage damals nicht erhoben.
Am 17. Januar 2019 beantragte der Antragsteller beim Landratsamt die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B. Aus der eingeholten Auskunft aus dem Fahreignungsregister vom 1. Februar 2019 ergibt sich, dass die unanfechtbare Entziehung der Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 19. April 2011, bestandskräftig seit 13. September 2011, noch eingetragen ist. Als Grund ist „321 – Neigung zu Rauschgiftsucht“ genannt.
Mit Schreiben vom 27. März 2019 forderte ihn das Landratsamt daraufhin zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bis 29. Juli 2019 auf. Ihm sei mit Bescheid vom 19. April 2011 wegen eines Verstoßes gegen das Trennungsgebot die Fahrerlaubnis entzogen worden. Es sei daher nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2. der Anlage 4 zur FeV zu prüfen, ob er zukünftig ein fahrerlaubnispflichtiges Fahrzeug unter Einfluss von Cannabis führen werde.
Mit Schriftsatz vom 23. April 2019 beantragte der Antragsteller beim Landratsamt, den Bescheid vom 19. April 2011 bis 30. April 2019 zurückzunehmen und ihm seine Fahrerlaubnis wieder auszuhändigen. Der Bescheid sei nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtswidrig.
Nachdem das Landratsamt darauf nicht reagierte, erhob der Antragsteller am 7. Mai 2019 Klage auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis und stellte am 8. Mai 2019 einen Antrag nach § 123 VwGO, mit dem er die Erteilung einer vorläufigen Fahrerlaubnis begehrt. Der Antragsteller macht geltend, im Jahr 2011 habe ein Fall des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV vorgelegen. Erst bei einer zweiten Ordnungswidrigkeit hätte zwingend eine MPU verlangt werden können.
Im Eilverfahren nahm das Landratsamt mit Schriftsatz vom 15. Mai 2019 Stellung und lehnte die Rücknahme des Bescheids vom 19. April 2011 ab. Der Bescheid sei bei Erlass nicht rechtswidrig gewesen i.S.d. Art. 48 BayVwVfG. Nach damaliger Rechtslage sei der Antragsteller fahrungeeignet und die Fahrerlaubnis daher zu entziehen gewesen. Ein Ermessen habe der Fahrerlaubnisbehörde nicht zugestanden. Deshalb sei jetzt zwingend ein Fahreignungsgutachten zu verlangen.
Das Verwaltungsgericht München lehnte den Eilantrag mit Beschluss vom 4. Juli 2019 ab. Der Antragsteller habe das Bestehen eines Anordnungsgrunds und eines Anordnungsanspruchs nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Er habe weder einen Anspruch auf Aufhebung des Entziehungsbescheids noch auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Ein Anspruch auf Rücknahme des Entziehungsbescheids im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens bestehe nicht, da der Antragsteller nur einen Anspruch darauf habe, dass das Landratsamt ermessensfehlerfrei über seinen Rücknahmeantrag entscheide. Eine Ermessensreduzierung auf Null liege nicht vor. Der Bescheid sei nicht offensichtlich rechtswidrig, da alle Oberverwaltungsgerichte bis zum Jahr 2016 die Rechtsauffassung vertreten hätten, dass bei der ersten Ordnungswidrigkeit unter Cannabiseinfluss die Fahrerlaubnis zu entziehen sei. Er habe auch keinen Anspruch auf Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis, da das Landratsamt zu Recht ein Gutachten nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV gefordert habe. Die Entziehungsentscheidung sei im Fahreignungsregister eingetragen und noch nicht zu tilgen. Sie sei daher heranzuziehen, da die Tilgungsfristen nicht unterlaufen werden könnten. Zudem würden auch Zweifel an der Befähigung des Antragstellers vorliegen, da er seit acht Jahren keine Fahrerlaubnis mehr besitze und zuvor nur zweieinhalb Jahre im Besitz einer Fahrerlaubnis gewesen sei.
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt. Er legt eine Bestätigung seines derzeitigen Arbeitgebers vor, mit der ausgeführt wird, er verliere seine Beschäftigung, wenn er bis Ende September 2019 nicht über eine Fahrerlaubnis verfüge. Es bestehe auch ein Anordnungsanspruch. Der bestandskräftige Entziehungsbescheid sei nach der neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtswidrig und daher aufzuheben und parallel sei ihm aufgrund seines Antrags vom 17. Januar 2019 eine Fahrerlaubnis zu erteilen. Das Verwaltungsgericht habe den Anwendungsbereich von § 49 VwVfG verkannt, dieser könne nämlich auch auf ursprünglich rechtswidrige Verwaltungsakte angewendet werden. Hier liege ein Widerrufsgrund vor, da nach Erlass des Entziehungsbescheids Tatsachenänderungen eingetreten seien, die den erneuten Erlass eines solchen Bescheids rechtswidrig machen würden. Dies sei durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfolgt. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG habe der Antragsgegner über die Aufhebung und Änderung des Bescheids neu zu entscheiden. Er müsse den Entziehungsbescheid aufheben. Der Antragsteller lebe seit dem Jahr 2011 abstinent. Nicht verständlich seien die Ausführungen zur Eintragung des Entziehungsbescheids im Fahreignungsregister. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt könne auch nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG keine Berücksichtigung finden, selbst wenn er eingetragen sei. Nur bei wiederholten Zuwiderhandlungen müsse zwingend eine Begutachtung angeordnet werden. Hier hätte die Behörde wegen der Verkehrsordnungswidrigkeit ein Gutachten im Ermessenswege anordnen können, dies habe sie aber nicht getan und könne sie jetzt auch nicht mehr nachholen. Zweifel an der Fahrbefähigung bestünden nicht.
Der Antragsgegner macht demgegenüber geltend, es stehe nicht fest, ob der Entziehungsbescheid rechtswidrig sei, denn es sei nicht klar, ob der Antragsteller fahrungeeignet gewesen sei. Durch die Bestandskraft des Entziehungsbescheids sei die diesbezügliche Darlegungslast des Antragsgegners entfallen. Eine Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich der Aufhebung des Bescheids bestehe nicht.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, hat keinen Erfolg. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern wäre.
1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile, Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
Anordnungsgrund und -anspruch sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Ist der Antrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, sind an die Glaubhaftmachung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt dann nur in Betracht, wenn ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Antragsteller ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten.
Hiervon ausgehend hat der Antragsteller jedenfalls das Bestehen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht, denn es steht ihm bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage kein Anspruch auf Erteilung einer (vorläufigen) Fahrerlaubnis zu.
2. Soweit der Antragsteller geltend macht, der Entziehungsbescheid vom 19. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. August 2011 müsse aufgehoben werden, da er nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtswidrig sei, kann er damit nicht durchdringen. Zum einen ist dieses Begehren nicht Streitgegenstand der erhobenen Klage und auch nicht des vorliegenden Verfahrens nach § 123 VwGO, denn in diesen Verfahren hat der Antragsteller die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis beantragt. Es würde auch kein Rechtsschutzbedürfnis daran bestehen, gleichzeitig die Aufhebung des Entziehungsbescheids sowie die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis zu verlangen, sondern dies könnte allenfalls in Form eines Haupt- und Hilfsantrags geltend gemacht werden. Im Falle einer Rücknahme des Entziehungsbescheids würde die erloschene Fahrerlaubnis (§ 46 Abs. 6 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13.12.2010 [Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980], zuletzt geändert durch Verordnung vom 2.10.2019 [BGBl I S. 1416]) wieder bestehen und die Erteilung einer weiteren Fahrerlaubnis wäre deshalb weder möglich noch notwendig.
Unabhängig davon ist das Verwaltungsgericht aber auch zutreffend davon ausgegangen, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß Art. 51 Abs. 1 BayVwVfG hat, denn Wiederaufnahmegründe sind nicht ersichtlich. Die Änderung der Rechtsprechung bei unverändert gebliebener Rechtslage stellt regelmäßig keinen Grund zur Wiederaufnahme des Verfahrens i.S.d. Art. 51 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG dar (vgl. BVerwG, U.v. 20.11.2018 – 1 C 23.17 – NVwZ-RR 2019, 170 = juris Rn. 17; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 51 Rn. 104 ff.).
Weiter ist das Verwaltungsgericht auch zutreffend davon ausgegangen, dass über die mit Schriftsatz vom 23. April 2019 beantragte Rücknahme des Entziehungsbescheids gemäß Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG im Ermessen zu entscheiden ist, da sich die Fahrerlaubnisentziehung als rechtswidrig erweist. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV ist bei einer erstmaligen Fahrt unter Cannabiseinfluss, die als Ordnungswidrigkeit geahndet wird, eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht gerechtfertigt, sondern es sind Aufklärungsmaßnahmen in Form einer Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens im Ermessen möglich (vgl. BVerwG, U.v. 11.4.2019 – 3 C 13.17 – VkBl 2019, 448 amtlicher Leitsatz). Soweit der Antragsgegner meint, die Entziehung sei gleichwohl rechtmäßig, weil nicht feststehe, ob der Antragsteller zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses ungeeignet gewesen sei, da ein Gutachten nicht eingeholt worden sei, kann dem nicht gefolgt werden. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Juni 2019 (BGBl I S. 846), § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber als ungeeignet erweist. Voraussetzung für die Verneinung der Fahreignung im Falle eines erstmaligen Verstoßes gegen das Trennungsgebot ist die Prognose, dass der Betreffende auch künftig nicht zwischen einem seine Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigenden Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen wird. Damit diese Prognose auf eine tragfähige tatsächliche Grundlage gestützt werden kann, ist in der Regel die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erforderlich (BVerwG a.a.O. Rn. 24). Hat die Behörde die gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV gebotene Ermessensentscheidung über die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht getroffen, erweist sich die angefochtene Fahrerlaubnisentziehung als rechtswidrig (BVerwG a.a.O. Rn. 36). Auch der Eintritt der Bestandskraft des Entziehungsbescheids führt nicht dazu, dass die Prognose nunmehr auf einer tragfähigen tatsächlichen Basis beruhen würde, sondern bewirkt nur, dass die Behörde und die Beteiligten grundsätzlich an die im Verwaltungsakt getroffene Regelung gebunden sind (Schwarz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Auflage 2016, § 43 VwVfG Rn. 24), wobei sich die Bindungswirkung regelmäßig nur auf den Entscheidungssatz und nicht auf die Gründe oder sonstige Vorfragen bezieht (Schwarz a.a.O.).
Dem Verwaltungsgericht ist auch darin zu folgen, dass eine Ermessensreduzierung auf Null hier nicht vorliegt, da der Entziehungsbescheid zum Zeitpunkt seines Erlasses nicht offensichtlich rechtswidrig war (vgl. BVerwG, U.v. 17.1.2007 – 6 C 32.06 – juris Rn. 15) und seine Aufrechterhaltung nicht schlechthin unerträglich wäre (Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 48 Rn. 85). Bis ins Jahr 2016 sind das Bundesverwaltungsgericht sowie alle Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe davon ausgegangen, dass die Fahrerlaubnis bei einem erstmaligen Verstoß gegen das Trennungsgebot der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV nach § 11 Abs. 7 FeV zu entziehen ist. Zum Zeitpunkt des Erlasses entsprach der Entziehungsbescheid daher der herrschenden Meinung. Auch im Übrigen ist eine Ermessensreduzierung auf Null bezogen auf den vorliegenden Einzelfall nicht gegeben. Zwar ist über die allgemein zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (vgl. Sachs a.a.O. § 48 Rn. 77) hinaus zugunsten des Antragstellers zu berücksichtigen, dass die der Entziehung der Fahrerlaubnis zugrunde liegende Ordnungswidrigkeit aus dem Fahreignungsregister getilgt ist und die Anordnung eines Eignungsgutachten daher nicht mehr rechtfertigen könnte und die Eintragung der rechtswidrigen Fahrerlaubnisentziehung im Fahreignungsregister bis zur Tilgung gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b StVG im Jahr 2021 eine Belastung für den Antragsteller darstellen kann. Zu seinen Lasten ist jedoch auch zu beachten, dass nach über acht Jahren ohne Fahrerlaubnis und angesichts des kurzen Zeitraums des Innehabens einer Fahrerlaubnis von nur zweieinhalb Jahren erhebliche Bedenken bestehen, ob er noch hinreichend befähigt ist, ein Kraftfahrzeug zu führen. Es obliegt daher dem Antragsgegner, im Rahmen ermessensgerechter Abwägung der widerstreitenden Interessen ordnungsgemäß über die Rücknahme des Entziehungsbescheids zu entscheiden.
3. Es steht dem Antragsteller auch kein Anspruch auf Erteilung einer Fahrerlaubnis nach § 20 Abs. 1 FeV i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 StVG zu, denn er hat seine Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht nachgewiesen. Nach § 20 Abs. 2 FeV muss die Fahrerlaubnisbehörde eine Fahrerlaubnisprüfung anordnen, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt. Dabei ist im Wege einer Gesamtschau eine umfassende Würdigung des Einzelfalls vorzunehmen, bei der sowohl die für als auch die gegen die Erfüllung der betreffenden Erteilungsvoraussetzung sprechenden tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen und abzuwägen sind. Dazu gehört auch und in erster Linie die Zeitdauer einer fehlenden Fahrpraxis (BVerwG, U.v. 27.10.2011 – NJW 2012, 696 = juris Rn. 11). Solche Tatsachen liegen hier nach so langer Zeit ohne den Besitz einer Fahrerlaubnis aber vor (vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2015 – 11 CE 15.1217 – juris).
4. Soweit der Antragsteller geltend macht, die Fahrerlaubnis sei ihm ohne Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung zu erteilen, da nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV nur bei wiederholten Zuwiderhandlungen zwingend die Beibringung eines solchen Gutachtens anzuordnen sei, trifft dies ersichtlich nicht zu. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV ist auch dann ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen, wenn die Fahrerlaubnis aus einem der in § 14 Abs. 1 FeV genannten Gründe durch die Fahrerlaubnisbehörde oder ein Gericht entzogen war. Mit dieser Vorschrift setzt sich der Antragsteller auch nicht ansatzweise auseinander, sondern führt nur aus, zum Zeitpunkt der Fahrerlaubnisentziehung sei versäumt worden, ein Gutachten nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV einzuholen und dies könne nicht mehr nachgeholt werden.
Dass die Tilgungsvorschrift des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. b StVG bei einem rechtswidrigen Verwaltungsakt keine Anwendung findet, so wie der Antragsteller ohne weitere Begründung vorträgt, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen und würde dem Antragsteller auch keinen Vorteil bringen. Auch wenn er damit vielleicht zum Ausdruck bringen wollte, dass nach seiner Auffassung eine rechtswidrige Fahrerlaubnisentziehung nicht im Fahreignungsregister eingetragen werden könne, kann dies seiner Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Nach § 28 Abs. 3 Nr. 6 Buchst. a StVG werden unanfechtbare oder sofort vollziehbare Entziehungen, Widerrufe oder Rücknahmen einer Fahrerlaubnis im Fahreignungsregister eingetragen. Auf die Rechtmäßigkeit kommt es danach ersichtlich nicht an.
5. Das Verwaltungsgericht wird im Hauptsacheverfahren aber zu prüfen haben, ob vom Antragsteller eine medizinisch-psychologische Untersuchung zu verlangen ist. Dabei ist zu untersuchen, ob die im Jahr 2011 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV aus den in § 14 Abs. 1 FeV genannten Gründen erfolgt ist. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder die Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen an, dass ein ärztliches Gutachten (§ 11 Abs. 2 Satz 3) beizubringen ist, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass 1. Abhängigkeit von Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen, 2. Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder 3. missbräuchliche Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen vorliegt. Dabei ist Nr. 2 bei der Einnahme von Cannabis verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass zusätzlich zur gelegentlichen Einnahme von Cannabis noch das fehlende Trennungsvermögen hinzukommen muss (vgl. mit ausführlichen Erläuterungen Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 14 FeV Rn. 14). Das Verwaltungsgericht wird sich deshalb damit auseinander setzen müssen, welche Auswirkungen die bestandskräftige, aber rechtswidrige Entziehung der Fahrerlaubnis auf das Wiedererteilungsverfahren hat. Zum einen könnten auch die genannten Gründe der Entziehung unabhängig von ihrem tatsächlichen damaligen Vorliegen an der Bestandskraft des Verwaltungsakts teilhaben und im Wiedererteilungsverfahren Berücksichtigung finden müssen (vgl. NdsOVG, B.v. 6.4.2017 – 12 PA 199/16 – DAR 2017, 339 = juris Rn. 11 f.; B.v. 6.10.2003 – 12 ME 401/03 – juris Rn. 7). Andererseits könnte man aber auch davon ausgehen, dass die genannten Gründe der Entziehung dann keine Berücksichtigung finden können, wenn zum Zeitpunkt der Wiedererteilung offensichtlich ist, dass sie nicht vorlagen (vgl. für den Fall der Entziehung nach § 11 Abs. 8 FeV bei einer offensichtlich rechtswidrigen Gutachtensanordnung NdsOVG, B.v. 6.4.2017 a.a.O. Rn. 13). Darüber hinaus hätte eine medizinisch-psychologische Untersuchung nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV möglicherweise aber auch nur dann verlangt werden können, wenn die dort genannten Gründe tatsächlich vorlagen und zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt haben (vgl. OVG Bremen, B.v. 8.3.2000 – 1 B 61/00 NJW 2000, 2438). Darüber hinaus ist auch zu prüfen, ob die Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens deshalb nicht mehr in Betracht kommt, weil die der Entziehung zugrunde liegende Ordnungswidrigkeit schon getilgt ist (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 21.04 – NJW 2005, 3440 amtlicher Leitsatz; Dauer a.a.O. § 14 FeV Rn. 22; juris-PK Straßenverkehrsrecht, § 14 FeV Rn. 91) oder ob der amtliche Leitsatz der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2005 (a.a.O.) angesichts der unterschiedlichen Fallkonstellationen auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
7. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, Anh. § 164 Rn. 14).
8. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel