Aktenzeichen 331 C 11810/15
VVG VVG § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
BGB BGB §§ 249 ff.
ZPO ZPO § 287
Leitsatz
Bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes eines durch einen Verkehrsunfall beschädigten Fahrzeugs ist auf den Wert eines entsprechend vorbeschädigten Fahrzeugs abzustellen; ist der Umfang der Vorschäden streitig, geht dies zu Lasten des für die Schadenhöhe beweisbelasteten Geschädigten (vgl. auch OLG Hamm BeckRS 2015, 10306; OLG München BeckRS 2008, 19143). (redaktioneller Leitsatz)
Sind Vorschäden ihrerseits auf einen Verkehrsunfall zurückzuführen, kann bei dem Folgeunfall als Wiederbeschaffungswert nicht der im Rahmen des ersten Verkehrsunfalls ermittelte Restwert zugrunde gelegt werden; der Restwert ist der Betrag, den der Geschädigte für das Unfallfahrzeug noch erlösen kann, während sich der Wiederbeschaffungswert nach dem bei einem seriösen Händler für ein Ersatzfahrzeug zu zahlenden Preis bestimmt, welcher einen Gewinnaufschlag des Händlers einschließt. (redaktioneller Leitsatz)
Will der Geschädigte seinen Schaden fiktiv auf Gutachtenbasis abrechnen, ist mit Blick auf § 249 Abs. 2 S. 2 BGB der Umsatzsteueranteil aus dem Brutto-Wiederbeschaffungswert herauszurechnen (Anschluss an BGH BeckRS 2006, 06855 Rn. 5); auf der Grundlage einer Differenzbesteuerung kann im Rahmen der Schadensschätzung ein Durchschnittsteuersatz von ca. 2% angesetzt werden. (redaktioneller Leitsatz)
Im Rahmen der Ersatzfähigkeit vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten ist für die Berechnung des Gegenstandswertes der anwaltlichen Tätigkeit die (berechtigte) Schadensersatzforderung zugrunde zu legen; hierbei ist der Restwert nicht in Abzug zu bringen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 972,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 19.01.2015 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 290,83 EUR weitere außergerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.01.2015 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 46%, die Beklagte 54%.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Der Streitwert wird auf 1.805,20 EUR festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage ist zum Teil begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 972,80 EUR aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG, 1 PflVG.
Die Beklagte haftet dem Kläger unstreitig dem Grunde nach aus dem streitgegenständlichen Unfall vom.
Schadenskorrespondenz und Fahrzeugschaden
Streitig ist der Schaden der Höhe nach hinsichtlich des Wiederbeschaffungswertes des Klägerfahrzeugs.
Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass der Wiederbeschaffungswert – aufgrund eines Vorschadens – mit 3.920,00 EUR netto anzusetzen ist.
Zu dieser Feststellung gelangt der vom Gericht bestellte Sachverständige … nachvollziehbar und überzeugend. Das Gericht hat keinen Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens und an der Sachkunde des Sachverständigen. Es schließt sich den Feststellungen in eigener Würdigung an.
Die im Privatgutachten angesetzten Reparaturkosten sind aus Sachverständigensicht nicht zu beanstanden. Auch ist der Wiederbeschaffungswert von 5.600,00 EUR (differenzbesteuert) nicht zu beanstanden. Hinsichtlich des ersten Unfallereignisses wurde ein Restwert von 3.021,00 EUR angesetzt.
Aufgrund der Berücksichtigung des unstreitig nicht reparierten Vorschadens ergibt sich ein Wiederbeschaffungswert – ausgehend von dem unstreitigen Restwert zum Vorschaden – von 4.000,00 EUR (differenzbesteuert). Der Restwert ist mit 2.700,00 EUR anzusetzen.
Der Sachverständige kommt zu der Feststellung, dass sich die Beschädigung des ersten Auffahrunfalls nicht als dominant darstellt. Durch den gegenständlichen Unfall ist also eine Schadenserweiterung im Fahrzeugheckbereich aufgetreten. Die Reparaturkosten würden deutlich höher ausfallen als der anzusetzende Wiederbeschaffungsaufwand, also Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert.
Auch in der ergänzenden Begutachtung bleibt der Sachverständige nachvollziehbar bei der Feststellung, dass der Wiederbeschaffungswert – aufgrund des Vorschadens – mit 4.000,00 EUR anzusetzen ist.
Im Einzelnen:
Es ist anzumerken, dass es trotz des Bestreitens der Schadenskorrespondenz durch die Beklagte einer Klärung der Korrespondenz im Einzelnen nicht bedarf. Es ist unbestritten, dass das Klagerfahrzeug im betroffenen Heckbereich bereits vorbeschädigt war (vgl. Anlage K 2, S. 5). Es steht für das Gericht auch mit der nach § 287 Abs. 1 i. V. m. § 495 ZPO erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit fest, dass durch den Unfall vom 27.10.2014 ein weitergehender Schaden eingetreten ist. Der gerichtlich bestellte Sachverständige Dipl.-Ing. … hat ausgeführt, es sei in jedem Fall davon auszugehen, dass durch den streitgegenständlichen Unfall eine Schadenserweiterung eingetreten sei. Auch anhand der der Akte beiliegenden Lichtbilder konnte sich das Gericht von dem Bestehen eines weitergehenden Schadens überzeugen (vgl. Anlage K 1, S. 1 ff. und K 2, S. 1 ff.).
Die Frage des Umfangs der Vorschäden ist daher in die Ermittlung der Höhe des Wiederbeschaffungswertes einzubeziehen. Denn der Wiederbeschaffungswert bezieht sich auf ein gleichwertiges Fahrzeug im Zeitpunkt unmittelbar vor dem Unfall vom … es ist daher auf ein entsprechend vorbeschädigtes Fahrzeug abzustellen. Unnachweislichkeiten hinsichtlich des Umfangs der Vorschäden sind entsprechend bei der Bemessung des Wiederbeschaffungsaufwandes zulasten des Klägers zu berücksichtigen, der die Beweislast für die Schadenshöhe trägt (vgl. OLG München, Urteil vom 27.01.2006, Az. 10 U 4904/05, juris Rn. 21 und OLG Hamm, Urteil vom 08.11.2013, Az. I-25 U 61/13, juris Rn. 5).
Ferner ist festzuhalten, dass hinsichtlich des Wiederbeschaffungswertes nicht der im Rahmen der Regulierung des Vorschadens festgestellte Restwert in Höhe von 2.947,20 EUR netto angesetzt werden kann. Denn Wiederbeschaffungswert und Restwert sind nicht gleichzusetzen. Dies gilt auch, wenn sich die Werte auf jeweils verschiedene Zeitpunkte beziehen. Der Restwert entspricht dem Betrag, den der Geschädigte für sein verunfalltes Fahrzeug noch erzielen kann (Burmann/Gebhardt, Straßenverkehrsrecht, 10 Aufl. 2006, „Restwert“). Demgegenüber ist der Wiederbeschaffungswert der bei einem seriösen Händler für ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug zu zahlende Preis, dieser schießt einen Gewinnaufschlag des Händlers ein (Hentschel/König/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 12 Rn. 5). Zwischen dem zum Vorschaden festgestellten Restwert und dem hier streitigen Wiederbeschaffungswert besteht indes kein Zusammenhang, der es erlauben würde, für den Wiederbeschaffungswert den Betrag des Restwertes anzusetzen.
Auch nicht anzusetzen ist der klägerseits vorgetragene höhere Wiederbeschaffungswert von 4.782,40 EUR netto. Es wurde nicht mit der nach § 287 Abs. 1 i. V. m. 495 ZPO erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit dargetan, dass das Klägerfahrzeug einen Wiederbeschaffungswert in dieser Höhe hat. Vielmehr ist aufgrund des unbestrittenen Vorschadens im unfallbetroffenen Heckbereich, sowie der Vorschäden aus dem vorangegangenen Unfall anzunehmen, dass das Klägerfahrzeug lediglich einen Wiederbeschaffungswert von 4.000,00 EUR (differenzbesteuert) hat.
Das Gericht geht – entsprechend der Auffassung des Sachverständigen – davon aus, dass die am Klägerfahrzeug vor dem streitgegenständlichen Unfall bestehenden Schäden im Privatgutachten des Dipl.-Ing. … nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Der Privatgutachter hat den Betrag von 4.782,40 EUR (netto) aus einem Wiederbeschaffungswert für ein unbeschädigtes vergleichbares Kfz in Höhe von 6.150,00 EUR (brutto, differenzbesteuert) berechnet. Davon sei aufgrund bestehender Vorschäden ein Abschlag von 1.250,00 EUR zu machen, so dass sich ein Wiederbeschaffungswert von 4.900,00 EUR (brutto, differenzbesteuert), und somit 4.782,40 EUR (netto) ergebe. Hinsichtlich der bestehenden Vorschäden (vgl. Anlage K 1, S. 5) unter der Rubrik „Alt-/Vorschäden“ allerdings keine Vorschädigung des Heckbereichs vermerkt. Es ist aber unbestritten, dass dieser Bereich vorbeschädigt war. Auch weist das Privatgutachten des Dipl.-Ing. … vom 31.07.2014 diesen Vorschaden aus (vgl. Anlage K 2, S. 5).
Der Sachverständige Dipl.-Ing. … geht hingegen in seiner ergänzenden Stellungnahme von einem Wiederbeschaffungswert für ein unbeschädigtes vergleichbares Kfz in Höhe von 6.000 EUR (brutto, differenzbesteuert) aus. Insoweit weichen die Feststellungen nicht wesentlich von denen des Privatgutachters ab. Die Feststellung hält sich auch innerhalb der vom Privatgutachter Dipl.-Ing. … durch Vergleichswertrecherche auf dem Portal „cardetektiv.de“ ermittelten Betragsspanne von 5.250,00-7.200,00 EUR.
Der gerichtlich bestellte Sachverständige geht allerdings davon aus, dass aufgrund der Vorschäden ein Abschlag von 2.000,00 EUR zu machen ist. Dabei orientiert er sich auch an dem im Privatgutachter für den Vorschaden festgestellten Instandsetzungsaufwand von 3.655,62 EUR. Er berechnet daraus einen Bruttowiederbeschaffungswert von 4.000,00 EUR (differenzbesteuert). Das Gericht schließt sich nach eigener kritischer Würdigung den Feststellungen des Sachverständigen an. Angesichts der mehrfachen Vorschäden erscheint ein Abschlag von 2.000,00 EUR angemessen. So bestanden neben dem im Privatgutachten genannten „Auffahrschaden Heckbereich“ Vorschäden aus dem vorangegangenen Unfall am Kotflügel, an der Tür, sowie am Schweller, jeweils vorne links. Eine Beseitigung der Vorschäden wurde nicht vorgetragen.
Auch die von der Klägerseite geltend gemachten Einwände gegen das Sachverständigengutachten des Dipl.-Ing. … vom 12.11.2015 rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Diese betreffen zunächst den Ausgangswert des Klägerfahrzeugs, d. h. den Wert in unbeschädigtem Zustand. So macht der Kläger unter anderem geltend, dass Fahrzeug habe eine besondere Ausstattung und sei durchgängig in Markenwertstätten gewartet worden. Der Sachverständige kommt bezüglich des Ausgangswertes mit 6.000,00 EUR jedoch zu einem ähnlichen Ergebnis wie der Privatgutachter Dipl.-Ing. … Der niedrigere Wiederbeschaffungswert des Sachverständigen Dipl.-Ing. … ergibt sich größtenteils aus der stärkeren Berücksichtigung der Vorschäden. Diesbezüglich führt der Kläger an, der Vorschaden aus dem vorangegangenen Unfall stelle keine Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit des Fahrzeugs dar, so dass er lediglich in Höhe von 1.250,00 EUR den Wert mindere. Die hohen Reparaturkosten diesbezüglich von 3.655,62 EUR resultierten aus überdurchschnittlich hohen Stundenverrechnungssätzen des markengebundenen Instandsetzungsbetriebes. Die Einwände des Klägers betreffen allerdings nur den Vorschäden vorne links am Fahrzeug. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger, bzw. der Privatgutachter auch den Vorschaden am Heck entsprechend in der Bemessung des Wiederbeschaffungswertes berücksichtigt hat.
Daher wurde ein Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 4.900 EUR (brutto, differenzbesteuert), bzw. 4.782,40 EUR (netto) nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dargelegt. Vielmehr ist der vom Sachverständigen Dipl.-Ing. … festgestellte Betrag von 4.000,00 EUR (differenzbesteuert) anzunehmen.
Anzusetzen ist der Nettowiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 3.920 EUR. Die Umsatzsteuer ist nur zu ersetzen, wenn sie tatsächlich angefallen ist, vgl. § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB. Bei Abrechnung auf Gutachtenbasis ist dementsprechend aus dem Bruttowiederbeschaffungswert von 4.000,00 EUR der Umsatzsteueranteil herauszurechnen (vgl. BGH, Urteil vom 09.05.2006, Az. VI ZR 225/05, juris Rn. 7). Der gerichtlich bestellte Sachverständige geht von einem differenzbesteuerten Betrag aus, wobei im Rahmen der Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 i. V. m. § 495 ZPO ein Durchschnittsteuersatz von ca. 2,0% angesetzt werden kann (Geigel, Haftpflichtprozess, 27. Aufl. 2015, Kap. 3 Rn. 42; vgl. auch BGH a. a. O.).
Von dem Wiederbeschaffungswert von 3.920,00 EUR ist der Restwert von 2.700,00 EUR abzuziehen, so dass ein Anspruch auf Zahlung von 1.220,00 EUR besteht.
Vorgerichtlich hat die Beklagte bereits einen Betrag 247,20 EUR erstattet, so dass eine berechtigte Klageforderung von 972,80 EUR verbleibt. Diesen kann die Klägerseite vorliegend ersetzt verlangen.
Zinsen
Verzug bestand, von Beklagtenseite nicht bestritten, seit 19.01.2015. Von diesem Zeitpunkt an besteht ein Anspruch auf Verzugszinsen, § 286 BGB. Die Höhe des Zinsanspruchs ergibt sich aus § 288 BGB.
Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten
An vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann die Klägerseite geltend machen eine 1,3 Gebühr aus einem Geschäftswert in Höhe der berechtigten Schadensersatzforderung von 4.744,21 EUR – der Restwert ist hierbei nicht abzuziehen (vgl. Mayer/Kroiß/Janeczek, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 6. Aufl. 2013, Kap. IX Rn. 29; Poppe, NJW 2015, 3355). Bei dem Abzug des Restwertes handelt es sich jedoch lediglich um eine Art der Schadensberechnung. Es kann hierbei keinen Unterschied machen, ob der Kläger den vollen Wiederbeschaffungswert vom Beklagten verlangt und im Rahmen des Vorteilsausgleiches das verunfallte Fahrzeug an die Beklagte herausgibt, oder das Fahrzeug verwertet und sich den erzielten Betrag auf den Wiederbeschaffungswert anrechnen lässt; zuzüglich einer Auslagenpauschale von 20,00 EUR und der Mehrwertsteuer. Dies sind hier 492,54 EUR.
Hierauf hat die Beklagtenseite vorgerichtlich bezahlt 201,71 EUR.
Es verbleibt eine berechtigte Forderung von 290,83 EUR.
Kosten und vorläufige Vollstreckbarkeit
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Streitwert
Der Streitwert ergibt sich aus der Klageforderung ohne Einbeziehung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Rechtsbehelfsbelehrung:
…