Aktenzeichen 2 C 1035/16
Leitsatz
Ein Fahrzeugführer verstößt schuldhaft gegen § 9 Abs. 5, § 10 StVO, wenn er sich beim Rückwärtsfahren und Ausfahren von einem Grundstück auf die gegenüberliegende Fahrbahn bei sehr eingeschränkten Sichtverhältnissen nicht einweisen lässt. Kommt es hierdurch zu einem Verkehrsunfall, so tritt aufgrund seines überwiegenden Verschuldens die Betriebsgefahr des Unfallgegners zurück. (Rn. 6 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 455,25 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage erweist sich im Ergebnis als unbegründet
Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz aufgrund des Verkehrsunfallereignisses vom 05.11.2016 auf der B15, auf Höhe der Anwesen U… V… 1 und S…platz 2 in N…, da aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme die Klägerin die alleinige Haftung trifft.
Nach den detaillierten und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. G… L…, dessen Sachkunde dem Gericht aus vielen Verfahren bekannt ist und dessen Ausführungen sich das Gericht in technischer Sicht zu eigen macht, ist das Verkehrsunfallgeschehen, ausgehend davon, dass das klägerische Fahrzeug erst kurz vor der Kollision zum Stehen gekommen ist, für die Beklagte zu 1) unvermeidbar gewesen.
Nach den Ausführungen des Sachverständigen kann nicht mit Sicherheit festgestellt, aber auch nicht ausgeschlossen werden aus technischer Sicht, dass das klägerische Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision gestanden ist. Ebensowenig festzustellen gewesen ist eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h durch die Beklagte zu 1) bei einer maximalen Kollisionsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeuges von 10 km/h. Nach den informatorischen Angaben der Klägerin ist diese in einem Zug rückwärts eingefahren, was der Sachverständige seiner Berechnung zugrunde gelegt hat. Aus technischer Sicht ist weiter nicht festzustellen gewesen, ob das klägerische Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision, soweit es sich im Stillstand befunden hätte, bereits längere Zeit, mindestens 1 Sekunde, gestanden ist. Dies ist jedoch aufgrund der Angaben des unbeteiligten Zeugen S… auszuschließen. Der Zeuge S… hat zwar die Dauer des Stillstandes des klägerischen Fahrzeuges mit 5 Sekunden geschätzt, jedoch zugleich auf mehrmaliges Nachfragen hin angegeben, dass zum Zeitpunkt der Einleitung der Bremsung durch die Beklagte zu 1) sich das klägerische Fahrzeug noch in Rückwärtsbewegung befunden hat. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist aus technischer Sicht zudem von einer starken Bremsung auszugehen, da ansonsten diese nicht, wie vom Zeugen S… geschildert, allein aufgrund der Verlangsamung des Fahrzeuges hätte wahrgenommen werden können. Von einer solchen Bremsung ausgehend ergibt sich eine Bremszeit von 1,0–1,2 Sekunden und somit eine Stillstandsdauer vor der Kollision von weniger als 1 Sekunde.
Nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen wäre für die Klägerin das Herannahen des Beklagtenfahrzeugs 3 Sekunden vor der Kollision erkennbar gewesen, ebenso das ausfahrende klägerische Fahrzeug für die Beklagte zu 1). Ausgehend von einer gefahrenen Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeuges von 30 km/h und einer Reaktionszeit von 0,8 Sekunden ist für die Beklagte zu 1) damit der Unfall nicht mehr sicher vermeidbar gewesen.
Die Klägerin hat somit schuldhaft gegen §§ 9 Abs. V, 10 StVO verstoßen, da sie sich beim Rückwärtsfahren und Ausfahren aus einem Grundstück nicht so verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen gewesen ist. Aufgrund der sehr eingeschränkten Sichtverhältnisse hätte die Klägerin sich entweder einweisen lassen müssen oder von einem Rückwärtseinfahren auf die gegenüberliegende stadtauswärts gerichtete Fahrbahn Abstand nehmen müssen.
Zudem hätte sie bei Erkennen des herannahenden Beklagtenfahrzeug mindestens 3 Sekunden vor der Kollision den Unfall durch Abbremsen vermeiden können.
Ein Verschulden der Beklagten zu 1) ist dagegen nicht festzustellen gewesen. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme ist weder von einer überhöhten Geschwindigkeit noch von einer verspäteten Reaktion auszugehen. Vielmehr ist der Unfall für die Beklagte zu 1) unvermeidbar gewesen. Selbst wenn man nicht zu einer Unvermeidbarkeit gelangen würde, würde die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs aufgrund des überwiegenden Verschuldens der Klägerin vorliegend zurücktreten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.