Aktenzeichen 25 U 279/17
ZPO § 141, § 286
Leitsatz
1. Wird eine Bodenwelle bzw. Fahrbahnschwelle aufgrund ihrer mangelnden Erkennbarkeit mit einem Kraftfahrzeug zu schnell überfahren und entsteht dadurch ein Schaden am Fahrzeug, so liegt darin ein Unfallschaden und nicht ein – nach den im Streitfall vereinbarten Versicherungsbedingungen vom (Vollkasko-) Versicherungsschutz nicht umfasster – Betriebsschaden. (Rn. 3 – 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zu den Erkenntnisquellen der sog. freien Beweiswürdigung gehören auch der Sachvortrag und das Prozessverhalten der Parteien. Nach § 286 ZPO verwertbar ist daher auch die Äußerung einer Partei bei ihrer Anhörung gemäß § 141 ZPO. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
10 O 3458/16 Ver 2017-01-13 Endurteil LGMUENCHENII LG München II
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 13.01.2017, Az. 10 O 3458/16 Ver, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
Das Landgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Einwendungen der Berufungsbegründung sind nicht geeignet, eine abweichende Beurteilung zu rechtfertigen. Der Senat teilt die Auffassung des Erstgerichts, dass es sich bei dem Vorfall vom 07.11.2015 um einen Unfall im Sinne von Ziffer A.2.3.2 der zugrundeliegenden Bedingungen (AKB) handelte und die Beklagte daher eintrittspflichtig ist.
1. Die Beklagte rügt zunächst ohne Erfolg die gemäß § 529 Abs. 1 ZPO nur eingeschränkt überprüfbare Beweiswürdigung des Landgerichts. Ein Verstoß gegen § 286 ZPO liegt nicht vor. Zu den Erkenntnisquellen der sog. freien Beweiswürdigung gehören auch der Sachvortrag und das Prozessverhalten der Parteien. Nach § 286 ZPO bezieht sich die Beweiswürdigung auf den gesamten Inhalt der Verhandlung. Verwertbar ist daher der Inhalt der Schriftsätze und ihrer Anlagen, erst recht die Äußerung einer Partei bei ihrer Anhörung gemäß § 141 ZPO (Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 286 Rn. 14). Die vom Landgericht als glaubhaft und nachvollziehbar erachteten Angaben des Klägers zum Hergang des Vorfalls in der mündlichen Verhandlung entsprachen ersichtlich dessen schon vorgerichtlicher Einlassung und den (beidseits) zu den Akten gereichten Lichtbildern. Die Beklagte hat die Angaben auch nicht substantiiert, sondern lediglich mit Nichtwissen bestritten (vgl. Greger, aaO, § 141 Rn. 1a), konkrete Anhaltspunkte, dass die Darstellung des Klägers unzutreffend gewesen sein sollte, sind auch sonst nicht ersichtlich.
2. Der Unfallbegriff der Ziffer A.2.3.2 AKB ist grundsätzlich erfüllt, es liegt nach den konkreten Umständen des Einzelfalls kein Schaden „aufgrund eines Betriebsvorgangs“ im Sinne dieser Klausel vor.
Nicht versicherte Schäden aufgrund eines Betriebsvorgangs (bzw. nach früheren Fassungen der Klausel „Betriebsschäden“) sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs solche, die durch normale Abnutzung, durch Material- oder Bedienungsfehler an dem Fahrzeug oder seinen Teilen entstehen, ferner Schäden, die zwar auf einer Einwirkung mechanischer Gewalt beruhen, aber zum normalen Betrieb des Kraftfahrzeugs gehören (BGH, Urteil vom 19.12.2012, VersR 2013, 354, Rn. 12). Ob ein Ereignis, das im Übrigen die wesentlichen Merkmale eines Unfalls aufweist, als Betriebsschaden oder als Unfallschaden anzusehen ist, hängt entscheidend von der Verwendung des Fahrzeugs ab. Wird ein Fahrzeug nach seiner Verwendung im gewöhnlichen Fahrbetrieb bestimmten Risiken ausgesetzt, so handelt es sich bei den daraus entstehenden Fahrzeugschäden im Zweifel um Betriebsschäden. So sind beispielsweise auf Baustellen eingesetzte Fahrzeuge wegen der dort üblichen Unebenheiten besonderen Belastungen ausgesetzt, was zur Folge hat, dass hierdurch hervorgerufene Fahrzeugschäden in das Betriebsrisiko eingeschlossen sind (BGH VersR 1969, 32, 33, Rn. 7 bei juris). Die Klausel ist nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers dahingehend auszulegen, dass der Versicherungsschutz in solchen Fällen ausgeschlossen ist, in denen sich Gefahren verwirklicht haben, denen das Fahrzeug im Rahmen seiner vorgesehenen Verwendung üblicherweise ausgesetzt ist, so dass es sich um eine Auswirkung des normalen Betriebsrisikos handelt, das in Kauf genommen wird und deshalb vorausschauend in die Betriebskostenkalkulation aufgenommen wird (Stadler in Stiefel/ Maier, Kraftfahrtversicherung, 18. Aufl., AKB A.2.3 Rn. 35). Bei Schäden aufgrund des Straßenzustandes, z.B. durch Schlaglöcher, wird von Rechtsprechung und Literatur für die Abgrenzung maßgeblich darauf abgestellt, ob die Unebenheit nach dem allgemeinen Zustand der befahrenen Straße erwartet werden konnte oder ob dies ungewöhnlich und unerwartet war (Stadler aaO Rn. 39 m.w.N.). Ähnlich hat der BGH in dem zitierten Urteil vom 19.12.2012 Spurrillen in der Fahrbahn, durch die ein Wohnanhänger ins Schleudern geriet, als äußere, mechanische Einwirkung auf das Fahrzeug gewertet und den Fokus darauf gelegt, dass es sich um „unerwartet starke Spurrillen“ handelte (BGH aaO Rn. 14).
Ausgehend davon kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, dass Bodenwellen bzw. Fahrbahnschwellen ähnlich wie die streitgegenständliche in Ortschaften Italiens grundsätzlich üblich sein mögen. Spurrillen auf deutschen Autobahnen oder auch Schlaglöcher in Fahrbahnen kommen schließlich ebenfalls häufig und üblicherweise vor. Entscheidend ist, ob der Fahrer in der konkreten Situation angesichts der Straßenbeschaffenheit und sonstiger Umstände – wie beispielsweise Warnschildern – mit einer solchen Bodenwelle gerechnet hat oder – auch das dürfte ausreichen – zumindest hätte rechnen müssen. Davon kann nach den beanstandungsfreien Feststellungen des Landgerichts vorliegend nicht ausgegangen werden. Insbesondere hält es auch der Senat angesichts der als Anlage zu Protokoll genommenen Lichtbilder für unschwer nachvollziehbar, dass der Kläger angesichts der Straßenführung, der Randbebauung bzw. des Randbewuchses, einer fehlenden Geschwindigkeitsbeschränkung bzw. fehlender Warnschilder, der stark verblassten Markierung der Schwelle und zusätzlich eines entgegenkommenden, leicht mittig orientierten Fahrzeugs vom Vorhandensein einer derartigen Bodenwelle an dieser Stelle überrascht worden ist. Damit ist von einem Unfall, nicht von einem Schaden aufgrund eines Betriebsvorgangs auszugehen.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).