Verkehrsrecht

Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers – Fahrtenbuchauflage

Aktenzeichen  11 CS 16.1187

Datum:
20.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
RÜ2 – 2016, 263
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVZO StVZO § 31a Abs. 1
OWiG OWiG § 46 Abs. 1
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4

 

Leitsatz

1 Eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 33 km/h auf der Autobahn bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h rechtfertigt auch bei erstmaliger Begehung die Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs für die Dauer von zwölf Monaten. (redaktioneller Leitsatz)
2 Zwar gehört zu einem angemessenen Ermittlungsaufwand grundsätzlich die unverzügliche, d.h. regelmäßig innerhalb von zwei Wochen durchzuführende Benachrichtigung des Fahrzeughalters von der mit seinem Kraftfahrzeug begangenen Zuwiderhandlung (Anschluss BVerwG NJW 1979, 1054), da die Wahrscheinlichkeit, dass der Fahrzeughalter die Frage nach dem Fahrzeugführer noch zuverlässig beantworten kann, mit zunehmendem Zeitabstand geringer wird. Allerdings ist die Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist unschädlich, wenn sie für die Nichtfeststellung des Fahrzeugführers nicht kausal ist, etwa weil die Ergebnislosigkeit der Ermittlungen nicht auf Erinnerungslücken des Fahrzeughalters beruht (Fortführung BayVGH BeckRS 2013, 49043; BeckRS 2010, 36812). (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Halter eines Kraftfahrzeugs kann nicht verlangen, von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, wenn er von einem Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht (Anschluss BayVGH BeckRS 2015, 44253 u.a.). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

3 S 16.681 2016-05-24 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.400,- Euro festgesetzt.

Gründe

I. Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit einer Fahrtenbuchauflage.
Mit dem auf die Antragstellerin zugelassenen PKW mit dem amtlichen Kennzeichen … wurde am 7. September 2015 auf der Bundesautobahn A7 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 33 km/h überschritten. Auf dem bei der Messung gefertigten Foto ist ein männlicher Fahrer zu erkennen.
Mit unbeantwortet gebliebenem Schreiben vom 5. Oktober 2015 hörte das Regierungspräsidium Kassel die Antragstellerin im Ordnungswidrigkeitenverfahren als Zeugin an und bat um Angabe der Personalien des Fahrers innerhalb einer Woche. Mit Schreiben vom 5. November 2015 bat das Regierungspräsidium die Polizeiinspektion Friedberg um Ermittlungen zur Feststellung des Fahrers. Hierzu teilte die Polizeiinspektion Friedberg dem Regierungspräsidium Kassel mit Schreiben vom 20. November 2015 mit, die Antragstellerin sei am gleichen Tag auf der Polizeiinspektion erschienen und habe, nachdem ihr die Lichtbilder gezeigt worden seien, unter Berufung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht Angaben zum Fahrzeugführer abgelehnt.
Mit Schreiben vom 1. Dezember 2015 regte das Regierungspräsidium Kassel beim Landratsamt Aichach-Friedberg (im Folgenden: Landratsamt) die Prüfung der Anordnung eines Fahrtenbuchs an. Nach Anhörung verpflichtete das Landratsamt die Antragstellerin mit Bescheid vom 23. März 2016 unter Anordnung des Sofortvollzugs zur Führung eines Fahrtenbuchs für die Dauer von zwölf Monaten für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … und ein eventuell eingesetztes Ersatzfahrzeug.
Mit Beschluss vom 24. Mai 2016 hat das Verwaltungsgericht Augsburg den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Bescheid erhobenen Klage abgelehnt. Es bestünden keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids. Der Verkehrsverstoß sei von hinreichendem Gewicht, um die Anordnung des Fahrtenbuchs für die Dauer von zwölf Monaten zu rechtfertigen. Der für die Ordnungswidrigkeit verantwortliche Fahrzeugführer habe vor Ablauf der Verjährungsfrist trotz ausreichender Ermittlungen nicht festgestellt werden können. Verweigere der Fahrzeughalter seine Mitwirkung unter Berufung auf ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht, seien weitere behördliche Ermittlungen in der Regel nicht zumutbar. Im Hinblick auf das unscharfe Foto des Fahrzeugführers sei die Ermittlungsbehörde nicht verpflichtet gewesen, die Wohnung der Antragstellerin aufzusuchen, um nochmals einen Befragungsversuch zu unternehmen oder dort nach dem Fahrzeugführer Ausschau zu halten. Die Überschreitung der Zweiwochenfrist für die Anhörung nach dem Verkehrsverstoß sei für die Nichtermittlung des verantwortlichen Fahrers nicht kausal, da sich die Antragstellerin nicht auf mangelndes Erinnerungsvermögen, sondern auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen habe.
Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, welcher der Antragsgegner entgegentritt, lässt die Antragstellerin ausführen, sie habe sich aufgrund enger Verwandtschaft mit allen möglicherweise in Frage kommenden Fahrzeugführern auf ihr „Aussageverweigerungsrecht“ berufen. Im Ordnungswidrigkeitenverfahren seien nicht alle möglichen und zumutbaren Ermittlungen zur Fahrerfeststellung, insbesondere keine Gegenüberstellung vor Ort, durchgeführt worden. Indirekt werde mit der Fahrtenbuchauflage die Ausübung des ausdrücklich zum Schutz der Familie eingeführten Aussageverweigerungsrechts sanktioniert. Dies stehe im Widerspruch zum grundrechtlich geschützten Kernbereich von Ehe und Familie. Außerdem sei der Verkehrsverstoß keineswegs so schwerwiegend, dass er eine zwölfmonatige Fahrtenbuchauflage rechtfertigen würde. Im Übrigen sei der Antragstellerin der Zeugenfragebogen erst vier Wochen nach dem Verstoß übersandt worden. Zu diesem Zeitpunkt könne keine konkrete Erinnerung an den Verstoß bzw. die Nutzung des Fahrzeugs mehr erwartet werden. Schließlich stehe der Fahrtenbuchauflage entgegen, dass bei ihrer Ankündigung die Ordnungswidrigkeit bereits verjährt gewesen sei und die Antragstellerin somit keine Möglichkeit mehr gehabt habe, durch Mithilfe bei der Aufklärung die Fahrtenbuchauflage noch abzuwenden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), lassen nicht erkennen, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig wäre.
1. Die Antragstellerin macht zu Unrecht geltend, dass die Nichtermittlung des Fahrzeugführers auf unzureichenden Ermittlungen der zuständigen Behörden beruhe.
a) Nach § 31a Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrs-Zulassung-Ordnung (StVZO) vom 26. April 2012 (BGBl I S. 679), zuletzt geändert durch Verordnung vom 17. Juni 2016 (BGBI I S. 1463), kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die Feststellung des Kraftfahrzeugführers ist im Sinne von § 31a Abs. 1 StVZO unmöglich, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ihn zu ermitteln. Art und Ausmaß der Ermittlungen hängen insbesondere von der Art des jeweiligen Verkehrsverstoßes und der Bereitschaft des Kraftfahrzeughalters zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrers ab. Die Behörde hat in sachgemäßem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen zu treffen, die in gleich gelagerten Fällen erfahrungsgemäß zum Erfolg führen (vgl. etwa BVerwG, U. v. 17.12.1982 – 7 C 3.80 – BayVBl 1983, 310; B. v. 21.10.1987 – 7 B 162.87 – Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 18; B. v. 23.12.1996 – 11 B 84.96 – juris; BayVGH, B. v. 23.2.2015 – 11 CS 15.6 – juris; B. v. 25.1.2016 – 11 CS 15.2576 – juris Rn. 14; U. v. 18.2.2016 – 11 BV 15.1164 – BayVBl 2016, 593).
b) Vorliegend war die Fahrerfeststellung vor Ablauf der dreimonatigen Verjährungsfrist für die begangene Verkehrsordnungswidrigkeit nicht möglich. Dem steht nicht entgegen, dass das Regierungspräsidium Kassel die Antragstellerin erst vier Wochen nach dem Verstoß als Zeugin angehört und um Angabe der Personalien des Fahrers gebeten hat. Zwar gehört zu einem angemessenen Ermittlungsaufwand grundsätzlich die unverzügliche, d. h. regelmäßig innerhalb von zwei Wochen durchzuführende Benachrichtigung des Fahrzeughalters von der mit seinem Kraftfahrzeug begangenen Zuwiderhandlung (vgl. BVerwG, U. v. 13.10.1978 – VII C 77.74 – Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 5), da die Wahrscheinlichkeit, dass der Fahrzeughalter die Frage nach dem Fahrzeugführer noch zuverlässig beantworten kann, mit zunehmendem Zeitabstand geringer wird. Allerdings ist die Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist unschädlich, wenn sie für die Nichtfeststellung des Fahrzeugführers nicht kausal ist, etwa weil die Ergebnislosigkeit der Ermittlungen nicht auf Erinnerungslücken des Fahrzeughalters beruht (vgl. etwa BayVGH, B. v. 8.3.2013 – 11 CS 13.187 – juris Rn. 18; B. v. 8.10.2010 – 11 ZB 10.950 – juris Rn. 9 f.).
Eine solche Fallgestaltung liegt hier vor. Die Antragstellerin hat gegenüber der rechtzeitig um Ermittlungen gebetenen Polizeiinspektion Friedberg nach Belehrung Angaben zum Fahrzeugführer unter Berufung auf ihr Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht ausdrücklich abgelehnt. Sie hat auch während des gesamten Verfahrens, zuletzt in der Beschwerdebegründung, durchgehend erklärt, den verantwortlichen Fahrzeugführer aufgrund enger Verwandtschaft nicht zu benennen. Daher beruht die Unmöglichkeit der Ermittlung des Fahrers nicht auf der verspäteten Anhörung und mangelndem Erinnerungsvermögen der Antragstellerin, sondern auf der Wahrnehmung ihres Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 52 StPO.
Die Antragstellerin kann insoweit auch nicht mit Erfolg geltend machen, hierdurch werde ihr Zeugnisverweigerungsrecht in einer dem Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) widersprechenden Weise indirekt sanktioniert. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Halter eines Kraftfahrzeugs nicht verlangen, von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, wenn er von einem Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht (vgl. aus jüngerer Zeit BayVGH, B. v. 26.3.2015 – 11 CS 15.247 – juris Rn. 14; B. v. 28.1.2015 – 11 ZB 14.1129 – juris Rn. 24; OVG NW, B. v. 30.6.2015 – 8 B 1465.14 – juris Rn. 27; VGH BW, B. v. 10.8.2015 – 10 S 278.15 – VRS 129, 36 Rn. 12). Die Auferlegung einer Fahrtenbuchführung dient der Sicherheit des Straßenverkehrs. Sie hat keinen Sanktionscharakter, sondern soll sicherstellen, dass der verantwortliche Fahrer eines Kraftfahrzeugs in Zukunft bei Zuwiderhandlungen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften ermittelt werden kann. Die Fahrtenbuchauflage ist ein geringer Eingriff in die Handlungsfreiheit eines Kraftfahrzeughalters. Ein doppeltes „Recht“, nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht.
Den mit der Ermittlung befassten Behörden sind auch sonst keine Versäumnisse vorzuwerfen. Verweigert der Fahrzeughalter seine Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers, sind weitere Ermittlungen in der Regel nicht zumutbar. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, bestand hier insbesondere keine Veranlassung, im familiären Umfeld der Antragstellerin nach dem Fahrer zu forschen. Hierfür gab es angesichts des Fahrerfotos von minderer Qualität und der Berufung der Antragstellerin auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht keine greifbaren Anknüpfungspunkte.
c) Rechtswidrig ist die angeordnete Fahrtenbuchauflage auch nicht deshalb, weil es sich um eine erstmalige, nicht hinreichend gewichtige Ordnungswidrigkeit handeln würde. Vielmehr stellt eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 33 km/h auf der Autobahn bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h einen gewichtigen Verstoß dar, für den im Fahreignungs-Bewertungssystem ein Punkt vorgesehen ist (vgl. Nr. 3.2.2 der Anlage 13 zu § 40 FeV) und der auch bei erstmaliger Begehung für die Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs für die Dauer von zwölf Monaten ausreicht (vgl. auch BVerwG, U. v. 28.5.2015 – 3 C 13.14 – BVerwGE 152, 180 Rn. 20 – 23).
d) Schließlich kann die Antragstellerin auch nicht mit Erfolg einwenden, bei der Ankündigung der Fahrtenbuchauflage sei die im Raum stehende Verkehrsordnungswidrigkeit bereits verjährt gewesen. Die Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs setzt gemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO voraus, dass die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Vor Eintritt der Verfolgungsverjährung (§ 26 Abs. 3 StVG) kommt eine Fahrtenbuchauflage von vornherein nicht in Betracht. Im Übrigen hat das Regierungspräsidium Kassel die Antragstellerin bereits mit der Zeugenanhörung vom 5. Oktober 2015 frühzeitig auf die Möglichkeit der Anordnung eines Fahrtenbuchs bei Nichtfeststellbarkeit des Fahrzeugführers und damit auf die möglichen Konsequenzen der Ausübung ihres Zeugnisverweigerungsrechts hingewiesen.
2. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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