Verkehrsrecht

Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge und Entziehung der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  11 ZB 19.187

Datum:
25.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15130
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1, § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 8 S. 2
FeV § 11 Abs. 8, § 13 S. 1 Nr. 2 lit. c, § 46 Abs. 1

 

Leitsatz

Aus einer noch nicht getilgten Eintragung im Verkehrszentralregister resultieren auf jeden Fall Zweifel an der Fahreignung. Ausnahmsweise muss geprüft werden, ob die Ausräumung der Fahreignungszweifel auch durch andere, weniger einschneidende Mittel möglich sind (vgl. VGH München BeckRS 2013, 49765). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 26 K 17.5985 2018-12-12 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 12. Dezember 2018 wird zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht die Klage gegen die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge auf öffentlichem Verkehrsgrund (Nr. 4 des Bescheids vom 23.5.2017) abgewiesen hat.
II. Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt.
III. Die Entscheidung über die Kosten des Zulassungsverfahrens erfolgt mit der Kostenentscheidung im Berufungsverfahren.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird vorläufig auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A1, B, BE, C1, C1E, L, M und S und die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge.
Mit Urteil vom 4. Juli 2013, rechtskräftig seit 25. Juli 2013, verurteilte ihn das Amtsgericht München wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr. Dem lag zu Grunde, dass der Kläger am 8. Juni 2013 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,88 ‰ mit einem Fahrrad am Straßenverkehr teilgenommen hatte.
Mit Schreiben vom 23. September 2013 forderte die Beklagte den Kläger erstmals auf, innerhalb von drei Monaten ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Mit Schreiben vom 15. April 2014 forderte die Beklagte den Kläger erneut auf, ein solches Gutachten vorzulegen. Mit Schreiben vom 21. September 2016 forderte die Beklagte wieder die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Zuletzt forderte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 10. Januar 2017 auf, innerhalb von drei Monaten ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen.
Nachdem der Kläger kein Gutachten vorlegte, entzog ihm die Beklagte mit Bescheid vom 23. Mai 2017 die Fahrerlaubnis und untersagte ihm das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe das zu Recht angeordnete Gutachten nicht vorgelegt. Die sofortige Vollziehung wurde nicht angeordnet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. November 2017 wies die Regierung von Oberbayern den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23. Mai 2017 zurück. Die Entscheidung sei rechtmäßig, da der Kläger kein medizinisch-psychologisches Gutachten vorgelegt habe. Die sofortige Vollziehung wurde nicht angeordnet.
Die gegen den Bescheid vom 23. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. November 2017 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 12. Dezember 2018 abgewiesen. Der Kläger habe das rechtmäßig angeordnete Gutachten nicht vorgelegt. Die Beklagte habe daher nach § 11 Abs. 8 FeV auf seine Ungeeignetheit schließen dürfen. Die Tat vom 8. Juni 2013 habe der Gutachtensaufforderung vom 10. Januar 2017 zugrunde gelegt werden können. Erst mit Ablauf des 4. Juli 2018 sei sie für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge nicht mehr verwertbar.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem die Beklagte entgegentritt. Er macht geltend, die Berufung sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils zuzulassen. Der vorliegende Sachverhalt erfordere aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots eine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung. Im Regelfall sei zwar vor Ablauf der Tilgungsfristen kein Raum für einzelfallbezogene Prüfungen, hier liege aber eine Ausnahme vor. Der Kläger nehme seit der Trunkenheitsfahrt im Juni 2013 unbeanstandet am Straßenverkehr teil, da ein Sofortvollzug nicht angeordnet worden sei. Er habe damit bewiesen, dass er geeignet zum Führen von Fahrzeugen sei. Es sei nicht ersichtlich, welchen weiteren Erkenntnisgewinn ein medizinisch-psychologisches Gutachten bringen könne. Es sei hier daher ausnahmsweise eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
1. Die Berufung ist hinsichtlich der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge auf öffentlichem Verkehrsgrund zuzulassen, da nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen.
Im Berufungsverfahren wird zu klären sein, ob eine Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge noch gerechtfertigt ist, nachdem die Straftat vom 8. Juni 2013 nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. April 2019 (BGBl I S. 430), seit 1. Mai 2019 tilgungsreif ist und nach § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG a.F. seit 5. Juli 2018 nur noch für die Durchführung von Verfahren, die die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand haben oder zum Ergreifen von Maßnahmen nach dem Punktsystem genutzt werden darf. Dabei ist insbesondere zu überprüfen, ob für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verfügung, die die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge zum Gegenstand hat – wie bei der Entziehung der Fahrerlaubnis – auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (stRspr vgl. BVerwG, U.v. 27.9.1995 – BVerwGE 99, 249 = juris Rn. 9 m.w.N.) oder auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist, da damit keine Erlaubnis zum Erlöschen gebracht, sondern in Form eines Dauerverwaltungsakts ein erlaubnisfreies Verhalten untersagt wird.
2. Bezüglich der Entziehung der Fahrerlaubnis ist der Antrag auf Zulassung der Berufung abzulehnen. Die geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO), sind nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) bzw. liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
2.1 Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), da er weder einen tragenden Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung noch eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat (vgl. BVerfG, B.v. 21.12.2009 – 1 BvR 812/09 – NJW 2010, 1062/1063; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – BVerfGE 134, 106/118).
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. August 2017 (BGBl I S. 3202), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 6. Oktober 2017 (BGBl I S. 3549), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer das Führen von Kraftfahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann (Alkoholmissbrauch).
Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist zur Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen, wenn der Betreffende ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr führt. Darunter fällt auch die erstmalige Fahrt mit einem Fahrrad (BVerwG, B.v. 20.6.2013 – 3 B 102.12 – NJW 2013, 2696 = juris Rn. 5). Die Teilnahme am Straßenverkehr in erheblich alkoholisiertem Zustand stellt mit jedem Fahrzeug eine gravierende Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs dar. Eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr deutet auf chronischen Alkoholkonsum und damit auf ein Alkoholproblem hin, das die Gefahr weiterer Alkoholauffälligkeit im Straßenverkehr in sich birgt (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2014 – 11 CS 14.1713 – juris Rn. 10 m.w.N.), bzw. begründet den Verdacht eines die Fahreignung ausschließenden Alkoholmissbrauchs (vgl. BVerwG, B.v. 20.6.2013 a.a.O.). Diesen Eignungszweifeln musste die Beklagte, nachdem der Antragsteller am 8. Juni 2013 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,88 ‰ mit dem Fahrrad auf öffentlichen Straßen aufgefallen war, durch die Aufforderung nachgehen, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen.
Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen oder das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – NJW 2017, 1765 Rn. 19 m.w.N.) und für die Nichtbeibringung des angeforderten Gutachtens kein ausreichender Grund besteht (vgl. BVerwG, U.v. 12.3.1985 – 7 C 26.83 – BVerwGE 71, 93/96 = juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 10.9.2008 – 11 CS 08.2010 – juris Rn. 20 m.w.N.).
Soweit der Kläger geltend macht, es müsse aus Gründen der Verhältnismäßigkeit bei ihm eine Ausnahme gemacht werden, kann dem nicht gefolgt werden. Die Vorschrift des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV eröffnet kein Ermessen (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 11 FeV Rn. 51 m.w.N.), sondern die Fahrerlaubnis ist zu entziehen, wenn ein zu Recht angeordnetes Gutachten nicht beigebracht wird. Bei einer Sicherungsmaßnahme wie der Entziehung der Fahrerlaubnis, die dazu dient, die Allgemeinheit vor Gefährdungen durch ungeeignete Fahrzeugführer zu schützen, kommt es nicht in Betracht, von einem wie auch immer gearteten „Entscheidungsspielraum“ der Behörde auszugehen (vgl. BVerwG, B.v. 22.1.2001 – 3 B 144.00 – juris Rn. 3). Es trifft zwar zu, dass nicht ganz nachvollziehbar ist, weshalb die Beklagte den Kläger nach der im Juni 2013 begangenen Straftat vier Mal aufgefordert hat, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, die jeweils angekündigte Entziehung der Fahrerlaubnis aber erst im Jahr 2017 erfolgt ist. Gleichwohl sind aus Gründen der Sicherheit des Straßenverkehrs ungeeignete Kraftfahrer vom öffentlichen Straßenverkehr auszuschließen. Die Nichtbeibringung eines rechtmäßig angeordneten Gutachtens lässt vermuten, der Betroffene wolle einen ihm bekannten Eignungsmangel verbergen (vgl. Dauer a.a.O.).
Die letzte Anordnung vom 10. Januar 2017 war auch rechtmäßig, da die durch die Trunkenheitsfahrt im Jahr 2013 entstandenen Fahreignungszweifel – die der Kläger in seiner Begründung des Berufungszulassungsantrags zum damaligen Zeitpunkt auch als berechtigt ansieht – durch die weitere Teilnahme des Klägers am Straßenverkehr bis zum Erlass der letzten Gutachtensanordnung und auch bis zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids nicht ausgeräumt waren. Durch die zahlreichen Aufforderungen, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, war dem Kläger seit Zustellung der ersten Gutachtensaufforderung vom 23. September 2013 bewusst, dass eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Raum stand. Der bloße Zeitablauf besagt nichts über eine Änderung der durch die Trunkenheitsfahrt belegten problematischen Trinkgewohnheiten (vgl. NdsOVG, B.v. 7.5.2019 – 12 ME 71/19 – juris Rn. 8). Es ist z.B. nicht auszuschließen, dass der Kläger nur unter dem Druck des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens die Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss unterlassen hat oder bis heute durch Zufall nicht mehr aufgefallen ist.
Auch aus dem Beschluss des Senats vom 6. Mai 2008 (11 CS 08.551 – juris) ergibt sich nichts anderes. Der Senat hat dort unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2005 (3 C 21.04 – Buchholz 442.10 § 2 StVG Nr. 11) ausgeführt, der Gesetzgeber habe bei der Festsetzung der Tilgungs- und Verwertungsfristen selbst die Verantwortung dafür übernommen, dass diese Fristen nicht unverhältnismäßig seien und für eine individuelle Gefahrenprognose durch die Behörden und Gerichte daneben kein Raum sei. Nur wenn die Zweifel an der Fahreignung aus Umständen resultierten, die keine Eintragung im Verkehrszentralregister nach sich zögen, müsse einzelfallbezogen und unter Einbeziehung aller relevanten Umstände geprüft werden, ob ein solcher Sachverhalt noch berücksichtigungsfähig sei (BayVGH a.a.O. Rn. 39). Es trifft zwar zu, dass es dort auch heißt, für eine einzelfallbezogene Prüfung sei „im Regelfall“ kein Raum mehr, wenn die Umstände, aus denen die Zweifel an der Fahreignung resultieren, noch im Verkehrszentralregister eingetragen seien. Die in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 9.6.2005 a.a.O. = juris Rn. 34) geht demgegenüber davon aus, dass aus einer noch nicht getilgten Eintragung im Verkehrszentralregister auf jeden Fall Zweifel an der Fahreignung resultieren (so auch NdsOVG, B.v. 7.5.2019 a.a.O. Rn. 8). Nur hinsichtlich der weiteren Aufklärung wird es als möglich angesehen, dass unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit z.B. auch anderweitige Mittel ausreichend sein können (BVerwG a.a.O. Rn. 34; NdsOVG a.a.O. Rn. 8). Der Beschluss des Senats vom 6. Mai 2008 ist daher unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung dahingehend zu verstehen, dass ausnahmsweise geprüft werden muss, ob die Ausräumung der Fahreignungszweifel auch durch andere, weniger einschneidende Mittel möglich ist (vgl. auch BayVGH, B.v. 4.10.2016 – 11 ZB 16.1535 – juris Rn. 11). Ein solcher Fall liegt hier ersichtlich nicht vor, denn die bloße Möglichkeit der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr ist keine einem medizinisch-psychologischen Gutachten gleichwertige Aufklärungsmaßnahme. Andere, weniger belastende Aufklärungsmaßnahmen hat der Kläger nicht genannt und sind auch nicht ersichtlich.
2.2. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nicht hinreichend dargelegt. Dazu müsste für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung gewesen sein, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 36; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 127). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O. § 124a Rn. 72; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Februar 2019, § 124a Rn. 102 ff.). Daran fehlt es hier. Der Kläger hat schon keine Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert, die grundsätzlich klärungsbedürftig sein könnte. Mit seiner Begründung des Berufungszulassungsantrags trägt er demgegenüber vor, der konkret vorliegende Sachverhalt erfordere aufgrund der Besonderheit des Einzelfalls eine Abweichung von der ständigen Rechtsprechung. Das Verwaltungsgericht habe nicht erkannt, dass alternativ zu der fachlichen Prognose eines Psychologen bezüglich des künftigen Verhaltens eines Betroffenen im Straßenverkehr das tatsächliche Verhalten des Betroffenen herangezogen werden müsse. Damit ist kein grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt.
Selbst wenn man dem Schriftsatz die Frage entnehmen wollte, ob Ausnahmen von der Vorschrift des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV oder des § 11 Abs. 8 FeV möglich seien, so wäre diese Frage nur dann entscheidungserheblich, wenn der Kläger hinreichend dargelegt hätte, dass bei ihm zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids ein solcher Ausnahmefall vorgelegen hat. Dies ist aber nicht der Fall. Der bloße Zeitablauf ist bis zum Erreichen der Tilgungsfrist keine Ausnahme und besagt auch nichts über eine Verhaltensänderung und deren Stabilität. Dass der Betreffende bis zum Erlass des Entziehungsbescheids durch die Fahrerlaubnisbehörde weiter am Straßenverkehr teilnehmen kann, ist ebenfalls der Regelfall. Außer im Falle einer strafgerichtlichen vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO kann der Betreffende stets bis zum Erlass des Entziehungsbescheids weiter am Straßenverkehr teilnehmen, denn die Verwaltungsbehörde hat keine Möglichkeit, eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zu verfügen. Dass im vorliegenden Fall wegen der zögerlichen Bearbeitung der Angelegenheit durch die Beklagte ein relativ langer Zeitraum zwischen der Begehung der Straftat im Juni 2013 und der Entziehung der Fahrerlaubnis im Mai 2017 verstrichen ist, führt ebenfalls nicht automatisch zu einem Ausnahmefall (vgl. NdsOVG, B.v. 7.5.2019 a.a.O. Rn. 8). Dazu müssten weitere Umstände hinzutreten, die den vorliegenden Fall von ähnlich gelagerten Fällen unterscheiden. Denn es ist nicht ungewöhnlich, dass die Fahrerlaubnisbehörde erst längere Zeit nach der Tatbegehung tätig werden kann, wenn z.B. zwischen der Begehung der Tat und der Rechtskraft der Verurteilung ein langer Zeitraum verstreicht.
Dem Grunde nach wirft der Kläger mit seinen Ausführungen zur grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache die Frage auf, ob es möglich ist, im Lauf des Entziehungsverfahrens auch ohne Vorlage eines Gutachtens die anfangs berechtigten Fahreignungszweifel zu entkräften. Diese Frage kann ohne weiteres dahingehend beantwortet werden, dass dies möglich und von der Fahrerlaubnisbehörde zu berücksichtigen ist. Werden die Fahreignungszweifel anderweitig vollständig ausgeräumt, kommt eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht in Betracht. Der Kläger hatte aber die Fahreignungszweifel zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids nicht ausgeräumt, denn der Zeitablauf und die Teilnahme am Straßenverkehr ohne Feststellung weiterer Zwischenfälle reichen dafür nicht aus.
Die Beantwortung der Frage, ob die Fahreignungszweifel nunmehr durch Ablauf der Tilgungsfrist für die Straftat vom Juni 2013 vollständig ausgeräumt sind, hat im Entziehungsverfahren keine Bedeutung, sondern muss in einem Verfahren auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis geklärt werden.
3. Die teilweise Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung in Nr. II des Beschlusses ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
4. Bei der Teilzulassung der Berufung erfolgt die Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 1 VwGO insgesamt mit der Schlussentscheidung (vgl. BayVGH, U.v. 9.9.2013 – 19 B 08.1181 – juris; OVG Berlin Bbg, B.v. 23.9.2014 – OVG 9 N 143.13 – juris Rn. 17; a.A. BayVGH, B.v. 4.8.2014 – 13a ZB 14.30173 – juris Rn. 10).
5. Die Höhe des Streitwerts für das Berufungsverfahren orientiert sich an der Empfehlung in Nr. 46.14 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO 24. Aufl. 2018, Anh. § 164 Rn. 14).

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