Verkehrsrecht

Verkehrsunfall, Schadensersatz, Unfall, Berufung, Haftung, Frist, Anspruch, Zahlung, Kinder, Zeitpunkt, Kostenentscheidung, Auflage, Beweisaufnahme, Aufwendungen, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung

Aktenzeichen  5 C 721/16

Datum:
19.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 129980
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 134,97 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.04.2016 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Berufung wird nicht zugelassen.
1. Beschluss
Der Streitwert wird auf 134,97 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
Gem. § 495 a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
I. Zulässigkeit
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Amtsgericht Ansbach gem. § 20 StVG örtlich und gem. §§ 23 Nr. 1, 71 I GVG sachlich zuständig.
II. Begründetheit
Die Klage ist vollumfänglich begründet.
1. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 134,97 € aus §§ 7, 17, 18 StVG, § 1 PflichtversG, § 115 IS. 1 Nr. 1 VVG.
a) Die Haftung dem Grunde nach ist zwischen den Parteien hinsichtlich des streitgegenständlichen Verkehrsunfalles^^! auf der S. Straße 2223 in Höhe der xxx unstreitig. Die bei der Beklagten versicherte xxx haftet für den streitgegenständlichen Verkehrsunfall zu 100%.
b)Im Rahmen der Haftungsausfüllung kann der Kläger von der Beklagten gem. §§ 249 ff BGB die Kosten für die Neuanschaffung zweier bei dem Unfall beschädigter Kindersitze und einer bei dem Unfall ebenfalls beschädigten Kindersitz-Basissation in voller Höhe verlangen.
aa)Bei dem streitgegenständlichen Unfall wurden unstreitig ein im Jahr 2012 angeschaffter Kindersitz „Pebble“ sowie die zugehörige Basisstation beschädigt.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist für diese beschädigten Gegenstände ein Abzug „neu für alt“ nicht vorzunehmen. Es sind daher die vollen Kosten für die Neuanschaffung in Höhe von 169 € hinsichtlich der Basisstation und 199,99 € hinsichtlich des Kindersitzes „Pebble“ ersatzfähig.
(1) Hintergrund des gesetzlich nicht geregelten Abzuges „neu für alt“ bei beschädigten gebrauchten Sachen ist, dass der Geschädigte im Rahmen der § 249 ff BGB wirtschaftlich so gestellt werden soll, als sei das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis nicht eingetreten. Die Vornahme eines Abzuges „neu für alt“ setzt daher voraus, dass eine wirtschaftlich günstige Vermögensmehrung gerade für den Geschädigten eintritt und dass der Abzug „neu für alt“ für den Geschädigten zumutbar ist (vgl. Grüneberg, in: Palandt, 75. Auflage 2016, vor § 249 RdNr. 98 ff.). (2)
Für den Kläger ist es zunächst unzumutbar, den vor dem schädigenden Ereignis bestehenden Zustand durch die Anschaffung gebrauchter Kindersitze wiederherzustellen. Es kann von dem Kläger nicht verlangt werden, für seine engsten Familienangehörigen in einem derart sensiblen Bereich wie dem Schutz vor mitunter schwerwiegenden Verletzungen aufgrund der Gefahren des Straßenverkehrs auf einen Kindersitz zurückzugreifen, dessen Vorgeschichte der Kläger nicht kennt. Es ist allgemein bekannt, dass gerade bei Kindersitzen eine der Sicherheit der Sitze abträgliche Beschädigung des Materials von außen gerade nicht zwingend erkennbar sein muss. Bei einem gebrauchten Kindersitz, egal ob von einer Privatperson oder möglicherweise von einem Händler erworben, kann der Kläger nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass der Gegenstand etwa aufgrund eines Sturzes bereits vorgeschädigt ist und damit die Sicherheit seiner Kinder nicht gewährleistet ist.
(2) Dadurch, dass im vorliegenden Fall an die Stelle des beschädigten gebrauchten Kindersitzes ein neuwertiger Kindersitz tritt, kommt eine Vermögensmehrung für den Kläger nicht zustande. Maßgeblich ist insoweit im Rahmen des Abzuges „neu für alt“, ob die neu anzuschaffende Sache aufgrund ihres individuellen Nutzungspotenzials gerade für den Geschädigten einen höheren Wert hat (vgl. OLG Köln, Beschluss v. 01.08.2014, Az. 11 U 23/14). Durch den Ersatz des im Jahr 2012 angeschafften, bei dem streitgegenständlichen Unfall beschädigten, Kindersitz durch einen neuen Kindersitz erhöht sich im vorliegenden Fall das individuelle Nutzungspotential des Gegenstandes für den Geschädigten nicht. Der Kläger hat zwei Kinder. Diese sollten den streitgegenständlichen bei dem Unfall beschädigten Kindersitz solange nutzen, wie dies nach Größe und Gewicht möglich ist. Es sind vorliegend keinerlei Gründe dafür ersichtlich, dass ein Austausch des Kindersitzes während der Nutzungsdauer durch die Kinder des Klägers vorgenommen worden wäre. Der bei dem Abzug neu für alt zu berücksichtigende Vermögensvorteil, dass der Geschädigte sich bei einer Sache mit einer begrenzten Lebensdauer, die durch den Geschädigten ohnehin irgendwann ersetzt werden muss, Aufwendungen erspart, realisiert sich im vorliegenden Fall daher nicht. Allein die Möglichkeit, dass der Kläger vorliegend mit dem neu gekauften Kindersitz nach dem Ende der Nutzungsdauer durch die Kinder des Klägers einen höheren Wiederverkaufspreis erzielen könnte, als dies mit dem beim streitgegenständlichen Verkehrsunfall beschädigten Kindersitz möglich gewesen wäre, rechtfertigt die Annahme eines Vermögensvorteils für den Kläger jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht (vgl. OLG Köln, Beschluss v. 01.08.2014, Az. 11 U 23/14). Es kann daher dahingestellt bleiben, ob ein Markt für gebrauchte Kindersitze, wie von der Beklagten behauptet, existiert. bb)
Der Kläger kann von der Beklagten vorliegend auch die Kosten für die Neuanschaffung des bei dem Unfall beschädigten Kindersitzes „Pearl“ in Höhe von 219,99 € in voller Höhe verlangen.
(1) Insoweit ist zwischen den Parteien streitig, wann der beschädigte Kindersitz Pearl vom Kläger tatsächlich angeschafft wurde. Im Zeitpunkt der Schließung der mündlichen Verhandlung behauptet der Kläger, anders als noch in der Klageschrift vom 16.06.2016, dass dieser Kindersitz am 27.01.2014 angeschafft worden sei.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist dieser zum ersten Mal in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Vortrag nicht als verspätet zurückzuweisen gem. § 296 ZPO. Eine Präklusion scheitert schon daran, dass der vorliegende Rechststreit durch diese neue Behauptung des Klägers nach dem absoluten Verzögerungsbegriff nicht verzögert wurde.
Die Beweisaufnahme hat vorliegend zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass dieser Vortrag des Klägers auch zutreffend ist. Das Gericht stützt seine Annahme auf die Einvernahme der Ehefrau des Klägers, der| Diese hat in ihrer Vernehmung angegeben, dass aufgrund des vorliegenden Rechtsstreits sie und der Kläger die Kontoauszüge hinsichtlich des für die Anschaffung des Kindersitzes in Betracht kommenden Zeitraums durchgesehen haben und feststellen konnten, dass der streitgegenständliche Kindersitz Pearl am 27.01.2014 für ihre im Jahr 2013 geborene Tocher angeschafft wurde. Zwar ist hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Zeugin zu berücksichtigen, dass es sich um die Ehefrau des Klägers handelt. Das Gericht hält die Aussage dennoch für glaubhaft. Insbesondere erscheint es lebensnah, dass, nachdem die Tochter der Zeugin und des Klägers im Jahr 2013 geboren wurde und zunächst ein Kindersitz für das erste Lebensjahr angeschafft wurde, dann als die Tochter 10 Monate alt war, ein Folgekindersitz angeschafft wurde.
(2) Aus den oben genannten Gründen ist auch bei diesem Kindersitz ein Abzug neu für alt nicht vorzunehmen. Vielmehr ist der Neupreis in Höhe von 219,99 € voll ersatzfähig.
2. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Verzugszinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.04.2016 aus §§ 280 I, II, 286 I, 288 BGB. Durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers wurde die Beklagte mit Schreiben vom 17.03.2016 aufgefordert, die streitgegenständlichen Schadenspositionen umfassend zu regulieren. Hierfür wurde eine Frist von 2 Wochen gesetzt. Nach Ablauf der Frist befand sich die Beklagte im Schuldnerverzug.
III. Nebenentscheidungen
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
2. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
3. Entgegen des Antrags der Klagepartei war vorliegend die Berufung nicht zuzulassen. Der Rechtsfrage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. In Streit stehen zudem nicht die rechtlichen Maßstäbe des Abzuges „neu für alt“, sondern lediglich deren Anwendung auf den vorliegenden Einzelfall. Mögliche Subsumtionsabweichungen fallen jedoch nicht unter die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 511 IV 1 Nr. 1 Alt. 3 ZPO.

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