Verkehrsrecht

Verkehrsunfall – Wirksame Abtretung einer Schadensersatzforderung an den vom Beklagten beauftragten Sachverständigen

Aktenzeichen  12 C 326/16

Datum:
4.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 133294
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Coburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 249 Abs. 2 S. 1, § 398
RDG § 1, § 5 Abs. 1
StVG § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 2
ZPO § 287

 

Leitsatz

1 Tritt der bei einem Verkehrsunfall Geschädigte seinen gegen den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer gerichteten Anspruch auf Erstattung von Sachverständigenkosten an den von ihm beauftragten Sachverständigen zur Sicherung bzw. Befriedigung von dessen Honoraranspruch ab, so ist die von der Abtretung erfasste Forderung auch dann hinreichend bestimmt, wenn der Geschädigte nachrangig auch noch andere Schadensersatzansprüche an den Sachverständigen abtritt. (Rn. 14 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Abtretung von Schadensersatzforderungen aus einem Verkehrsunfall an den vom Geschädigten beauftragten Sachverständigen zur Sicherung bzw. Befriedigung des (später) nur der Höhe nach im Streit stehenden Honoraranspruchs des Sachverständigen stellt keine unerlaubte Rechtsdienstleistung dar. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein vom Sachverständigen abgerechnetes Honorar ist für einen verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen jedenfalls dann nicht erkennbar erheblich überhöht, wenn es unter den Höchstwerten der BVSK-Honorarbefragung 2015 liegt; dies gilt sowohl für das Grundhonorar als auch für die Nebenkosten. (Rn. 24 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
4 Liegen einzelne Nebenkostenpauschalen über den Werten der BVSK-Honorarbefragung 2015, so führt dies nicht zwingend dazu, dass von einer erkennbaren Überhöhung auszugehen wäre. Denn die BVSK-Honorarbefragung ist lediglich eine Schätzgrundlage. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 84,94 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.03.2016 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 84,94 € festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Ersatz weiterer Sachverständigenkosten gemäß § 249 BGB, § 7 Abs. 1, 17 Abs. 2 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG in Höhe von 84,94 €.
Die Klägerin ist aktivlegitimiert.
Die Abtretung ist hinreichend bestimmt und wirksam. Die abzutretende Forderung muss, wie jeder Gegenstand einer Verfügung, bestimmt oder zumindest bestimmbar sein. Dieses Erfordernis bezieht sich auf den Zeitpunkt, in dem die Forderung übergehen soll, also auf den Zeitpunkt des Abtretungsvertrages oder des (späteren) Entstehens der Forderung.
Das Erfordernis betrifft Gegenstand und Umfang der Forderung, d.h. Person des Schuldners, Gegenstand und Umfang der Leistung, bei Verwechslungsgefahr auch weiter den Rechtsgrund der Forderung.
Das Landgericht Coburg vertritt zu dieser Frage der Aktivlegitimation in den Verfahren 32 S 61/15 und 33 S 58/15 die Auffassung, dass „die Abtretung an den Sachverständigen nicht hinreichend bestimmbar und damit unwirksam sind. … Voraussetzung für Teilabtretung von Forderungen sei jedoch, dass sowohl aus Sicht von Zedent und Zessionar als auch aus Sicht des Schuldners jederzeit erkennbar sein muss, an welchen Gläubiger in welchem Umfang zu leisten ist, also eine hinreichende Bestimmbarkeit auch für den Schuldner gegeben ist. Dies sei mit der auch hier streitgegenständlich verwendeten Abtretung vom 06.01.2016 nicht der Fall.“ Nach Auffassung des Landgerichts Coburg „könne der Zedent bereits nicht sicher feststellen, in welcher Höhe die ihm gegenüber geltend gemachten Sachverständigenkosten überhaupt erforderlich sind, denn die Frage der Höhe erforderlicher Sachverständigenkosten ist bekanntlich höchst umstritten. … Demgemäß vermag der Schuldner – hier der Versicherer – nicht zu erkennen und sich auch nicht in zumutbarer Weise Kenntnis davon zu verschaffen, welchen Forderungsbetrag er an welchen Gläubiger zu zahlen hat. Er wird nämlich unwiderruflich angewiesen, den jeweiligen Rechnungsbetrag an den Sachverständigen zu überweisen, unabhängig davon, ob dieser der Höhe nach erforderlich ist oder nicht. In welcher konkreten Höhe dann auf nachrangige (Teil-)Abtretungen betreffend Wertminderung, Nutzungsausfall, Nebenkosten oder Reparaturkosten gezahlt wird, bleibt jedenfalls angesichts der genannten Umstände unsicher.“
Das erkennende Amtsgericht schließt sich dieser Rechtsauffassung nicht an. Es wird insoweit die Auffassung vertreten, dass die Abtretung nicht zu beanstanden ist. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 07.06.2011, Az.: VI ZR 260/10, entstehen aus einem Verkehrsunfall für den Geschädigten mehrere Forderungen. Insoweit sei es zwingend erforderlich, dass bei einer Mehrzahl von Forderungen eine Abtretung sich auf einzelne Forderungen beziehen muss. Es darf sich insbesondere nicht nur um eine summenmäßige Beschränkung handeln. Die hier streitgegenständliche Abtretungsvereinbarung unterscheidet und grenzt ganz klar die einzelnen Forderungen aus einem Verkehrsunfall ab. Genau dies entspricht den Anforderungen des BGH aus der Entscheidung vom 07.06.2011.
Die Abtretungen der weiteren Schadenersatzansprüche aus dem Verkehrsunfall erfolgt lediglich zur Sicherung bzw. Befriedigung des eigenen Werklohnanspruchs des Sachverständigen. Darüber hinaus ist auszuführen, dass nach § 1 RDG eine Rechtsdienstleistung jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten ist, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalles erfordert. Gemäß § 5 Abs. 1 RDG sind Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit erlaubt, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehören. Ob eine Nebenleistung vorliegt, ist nach ihrem Inhalt, Umfang und sachlichen Zusammenhang mit der Haupttätigkeit unter Berücksichtigung der Rechtskenntnisse zu beurteilen, die für die Haupttätigkeit erforderlich sind. Streitgegenständlich ist nicht die Verschuldensfrage. Allein die Höhe des Honoraranspruchs wird bestritten und steht im Streit. Dies gehört zum Hauptgeschäft des Sachverständigen. Die Abtretungen der weiteren Schadenersatzansprüche aus dem Verkehrsunfall erfolgt lediglich zur Sicherung bzw. Befriedigung des eigenen Anspruchs des Sachverständigen. Eine rechtliche Prüfung erfolgt gerade nicht.
Die Klägerin ist mithin aktivlegitimiert.
Die Kosten der Schadensfeststellung sind Teil des zu ersetzenden Schadens (Palandt, BGB-Kommentar, § 249 Rn. 58; BGH NJW-RR 1989, 956).
Der Schädiger hat daher die Kosten von Sachverständigengutachten zu ersetzen, soweit diese zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind (Palandt, BGB-Kommentar, § 249 Rn. 58; BGH NJW 1974, 35; BGH NJW 2007, 1451). § 249 Abs. 2 S. 1 BGB beschränkt den Anspruch auf Ersatz von Sachverständigenkosten auf den objektiv erforderlichen Herstellungsaufwand. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH kann der Geschädigte deshalb vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung nur den Ersatz derjenigen Sachverständigenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und erforderlich halten darf (BGH VersR 2005, 380; BGH NJW 2007, 1452). Der Geschädigte hat dabei nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot im Rahmen des ihm Zumutbaren stets den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Auch bei der Beauftragung eines Kfz-Sachverständigen darf sich der Geschädigte damit begnügen, den ihm in seiner Lage ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen zu beauftragen.
Er muss nicht zuvor eine Marktforschung nach dem honorargünstigsten Sachverständigen betreiben (so BGH, 6. Zivilsenat, 11.02.2014, VI ZR 225/13). Der Geschädigte genügt seiner Darlegungslast zur Schadenshöhe regelmäßig durch Vorlage einer Rechnung des von ihm zur Schadensbeseitigung in Anspruch genommenen Sachverständigen (so BGH, 6. Zivilsenat, 11.02.2014, VI ZR 225/13). Die tatsächliche Rechnungshöhe bildet bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein wesentliches Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ Betrags im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, schlagen sich in ihr doch die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalles einschließlich der – vor dem Hintergrund der subjektbezogenen Schadensbetrachtung relevanten – beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten regelmäßig nieder. Ein einfaches Bestreiten der Erforderlichkeit des ausgewiesenen Rechnungsbetrages zur Schadensbehebung reicht allerdings grundsätzlich nicht aus, um die geltend gemachte Schadenshöhe in Frage zu stellen. Anderes gilt, wenn sich aus den getroffenen Vereinbarungen Umstände ergeben, die der Rechnung die indizielle Bedeutung für die Erforderlichkeit der Aufwendungen nehmen. Nur wenn der Geschädigte erkennen kann, dass der von ihm ausgewählte Sachverständige Honorarsätze für seine Tätigkeit verlangt, die die in der Branche üblichen Preise deutlich übersteigen, gebietet das schadensrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot, einen zur Verfügung stehenden günstigeren Sachverständigen zu beauftragen (so BGH, 6. Zivilsenat, 11.02.2014, VI ZR 225/13). Liegen die mit dem Sachverständigen vereinbarten oder von diesem berechneten Preise für den Geschädigten erkennbar erheblich über den üblichen Preisen, so sind sie nicht geeignet, den erforderlichen Aufwand abzubilden (vgl. BGH, NJW 2014, 3151 ff.).
Es ist dabei grundsätzlich anerkannt, dass ein Sachverständiger sein Honorar zeitunabhängig und pauschal nach Grundhonorar und Nebenkosten abrechnen darf. Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem Sachverständigen abgerechneten Preisen für die Begutachtung überwiegend um den erforderlichen Herstellungsaufwand.
Das vom Sachverständigen berechnete Grundhonorar in Höhe von 628,00 € liegt für den Geschädigten nicht erkennbar erheblich über den üblichen Preisen.
Die Berechnung eines Grundhonorars in Höhe von 628,00 € bei Reparaturkosten in Höhe von 5.892,37 € netto stellt sich für einen verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen als noch nicht erkennbar erheblich überhöht dar.
Dies deswegen weil, dass abgerechnete Grundhonorar unter den höchsten Werten des Korridors der BVSK-Honorarbefragung 2015 (HB III und HB IV) liegt. Bei einem Nettoschaden bis zu 6.000,00 € netto rechnen danach 90 % der BVSK-Mitglieder maximal 674,00 € bzw. 95 % der BVSK-Mitglieder maximal 682,00 € ab. Eine Orientierung an der BVSK-Honorarbefragung im Rahmen der Schadensschätzung durch das Gericht gemäß § 287 ZPO ist anerkannt und zulässig. Bei der Schadensschätzung können grundsätzlich Listen oder Tabellen Verwendung finden (vgl. BGH, Urteil vom 11.03.2008, Aktenzeichen VI ZR 164/07). Dabei kann das Gericht sich am üblichen Sachverständigenhonorar orientieren, wie es in der Honorarbefragung des Bundesverbands der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen (BVSK) ermittelt wird. Die Befragung wird bereits seit Jahrzehnten durchgeführt und bildet einen wichtigen Anhaltspunkt für die Angemessenheit von Sachverständigenhonoraren. Zudem bildet der BVSK den größten Zusammenschluss freiberuflicher qualifizierter Kfz-Sachverständiger in Deutschland. Es ist davon auszugehen, dass die im Rahmen der Befragung erlangten Ergebnisse nicht ohne Realitätsbezug sind. Deshalb sind diese geeignet um einen Anhaltspunkt für eine Schätzung im Sinne des § 287 ZPO zu bilden. Auch kann die BVSK-Tabelle 2015 zu Grunde gelegt werden (so Landgericht Coburg; AZ: 33 S 78/15).
Mithin ist das Grundhonorar nicht überhöht.
Hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten Nebenkosten gelten dieselben Grundsätze wie für das abgerechnete Grundhonorar. Die abgerechneten Nebenkosten sind nicht erkennbar überhöht.
Hinsichtlich der Nebenkosten ist grundsätzlich auf die BVSK-Honorarbefragung 2015 abzustellen (Landgerichts Coburg, AZ: 32 S 71/15 und 32 S 79/15). Ausweislich der BVSK-Honorarbefragung 2015 sind für den 1. Fotosatz 2,- €, den 2. Fotosatz 0,50 €, für Fahrtkosten 0,70 €, für Schreibkosten 1,80 € je tatsächlich beschriebene Seite, für Kopien 0,50 € und für Porto/Telefon 15,- € jeweils netto zu berücksichtigen waren. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Landgerichts Coburg (AZ: 32 S 71/15 und 32 S 79/15) ist auch hinsichtlich der Nebenkosten von Nettopreisen auszugehen. Dies folgt aus den Kurzerläuterungen zur BVSK-Honorarbefragung 2015. In diesen befindet sich nunmehr die Klarstellung, dass es sich „bei den Angaben des Grundhonorars und der Nebenkosten um Nettopreise handelt“.
Der Sachverständige kann pauschal Schreibgebühren/Bürokosten in Höhe von 18,00 € abrechnen. Die BVSK-Befragung ist lediglich eine Schätzgrundlage. Ein Sachverständige muss die Nebenkosten nicht zwingend nach der BVSK-Befragung abrechnen. Porto/Telefon können mit 15,00 € in Ansatz gebracht und weitere 5 Schreibseiten, sowie weitere 15 Kopien, so dass der pauschale Betrag in Höhe von 18,00 € nicht überhöht ist. Auch wurden 21 Lichtbilder gefertigt. Die Fahrtkosten sind ebenfalls angefallen und erstattungsfähig.
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze hält Gericht erforderliche Sachverständigenkosten in Höhe von gesamt 863,94 € brutto für angemessen, auf die die Beklagte außergerichtlich 779,00 € reguliert hat, so dass ein Betrag von 84,94 € verbleibt.
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
Die Berufung war zuzulassen. Das Landgericht Coburg vertritt zur Frage der Aktivlegitimation in den Verfahren 32 S 61/15 und 33 S 58/15 eine andere Rechtsauffassung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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