Aktenzeichen 11 CS 19.1577
BGB § 119 Abs. 1
Leitsatz
Für einen Eilantrag fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Fahrerlaubnisinhaber auf seine Fahrerlaubnis und jeglichen Rechtsbehelf verzichtet und diesen Verzicht auch nicht wirksam angefochten hat. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
W 6 S 19.781 2019-07-23 VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung der ihm im Jahr 2010 wiedererteilten Fahrerlaubnis der Klassen A1, B, L, M und S.
Im Frühjahr 2019 wurde der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts Würzburg bekannt, dass ein Facharzt für Allgemeinmedizin am 20. August 2018 auf einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Folgebescheinigung) für den Antragsteller die gesicherten Diagnosen („G“) F10.2 G (psychische und Verhaltensstörungen durch Alkoholabhängigkeitssyndrom), G40.9 G (Epilepsie) und F10.3 G (psychische und Verhaltensstörungen durch Alkoholentzugssyndrom) gestellt hatte.
Unter Bezugnahme auf diese Diagnosen und Nr. 8.3, 6.6 der Anlage 4 zur FeV hörte das Landratsamt den Antragsteller mit Schreiben vom 17. April 2019 zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an.
Nachdem dessen Bevollmächtigter nach gewährter Akteneinsicht und Fristverlängerung nicht Stellung genommen hatte, entzog das Landratsamt dem Antragsteller mit Bescheid vom 27. Mai 2019 die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, den Führerschein unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids abzugeben. Ferner ordnete es den Sofortvollzug dieser Verfügungen an.
Am 25. Juni 2019 gingen beim Landratsamt der Führerschein des Antragstellers und eine am 23. Juni 2019 von ihm unterzeichnete formularmäßige „Verzichtserklärung“ ein, die neben einem Verzicht auf die Fahrerlaubnis auch einen Verzicht auf die Ausfertigung und Zustellung eines kostenpflichtigen Entzugsbescheids und die Einlegung jeglichen Rechtsbehelfs umfasste. Zudem erklärte der Antragsteller, ihm sei bekannt, dass er ab sofort keine Kraftfahrzeuge auf öffentlichem Verkehrsgrund mehr führen dürfe und zu einem späteren Zeitpunkt die Fahrerlaubnis wieder beantragen könne.
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten jeweils vom 28. Juni 2019 ließ der Antragsteller beim Landratsamt Widerspruch erheben, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist, und beim Verwaltungsgericht Würzburg einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stellen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, auch die Tatbestände der Regelvermutungen müssten festgestellt werden, wofür eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht ausreiche. Das Gesetz sehe in der Regel ein ärztliches Gutachten, in besonderen Fällen ein medizinisch-psychologisches Gutachten vor. Ein Austausch der Rechtsgrundlagen und eine Heilung eines Mangels seien wegen der strengen Anforderungen an die Begutachtungsanordnung nicht möglich. Es komme auch eine Auflage in Betracht, wonach die Fahrerlaubnis nur für den Weg zur Arbeit und zurück und zum Führen eines Staplers bei der Arbeit bestehe. Der Antragsteller habe nach Rückkehr aus einem mehrwöchigen Urlaub zur Abwendung einer Zwangsvollstreckung lediglich eine Abgabebescheinigung hinsichtlich seines Führerscheins unterschreiben, jedoch in keinem Fall auf Rechtsmittel verzichten wollen. Die Verzichtserklärung sei durch die Bevollmächtigten und den Antragsteller persönlich angefochten worden.
Mit Beschluss vom 23. Juli 2019 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses als unzulässig ab. Der Antragsteller habe bereits vor Erhebung des Antrags wirksam auf seine Fahrerlaubnis verzichtet. Der Einwand, er habe die Verzichtserklärung als Abgabebescheinigung für den Führerschein angesehen, greife nicht durch, da er ausdrücklich auf die Fahrerlaubnis und Rechtsmittel gegen deren Entziehung verzichtet und keine der Erklärungen auf dem Formular gestrichen habe. Es sei allgemein bekannt, dass eine Erklärung gegen Unterschrift Rechtsgültigkeit besitze. Eine wirksame Anfechtung sei nicht erfolgt. Die Anfechtungserklärung des Bevollmächtigten vom 15. Juli 2019 und die des Antragstellers vom 17. Juli 2019 seien dem Schriftsatz vom 17. Juli 2019 nicht beigefügt gewesen. Dem vom Landratsamt übermittelten Antwortschreiben vom 18. Juli 2019 sei jedoch zu entnehmen, dass der Rechtsmittelverzicht gegenüber dem Landratsamt angefochten worden sei. Es könne dahinstehen, ob die Anfechtung unverzüglich erklärt worden sei, da jedenfalls kein Anfechtungsgrund, eine Drohung oder Täuschung oder ein relevanter Inhaltsirrtum, erkennbar sei. Der Wortlaut der „Verzichtserklärung“ sei klar und eindeutig. Es könne nicht angenommen werden, dass dem Antragsteller nicht bewusst gewesen sein könnte, was mit den Erklärungen, er verzichte auf die ihm erteilte Fahrerlaubnis aller Klassen und jegliche Rechtsmittel, sowie dem Hinweis, er könne zu einem späteren Zeitpunkt die Fahrerlaubnis wieder beantragen, gemeint sei, zumal er bereits in der Vergangenheit seine Fahrerlaubnis einmal verloren habe. Dass das Formular der Verzichtserklärung mit dem Anhörungsschreiben übermittelt worden sei, zunächst mit dem Ziel, den Erlass eines kostenpflichtigen Entziehungsbescheids zu vermeiden, mache die Verzichtserklärung nicht überflüssig oder unklar. Der Bescheid sei infolge der Erhebung des Widerspruchs noch nicht bestandskräftig und somit ein Verzicht auf die Fahrerlaubnis und auf Rechtsmittel zur Vermeidung weiterer Verfahrenskosten noch möglich. Ein Irrtum über den Bedeutungsgehalt der Erklärung könne deshalb nicht angenommen werden, zumal der Antragsteller im Verwaltungsverfahren durch einen Bevollmächtigten vertreten gewesen sei und bei Unklarheiten entsprechend hätte Rücksprache nehmen können.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt. Der Antragsteller macht geltend, das Verwaltungsgericht verkenne, dass es nicht auf die einzelnen Erklärungsteile, sondern die gesamte Erklärung ankomme. Ein Inhaltsirrtum sei auch hinsichtlich des gesamten Schriftstücks möglich. In § 143 BGB sei weiterhin vorgesehen, dass eine Anfechtungserklärung gegenüber einer Behörde möglich sei. Der Entziehungsbescheid vom 27. Mai 2019 sei auch dem Bevollmächtigten zugestellt worden, der anschließend den Antragsteller kontaktiert und empfohlen habe, den Führerschein an das Landratsamt zu senden. Der Antragsteller habe den Bescheid zusammen mit den sonstigen Schreiben in dieser Angelegenheit abgelegt und mitgeteilt, er befinde sich derzeit drei Wochen im Urlaub. Daraufhin habe der Bevollmächtigte das Landratsamt um eine Bestätigung gebeten, dass das Zwangsgeld nicht vollstreckt werde. Nach Rückkehr aus dem Urlaub habe der Antragsteller seine Unterlagen herangezogen und das Beiblatt so verstanden, dass er zur Kostenvermeidung nur auf den Führerschein verzichte, somit hinsichtlich der 200,- EUR. Er habe in keinem Fall auf Rechtsmittel verzichten wollen. Das Landratsamt habe anschließend auch nur mitgeteilt, dass der Führerschein eingegangen sei, und noch eine Empfangsbestätigung hinsichtlich des Entziehungsbescheids gefordert. Es sei Widerspruch eingelegt und ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt worden. In seiner schriftlichen Erwiderung im Antragsverfahren vom 9. Juli 2019 sei das Landratsamt auf den Verzicht nicht eingegangen. Die Erklärung des Antragstellers sei durch das Landratsamt deshalb dahingehend verstanden worden, dass nur der Führerschein zurückgesendet werden solle. Ein Rechtsmittelverzicht sei darin nicht erkannt worden. Hiervon sei deshalb auch nicht auszugehen. Die Anfechtung sei auch rechtzeitig erfolgt. Der Anfechtungsberechtigte dürfe den Anfechtungsgrund prüfen und Rechtsrat einholen. Erst eine Dauer von mehr als drei Wochen ab Kenntnis sei regelmäßig nicht unverzüglich.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zu Recht wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses für unzulässig erachtet.
Dies folgt – soweit der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Zwangsgeldandrohung begehrt – schon daraus, dass sich die Zwangsgeldandrohung mit der Abgabe des Führerscheins am 25. Juni 2019 erledigt und der Antragsgegner nicht zu erkennen gegeben hat, dass er das Zwangsgeld gleichwohl beizutreiben beabsichtigt (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 26.4.2012 – 11 CS 12.650 – juris Rn. 13 m.w.N.; B.v. 6.12.2018 – 11 CS 18.1777 – juris Rn. 14).
Im Übrigen fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für den Eilantrag, weil der Antragsteller auf seine Fahrerlaubnis und jeglichen Rechtsbehelf verzichtet (vgl. BVerfG, B.v. 24.1.2002 – 2 BvR 957/99 – juris Rn. 2) und diesen Verzicht auch nicht wirksam angefochten hat.
Im Ausgangspunkt trifft es zwar zu, dass eine gegenüber einer Behörde abgegebene öffentlich-rechtliche Willenserklärung, wie hier der streitgegenständliche Verzicht, anfechtbar ist (vgl. Wendtland in BeckOK, BGB, Stand 1.8.2019, § 119 Rn. 5; BayVGH, B.v. 4.7.2018 – 11 ZB 18.719 – juris Rn. 11; OVG LSA, B.v. 20.11.2015 – 3 L 102/15 – juris Rn. 13). Die Einwände des Antragstellers gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass ihm – was hier allein in Betracht kommt – kein Anfechtungsgrund gemäß § 119 Abs. 1 BGB zur Seite steht, greifen jedoch nicht durch.
Mit der Behauptung, er habe keine „Verzichtserklärung“, sondern nur eine Abgabebescheinigung hinsichtlich seines Führerscheins unterschreiben wollen, um der Zwangsvollstreckung zu entgehen, macht der Antragsteller einen Inhaltsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 1. Alt. BGB geltend, bei dem zwar der äußere Tatbestand dem Willen des Erklärenden entspricht, dieser sich jedoch über die Bedeutung oder die Tragweite seiner Erklärung irrt (vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 119 Rn. 11). Diese Behauptung ist allerdings nach dem allgemein verständlichen, klaren und eindeutigen Wortlaut der Formularerklärung vom 23. Juni 2019 nicht glaubhaft. Wie er dieser gut lesbaren und übersichtlich abgefassten „Verzichtserklärung“ einen in Gänze dem Wortlaut widersprechenden Sinn beizulegen vermochte, hat der Antragsteller nicht nachvollziehbar dargelegt. Insbesondere hat er nicht behauptet, sie nicht gelesen zu haben, bevor er sie unterschrieb. Er behauptet auch nicht, Teile der Erklärung falsch verstanden zu haben, sondern beruft sich ausdrücklich darauf, dass er hinsichtlich des gesamten Schriftstücks einem Inhaltsirrtum unterlegen sei. Dies ist jedoch nicht nachvollziehbar und damit auch nicht glaubhaft, nachdem er mit seiner Unterschrift bestätigt hat, ihm sei bekannt, keine Kraftfahrzeuge mehr auf öffentlichen Verkehrsgrund führen zu dürfen und später wieder eine Fahrerlaubnis beantragen zu können, sowie erklärt hat, auf einen förmlichen Entziehungsbescheid und „jeglichen Rechtsbehelf“ zu verzichten. Hieraus ergibt sich unmissverständlich, wie ihm schon im Anhörungsschreiben erläutert worden ist, dass die Fahrerlaubnis ohne Weiteres erlöschen und der Verzicht den Erlass eines kostenpflichtigen Bescheids mit anschließenden Rechtsbehelfsmöglichkeiten ersetzen sollte. Es konnte also nicht lediglich darum gehen, vorübergehend das Führerscheindokument abzuliefern und eine die Ablieferung begleitende Erklärung abzugeben, die das Landratsamt – worauf der Antragsgegner zutreffend hinweist – auch niemals verlangt hat. Es auch nicht ersichtlich, wozu eine solche „Abgabebescheinigung“ des Antragstellers hätte dienen sollen. Einen Beweiszweck könnte allenfalls umgekehrt eine behördliche Bestätigung über den Eingang des Führerscheins erfüllen. Der Senat hat daher keinen Zweifel daran, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Abgabe seiner Erklärung am 23. Juni 2019 auch subjektiv auf seine Fahrerlaubnis und Rechtsbehelfe gegen deren Entziehung verzichten wollte. Wenn er dies offenbar nach anwaltlicher Beratung bereut hat, stellt dies keinen zur Anfechtung berechtigenden Irrtum dar. Auch wenn die abgegebene Erklärung auf einem im Stadium der Willensbildung unterlaufenen Irrtum im Beweggrund (Motivirrtum) beruhen sollte, berechtigt dies nicht zur Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB (Wendtland, a.a.O. Rn. 37).
Der Einwand, auch das Landratsamt habe die Erklärung vom 23. Juni 2019 nicht als Rechtsmittelverzicht verstanden, liegt neben der Sache und trifft auch nicht zu. Dies ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass das Landratsamt aus der erst nach Erlass des Entziehungsbescheids eingegangenen und somit für das Entziehungsverfahren folgenlosen Verzichtserklärung zunächst keine Schlussfolgerungen für das Widerspruchsverfahren oder das gerichtliche Eilverfahren gezogen bzw. jene möglicherweise schlicht übersehen hat. Abgesehen davon ist auch im öffentlich Recht für die Auslegung einer Willenserklärung die Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtungsweise und im Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung maßgebend (vgl. BVerwG, B.v. 22.10.2014 – 8 B 99.13 – NVwZ 2015, 163 = juris Rn. 18). Das nachträgliche Verhalten des Landratsamts vermag am objektiven Inhalt der einseitigen Willenserklärung des Antragstellers nichts mehr zu ändern.
Auf das Vorliegen der sonstigen Anfechtungsvoraussetzungen kommt es daher nicht mehr an.
Die Beschwerde war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 46.2 und 46.3 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).