Aktenzeichen Au 7 S 18.694
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 6 S. 1, Abs. 8 S. 2, § 14 Abs. 2 Nr. 2, § 46 Abs. 1
Anlage 4 FeV Nr. 9.1, Nr. 9.5
Leitsatz
1. Das antragsbezogene Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 S. 2 VwGO ist kein Rechtsmittelverfahren, sondern ein selbständiges neues Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes, das aufgrund veränderter Umstände auf eine neue Regelung zur Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes gerichtet ist. (Rn. 19 und 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach dem Verlust der Fahreignung aufgrund des Konsums sog. harter Drogen setzt die Wiedererlangung der Fahreignung eine nachgewiesene einjährige Abstinenz und (zwingend) die Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens voraus (ebenso BayVGH BeckRS 2016, 50803 Rn. 15). (Rn. 24 und 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus der Weigerung eines Betroffenen, sich einer zu Recht angeordneten Begutachtung zu unterziehen oder ihr Ergebnis der Behörde vorzulegen, darf hergeleitet werden, dass er einen Eignungsmangel verbergen will, und daher auf seine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werden (ebenso BayVGH BeckRS 2009, 42908 Rn. 17 und 18). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 7 S 17.1405 2017-11-07 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Der Beschluss des Gerichts vom 7. November 2017 (Az.: Au 7 S 17.1405) wird in Nr. 1 geändert. Der Antrag auf Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung des erhobenen Widerspruchs gegen den Bescheid des Landratsamtes … vom 16. August 2017 wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsgegner (hier: Änderungsantragsteller) beantragt die Abänderung des gerichtlichen Beschlusses vom 7. November 2017 (Az.: Au 7 S 17.1405) gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO.
1. Dem Antragsteller (hier: Änderungsantragsgegner) war mit sofort vollziehbarem Bescheid des Landratsamtes … vom 16. August 2017 die Fahrerlaubnis sämtlicher Klassen entzogen worden, da das vom Landratsamt mit Schreiben vom 3. Mai 2017 angeforderte und vom Antragsteller vorgelegte Fahreignungsgutachten der … vom 24. Juli 2017 (Begutachtungstermin: 4.7.2017, Bl. 75 bis 89 der Behördenakte) seine Fahreignung deshalb verneinte, weil zu erwarten sei, dass der Antragsteller auch weiterhin Betäubungsmittel nehmen werde.
Der Gutachtensanforderung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Mit Strafbefehl des Amtsgerichtes … vom 29. Dezember 2016 war gegen den Antragsteller eine Geldstrafe wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verhängt worden, da er am 30. August 2016 wissentlich und willentlich 20,45 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 0,89 Gramm THC und 1,42 Gramm Ecstasy mit einem Wirkstoffgehalt von 0,3 Gramm MDMA in seiner Wohnung aufbewahrt hatte. Daraufhin forderte das Landratsamt den Antragsteller dazu auf, zur Klärung seines Konsumverhaltens im Hinblick auf Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes ein Gutachten eines Arztes bei einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen. Der Antragsteller legte das ärztliche Gutachten der … vom 27. April 2017 vor, in dem festgestellt wurdet, dass das Konsumverhalten des Antragstellers im Hinblick auf Cannabis als gelegentliche Einnahme zu bezeichnen sei. Außerdem habe der Antragsteller im Jahr 2015 einmalig weitere Betäubungsmittel außer Cannabis im Sinne des BtMG eingenommen, die die Fahreignung nach Anlage 4 FeV in Frage stellen. Hinweise auf die Einnahme weiterer illegaler Drogen oder auch der Missbrauch legaler Drogen (Alkohol, Medikamente) lägen nicht vor. Im Rahmen der Begutachtung hatte der Antragsteller zwei auf Drogen und Benzodiazepine negativ getestete Urinproben abgegeben. In der 6 cm langen Haarprobe des Antragstellers war THC-COOH in einer Konzentration von 0,03 ng/mg nachgewiesen worden.
Gegen den Bescheid des Landratsamtes … vom 16. August 2017 legten die Bevollmächtigten des Antragstellers mit Schriftsatz vom 13. September 2017 Widerspruch ein und am 18. September 2017 wurde beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt.
Mit Beschluss vom 7. November 2017 (Az.: Au 7 S 17.1405) stellte das Gericht auf den Antrag des Antragstellers (hier: Änderungsantragsgegner) die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Landratsamtes … vom 16. August 2017 hinsichtlich der Nummern 1 und 2 (Entziehung der Fahrerlaubnis und Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins) wieder her und ordnete die aufschiebende Wirkung hinsichtlich der Nummer 3 dieses Bescheids (Zwangsgeldandrohung) an. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Erfolgsaussichten des Widerspruchs im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als offen anzusehen seien. Der Antragsteller sei zwar in der Vergangenheit gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugengewesen, da er zumindest einmal, nämlich im Jahr 2015, Amphetamin („Ecstasy“), das in Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz (BtMG) aufgeführt ist, konsumiert habe. Es sei aber nicht auszuschließen, dass der Antragsteller seine Fahreignung nach Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV wiedererlangt haben könnte, wobei auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides, der noch in der Zukunft liege, abzustellen sei.
Im Hinblick auf harte Drogen habe das o.g. fachärztliche Gutachten vom 27. April 2017 ergeben, dass der Antragsteller seine Behauptung, seit dem einmaligen Amphetaminkonsum im Jahr 2015 abstinent zu sein, durch das Untersuchungsergebnis der am 10. März 2017 abgegebenen 6 cm langen Haarprobe untermauert habe, welches die Abstinenz von harten Drogen für ca. ein halbes Jahr, nämlich für den Zeitraum von ca. September 2016 bis einschließlich Februar 2017 belege; zudem habe aufgrund der beiden (negativen) Urinproben vom 10. März 2017 und 11. April 2017 ein aktueller Drogenkonsum ausgeschlossen werden können. Zwar habe das Landratsamt dann zu Recht eine weitere Begutachtung, nämlich die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV, für erforderlich gehalten und auch mit Schreiben vom 3. Mai 2017angeordnet. Das Landratsamt habe aber bei dieser weiteren Gutachtensanordnung, die dem Antragsteller eine – nur – zweimonatige Frist zur Beibringung des medizinisch-psychologischen Gutachtens eingeräumt habe, verkannt, dass für eine Wiedererlangung der Fahreignung – neben weiteren Voraussetzungen – in der Regel erforderlich ist, dass eine einjährige Drogenabstinenz (s. Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV) durch geeignete polytoxikologische Urin- und/oder Haaranalysen nachgewiesen wird. Die bisherigen Abstinenzbelege hätten daher Anlass sein müssen, den Antragsteller zunächst für einen angemessenen weiteren Zeitraum einem engmaschigen behördlich überwachten Drogenscreening-Programm zu unterziehen und – aber erst im Anschluss daran – eine medizinisch-psychologische Untersuchung zu fordern. Daher erscheine es angemessen, dem Antragsteller im noch laufenden Widerspruchsverfahren die Möglichkeit einzuräumen, ein engmaschiges behördlich überwachtes Drogenscreening-Programm bei einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle zu absolvieren und sich im Anschluss daran (nochmals) einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu unterziehen.
Aufgrund der bisher beigebrachten Abstinenzbelege und weil der Antragsteller bis zur streitgegenständlichen Entziehung der Fahrerlaubnis unbeanstandet am motorisierten Straßenverkehr teilgenommen habe, erscheine es hinnehmbar, dass dem Antragsteller die Fahrerlaubnis vorläufig, bis weitere Aufklärungsmaßnahmen in Form von Drogenscreenings und einer medizinisch-psychologischen Begutachtung durchgeführt werden, belassen werde. Der Antragsteller wurde vom Gericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass gemäß § 80 Abs. 7 VwGO jederzeit eine Änderung dieser Entscheidung erfolgen könne, wenn Anhaltspunkte bekannt werden, dass er weiterhin Betäubungsmittel einnehme oder wenn er an der weiteren Aufklärung seiner Fahreignung nicht hinreichend mitwirken werde, etwa wenn er sich nicht dem von der Fahrerlaubnisbehörde zu fordernden Drogenkontrollprogramm unterwerfe, die Drogenscreenings oder das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht rechtzeitig beibringe oder dieses Gutachten negativ ausfallen sollte.
2. Am 24. April 2018 ließ der Antragsgegner (hier: Änderungsantragsteller), vertreten durch das Landratsamt, beantragen,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. November 2017 (Au 7 S 17.1405) aufzuheben.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Landratsamt den Antragsteller um die Abgabe einer weiteren Haaranalyse gebeten habe. Die am 5. Dezember 2017 entnommene 6 cm lange Haarprobe sei negativ getestet worden (Bl. 231 der Behördenakte) und habe eine Drogenabstinenz für einen Zeitraum von ca. sechs Monaten vor dem Zeitpunkt der Haarentnahme belegt. Zusammen mit dem Abstinenznachweis im Rahmen der verkehrsmedizinischen Begutachtung vom 27. April 2017 habe der Antragsteller somit ein Jahr Abstinenz nachweisen können. Entsprechend der gerichtlichen Empfehlung sei er mit Schreiben vom 10. Januar 2018 gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV erneut aufgefordert worden, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Der Antragsteller weigere sich aber nun, das angeforderte Gutachten erstellen zu lassen. Der Bevollmächtigte des Antragstellers verkenne in seinen Ausführungen vom 13. Februar 2018 (Bl. 251 bis 252 der Behördenakte) und 27. März 2018 (Bl. 259 bis 260 der Behördenakte), dass Voraussetzung für die Wiedererlangung der Fahreignung nicht der bloße Nachweis einer Abstinenz sei, sondern tatsächlich die psychologische Beurteilung über die Stabilität dieser Abstinenz, welche nur durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten geklärt werden könne. Dass der Antragsteller seine Fahreignung durch den Konsum harter Drogen verloren habe, sei unstreitig. Er weigere sich jedoch, an der Klärung der offenen Frage, ob er seine Fahreignung wiedererlangt haben könnte, mitzuwirken. Deshalb stehe die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zur Überzeugung des Landratsamtes nach wie vor fest. Dem Vorschlag des Bevollmächtigten des Antragstellers, das Ergebnis der Hauptverhandlung vor Gericht abzuwarten, könne im Rahmen der Verkehrssicherheit nicht gefolgt werden, zumal sich der Fall noch im Widerspruchsverfahren befinde.
3. Der Bevollmächtigte des Antragstellers (hier: Änderungsantragsgegner), dem die Antragsschrift am 30. April 2018 übermittelt wurde, hat mit Schriftsatz vom 2. Mai 2018 beantragt,
dem Antrag des Landratsamtes … nicht stattzugeben und den Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg aufrecht zu erhalten.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es zwar richtig sei, dass in Regelfällen eine MPU gefordert werden könne bzw. müsse und auch der Sofortvollzug des Fahrverbotes anzuordnen sei. Dennoch müsse eine Behörde im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Einzelfallbetrachtung auf den konkreten Fall eingehen und angemessen reagieren. Das Landratsamt verkenne hier, dass bei einer Einzelfallbetrachtung die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt werde, wenn dem Antragsteller auferlegt werden solle, auf eigene Kosten erneut ein medizinisch-psychologisches Gutachten abzugeben, obwohl er Drogenfreiheit nachgewiesen habe. Die Aussagen des Antragstellers seien bisher glaubwürdig gewesen und seien von Drogenscreenings (Urin 5 mal, Haaranalysen 2 mal) bestätigt worden. Der Antragteller sei drogenfrei und nicht nur deshalb glaubwürdig, sondern auch, weil sich seine Lebensumstände und somit die ausschlaggebenden Prognosekriterien geändert hätten. Er sei Geschäftsführer diverser Firmen, junger Vater, habe ein Haus gebaut und habe mit Drogen „nichts mehr am Hut“. Ein medizinisch-psychologisches Gutachten sei nicht nur teuer, sondern auch sehr zeitaufwändig. Als weniger einschneidende und damit verhältnismäßigere Maßnahme könne gerne ein weiterer Drogentest angeordnet werden.
4. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten (auch im Verfahren Au 7 S 17.1405) und die Behördenakte verwiesen.
II.
Gegenstand des Abänderungsverfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO ist allein die Fortdauer der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO getroffenen Entscheidung. Der Abänderungsbefugnis unterliegt deshalb auch nur der verfügende Teil des Beschlusses vom 7. November 2017, nicht jedoch die Kostenentscheidung (Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 80 Rn. 108; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl., § 80 Rn. 199). Daher ist der Antrag des Antragsgegners (hier: Änderungsantragsteller) sachgerecht dahingehend auszulegen (§ 88 VwGO), dass unter Abänderung der Nr. 1 des Beschlusses des Gerichts vom 7. November 2017 der (ursprüngliche) Antrag des Antragstellers (hier: Änderungsantragsgegner) nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung des erhobenen Widerspruchs abgelehnt wird.
Der in diesem Sinne ausgelegte Antrag ist zulässig und begründet.
1. Nach Auffassung der Kammer ist es sachgerecht, die Beteiligten auch im Abänderungsverfahren mit der Beteiligtenstellung zu bezeichnen, die sie im Ausgangsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO hatten. Zwar handelt es sich bei dem Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO um ein selbstständiges Verfahren, woraus sich eine besondere prozessuale Rollenverteilung ergibt. Die Kammer hält es jedoch aus Gründen der Klarheit weiterhin für vorzugswürdig, auch im Abänderungsverfahren das Rubrum des Ausgangsverfahrens beizubehalten (so auch OVG RhPf, B.v. 27.6.2016 – 8 B 10519/16 – juris Rn. 3, 4 m.w.N.; a.A.: BVerwG, B.v. 7.1.2016 – 4 VR 3.15 – NVwZ-RR 2016, 357, juris Rn. 4). Die durchgehende Bezeichnung der Beteiligten mit ihren ursprünglichen Beteiligtenrollen erleichtert das Verständnis des Vorbringens im Abänderungsverfahren und vermeidet wiederholte Ausführungen in den Schriftsätzen, inwiefern die Beteiligtenstellung im Abänderungsverfahren von derjenigen im Ausgangsverfahren abweicht. Eine Verfahrenserleichterung tritt insbesondere dann ein, wenn parallel zum Abänderungsverfahren das Hauptsacheverfahren – hier das Widerspruchsverfahren – anhängig ist, bei dem die Beteiligtenstellung ebenfalls derjenigen des Ausgangsverfahrens im Eilrechtsschutz entspricht. Um die besondere prozessuale Stellung im Abänderungsverfahren zum Ausdruck zu bringen, werden daher die ursprünglichen Beteiligtenbezeichnungen um den Zusatz „hier: Änderungsantragsteller“ bzw. „hier: Änderungsantragsgegner“ ergänzt (so auch OVG RhPf, B.v. 27.6.2016 – 8 B 10519/16 – juris Rn. 4 m.w.N.).
2. Das antragsbezogene Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist kein Rechtsmittelverfahren, sondern ein gegenüber dem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO selbständiges neues Verfahren, dessen Gegenstand nicht die Überprüfung der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO, sondern die neue Regelung der Vollziehung des Verwaltungsakts für die Zukunft in einem abweichenden Sinn ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 80 Rn. 199). Mit anderen Worten: Im antragsbezogenen Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO wird nicht retrospektiv die Rechtmäßigkeit des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. November 2017 (Az.: Au 7 S 17.1405) überprüft. Es handelt sich im Gegensatz zur Beschwerde um keine Rechtsmittelentscheidung über diesen Beschluss, sondern um ein zukunftsorientiertes Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, in dem geprüft wird, ob im jetzigen Zeitpunkt die ursprüngliche Eilentscheidung wegen veränderter oder damals ohne Verschulden nicht geltend zu machender Umstände nach dem Maßstab des § 80 Abs. 5 VwGO noch aufrechtzuerhalten oder aber zu ändern ist (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 105).
Ein Anspruch nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist dann gegeben, wenn eine der beiden dort genannten Alternativen erfüllt ist. Die erste Alternative erfasst dabei entscheidungserhebliche Umstände rechtlicher oder tatsächlicher Art, die nach der Eilentscheidung eingetreten sind. Veränderte Umstände sind in erster Linie Änderungen der für die Entscheidung maßgeblichen Sach- oder Rechtslage. Dies trifft zunächst für tatsächliche Veränderungen zu, wenn neue Fakten vorliegen oder nachträglich bekannt geworden sind bzw. eine Neubewertung von Fakten aufgrund eines Gutachtens erfolgt (vgl. Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 26. EL 2014, § 80 Rn. 585). Dies gilt aber auch für eine Änderung der Rechtslage, worunter neben einer Gesetzesänderung auch die nachträgliche Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung oder die Klärung einer umstrittenen Rechtsfrage fällt (Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 197; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 585). Schließlich muss sich aus den veränderten Umständen die Abänderung der früheren Eilentscheidung ergeben. Die veränderten Umstände müssen unter Berücksichtigung der auch sonst für das Aussetzungsverfahren geltenden Grundsätze zu einer anderen Entscheidung führen als im ursprünglichen Aussetzungsverfahren (Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 202). Strukturell ist das Verhältnis zwischen dem Ausgangsbeschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO und einem späteren Abänderungsbeschluss nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO vergleichbar mit dem Verhältnis eines behördlichen Ausgangsbescheids und nachfolgenden auf Antrag ergangenen Wiederaufgreifensentscheidungen nach Art. 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG.
Nach diesen allgemeinen Grundsätzen ist dem Antrag auf Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. November 2017 (Az. Au 7 S 17.1405) stattzugeben, weil der Antragsgegner (hier: Änderungsantragsteller) gegenüber dem Zeitpunkt dieses Beschlusses veränderte Umstände i.S.v. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO geltend macht, die zu einer Abänderung der Entscheidung Anlass geben.
Der Beschluss vom 7. November 2017 (Az.: Au 7 S 17.1405) wurde darauf gestützt, dass dem Antragsteller im laufenden Widerspruchsverfahren Gelegenheit gegeben werden müsse, vor einer (nochmaligen) medizinisch-psychologischen Untersuchung den für die Wiedererlangung der Fahreignung erforderlichen Abstinenzzeitraum von einem Jahr durch einen weiteren Abstinenzbeleg abdecken zu können; denn ohne den Nachweis einer einjährigen Drogenabstinenz ist eine positive Begutachtung nicht zu erreichen. Die Weigerung des Antragstellers, nach Abgabe der Haaranalyse vom 20. Dezember 2017 ein medizinisch-psychologisches Gutachten gemäß der Anordnung des Antragsgegners vom 10. Januar 2018 (Bl. 244, 245 der Behördenakte) vorzulegen, stellt eine solche Änderung maßgeblicher Umstände dar.
Die Sachlage hat sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt damit maßgeblich zuungunsten des Antragstellers (hier: Änderungsantragsgegner) geändert. Sein Widerspruch vom 13. September 2017 gegen den Bescheid vom 16. August 2017 hat aufgrund der veränderten Umstände nunmehr kaum noch Aussichten auf Erfolg, so dass es nicht mehr gerechtfertigt ist, die wiederhergestellte bzw. angeordnete aufschiebende Wirkung des Widerspruchs beizubehalten.
Der Antragsteller hat seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen durch den eingestandenen Konsum von Amphetamin (einmaliger Konsum im Jahr 2015), das in Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz (BtMG) aufgeführt ist, gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV verloren. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis nach der Regelvermutung von Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV bereits dann gerechtfertigt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber mindestens einmal sog. harte Drogen konsumiert hat (allgemeine Auffassung, z.B. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 2 StVG Rn. 17; ständige Rechtsprechung des BayVGH, vgl. z.B. B.v.19.1.2016 – 11 CS 15.2403 – juris).
Gemäß Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV kann frühestens nach einem Jahr nachgewiesener Abstinenz von einer Wiedererlangung der Fahreignung ausgegangen werden. Damit der Betroffene nach Ablauf der Jahresfrist nicht alsbald wieder in ein früheres, rechtswidriges und gefahrenträchtiges Konsumverhalten zurückfällt, setzt die Wiedererlangung der Fahreignung darüber hinaus die Prognose voraus, dass die Verhaltensänderung von Dauer ist. Das lässt sich nur bejahen, wenn zu einer positiven Veränderung der körperlichen Befunde ein stabiler, tief greifender Einstellungswandel hinzutritt, der es wahrscheinlich macht, dass der Betroffene auch in Zukunft die notwendige Abstinenz einhält (so die Begründung zu Abschnitt 3.12.1 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung). Das erfordert – gegebenenfalls neben ärztlichen Feststellungen – eine psychologische Bewertung (vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2005 – 11 CS 04.2526 – juris, B.v. 3.8.2016 – 11 ZB 16.966 – juris Rn. 15 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 4.4.2016 – juris Rn. 6 m.w.N.). Dementsprechend ist nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FeV – ohne dass der Behörde hierbei ein Ermessensspielraum eingeräumt ist – die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (zwingend) anzuordnen, wenn zu klären ist, ob der Betroffene weiterhin die in Absatz 1 dieser Vorschrift genannten Mittel oder Stoffe einnimmt.
Die auf § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV gestützte Gutachtensanordnung vom 10. Januar 2018 ist daher rechtmäßig. Denn die vom Antragsteller durch die letzte Haaranalyse vom 20. Dezember 2017 nunmehr nachgewiesene einjährige Drogenabstinenz reicht allein nicht aus, um von einer Wiedererlangung seiner Fahreignung auszugehen. Die Gutachtensanordnung diente dazu, dem Antragsteller den für die Wiedererlangung der Fahreignung noch erforderlichen Nachweis eines stabilen Verhaltens- und Einstellungswandels zu ermöglichen. Die Begutachtungsanordnung war auch formell rechtmäßig. Die Anforderungen des § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV und § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV wurden eingehalten.
Die Antragstellerseite verkennt, dass die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens in den Fällen des § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV zwingend zu erfolgen hat und nicht nur in „Regelfällen“. Soweit ausgeführt wird, dass der Antragsteller nicht nur aufgrund der nachgewiesenen Drogenfreiheit glaubwürdig sei, sondern auch, weil sich seine Lebensumstände (Geschäftsführer diverser Firmen, junger Vater, habe ein Haus gebaut etc.) und somit die ausschlaggebenden Prognosekriterien geändert hätten, stellt dies die eigene Bewertung über eine stabile Verhaltens- und Einstellungsänderung dar; eine solche Bewertung kann aber nur vom Gutachter im Rahmen der medizinisch-psychologischen Begutachtung getroffen werden und nicht vom Antragsteller selbst.
Nach § 11 Abs. 8 FeV darf aus der Weigerung, sich einer zu Recht angeordneten Begutachtung zu unterziehen oder ihr Ergebnis der Behörde vorzulegen, hergeleitet werden, dass der Betroffene einen Eignungsmangel verbergen will und daher auf die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werden (vgl. BayVGH, B.v. 26.1.2009 – 11 CS 08.2028 – juris). Damit ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass der Antragsteller aufgrund des eingestandenen Amphetaminkonsums weiterhin fahrungeeignet ist, da er den erforderlichen Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung nicht beibringen wird bzw. nicht beibringen will.
Der Bescheid des Antragsgegners vom 16. August 2017 erweist sich daher im Zeitpunkt dieser Entscheidung als rechtmäßig. Unschädlich ist insoweit, dass in diesem Bescheid die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen bzw. der Umstand, dass er seine Fahreignung nach dem Amphetaminkonsum nicht wiedererlangt hat, mit dem negativen Ergebnis des Fahreignungsgutachten der … vom 24. Juli 2017 begründet wird, während sich nunmehr die mangelnde Kraftfahreignung aus § 11 Abs. 8 FeV herleitet, weil der Antragsteller der (rechtmäßigen) Gutachtensanforderung vom 10. Januar 2018 nicht nachgekommen ist. Die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig ist, richtet sich, sofern höherrangiges oder spezielleres Recht nichts Abweichendes vorgibt, nach dem Recht, das geeignet ist, seinen Spruch zu tragen. Erweist sich dieser aus anderen als den angegebenen Rechtsgründen als rechtmäßig, ohne dass diese anderen Rechtsgründe wesentliche Änderungen des Spruchs erfordern würden, dann ist der Verwaltungsakt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig (BVerwG, U.v. 19.8.1988 – 8 C 29/87 – BVerwGE 80, 96; BayVGH, B.v. 9.10.2017 – 11 CS 17.1483 – juris Rn. 22, B.v. 23.6.2016 – 11 CS 16.907 – juris Rn. 23 ff.).
Nach allem fällt nunmehr die Interessenabwägung zu Lasten Antragstellers aus. Angesichts der Gefahren für Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer durch fahrungeeignete Personen können persönliche und berufliche Gründe des Antragstellers derzeit nicht dazu führen, ihm auch nur vorübergehend bis zum Abschluss Widerspruchsverfahrens oder gar bis zum Abschluss eines ggf. einzuleitenden gerichtlichen Klageverfahrens die Fahrerlaubnis zu belassen. Allein der Umstand, dass ihm bisher noch keine Teilnahme am Straßenverkehr unter der Wirkung von Betäubungsmitteln nachgewiesen wurde und dass er nunmehr eine einjährige Drogenabstinenz nachgewiesen hat, rechtfertigt keine andere Betrachtungsweise. Es ist Sache des Antragstellers, den Nachweis für seine behauptete Verhaltensstabilität im Rahmen des Wiedererteilungsverfahrens durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung zu erbringen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Anh. § 164 Rn. 14). Nach dem Streitwertkatalog 2013 sind nur die Fahrerlaubnisklassen B und C1, je mit dem Auffangstreitwert von 5.000,00 Euro, maßgeblich. Da die Führerscheinklasse E in dem ab 19. Januar 2013 geltenden § 6 Abs. 1 FeV nicht mehr – isoliert – aufgeführt ist und der Streitwertkatalog 2013, für die „Klasse E“ keinen eigenen Streitwert mehr vorsieht (die Klassen B und BE, C1 und C1E werden jeweils mit dem gleichen Streitwert angesetzt), wirkt die um die frühere Klasse E erweiterte Fahrerlaubnis bei den Klassen B und C1 nicht mehr streitwerterhöhend. Die Klasse CE79 ist ebenfalls nicht streitwerterhöhend (vgl. hierzu BayVGH B.v. 30.1.2014 – 11 CS 13.2342 – juris). Der sich danach ergebende Betrag von 10.000,00 EUR ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).