Verkehrsrecht

Zu geringer Seitenabstand als Fahrfehler

Aktenzeichen  24 S 77/17

Datum:
19.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 123539
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Amberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVO § 1, § 14 Abs. 1, § 17 Abs. 1, Abs. 2
ZPO § 540 Abs. 1

 

Leitsatz

Der die Beifahrertüre zum Aussteigen öffnende Beifahrer in einer Parklücke muss, wenn die daneben liegende Lücke frei ist, entsprechend § 14 Abs. 1 StVO den rückwärtigen Verkehr aufmerksam beobachten. Es besteht ein Beweis des ersten Anscheins gegen denjenigen, der aus einem Fahrzeug ausgestiegen ist, wenn sich der Verkehrsunfall im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Aussteigen ereignet hat. Der recht neben das parkende Fahrzeug einfahrende Fahrzeugführer hat darauf zu achten, ob sich noch Personen im Fahrzeug befinden und muss mit dem Aussteigen selbiger rechnen, § 1 StVO. (Rn. 31 – 32 und 35 – 37)

Verfahrensgang

2 C 143/16 2016-12-23 Endurteil AGAMBERG AG Amberg

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Amberg vom 23.12.2016, Az. 2 C 143/16, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Amberg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 919,97 € festgesetzt.

Gründe

A.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber insgesamt unbegründet.
Das Amtsgericht Amberg hat der Klage im Ergebnis zu Recht im ausgesprochenen Umfang stattgegeben.
Es besteht ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagten auf Schadensersatz aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 2 StVG, 115 Abs. 1 VVG in Höhe von 919,97 € in der Hauptsache nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 28.11.2015, §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 BGB. Der Kläger hat ferner Anspruch gegen die Beklagten auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 147,56 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 28.11.2015, §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 249 BGB.
Der mit der Berufung geltend gemachte darüber hinausgehende Anspruch auf Zahlung weiterer 919,97 € nebst Zinsen und außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten besteht hingegen nicht. Auch das Berufungsgericht kommt unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens und des Ergebnisses der Beweisaufnahme zu einer hälftigen Haftungsverteilung.
I.
Wie der unfallanalytische Sachverständige … im Termin vom 30.11.2016 im Rahmen der Beweisaufnahme durch das Amtsgericht Amberg unter anderem ausführte, sei auf dem übergebenen Lichtbild, Anlage B2, zu sehen, dass die beiden streitgegenständlichen Fahrzeuge in einem Abstand von etwa 80 cm zueinander stehen würden. Ob es sich um die kollisionsbedingte Endstellung handele, sei nicht bekannt.
Aus den Lichtbildern zum Fahrzeug des Beklagten zu 1 ergebe sich eine Anstreifrichtung der Lackschäden von vorne nach hinten. Hieraus sei bereits abzuleiten, dass der Renault Twingo gegen die geöffnete Türe des klägerischen Fahrzeuges gestoßen sei und nicht die Tür gegen das Beklagtenfahrzeug. Dies werde auch bestätigt durch die Schäden an dem VW Polo. Es sei deutlich zu erkennen, dass die Türe sich verzogen habe und nicht mehr richtig schließe. Ein derartiger Schaden bedürfe relativ hoher Kräfte, die nur durch das bloße Anschlagen der Türe an einem anderen Fahrzeug nicht entstehen könnten.
Bei einer Öffnungszeit der Türe von mindestens zwei Sekunden sei die Kollision für den Beklagten vermeidbar gewesen. Inwieweit dies der Fall gewesen sei, sei unfallanalytisch nicht klärbar.
Folge man den Zeugen der Beklagten, wäre der Unfall durch Nicht-Öffnen der Türe durch die Beifahrerin im klägerischen Fahrzeug vermeidbar gewesen; folge man dagegen den klägerischen Zeugen, so sei es gerade umgekehrt. Welche dieser Versionen zutreffe, sei unfallanalytisch nicht mehr zu ermitteln.
II.
In der Klageschrift brachte der Kläger einen zu geringen Seitenabstand des beklagtischen Fahrzeuges als Fahrfehler vor. Das Endurteil des Amtsgerichts Amberg vom 23.12.2016 erörterte diesen Fahrfehler nicht ausdrücklich, so dass die Kammer nach entsprechender Rüge der Klagepartei in der Berufungsbegründungsschrift die von der Klagepartei hierzu benannten Zeuginnen … und … vernommen hat.
Die Zeugin … bekundete, dass sie zum Seitenabstand des einfahrenden Pkw nichts sagen könne, aber angeben könne, dass die Tür teilweise geöffnet gewesen sei, schätzungsweise in einem 45-Grad-Winkel. Der Fahrer des gegnerischen Fahrzeugs habe das Fahrzeug nach dem Unfall nochmal zurückgesetzt und dann eingeparkt, da für die Beifahrerin sonst keine Möglichkeit bestanden hätte, auszusteigen, weil der Abstand wirklich minimal gewesen sei.
Die Zeugin … teilte auf die Frage nach dem Seitenabstand zum Beklagtenfahrzeug mit, dass sie die Türe so geöffnet habe, dass ihr Arm noch leicht angewinkelt gewesen sei und sie bereits ein Bein draußen gehabt habe. Gegen diese Tür sei dann der Anstoß erfolgt. Genaueres konnte sie hierzu nicht angeben.
III.
Dass der Unfall für beide Parteien kein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war, wird in der Berufung nicht angegriffen. Im Übrigen teilt die Kammer die Auffassung des Amtsgerichts Amberg, dass keine der Parteien den Nachweis führen konnte, dass auch ein Idealfahrer die Kollision in der konkreten Situation nicht hätte vermeiden können und der Unfall auch bei Anwendung der äußerst möglichen Sorgfalt nicht hätte abgewendet werden können (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker-Heß, Straßenverkehrsrecht, 24. Auflage, 2016, § 17 Rn. 8).
IV.
Die nach §§ 17 Abs. 2, Abs. 1 StVG vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge führt vorliegend zur Haftungsteilung; die Beklagten haben 50% des Schadens des Klägers zu tragen; der Kläger selbst haftet ebenfalls mit einer Quote von 50%.
1. Die Verpflichtung zum Ersatz im Verhältnis zueinander hängt von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorliegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Im ersten Schritt ist das Gewicht des Verursachungsbeitrages des einen und des anderen unfallbeteiligten Fahrzeugs zu ermitteln. In einem zweiten Schritt sind die Verursachungsbeiträge der unfallbeteiligten Fahrzeuge dann gegeneinander abzuwägen (zum Ganzen: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker-Heß, Straßenverkehrsrecht, 24. Auflage, 2016, § 17 Rn. 10-13).
2. Der Verursachungsbeitrag wird gebildet durch die Summe der Gefahren, die in der konkreten Unfallsituation von dem unfallbeteiligten Fahrzeug ausgegangen sind und sich bei dem Unfall ausgewirkt haben, und zwar zum Nachteil des Unfallgegners. Hierbei bleiben jedoch lediglich mögliche oder vermutete Ursachen außer Betracht (zum Ganzen: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/ Janker-Heß, Straßenverkehrsrecht, 24. Auflage, 2016, § 17 Rn. 10-13).
Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs, eines Pkw, war dadurch erhöht, dass sich die Beifahrerin … beim Aussteigen aus dem klägerischen Fahrzeug nicht so verhalten hat, dass die Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer, hier des Beklagtenfahrzeugs, ausgeschlossen war und es zur Kollision gekommen ist.
Das Verhalten des Beifahrers ist dem Halter auch zuzurechnen (LG Berlin, Beschluss vom 20.09.2010, 12 U 216/09, R+S. 2011, 184). Der Kfz-Haftpflichtversicherer haftet grundsätzlich auch für einen Unfallschaden, den ein Insasse des versicherten Fahrzeugs durch das Öffnen der Beifahrertür verursacht (LG Saarbrücken, Urteil vom 20.11.2015, NZV 2009, 501).
Es steht fest, dass die Zeugin … zum Aussteigen die Beifahrertüre teilweise geöffnet hatte, als der Beklagte zu 1) mit seinem Pkw in die rechts daneben liegende freie Lücke eingefahren ist. Dies ergibt sich schon aus der Tatsache, dass der Sachverständige unzweifelhaft feststellen konnte, dass das Beklagtenfahrzeug gegen die Beifahrertüre gefahren ist. Beim Aussteigen sind gesteigerte Sorgfaltspflichten zu erfüllen; der rückwärtige Verkehr muss aufmerksam beobachtet werden, um dessen Gefährdung auszuschließen. Diese Pflichten ergeben sich für den fließenden Verkehr aus § 14 Abs. 1 StVO, können aber auch für den Fall des hier vorliegenden öffentlichen Parkplatzes sinngemäß herangezogen werden. Nicht anders als im fließenden Verkehr schafft auch hier ein Öffnen der Tür ein plötzliches Hindernis im zuvor freien Verkehrsraum und erweist sich damit als ebenso gefährlich für die übrigen Verkehrsteilnehmer (zum Ganzen: LG Saarbrücken, NZV 2009, 501).
Es besteht insofern ein Beweis des ersten Anscheins gegen denjenigen, der in ein Fahrzeug ein- oder ausgestiegen ist, wenn sich der Verkehrsunfall -wie hierim unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Ein- bzw. Aussteigen ereignet hat (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker-Heß, Straßenverkehrsrecht, 24. Auflage, 2016, § 14 Rn.2).
Es steht nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass … auch bei hinreichender Beobachtung des rückwärtigen Verkehrs den Unfall hätte nicht verhindern können. Wie sie selbst angab, sah sie sich nur zu Beginn beim Türenöffnen um und war dann durch die auslaufende Wasserflasche und das Halten der Handtasche von – anderweitig beschäftigt.
Nachdem neben dem klägerischen Fahrzeug eine Lücke vorhanden war, musste auch mit dem jederzeitigen Einfahren eines Parklatzsuchenden rechnen, zumal der Parkplatz im Zusammenhang mit dem Elternabend stärker frequentiert war (hierzu auch LG Saarbrücken, NZV 2009, 501).
3. Der Beklagte zu 1) hat nach der Überzeugung der Kammer keinen ausreichenden Seitenabstand eingehalten und damit gegen § 1 StVO verstoßen. Hiernach wird ein Verhalten gefordert, mit dem kein anderer geschädigt oder gefährdet wird.
Ob insoweit eine Sorgfaltspflichtverletzung seitens des Beklagten zu 1) festgestellt werden kann, richtet sich auch danach, inwiefern die Geschwindigkeit, insbesondere beim Einbiegen in die Parklücke, in der Situation angemessen gewesen ist und inwieweit der Beklagte zu 1) in der Lage gewesen ist zu erkennen, dass sich noch eine Person im Fahrzeug des Klägers befand, mit deren Aussteigen aus dem Fahrzeug jederzeit zu rechnen gewesen ist (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 09.06.2009, NJW 2009, 3038).
Zu berücksichtigen ist hierbei zunächst, dass bei genügender Aufmerksamkeit bei langsamem Einfahren für den rechts neben Klägerfahrzeug einfahrenden Beklagten zu 1) erkennbar gewesen wäre, dass sich noch 2 Personen, zumindest aber die Beifahrerin, im Fahrzeug befinden. Auch gilt hier gleichermaßen, dass auf Grund des Elternabends mit etwa gleicher Ankunftszeit noch mit dem Aussteigen von Personen gerechnet werden musste.
Der Beklagte zu 1) fuhr an dem parkenden Pkw des Klägers vorbei. Auch beim Vorbeifahren an haltenden Fahrzeugen wird ein ausreichender Sicherheitsabstand gefordert, dessen Größe sich nach den Umständen richtet. Er darf geringer sein als der beim Überholen und bei der Begegnung regelmäßig verlangte Mindestabstand von einem Meter. Ein Seitenabstand von weniger als einem Meter soll aber dann zu gering sein, wenn auf dem Seitenstreifen neben der Fahrbahn ein Pkw mit geöffneter Fahrzeugtür steht und jederzeit mit einem weiteren Öffnen der Tür gerechnet werden muss oder in der geöffneten Fahrzeugtür eine Person steht (OLG Celle, Urteil vom 22.09.2010, 14 U 63/10, BeckRS 2010, 30839 unter Verweis auf Burmann/Heß/Jahnke/Janker-Heß, Straßenverkehrsrecht, 21. Auflage, § 6 StVO, Rn. 6).
Wie ausgeführt musste der Beklagte zu 1) mit einem Aussteigen einer Person zumindest rechnen. Nach den nachvollziehbaren Erläuterungen des Sachverständigen steht fest, dass das Beklagtenfahrzeug gegen die Tür des klägerischen Fahrzeugs gefahren ist. Diese war auch nicht vollständig geöffnet, da die Zeugin … glaubhaft bekundet hat, dass sie die Tür noch am Griff festgehalten habe, als es zur Kollision kam. Aus dem Lichtbild, Anlage B 1, geht nach den plausiblen Ausführungen des Sachverständigen hervor, dass der Seitenabstand auf diesem Foto ca. 80 cm betragen habe. Gleich ob das Fahrzeug zuvor noch näher zum Klägerfahrzeug hin gestanden sein sollte, wie dies die Zeuginnen … angaben, war in Anbetracht vorstehender Ausführungen jedenfalls dieser Seitenabstand in der konkreten Unfallsituation zu gering.
4. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Betriebsgefahr des sich in Bewegung befindlichen Beklagtenfahrzeugs höher zu veranschlagen ist als die Betriebsgefahr des bereits stehenden Klägerfahrzeugs (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 09.06.2009, NJW 2009, 3038).
5. In einer Gesamtabwägung treffen den Kläger und die Beklagten jeweils eine Haftung von 50%.
Regelmäßig erscheint bei einer Kollision des einparkenden Fahrzeugs mit einer teilweise geöffneten Fahrzeugtür eines geparkten Fahrzeugs eine hälftige Schadensaufteilung angemessen (OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 09.06.2009, NJW 2009, 3038).
Die Sorgfaltspflichtverstöße des Kläger- und Beklagtenfahrzeugs entsprechend § 14 Abs. 1 StVO und gegen § 1 StVO sind in etwa gleich hoch zu gewichten. Beim Beklagtenfahrzeug kommt erhöhend zwar hinzu, dass es in Bewegung befindlich war; andererseits reagierte die Beifahrerin des Klägerfahrzeugs trotz danebenliegendem freiem Parkplatz und grundsätzlich gegebener Einsehbarkeit in den Bereich, in den der Beklagte zu 1) eingefahren ist, trotz gesteigerter Sorgfaltspflichten nicht auf das Beklagtenfahrzeug.
Damit verbleibt es bei einer hälftigen Haftungsverteilung.
V.
Der Schaden ist der Höhe nach unstreitig. Der bei der ausgesprochenen Haftungsquote von 50:50 vom Erstgericht ausgesprochene Schadensumfang wurde klägerseits nicht angegriffen.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 ZPO.
C.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch nicht die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Abs. 1, Abs. 2 ZPO.

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