Aktenzeichen 11 CS 17.1254
Leitsatz
Kokain zählt zu den Betäubungsmitteln, deren Konsum auch ohne Bezug zum Straßenverkehr zum Verlust der Fahreignung führt. Steht die Einnahme von Kokain und damit die Nichteignung eines Fahrerlaubnisinhabers fest, ist die Behörde berechtigt, ihm die Fahrerlaubnis ohne vorherige Einholung eines Fahreignungsgutachtens zu entziehen. Erst nach einer nachgewiesenen, mindestens einjährigen Abstinenz und einem stabilen Einstellungswandel, der durch eine medizinisch-psychologische Begutachtung abzuklären ist, kommt eine Wiedererlangung der Fahreignung in Betracht. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
W 6 S 17.529 2017-06-12 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8.750,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsgegner (und Antragsteller im ursprünglichen Verfahren) wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung seiner Fahrerlaubnis und Verpflichtung zur Ablieferung seines Führerscheins.
Mit Bescheid vom 13. Januar 2017 entzog das Landratsamt A. dem Antragsgegner die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn unter Androhung unmittelbaren Zwangs zur Abgabe seines Führerscheins. Er habe am 27. November 2015 ein Kraftfahrzeug unter der Wirkung berauschender Mittel (Cannabis und Kokain) geführt und sei daher ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins ordnete das Landratsamt den Sofortvollzug an.
Mit Beschluss vom 24. Februar 2017 stellte das Verwaltungsgericht Würzburg auf Antrag des (jetzigen) Antragsgegners die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Abgabeverpflichtung wieder her und ordnete sie hinsichtlich der angedrohten Vollstreckungsmaßnahme an. Die nachweisliche Einnahme von Cannabis und Kokain liege bereits mehr als ein Jahr zurück. Der Antragsgegner habe durch sieben Laborberichte anhand abgegebener Urinproben seine Behauptung untermauert, seitdem keine Betäubungsmittel mehr eingenommen zu haben. Daher sei im Widerspruchsverfahren durch engmaschige Drogenscreenings mit anschließender medizinisch-psychologischer Untersuchung zu klären, ob er seine zunächst verlorene Fahreignung wieder erlangt habe.
Mit Schreiben vom 29. Mai 2017 beantragte das Landratsamt beim Verwaltungsgericht unter Vorlage eines Untersuchungsergebnisses der Begutachtungsstelle für Fahreignung in H., den Beschluss vom 24. Februar 2017 zu ändern und den ursprünglichen Antrag abzulehnen. Bereits bei der ersten Urinkontrolle vom 28. April 2017 sei der Metabolit Benzoylecgonin gefunden worden, der beweise, dass der Antragsgegner Kokain konsumiert habe.
Mit Beschluss vom 12. Juni 2017 hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs unter Änderung seines Beschlusses vom 24. Februar 2017 abgelehnt. Entgegen der ursprünglichen Annahme könne aufgrund des Ergebnisses der Urinprobe vom 28. April 2017 nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Antragsgegner aktuell keine Drogen konsumiere. Für eine Vertauschung der Urinproben bestünden keinerlei Anhaltspunkte.
Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde lässt der Antragsgegner ausführen, er verliere aufgrund der vom Landratsamt veranlassten Abgabe des Führerscheins seinen Arbeitsplatz. Außer der positiven Probe vom 28. April 2017 seien alle davor liegenden Proben im Jahr 2016 negativ gewesen. Auch eine erneute Urinprobe vom 19. Juni 2017 sei negativ. Er konsumiere seit weit mehr als eineinhalb Jahren keine Drogen und könne sich das Ergebnis der Urinkontrolle vom 28. April 2017 nicht erklären.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu beanstanden wäre. Vielmehr ist auch nach Auffassung des Senats durch das Ergebnis der Urinprobe vom 28. April 2017 erwiesen, dass der Antragsgegner nach der ursprünglichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts erneut Kokain konsumiert hat und damit ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist. Die Änderung des Beschlusses vom 24. Februar 2017 gemäß § 80 Abs. 7 VwGO ist daher aufgrund veränderter Umstände gerechtfertigt.
1. Wer Kokain einnimmt, ist zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet (§ 11 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Anlage 4 Nr. 9.1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr [Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV] vom 13.12.2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 18.5.2017 (BGBl I S. 1282). Kokain zählt zu den Betäubungsmitteln, deren Konsum auch ohne Bezug zum Straßenverkehr zum Verlust der Fahreignung führt. Steht die Einnahme von Kokain und damit die Nichteignung eines Fahrerlaubnisinhabers fest, ist die Behörde berechtigt, ihm die Fahrerlaubnis ohne vorherige Einholung eines Fahreignungsgutachtens zu entziehen (§ 46 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 7 FeV). Erst nach einer nachgewiesenen, mindestens einjährigen Abstinenz und einem stabilen Einstellungswandel, der durch eine medizinisch-psychologische Begutachtung abzuklären ist, kommt eine Wiedererlangung der Fahreignung in Betracht (vgl. Anlage 4 Nr. 9.5 zur FeV).
2. Der Antragsgegner hat unstreitig vor der Fahrt am 27. November 2015 Cannabis und Kokain konsumiert. Entsprechende Wirkstoffe und Abbauprodukte wurden bei der damals durchgeführten Blutuntersuchung durch das Institut für Rechtsmedizin in Frankfurt am Main festgestellt. Die Fahrt des Antragsgegners wurde im hierzu ergangenen Strafbefehl des Amtsgerichts Dieburg vom 29. Juli 2016 und im anschließend ergangenen Urteil vom 28. Oktober 2016 nicht als Straftat, sondern als fahrlässige Ordnungswidrigkeit gemäß § 24a Abs. 2, Abs. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in der Bekanntmachung vom 5. März 2003 [BGBl I S. 310, 919], zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. Juni 2017 (BGBl I S. 2094, 2162), mit einem Bußgeld und einem Fahrverbot geahndet. Eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB kam damit nicht in Betracht. Das Landratsamt war daher nicht gemäß § 3 Abs. 4 StVG gehindert, die Eignung des Antragsgegners zum Führen von Kraftfahrzeugen eigenständig zu beurteilen.
Der nochmalige Konsum von Kokain steht aufgrund des vom Landratsamt vorgelegten Untersuchungsergebnisses des Forensisch Toxikologischen Centrums München anhand der am 28. April 2017 abgegebenen Urinprobe, bei der Benzoylecgonin in einer Konzentration von ca. 1.580 ng/ml nachgewiesen wurde, zweifelsfrei fest. Benzoylecgonin ist ein Kokainmetabolit, der jedenfalls in der hier festgestellten Konzentration auf vorangegangenen Kokainkonsum hinweist. Für eine Vertauschung der Probe sind plausible Anhaltspunkte weder vorgetragen noch ersichtlich; das entsprechende Vorbringen des Antragsgegners beruht auf reiner Spekulation. Da der erneute Konsum von Kokain somit keinen Zweifeln begegnet, steht seine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nach Anlage 4 Nr. 9.1 zur FeV fest. Einer weiteren gutachterlichen Abklärung im Widerspruchsverfahren bedarf es nicht mehr (§ 11 Abs. 7 FeV).
Dem steht auch weder das Ergebnis der Urinuntersuchung vom 19. Juni 2017 noch der Umstand entgegen, dass die mit dem Drogenscreening beauftragte A. D. GmbH es abgelehnt hat, auf Bitte des Antragsgegners am 8. Juni 2017 eine weitere Urinprobe entgegenzunehmen. Benzoylecgonin ist im Urin nur ein bis vier Tage nachweisbar (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 8. Auflage 2016, vor §§ 29 ff. Rn. 386 und ‚Stoffe‘ Rn. 104). Eine Urinprobe mit einem größeren zeitlichen Abstand zum 28. April 2017 ist daher auch bei einem für den Antragsgegner günstigen Ergebnis nicht geeignet, den Befund vom 28. April 2017 zu widerlegen oder zu entkräften.
Schließlich ist die Ablehnung der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs auch unter Berücksichtigung der vom Antragsgegner geltend gemachten Konsequenzen für seine Berufstätigkeit als Kraftfahrer im Außendienst gerechtfertigt. Angesichts der Gefahren für das Leben, die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum von Menschen bei Teilnahme fahrungeeigneter Personen am öffentlichen Straßenverkehr können persönliche und berufliche Gründe nicht dazu führen, ihm – auch nur vorläufig – die Fahrerlaubnis zu belassen.
3. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).